Stephan Herbert Fuchs
 

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16.03.2024

Schärfere Abgasbestimmungen: Öfen nicht voreilig rausschmeißen / „Kaminöfen sind die ideale Ergänzung“ - Interview mit Kaminkehrermeister Martin Stübinger aus Oberzettlitz

Kulmbach. Aufregung herrscht gerade bei vielen Hausbesitzern im Kulmbacher Land. Sie bangen um die wohlige Wärme in ihren Wohnzimmern, denn im nächsten Winter sollen schärfere Abgasbestimmungen für Kaminöfen gelten. Was gilt wann und wer muss sich Sorgen machen? Wir sprachen mit Kaminkehrermeister Martin Stübinger aus Oberzettlitz.

Herr Stübinger, sind eigentlich alle älteren Öfen zu schlecht, um die Abgaswerte zu schaffen?

Seit der neuen Abgasverordnung ist klar, dass es neue Abgaswerte und Übergangszeiten für Öfen gibt. Nach 2010 neu aufgestellte Öfen müssten die Abgaswerte bereits einhalten. Für Öfen die vor 2010 aufgestellt wurden gab oder gibt es je nach Baujahr und Art Übergangzeiten zur Einhaltung der Abgaswerte. Sie werden bei der darauf folgenden Feuerstättenschau durch den zuständigen bevollmächtigten Bezirkskaminkehrermeister beanstandet.

Woher weiß ich, dass mein Ofen die Grenzwerte einhält?

Der Eigentümer, beziehungsweise Betreiber des Ofens muss bei der Feuerstättenschau dem bevollmächtigtem Kaminkehrermeister nachweisen, dass der Ofen die Abgaswerte, beziehungsweise die Grenzwerte erfüllt. Der Bezirkskaminkehrer kommt ja alle drei bis vier Jahre zur Feuerstättenschau und hier wird unter anderem die Betriebssicherheit, die  Brandsicherheit, der Zustand und eben auch die Einhaltung der Abgaswerte oder der Ablauf der Übergangsfrist kontrolliert. Entweder stehen die Abgaswerte am Typenschild oder der Hersteller hat eine Prüfstandsbescheinigung mit den Abgaswerten beigelegt. Wenn nicht, muss sie gegebenenfalls beim Hersteller angefordert werden.

Gibt es auch noch andere Möglichkeiten?

Es gibt auch eine Datenbank im Internet wo sich die Hersteller mit den Werten eintragen können, man muss natürlich den Hersteller und Typ seines Ofen wissen um es raus zu suchen. Das macht aber normalerweise der bevollmächtigte Bezirkskaminkehrermeister auch selbst. Möglich ist es auch, dass der Kaminkehrer die Abgaswerte von der vorherigen Feuerstättenschau bereits aufgenommen hat oder sie bei der Abnahme oder von seinem Vorgänger bereits in die Software des System-PCs eingepflegt wurden.

Muss man den Ofen stilllegen, wenn man keine Informationen findet?

Handlungsbedarf besteht und eine Entscheidung des Betreibers muss her. Es gibt mehrere Möglichkeiten wenn der Ofen die Abgaswerte nicht einhält. Möglich ist der Austausch gegen einen neuen mit den entsptrechnden Abgaswerten. Möglich ist auch das Setzen auf Notbetrieb, das heißt, der Ofen darf bleiben aber nur im Fall der Fälle geheizt werden, zum Beispiel wenn die Zentralheizung kaputt ist oder ähnliches.

Gibt es weitere Möglichkeiten?

Ja, eine Prüfstandsmessung durch den Kaminkehrer. Dabei handelt es sich um eine aufwändige und teure Messung, die je nach Zustand und Alter des Ofen auch keinen Sinn macht, denn es können ja auch negative Werte rauskommen. Möglich ist auch eine Nachrüstung des Staubfilters. Auch das ist teuer und nicht für jeden Ofen zulässig. Es würden dabei auch Zusatzkosten durch Umbau und Kaminsanierung entstehen. Eine Kohlenmonoxidmessung ist aber trotzdem erforderlich. Aber, um es deutlich zu sagen: Warum ein totes Pferd weiterreiten. Es macht zu oft keinen Sinn teure Staubfilter oder einen alten Ofen der seinen Dienst bereits getan hat auf biegen und brechen behalten zu wollen. Die Kunden sind oft froh wenn ein neuer Ofen leichter zu bedienen ist oder er eben auch weniger Brennstoff durchlässt.

Fallen gemauerte Kachelöfen auch unter die Bestimmungen?

Bestehende Grundöfen haben Bestandschutz und unterliegen keinen Abgaswerten

Gibt es Ausnahmen?

Wie schon erwähnt, Grundöfen, historische Feuerstäten, Herde und offene Kamine brauchen im Bestand keine Abgaswerte nachweisen, neu errichtete schon.

Was ist mit Scheitholz-, Hackschnitzel– und Pelletsöfen?

Zentralheizungen werden eh alle zwei Jahre auf Staub und Kohlenmonoxid wiederkehrend gemessen. Bei Pelletseinzelöfen muss der Kunde über Typenschild oder Herstellererklärung die Abgaswerte nachweisen.

Was sind die größten Fehler beim Heizen eines Kaminofens?

Falscher Brennstoff, feuchte Brennstoff, falsche Bedienung, sprich zu sehr gedrosselte Luftzufuhr.

Sind Kaminöfen eigentlich noch zeitgemäß?

Warum nicht? Jedes Kind im Kindergarten malt ein Haus mit Kamin. Der Kamin sollte aber nicht so Rauchen wie auf dem gemalten Bild. Aber ja, ich halte es für eine ideale Ergänzung. Als Zusatz für die Übergangszeit oder bei extrem kalten Tagen.

Ihr Tipp für die Betreiber:

Ruhe bewahren, nicht voreilig Öfen rausschmeißen und neue Öfen kaufen. Der Kaminkehrer kommt doch auf den Kunden zu, wenn es Handlungsbedarf gibt. Sollte der Ofen betroffen sein,  gibt es einen Mängelbericht vom bevollmächtigten Kaminkehrermeister mit einer Frist von sechs Monaten. Hier kann man ohne Panik weitere Schritte einleiten. Vorher würde ich als Kunde nichts unternehmen. Ist der Kunde trotzdem unsicher, beim nächsten Kehrtermin den Kaminkehrer kurz fragen, vielleicht wirft er dort schon einen Blick drauf.

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29.12.2023

„Wir verlieren gerade unser öffentliches Wohnzimmer / Scharfe Kritik an der Politik: Verband wehrt sich gegen Wiedereinführung von 19 Prozent Mehrwertsteuer -. Interview mit dem Kreisvorsitzenden Alexander Schütz

Kulmbach. Für die Gastronomen waren die Herausforderungen in den zurückliegenden Jahren groß: ein Lockdown folgte dem anderen, die Kundschaft blieb aus, umständliche Infektionsschutzmaßnahmen mussten umgesetzt werden und die Einnahmen gingen in den Keller. Als Folge führte die Politik eine Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für Speisen für Speisen ein, um den Betrieben finanziell entgegenzukommen. Getränke wurden dagegen weiterhin mit 19 Prozent versteuert. Die Regelung wurde sogar einmal verlängert und läuft nun Ende 2023 aus. Eine weitere Verlängerung, wie von der Gastronomie gefordert, lehnte die Regierungskoalition ab. Dagegen läuft der Hotel- und Gaststättenverband Sturm. Er befürchtet das Aus für mindestens 2000 Betriebe in ganz Bayern. Wie ist die Lage vor Ort? Wir sprachen mit Alexander Schütz, dem Kreisvorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbandes aus Wartenfels bei Presseck:

Herr Schütz, die Senkung der Mehrwertsteuer war doch von Anfang an eine befristete Maßnahme, warum jetzt die Überraschung?

Uns wurde von fast allen Seiten in der Politik suggeriert das der reduzierte Mehrwertsteuersatz mehr oder weniger dauerhaft bleiben wird. Das ist auch noch mal deutlich geworden im Landtags-Wahlkampf in Bayern. Auch wenn das nicht hier entschieden wird, sind doch die Parteien die gleichen wie Bundestag, die uns hierfür unsere volle Unterstützung zugesagt haben, auch mehrheitlich die Ampel-Parteien. Nicht zuletzt unter anderem auch unser aktueller Bundeskanzler. Viele Wählerinnen und Wähler haben auf seine Wort vertraut, als er vor der Bundestagswahl im September 2021 beim Bürgergespräch im öffentlich rechtlichen TV wortwörtlich erklärte: Wir haben die Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie gesenkt und das nochmal verlängert und ich will Ihnen gerne versichern, ich habe dieser Verlängerungsentscheidung zugestimmt und der Einführung in dem sicheren Bewusstsein: Das schaffen wir nie wieder ab. Wenn ich dem Wort unseres Bundekanzler nicht vertrauen und glauben kann wem denn dann bitte? Wie glaubhaft ist unsere Politik noch? Und da wundern wir uns über den Politikverdruss in unserer Gesellschaft? Und da wundern wir uns über den Zuspruch von Parteien die weit über das demokratische hinaus gehen?

Viele Menschen bemängeln, dass die Senkung von 19 auf sieben Prozent damals nicht weitergegeben wurde. Die Erhöhung jetzt wieder auf 19 Prozent soll aber weitergegeben werden. Was entgegnen Sie?

Die Absenkung der Mehrwertsteuer war eine schnell wirkende Maßnahmen, ohne die es in der Gastronomie, durch die in der Pandemie entstanden Umstände, zu massenhaften Insolvenzen und Geschäftsaufgaben gekommen wäre. Und nicht zuletzt auch zu einem Riesenverlust an Arbeitsplätzen. Sie ist damals schon weitergegeben worden, nur sind auf der anderen Seite, zur gleichen Zeit die Kosten sowie die Belastungen einen Gastronomischen Betrieb wirtschaftlich zu führen so extrem gestiegen, das Preiserhöhungen unumgänglich waren. Die gesenkte Mehrwertsteuer hat somit diese Situation stark abgefedert. Wäre die Mehrwertsteuer zu diesem Zeitpunkt nicht abgesenkt worden wäre der Preis für die Restaurantgast noch viel höher gewesen. Was dann die Folge gehabt hätte das der Umsatz stark zurückgegangen wäre und wir die oben beschriebene Situation mit Insolvenzen und Arbeitsplatzverlusten gehabt hätten.

Sind die Preise für Wareneinkäufe tatsächlich so gestiegen, haben Sie ein Beispiel dafür?

Es sind nicht nur die gestiegen Preise im Wareneinkauf, die, glaube ich, auch jeder mitbekommt wenn er im Supermarkt einkauft und feststellt, wie viel weniger fürs gleiche Geld im Einkaufswagen liegt. Eine weiterer Ursache für gestiegen Preise im Restaurant ist, dass in nur zwei Jahren die Tariflöhne für unsere Mitarbeiter um 15 Prozent gestiegen sind, was auch wichtig und richtig ist, denn auch die Personen die in unserer Branche ihr Geld verdienen müssen fair bezahlt werden.

Merken Sie, dass die Menschen aufgrund der Inflation auf Restaurantbesuche verzichten? Wird der Restaurantbesuch mehr und mehr zum Luxus?

Man kann mit Sicherheit feststellen das sich das Gefüge unsere Restaurantgäste verändert, sprich die einen kommen nicht mehr, andere etwas seltener, andere wiederum kommen neu dazu. In der Summe sind es aber mit Sicherheit prozentual weniger Restaurantbesuche geworden als vorher.

Welche Auswirkungen befürchten Sie für die Gastronomie im Kulmbacher Land.

Durch eine Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen wird die Dynamik um das Wirtshaussterben mit Sicherheit noch einmal zunehmen. Die Folge wird ein kleineres Angebot für den Gast sein. Ich stelle mir auch die Frage, wieviel sind die schönsten Wander- und Radwege noch Wert wenn weit und breit keine Möglichkeit zur Einkehr besteht? Wir verlieren gerade unser öffentlichen Wohnzimmer!

Haben Sie noch Hoffnung, dass sich das Blatt noch wenden könnte, oder haben Sie sich mit den 19 Prozent bereits abgefunden.

Wie sagt man so schön die Hoffnung stirbt zuletzt! Jetzt mal ernsthaft, wir werden auch für den Fall das wir die Erhöhung für den 1. Januar nicht mehr verhindern können, auch weiterhin für eine gerechte Besteuerung auf Speisen kämpfen. Hier ein paar Fakten warum sieben Prozen nur gerecht und fair wären: Wir wollen das Gleiches gleichbehandelt wird. Supermärkte und Discounter treten mit ihrem umfangreichen Angebot verzehrfertiger Speisen längst in Konkurrenz zur klassischen Gastronomie, warum sollten wir dabei wieder steuerlich benachteiligt werden? Wir wollen, dass das Essen in der Kita und Schule gesund und finanzierbar bleibt. Damit unsere Kinder auch hier lernen können, was gute Ernährung bedeutet,  unabhängig vom sozialen und finanziellen Background. Die Ernährung unserer Kinder muss gesund und bezahlbar sein. Wir wollen, das unsere Gastronomie in Deutschland im Wettbewerb mit den europäischen Nachbarn genauso wertschätzend behandelt wird. In aktuell 23 EU-Staaten wird steuerlich kein Unterschied gemacht zwischen dem Essen aus dem Supermarkt, der Lieferung von Essen im Gehen, im Stehen und dem Essen im Restaurant.

Was macht der Hotel- und Gaststättenverband? Gab oder gibt es noch es irgendwelche Aktionen?

Alle Präsidenten der DEHOGA-Familie haben in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsam noch einmal eindringlich appelliert, an der einheitlichen Besteuerung von Essen mit sieben Prozent festzuhalten. Hintergrund ist, dass der Bundestag den Haushalt 2024 nicht vor Jahresende beschließen wird und somit die 19 Prozent automatisch zum 1. Januar in Kraft treten.

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22.12.2023

Gemeinsam statt einsam / Einsamkeit kann jeden treffen: Interview mit Annekatrin Tauer von der Gesundheitsregion Plus

Kulmbach. Einsamkeit ist ein Thema, das sich durch alle Generationen zieht und das jeden treffen kann, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Doch chronische Einsamkeit kann sich auch auf die psychische und körperliche Gesundheit auswirken. Das Bayerische Gesundheitsministerium hat das Thema Einsamkeit deshalb unter dem Titel „Licht an. Damit Einsamkeit nicht krank macht“ zum Präventionsschwerpunkt des laufenden Jahres gewählt. Ziel ist es, ein größeres Bewusstsein in der Bevölkerung für das Thema Einsamkeit zu schaffen sowie Wege und Hilfsangebote aufzuzeigen. Zahlreiche Studien belegen es, Einsamkeit kann krank machen. Einsamkeit gilt als Risikofaktor für körperliche und psychische Krankheiten. Dazu gehören Angstzustände, Depressionen sowie Bluthochdruck, Schlaganfall, Diabetes mellitus Typ 2 oder Demenz. Doch es gibt Hilfsangebote vor Ort. Welche, das verrät Annekatrin Tauer im Interview. Sie ist „Managerin für angewandte Gesundheitswissenschaften“ und leitet die Geschäftsstelle „Gesundheitsregion Plus“ Kulmbach am Landratsamt:

Frau Tauer, gibt es irgendwelche Erfahrungen, wie viele Menschen im Landkreis Kulmbach von dem Thema Einsamkeit betroffen sind?

Leider gibt es hierzu keine konkreten Werte oder Zahlen, die wir für den Landkreis Kulmbach nennen können. Einsamkeit ist keine Krankheit oder kein bestimmtes Symptom einer Krankheit, die ärztlich als solche diagnostiziert werden kann. Allerdings sollte medizinisch abgeklärt werden, ob eventuell ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und einer möglichen psychischen Erkrankung besteht. Diese Faktoren können sich gegenseitig bedingen, wenn beispielsweise eine psychische Erkrankung zu Freudlosigkeit, Interessensverlust und sozialem Rückzug führt. Studien belegen zudem, dass chronische Einsamkeit ein Risikofaktor für körperliche und psychische Krankheiten sein kann.

Was raten sie Jemanden, der selbst bemerkt, dass er wohl betroffen ist?

Grundsätzlich kann jeder im Sinne der Selbstfürsorge etwas für sich tun. Oftmals sind das kleine Stellschrauben im Alltag, die schon positive Änderungen mit sich bringen können. Darüber hinaus bietet unser Landkreis viele Anlaufstellen, um mit anderen in Kontakt zu treten. Bei Bedarf stellen wir gerne auch Kontakte her. Hier ein paar Beispiele: Vereine, Sporteinrichtungen, offene Laufgruppen, Mehrgenerationenhäuser mit breitem Angebot, Stillcafés, Seniorencafés, Trauercafés, Selbsthilfegruppen, Ehren-ämter, kulturelle Angebote, Workshops im Bereich kreatives Arbeiten, und vieles mehr. Vor allem ist es jedoch bei langanhaltendem Einsamkeitsgefühl sehr ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch ein Gespräch mit dem behandelnden Hausarzt ist sinnvoll.

Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?

Auch wenn im alltäglichen Sprachgebrauch Einsamkeit und Alleinsein häufig verwechselt werden, sind es doch zwei völlig unterschiedliche Zustände. Während Alleinsei“ den äußerlichen, objektiven Zustand beschreibt nicht von anderen Menschen umgeben zu sein, handelt es sich bei Einsamkeit um ein innerliches, subjektives Gefühl oder Befinden. Alleinsein könnte somit auch positiv gesehen werden. Viele Menschen sind gerne mal alleine, schöpfen in diesen Momenten der Stille mit sich Kraft und Energie. Manchmal entwickelt sich hieraus sogar kreatives schöpferisches Potential. Zudem kann das Ruhe genießen sowie das bewusste achtsame Wahrnehmen und Fühlen seiner selbst durchaus gesundheitsförderliche Aspekte mit sich bringen. Das Alleinleben wiederum kann ein Ausdruck von Autonomie sein. Einsamkeit ist in der Wahrnehmung und in der Gefühlslage eher negativ und vor allem auf einen längeren Zeitraum gesehen als gesundheitsschädlich einzuordnen.

Ab wann gilt Einsamkeit als chronisch?

Dies lässt sich nicht an einer konkreten Zahl in Form von Tagen oder Wochen definieren, da das Gefühl der Einsamkeit letztendlich auch sehr individuell ist und verschiedene Grün-de/Ursachen haben kann. Problematisch wird Einsamkeit dann, wenn dieses Gefühl zu einem Dauerzustand, also chronisch, wird und zu sozialer Isolation führt. Grundsätzlich steigt das Risiko einer Chronifizierung von Einsamkeit mit dem Älterwerden.

Zieht sich das Thema wirklich durch alle Generationen?

Ja, in der Tat kann jeder Mensch, egal welchen Alters, aufgrund seiner Lebensführung in bestimmten Lebensphasen von Einsamkeit betroffen sein. Die Gründe hierfür können sehr unterschiedlich sein. Ob alleinerziehend, als Single lebend, während der Corona-Pandemie von Kontaktbeschränkung betroffen, verwitwet, immobil, arbeitslos, erkrankt, psychisch oder physisch, neu in eine Stadt oder in einen Landkreis gezogen, trauernd, et cetera. Die Aufzählung zeigt, wie persönlich Ursachen für das Empfinden von Einsamkeit sein können. Oftmals sind es auch mehrere Komponenten, die im Zusammenspiel letztendlich „das Fass zum Überlaufen bringen“ können. Wechselwirkungen und Dynamiken können hieraus entstehen, die manchmal nur schwer zu durchbrechen sind.

Kann man sich da selbst rausziehen?

Dies hat mit der eigenen Widerstandsfähigkeit beziehungsweise der inneren Stärke zu tun, was sich auch gut mit dem Begriff der „Resilienz“ beschreiben lässt. Gerade in schwierigen Situationen, bei Herausforderungen oder in Krisen zum Beispiel, benötigen wir Resilienz. Gleichzeitig entwickelt sie sich aber auch in genau solchen Situationen. In schwierigen Lebensphasen kann die Resilienz wachsen. Die Resilienzforschung beschreibt die menschliche Widerstandskraft als die Summe der Schutzfaktoren psychischer Gesundheit, die den Menschen widerstandsfähig im Umgang mit inneren und äußeren Stressoren werden lässt. Achtsamkeitsbasierte Methoden, wie beispielsweise Atemmeditation, Gehmeditation, Progressive Muskelentspannung pder Yoga, helfen, mit Stressoren besser umgehen und die Stresswarnsignale auf körperlicher und emotionaler Ebene wahrnehmen zu können. Auch sportliche Aktivitäten können gut helfen, Ab-stand vom stressigen Alltag zu gewinnen. Letztlich ist es Typsache, was einem persönlich guttut und hilft, mit herausfordernden Lebensphasen umzugehen. Folglich lässt sich sagen, dass bei kurzzeitigen Einsamkeitsgefühlen und einer hohen Widerstandsfähigkeit, es sehr wohl möglich ist, aus eigener Kraft der Einsamkeit zu entkommen.

Ab wann sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?

Bei länger andauernder Belastung und Einsamkeitsproblematik, vor allem in Kombination mit psychischen Erkrankungen, sollte auf jeden Fall professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.

Umgekehrt: Wie kann man einem Menschen helfen, von dem man bemerkt, dass er betroffen ist. Mit schönen Worten und gutem Zureden ist es da ja sicher nicht getan?

Natürlich will man als guter Freund und gute Freundin oder innerhalb der Familie helfen und für einen geliebten Menschen da sein, vor allem wenn man als Außenstehender merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Achtsam und empathisch erklären, was man selbst beim anderen wahrnimmt, vor allem in Bezug auf Veränderungen im sozialen Bereich, ist sicherlich der erste Schritt. Auch die Vermittlung wichtiger regionaler und überregionaler, zum Teil auch anonymer, Kontakte ist ebenso richtig und wichtig. Allerdings ist auch festzustellen, dass manche Menschen nicht oder noch nicht bereit sind, den nächsten Schritt, beispielsweise hin zu therapeutischen Angeboten, zu gehen. Dies gilt es dann – auch wenn es für das private Umfeld schwer auszuhalten ist – vorerst zu akzeptieren. Denn gerade in solch sensiblen Phasen im Leben erzeugt Druck von außen Gegendruck im Innern und die Betroffenen ziehen sich im schlimmsten Falle noch mehr zurück. Solange ein Mensch nicht selbstgefährdend ist, können keine Schritte von anderer Stelle, beispielsweise vonseiten des Amtsarztes, eingeleitet werden.

Corona hat das Thema noch mehr ins Bewusstsein gerückt. Sind die Probleme seitdem größer geworden?

Zahlreiche Studien belegen, dass es zu einem Anstieg der Einsamkeit in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 kam. Die Corona Pandemie und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen wirkten sich auf unsere gewohnten sozialen Aktivitäten aus. Besuch von Kulturveranstaltungen, sportliche Aktivitäten, Treffen mit Freunden und Verwandten, Ausübung eines Ehrenamts und vieles weitere mehr konnten nur stark reduziert bzw. zeitweise gar nicht mehr ausgeübt beziehungsweise wahrgenommen werden. Kurzarbeit bzw. das Arbeiten im Home-Office kam bei vielen Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern hinzu. Kinder und Jugendliche wurden vonseiten der Kinder-tagesstätten und Schulen online kontaktiert. Darüber hinaus kamen finanzielle Nöte und grundsätzlich die Angst vor der Zukunft noch erschwerend hinzu. Während der Corona Pandemie wurde zudem in Studien eine Verschlechterung der Qualität und Quantität der sozialen Beziehungen berichtet. Auch psychische Belastungen, die einen Risikofaktor für Einsamkeit darstellen, haben während der Corona Pandemie zugenommen. Nicht umsonst werden aktuell auf Bundesebene Strategien gegen Einsamkeit erarbeitet. Mit solch einer Bundesstrategie gegen Einsamkeit reiht sich Deutschland in eine wachsende Zahl von Staaten ein, die sich rund um den Globus der Einsamkeit als gesamtgesellschaftliches Handlungsfeld annehmen und neue Wege der Prävention erproben.

Was macht eigentlich die Gesundheitsregion? Welche Angebote zum Thema Einsamkeit gibt es?

Die „Gesundheitsregion Plus“ Landkreis Kulmbach – gefördert über das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention – verfolgt das Ziel, den Gesundheitszustand der Bevölkerung gerade auch im Hinblick auf die gesundheitliche Chancengleichheit zu verbessern. Hierbei geht es insbesondere um die Erhöhung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Um herauszufinden, wo bei uns der Bedarf liegt und um ableiten zu können, was passgenaue Maßnahmen sind, wurde eine umfangreiche Bestands- und Bedarfsanalyse durchgeführt. Darüber hinaus ist es unsere Aufgabe, fachlich kompetente Netzwerke mit regionalen Akteuren aufzubauen, die zu den Schwerpunkten Gesundheitsförderung, Prävention, Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit wie auch Demografischer Wandel und Pflege arbeiten und diese Felder für unseren Landkreis weiterentwickeln. Aber auch der Aus- und Aufbau ressort- und sektorenübergreifender Zusammenarbeit steht auf dem To-Do-Zettel der „Gesundheitsregion Plus“ Kulmbach, denn nur so können bedarfsgerechte Lösungen für unsere Situation im ländlichen Raum entwickelt werden.

Was steckt hinter der Kampagne „Licht an, damit Einsamkeit nicht krank macht“?

Mit jährlich wechselnden Themen setzt das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention besondere Schwerpunkte. Es wird über zahlreiche zielgruppenspezifische Aktionen und Kommunikationskampagnen ein gesundheitliches Thema von besonderer Relevanz herausgegriffen und über einen längeren Zeitraum hinweg interaktiv und praxisorieniert bearbeitet. Auch die "Gesundheitsregionen Plus Bayern" beteiligen sich intensiv an der Bearbeitung der Schwerpunktthemen, die landesweit gemeinsam mit verschiedenen Partnern gestaltet werden. Ziel hierbei ist es, die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und innerhalb des Netzwerkes der regionalen Expertinnen und Experten zu stärken. Einsamkeit ist über individuelle Schicksale hinaus gesamtgesellschaftlich bedeutend.

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17.11.2023

G9: Entzerrung des Lehrplans, weniger Nachmittagsunterricht und ein wichtiges Jahr zurück / Interview mit Schulleiter Horst Pfadenhauer vom MGF

Kulmbach. Im Jahr 2025 wird es an den bayerischen Gymnasien keinen regulären Abiturjahrgang geben. Hintergrund ist die Rückkehr Bayerns vom achtjährigen zum neunjährigen Gymnasium, also die Wiedereinführung des G9. Der letzte G8-Jahrgang wird 2024 die Schulen verlassen, der erste G9-Jahrgang wird erst 2026 seine Abitur-Zeugnisse erhalten. Trotzdem gibt es Ausnahmen. Wir sprachen darüber mit Schulleiter Horst Pfadenhauer vom Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium:

Herr Pfadenhauer, wird es an Ihrer Schule einen Abiturjahrgang 2025 geben?

Nein, am MGF wird es keinen Abi-Jahrgang 2025 geben.

Was passiert mit Schülern, die 2024 die Abiturprüfungen nicht bestehen?

Das sollte möglichst nicht passieren. Wenn es doch vorkommt, fungiert das benachbarte CVG als sogenannte Auffangschule.“

Ist die Rückkehr zum G9 aus Ihrer Sicht die richtige Entscheidung?

Ja, natürlich. Sie erinnern sich, dass gerade das MGF bereits 2017 in Thurnau sich beim damaligen Kultusminister Spaenle über alle Schulgremien hinweg in Form einer Petition massiv für eine Rückkehr zum G9 eingesetzt hat. Dies wurde dann wenig später politische Realität. Ein Jahr mehr bedeutet auch eine Entzerrung des Lehrplans, eine Reduzierung des Nachmittagsunterrichts und das Zurückgewinnen eines entwicklungspsychologisch wichtigen Jahres in der Oberstufe. Das ist zentral und für alle ein Gewinn.

War die Einführung des „G8“ im Jahr 2003 in Bayern überhastet, vielleicht sogar ein Fehler?

Das ist alles Geschichte. Mögliche Schuldzuweisungen führen jetzt nicht weiter. Wir sind froh, dass wir ab 2025 wieder in einen Modus zurückkehren können, der allen Seiten entgegen kommt.

Was hat es mit dem Modell „Mittelstufe Plus“ auf sich. Wurde das bei Ihnen angeboten? Im Nachbarlandkreis Kronach gab es das gleich an beiden Gymnasien.

Nein, das MGF hat sich damals bewusst dagegen entschieden. Wir haben als mittelgroßes Gymnasium drei unterschiedliche Zweige. Wenn wir jetzt auch noch über diese ohnehin schon komplizierte Grundorganisation noch die Wege für ein ´schnelles und langsames Gymnasium´ gelegt hätten, wäre dies nur schwer umsetzbar. Auch pädagogische Überlegungen haben uns zu diesem Schluss kommen lassen.

Dann gab und gibt es auch noch die Einführungsklassen für die letzten G8-Jahrgänge. Spielten die bei Ihnen eine Rolle?

Nein, in Kulmbach haben wir – im Unterschied zu Kronach - eine starke FOS/BOS, die hier entsprechend Schüler abgreift. Da stellte sich für uns diese Frage ohnehin nicht.

Hat die endgültige Rückkehr zum G9 Auswirkungen auf die Zahl der Lehrer?

Natürlich. Wenn es einen Jahrgang mehr gibt, also auch mehr Schülerinnen und Schüler an der Schule, muss auch die Anpassung in der Lehrkräftezuweisung stattfinden. Momentan ist diese am MGF noch voll abgedeckt. Laut Aussagen des Kultusministeriums ist auch in Zukunft der ´strukturelle Bedarf´ gesichert. Bereits jetzt zeichnen sich aber Engpässe in der Lehrerversorgung in den Fachbereichen Physik, Informatik, Kunst, Ethik und den beiden Religionslehren ab. Deshalb wird am MGF in der Berufsinformation bereits seit Jahren massiv für den Beruf des Lehramts geworben.

Wie viele Schüler hat ihre Schule aktuell, wie viele werden 2024 ihr Abitur ablegen und wie ist die Personalsituation?

Momentan besuchen 630 Schülerinnen und Schüler unser MGF. Nach momentanem Stand werden 2024 insgesamt 70 Abiturientinnen und Abiturienten zur Abschlussprüfung antreten.

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02.11.2023

Gute Auswahl statt abgespecktes Sortiment / Interview zur Situation des Kulmbacher Einzelhandels mit Jutta Hollweg vom Handelsverband Bayern

Kulmbach. Die Diskussionen rund um die Innenstadt nach dem angekündigten C&A-Aus beschäftigen die Kulmbacher noch immer. Auch der von der Händlervereinigung „Unser Kulmbach“ e.V. vor einigen Tagen in der Dr.-Stammberger-Halle organisierte Runde Tisch brachte kaum Lösungen. Im Gegenteil: Viele Reihen blieben leer. Dazu kaum geäußert hatte sich bisher der Handelsverband Bayern (früher Landesverband des Bayerischen Einzelhandels). Wir sprachen mit der Kreisvorsitzenden Jutta Hollweg, Inhaberin des Rewe Marktes Hollweg OHG an der Lichtenfelser Straße:

Frau Hollweg, die vielen Leerstände in der Innenstadt sind ja kein Kulmbacher Phänomen. Ist die Online-Konkurrenz dran schuld, sind es die Corona-Nachwirkungen, die Inflation? Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe?

Sicherlich sind die von Ihnen aufgeführten Gründe richtig und haben die Situation verschärft. Das Problem haben wir aber schon länger in der Innenstadt. Schade, dass es in unserer schönen Stadt überhaupt ein Thema ist!

Individueller und namhafter Einzelhandel verschwindet, Barber-Shops, Ein-Euro-Läden und Imbisse scheinen die Gewinner der Krise zu sein. Ist da was dran?

Das kann ich mir trotzdem nicht vorstellen, dass die genannten Shops und Läden die Gewinner der Krise sind. Wenn man sich so mit Kunden oder eigenen Mitarbeitern unterhält - würden diese schon gerne bei namhaften Einzelhändlern einkaufen.

Haben Sie eine Idee, wie man die Innenstadt wieder mehr beleben könnte?

Was immer wieder seitens der Kunden erwähnt und gewünscht wird sind eine gute Sortimentsauswahl und nicht nur ein abgespecktes Sortiment. Aber auch längere und einheitliche Öffnungszeiten, etwa 8.30 bis 19 Uhr von Montag bis Samstag. Ich denke das sind die Hauptursachen das die Kunden in andere Städte zum Shoppen fahren. Sicherlich muss man mit der Zeit gehen, aber nicht alles Neue ist besser als das Alte. Was ich damit sagen will, ist, dass die Kunden schon das ein oder andere Fachgeschäft von früher in Kulmbach vermissen.

Sollte der Einzelhandel mehr mit werbewirksamen Aktionen auf sich aufmerksam machen und wenn ja, was würden Sie vorschlagen?

Wir haben sehr schöne werbewirksame Aktionen des Einzelhandels, die sich meist auf verkaufsoffene Sonntage, auf die Adventszeit, uns so weiter beschränken. Bräuchten wir nicht mehr für die Ganzjahreszeit? So, dass man seine Kunden unterm Jahr mit Aktionen wieder nach Kulmbach holt. Es müssen ja nicht immer die riesigen Aktionen sein.

Hat die Stadt irgendwelche Einflussmöglichkeiten?

Sicherlich hat die Stadt Einfluss, es gibt ja bereits einen Runden Tisch zwischen der Stadt und den Einzelhändlern.

Sie sind Inhaberin des Rewe-Marktes in der Lichtenfelser Straße, bekommen Sie dort etwas von den Problemen in der Innenstadt mit?

Meine Schilderungen sind nicht nur meine persönliche Meinung. Nein, da ich in meinem Geschäft immer noch Wert darauf lege mit meinen Kunden ins Gespräch zu kommen, bekomme ich dies von ihnen so auch bestätigt.

Zur Person:
Jutta Hollweg ist bereits seit 1977 im Einzelhandel tätig, unter anderem im Bereich der Lebensmittel aber auch der Drogerie. 1995 begann sie als Assistentin beim Discounter Penny-Markt zu arbeiten und übernahm nach fünf Jahren für zwölf Monate die Marktleitung. Ihren ersten Markt in Helmbrechts führte sie seit 2003 selbständig und eröffnete den zweiten in Kulmbach nur sechs Jahre danach. Ihr erklärtes Ziel ist es sowohl ihr Team als auch ihren Kunden immer zufrieden zu sehen.

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29.09.2023

Danke für die Dankbarkeit / Interview mit Jürgen Donhauser, Landwirtschaftsmeister und Diakon aus der Oberpfalz

Kümmersbruck. Eigentlich sollte man Dankbar für die Dankbarkeit sein. Das sagt Jürgen Donhauser, Landwirtschaftsmeister, Diakon, Speaker und Coach aus Kümmersbruck bei Amberg. Was sich nach einem „Knoten“ im Hirn anhört, sei bei näherer Betrachtung aber durchaus logisch, meint Jürgen Donhauser. Wir sprachen mit ihm über Erntedank, über Dankbarkeit und seine vielfältigen Tätigkeiten:

Herr Donhauser, spielt das Erntedankfest in der heutigen Zeit überhaupt noch eine Rolle?

Gerade das heurige Erntejahr hat es uns wieder vor Augen geführt. Dabei habe ich besonders die norddeutschen Kollegen im Blick, und vor allem eine junge Landwirtin die unter Tränen berichtete, dass kurz vor der Ernte das Wetter umschlug, ein Sturm die Getreidestände um drückte und anschließender Dauerregen zum teilweisen Totalausfall führten. Ein ganzes Jahr Arbeit umsonst. Existenzängste. Wie dankbar ist man wieder in den Folgejahren oder selbst über eine sicher heimgebrachte Ernte. Nur wer den Misserfolg kennt, kann den Erfolg wieder schätzen. Nur wer unverschuldete Schicksalsschläge erlebte, erkennt seine menschliche Hilflosigkeit und ist dankbar für das Normale, für das Gewöhnliche.

Wie konnte es geschehen, dass sich unsere Gesellschaft so weit von der Landwirtschaft entfernt hat?

Verständnis oder Wertschätzung kann man nur für etwas empfinden das man versteht oder aus eigener Erfahrung einzuschätzen weiß. Die Erfahrungen mit Nahrungsmittelerzeugung fehlen. Wenn Nahrungsmittel zur Selbstverständlichkeit werden, dann kann man diese verständlicherweise auch nicht wertschätzen. Zudem sind direkte Kontakte mit der Natur nur noch in der Freizeit möglich. Dabei begegnet uns die Natur als wohltuender Ausgleich zu unserer anstrengenden und stressigen Arbeitswelt, ist also immer wohltuend, sanft, gütig, erholsam. Ein trügerisches und verzehrtes Bild das nicht mit den Erfahrungen übereinstimmen, wie wir Landwirte oder Gärtner die Natur erleben. Daraus ergeben sich natürlich unterschiedliche Betrachtungsweisen, Einschätzungen und eben auch Zielkonflikte.

Was könnte man dagegen tun?

Mehr Praktiker anhören, in Politik und Gesellschaft. Schon in Schule und Ausbildung weniger Theorie, sondern mehr praktische Erfahrungen.

Können Kinder mit dem Begriff Ernte heute überhaupt noch etwas anfangen.

Bestimmt nicht, wenn man den Zusammenhang zwischen Leistung und Erfolg immer mehr von Ihnen fernhält. Vielleicht benötigt es neue Wege in ihrer Welt um Ernte verständlich zu machen. Beispiel: Vor einigen Jahren gab es den Hype um Tamagotchi. Ein virtuelles Wesen das umsorgt werden musste. Wurde es vernachlässigt, verkümmerte es. Was wir Erwachsenen sonderbar empfanden, berührte aber ein tieferes menschliches Bedürfnis. Sich um etwas kümmern, dafür Verantwortung tragen, mit dem Resultat des eigenen Handelns direkt in Verbindung gebracht zu werden. Prinzip: Saat und Ernte.

Was Halloween bedeutet, weiß bestimmt jedes Kind.

Halloween entstand ursprünglich in Irland mit dem Glauben, das sich an diesem Abend Kontakte in das Reich der Toten ergeben und Tote auf der Suche nach den Lebenden sind, die im kommenden Jahr sterben sollen. Mit Feuer und Verkleidungen versuchte man diese bösen Geister zu verschrecken. Ich glaube nicht, dass Kinder also wirklich wissen was Halloween bedeutet. Sie kennen nur Süßes oder Saures, also sich verkleiden und Süßigkeiten bekommen.

Was läuft da verkehrt?

Würde man das Erntedankfest auch so genial kommerziell Vermarkten mit Party und Süßigkeiten, dann wäre es mindestens auch so erfolgreich in den Köpfen der Kinder wie Halloween, aber verfehlen wir dann nicht den eigentlichen, tiefgründigen Anspruch von Erntedankfest?

Der schönste Erntedankschmuck auf dem Altar kann nicht über explodierende Lebensmittel- und Energiepreise, Kriegsängste, Krisen und Katastrophen auf der Welt hinwegtäuschen, oder?

Relativ. Betrachtet man den Anteil der Ausgaben seines Einkommens für Lebensmittel und Energie, und vergleicht dies mit früheren Jahrzehnten, was war dann normal und was explodierend? Krisen und Katastrophen gab es immer in der Menschheitsgeschichte. Allerdings wurde durch moderne Medien und schnelle Fortbewegungsmöglichkeiten die Welt ein Dorf. Und in einem Dorf rührt mich ein Schicksalsschlag, eine Katastrophe, eine Streitigkeit mehr an.

Können Sie nachvollziehen, wenn viele Menschen resignieren?

Wenn man den Anspruch hat die Welt müsste gerettet werden und das Leben ist nur gelungen, wenn ich nur glückliche Momente erlebe oder nur ein langes Leben kann erfüllt sein, dann kann ich Resignation verstehen, denn dies sind unerfüllbare Erwartungen.

Sie halten Vorträge zu partnerschaftlichen Themen. Welche Rolle spielt Dankbarkeit in der Partnerschaft und wie kann jeder einzelne zu einer gelungenen Partnerschaft beitragen?

Dankbar ist man dann, wenn man etwas nicht als selbstverständlich empfindet. Deshalb ist die Wertschätzung dem Partner gegenüber fundamental. Dies führt zwangsläufig zur Frage: Was schätze ich an meinem Partner? Dies sind die ersten Schritte in der Paarpsychologie. Trotz Gleichberechtigung sind wir zwar gleich wertvoll, aber eben nicht gleichartig. Wer das ignoriert, tappt unweigerlich in Verständnisfallen. Warum reagiert mein Partner so?

Sicher sehen auch Sie die steigende Zahl an Kirchenaustritten mit großer Sorge. Was sagen Sie Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, aus der Kirche auszutreten?

Offensichtlich konnten diese Menschen in der Kirche nicht die wohltuende Kraft der Glaubens-Gemeinschaft erleben. Habe ich diese überhaupt gesucht? Wenn ich nie in der Allianz-Arena die Stimmung, Freude, Gemeinschaftsgefühl, Zusammenhalt und einen durchlittenen, hart erkämpften Sieg des FC Bayern erlebt habe, dann ist es von außen betrachtet nur ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das nur an das Geld der naiv zahlenden Mitglieder kommen möchte, denen die Menschen, Spieler, oder Trainer egal sind. Bin ich auf der Suche nach Gott? Wie kann mir die Kirche dabei helfen? Lasse ich mich wirklich auf diese Glaubensgemeinschaft ein? Habe ich überhaupt noch etwas mit Gott, mit Glauben am Hut oder stört mich die Zwangsabgabe Kirchensteuer?  

Wie feiern Sie persönlich das Erntedankfest?

Für mich ist eigentlich immer wieder Erntedankfest im Jahr, wenn ich etwas erreicht habe oder mir geschenkt wurde. Danke immer dann, wenn mir dieser Umstand bewusst wird. Tatsächlich ist für mich auch ein inneres Erntedankfest, wenn ich nach dem letzten Erntetag bewusst ein Erntedank-Seidl-Bier aufmache. Dann fällt die wochenlange Anspannung ab, die sich in der Erwartung/Befürchtung/Hoffnung aufgebaut hatte – dann macht sich ein tiefes Zufriedenheits- und Dankbarkeitsgefühl breit. So etwas habe ich bisher nur bei der Geburt meiner Kinder und nach dem Marathonlauf erlebt.

Noch eine persönliche Frage: Wie bekommen Sie all Ihre verschiedenen Tätigkeiten, Landwirt, Diakon, Speaker, Coach, unter einen Hut? Ihr Tag hat doch auch nur 24 Stunden, oder?

Wie schon Einstein erkannte: Zeit ist relativ. Kinder erleben Zeit anders als Erwachsene. Wenn einem etwas Spaß und Freude macht, dann erlebt man auch Zeit anders.

Zur Person - Jürgen Donhauser:

1967 geboren, ist Landwirtschaftsmeister, Diakon, Speaker und Coach. Zusammen mit seiner Familie bewirtschaftet er in Kümmersbruck bei Amberg einen Vollerwerbsbetrieb mit Schweinemast und Ferkelaufzucht. 2018 wurde er von Bischof Rudolf Voderholzer zum Diakon geweiht. Vorangegangen sind vier Jahre Theologiestudium und vier Jahre praktische Ausbildung. Er engagiert sich besonders in der Gefängnisseelsorge, berät aber auch immer wieder Landwirte, die mit wirtschaftlichen Druck und öffentlicher Kritik umgehen müssen. Als „Speaker“ hält er Vorträge in Unternehmen, Schulen und bei Vereinen rund um die Themen Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt sowie zu partnerschaftlichen Themen. Letztere stehen auch bei seiner Tätigkeit als Coach im Vordergrund. Weitere Information: www.juergendonhauser.de.

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27.07.2023

Genussmensch in der Genussregion / „Gault & Millau“-Kochhaube für den Kreisvorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbandes - Alexander Schütz im Interview

Kulmbach. Der renommierte Restaurantführer „Gault & Millau“ hat vor kurzem seine Liste der „besten Restaurants Deutschlands 2023/2024“ veröffentlicht und die begehrten Kochhauben verliehen. Mehrere Oberfranken sind darunter. Einer ist der Kulmbacher Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes Alexander Schütz mit seinem Restaurant Ursprung im Berghof in Wartenfels bei Presseck. Wir sprachen mit Alexander Schütz, auch über seine Neuwahl in den Vorstand der Genussregion Oberfranken:

Herr Schütz, sie haben zum ersten Mal einen der begehrten „Gault & Millau“-Kochhauben erhalten. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Es freut uns als Team, die wir alle unseren Anteil daran haben im Restaurant Ursprung immer ungemein, wenn unserer Kulinarik gelobt und empfohlen wird. Auch auf diese Auszeichnung sind wir natürlich stolz.

Schauen die Gäste überhaupt auf Auszeichnungen?

Ja natürlich, wir sind auch schon vermehrt von unseren Kunden darauf angesprochen worden und sind beglückwünscht worden.

Bringt eine „Kochhaube“ zusätzliche Kundschaft, kommen Gäste eigens deshalb von weiter angereist?

Es ist immer von Vorteil eine solche Auszeichnung zu haben, nur wirkt diese in touristischeren Gebieten sicher mehr als bei uns hier in der Region. Dort schaut der Gast häufiger in die Restaurantführer, da er sich in der Urlaubsregion nicht so auskennt wie in der Heimat. Unsere Gäste kommen zu 85 Prozent aus der Region. Allerdings trifft das beim Rest schon zu.

„Gault & Millau“ bewertet ja vor allem die Leistung der Küche. Was macht Ihre Küche, Ihre Speisenzubereitung so besonders?

Moderne, weltoffene Regionalität mit Speisen die wir alle selbst gerne in dieser Produktqualität essen möchten, dazu das passende Getränk, zum Beispiel ein leckeres Glas Wein. Und schon sind wir bei unserem Leidfaden: Good Food – Good Wine – Good Friends – Good Times.

Was hat Sie eigentlich bewegt, sich in den Verein „Genussregion Oberfranken“ einzubringen?

Wie man mir unschwer ansehen kann, bin ich ein Genussmensch und die Genussregion Oberfranken spiegelt das zu 100 Prozent wider. Nicht auch zuletzt, deswegen hat es mich sehr gefreut als die Verantwortlichen auf mich zukamen und mich gefragt haben, ob ich mich über meine Mitgliedschaft hinaus noch mehr mit einbringen möchte. Außerdem ist es mir sehr wichtig unsere Genussvielfalt mit unseren vielen kleinen Betrieben aufrecht zu erhalten, denn es ist nicht nur Genuss, den wir hier zu bieten haben. Die regionalen Produkte von den kleinen Betrieben sind erwiesenermaßen auch wesentlich gesünder als stark vorverarbeitete Produkte aus der Industrie.

Was sind die aktuellen Kernthemen der Genussregion? Worum geht es aktuell?

Zum einen die engere Verzahnung mit dem Verein Bierland Oberfranken und zum anderen die Überarbeitung der Datenbanken. Die Datenbanken der Genussregion und des Vereins Bierland Oberfranken werden zurzeit überarbeitet und aktualisiert. Diese Datenbanken stellen 50 Bierwanderungen und 200 Genusserlebnisse aus dem Bereich Tourismus und Kulinarik vor. Zudem sind 322 oberfränkische Spezialitäten, von Anisbrezen bis Zwiebelspatzen zu finden.

Haben Sie etwas mit vegetarischer oder gar veganer Küche am Hut?

Ja absolut, auf unserer Speisekarte haben vegetarische Gerichte einen festen Platz. Bei veganen Gerichten versuchen wir punktuell alternativen zu finden.

Also keine Zeitgeist-Erscheinungen?

Ich bin der Meinung das diese beiden Ernährungsformen keine Zeitgeist-Erscheinungen sind. Aber man muss ehrlicherweise auch dazusagen, dass sich das Angebot solcher Gerichte in der Gastronomie in der Regel nach Angebot und Nachfrage orientiert.

Ihr persönliches Lieblingsgericht?

Schwierige Frage, das ist bei mir absolut von der Region und den Jahreszeiten sowie von der Temperatur abhängig. Hier und jetzt ist es der Sauerbraten, nach dem Rezept meiner Oma Lotte, von meiner Mutter zubereitet.

Zur Person – Alexander Schütz:

Nach jahrelanger Wanderschaft durch die Top-Gastronomie und Hotellerie ist Alexander Schütz vor über zehn Jahren wieder in seine Heimat zurückgekehrt, in den elterlichen Betrieb, den Gasthof Berghof in Wartenfels in der Gemeinde Presseck. Hier kocht er in seinem Restaurant „Ursprung“ mal bodenständig, mal ausgefallen. Der gelernte Koch ist 42 Jahre alt und wurde in Kronach geboren. Vor gut einem Jahr trat er die Nachfolge von Stephan Ertl als Kulmbacher Kreisvorsitzender im Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband an.

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15.05.2023

„Mir klingen immer noch die Löffel“ / Günter Grünwald am Wochenende in Hof und Kulmbach – Interview mit dem Kabarettisten

Hof/Kulmbach. Mit seinem Programm „Definitiv vielleicht“ gastiert der Kabarettist Günter Grünwald am Freitag in Hof und am Samstag in Kulmbach. Der Titel drücke den momentanen Zeitgeist des „sowohl als auch“, des „sich alle Optionen offenhalten“, des „Warum soll ich einen Arzttermin absagen, die merken ja wenn ich nicht komme“ auf das Vortrefflichste aus, begründet Grünwald die Wahl des Titels. Im Interview verrät er, wie er mit Anfeindungen umgeht, warum er mit gemischten Gefühlen an einen Auftritt in Wolfratshausen zurückdenkt und wer seine Vorbilder sind:

Herr Grünwald, wenn man die Veranstaltungskalender so durchblättert, dann fällt auf, dass die Bereiche Comedy und Kabarett dominieren. Wie erklären sie sich die große Beliebtheit dieser Sparte, sie sind ja selbst schon seit rund 40 Jahren im Geschäft?

Ich schätze mal, das liegt daran, weil die ganze Spannbreite der Unterhaltung in diesem Genre stattfindet. Belehrendes, Lustiges, Lustiges nachdenkliches, Deprimierendes, grauenhaft Plattes, et cetera.

Wie viele Live-Auftritte haben Sie so im Jahr und gibt es einen Auftritt während der zurückliegenden Zeit, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist.

So circa hundert pro Jahr, zusätzlich zu meiner Fernsehsendung die auch viel Zeit beansprucht. Ewig im Gedächtnis bleiben wird mir ein Auftritt in Wolfratshausen auf der Seebühne, als 20 Meter neben mir ein Blitz in die Loisach eingeschlagen hat. Mir klingeln immer noch die Löffel.

Kann man im gegenwärtigen gesellschaftlichen Umfeld noch alle Witze bringen, oder ist das Publikum sensibler geworden?

Man kann natürlich noch alle Witze bringen, aber nur wenn einem die Sensibilität des Publikums wurscht ist. Was bei mir der Fall ist.

Erleben Sie manchmal Anfeindungen und wie gehen Sie damit um?

Ja klar, jede Menge. Aber dann schaut man sich das Facebook-Profil der Herr- und Damenschaft an und in der Regel werden da AfD Inhalte geteilt und gepostet. Dann ist wieder mal alles klar. Aber natürlich gibt es auch nichtrechte Menschen, denen nicht alles gefällt, was ich da so treibe. Aber wenn es allen gefallen würde, wäre das ja auch sehr seltsam.

Sie sind für viele mittlerweile eine Art Vorbild, haben oder hatten Sie selbst Vorbilder?

Ja natürlich. Valentin, Polt, John Belushi, Groucho Marx, W.C. Fields und noch etliche.

Haben Sie irgendeinen Bezug zu Oberfranken, zu Hof, Kulmbach oder Bayreuth?

Zu Bayreuth schon. Ich hätte immer gerne den Siegfried gesungen. Ich kann aber nicht singen, deshalb wird es wohl nichts werden.

Was erwartet die Besucher in Hof, bzw. in Kulmbach?

Ein Feuerwerk hervorragender Pointen. Ein bunter Strauß irre lustiger Geschichten und ein bisschen Schleuderbrettakrobatik.

Info: Günter Grünwald gastiert am Freitag, 19. Mai um 20 Uhr in der Freiheitshalle Hof und am Samstag, 20. Mai um 20 Uhr in der Dr.-Stammberger-Halle in Kulmbach.

Foto: Reinhard Dorn

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13.04.2023

Mit kurzen Dienstwegen gegen bürokratische Hürden / Bayernweit einmalig: Mit Elke und Ralph Browa steht ein Ehepaar an der Spitze des BBV-Kreisverbandes Hof – Interview mit dem neuen Kreisobmann

Münchberg. Nun hat auch der Hofer Bauernverband einen Kreisobmann. Gut ein halbes Jahr lang war die Position vakant, jetzt wählten die Mitglieder Ralph Browa (45) aus Hirschberglein bei Geroldsgrün zum Nachfolger von Hermann Klug, der bei den regulären Wahlen im Juli des vergangenen Jahres aus Altersgründen nicht mehr zur Wahl stand. Während der zurückliegenden Monate hatten die beiden stellvertretende Kreisobmänner Gerald Hick aus Albertsreuth und Andreas Wolfrum aus Döberlitz den BBV in der Öffentlichkeit vertreten. Mit der Wahl von Ralph Browa hat der Kreisverband Hof wohl ein absolutes Novum in der Geschichte des Bayerischen Bauernverbandes aufzuweisen: Erstmals steht ein Ehepaar an der Spitze eines BBV-Kreisverbandes. Ehefrau Elke Browa wurde im zurückliegenden Sommer als Nachfolgerin von Karin Wolfrum zur Kreisbäuerin gewählt.

Sehr geehrter Herr Browa, warum hat es im Kreisverband Hof so lange gedauert, einen neuen Kreisobmann zu finden?

Das ist eine gute Frage. Bei uns in der Familie war das schon länger ein Thema, aber da meine Frau ja seit der Wahl im Juli schon Kreisbäuerin ist war es keine leichte Entscheidung. Außerdem hätte sich ja noch jemand melden können der dieses Amt hätte übernehmen wollen und ich wollte mich nicht vordrängen. Da es aber dann abzusehen war das niemand sich meldet und ich gesehen habe das es eine starke Vorstandschaft aus allen möglichen Bereichen gibt habe ich mich entschlossen mit dem Rückhalt meiner Familie dieses Amt zu übernehmen.

Sie sind der Ehemann von Kreisbäuerin Elke Browa, eine nicht alltägliche Konstellation. Welche Vorteile sehen Sie?

Die Vorteile sind kurze Dienstwege zwecks Termine und jeweils einen guten Einblick in die verschiedenen Bereiche wie zum Beispiel Landfrauenarbeit, Bildung und so weiter.

Gibt es vielleicht auch Nachteile?

Ja ich denke man darf die Arbeit im BBV nicht täglich und ständig bereden also auch mal abschalten. Deshalb sind unsere Kinder eine sehr wichtige Unterstützung, ohne die es nicht gehen würde.

Was sehen Sie als Ihre vordringliche Aufgabe an?

Wie bisher ist die Öffentlichkeitsarbeit sehr wichtig, da der Großteil der Bevölkerung den Bezug zur Landwirtschaft schon verloren hat und verliert durch die Urbanisierung. Es wird meist nur gesehen mit was für Maschinen wir arbeiten und das Steuergeld in unsere Branche fließt, aber dass wir dadurch auf höchsten Standards weltweit Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen produzieren, Ernährungssicherheit gewährleisten und eine hervorragende Landschaftspflege in unserer Kulturlandschaft gestalten und erhalten, das wird verdrängt.

Vor welchen Herausforderungen steht die Landwirtschaft im Hofer Land?

Die bürokratischen Hürden, die Planungsunsicherheit und die Tatsache das viel von Personen in der Politik entschieden wird (zum Beispiel das Tierarzneimittelgesetz), die weit weg von der Praxis sind. Das sind die Herausforderungen landesweit. Im Landkreis haben wir Rote und Gelbe Gebiete, den Süd Ost Link und dein Wassermanagement für die zunehmenden Trockenphasen. Deshalb braucht es in jeder Region einen starken Verband.

Viele Konsumenten essen weniger Fleisch und trinken weniger Milch, woran liegt das und was kann man dagegen unternehmen?

Da wir in einer Wohlstandsgesellschaft leben und jedem erdenklichen Trend hinterhergejagt wird und vieles durch Unwissenheit der Mehrheit über manche Medien übergestülpt wird. Es gibt das Programm Schule fürs Leben da können Schulklassen auf Bauernhöfe gehen, um einen Einblick zu bekommen, wo das Essen herkommt und wie es produziert wird. Wichtige Kanäle sind dafür auch Instagram und Facebook über die man viel erreichen kann.

Wie sehen Sie das Image der Landwirtschaft vor Ort?

In unserem Landkreis haben wir noch ein gutes Image. Durch weitere Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung an die Verbraucher soll das weiter ausgebaut werden.

Zur Person: Ralph Browa wurde 1977 in Naila geboren. Nach der Schule absolvierte er eine landwirtschaftliche Ausbildung. Seit 2007 ist er als Leistungsoberprüfer an der Verwaltungsstelle Bayreuth beim Landeskuratorium der Erzeugerringe für tierische Veredelung in Bayern (LKV) tätig, zunächst in Vollzeit, seit 2007 halbtags. 2007 hatte er den elterlichen Hof in Hirschberglein bei Geroldsgrün übernommen. Das Ehepaar bewirtschaftet rund 100 Hektar, im 2008 errichteten Laufstall sind 80 Milchkühe mit Nachzucht. Die erzeugte Milch wird an die Milchwerke Oberfranken West in Coburger Land vermarktet. Seit 20212 ist Ralph Browa Vorstandsvorsitzender der Besamungsgenossenschaft Marktredwitz-Wölsau. Elke und Ralph Browa haben vier Kinder im Alter zwischen 13 und 23 Jahren.

Bild: Mit Kreisbäuerin Elke Browa und dem neuen Kreisobmann Ralph Browa steht ein Ehepaar an der Spitze des Bauernverbandes im Hofer Land.

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09.03.2023

Öle, Obst und Ochsenfleisch / Tina Langenscheidt vom Amt für Landwirtschaft über Chancen und Probleme der Direktvermarktung für Anbieter und Verbraucher

Tina Langenscheidt ist am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Coburg-Kulmbach für den Bereich der Direktvermarktung zuständig. Das unter Direktvermarktung alles zu verstehen ist, welches Angebot es in der Region gibt und was potentielle Interessen wissen müssen, die in die Direktvermarktung einsteigen möchten, verrät die Ernährungswissenschaftlerin im folgenden Interview:

Frau Langenscheidt, welche Rolle spielt die Direktvermarktung bei uns in der Region?

Es hat sich eine Vielseitigkeit an Direktvermarktern in Kulmbach etabliert. Bäuerinnen backen wieder Brot und erschaffen sich dadurch einen Nebenerwerb, eine neue Einkommensquelle. Junge Landwirte oder Quereinsteiger lassen sich wieder in der Region nieder und steigen in die Direktvermarktung ein. Direktvermarktung ist attraktiv, regional. Hier werden mit viel Liebe Qualitätsprodukte selbst hergestellt. Fein und manchmal klein, aber alles andere als ein Massenprodukt.

Was sind so die häufigsten Produktsortimente der hiesigen Direktvermarkter. Hat der eine oder andere auch etwas Außergewöhnliches im Angebot?

Die Vielfalt in unserer Region ist groß: von Marmelade und Sirup, über Lebensmittel des Grundbedarfs wie Brot, Milch, Käse, Eier, Obst, Öle bis hin zu Wein und Schnaps. Durch die klimatischen Bedingungen ist die Vermarktung traditionell durch weniger Gemüse- und mehr Fleisch geprägt. Hierbei gehen Bullen, Ochsen und Schweine zerlegt oder weiterverarbeitet zu Fleisch- und Wurstwaren über die Ladentheke. Vielfältig sind auch die Spezialitäten in der Region zum Beispiel besondere Weidehaltung, mobile Ställe für Geflügel et cetera.

Welche Formen der Direktvermarktung gibt es?

Kunden haben viele Möglichkeiten über unterschiedliche Vermarktungswege regionale Produkte zu erwerben. Traditionell sind etwa die Bestellung und Abholung direkt beim Betrieb. Traditionell sind auch die Wochenmärkte. Oder fest installierte Bauernmärkte, zum Beispiel in Stadtsteinach. Daneben gibt es den Verkauf über Automaten, die Vermarktung innerhalb von Supermärkten, Lieferservices und Abo-Kisten, Hofläden mit individuellen Öffnungszeiten, Kooperationen mit anderen Hofläden oder Bäckereien und die Solidarische Landwirtschaft.

Das klingt ein wenig unübersichtlich, oder? Wie soll sich der Verbraucher da zurechtfinden?

Ich begrüße sehr die neuen Aktivitäten, da sie bestätigen, dass regionale Lebensmittel mit kurzen Transportwegen sehr gefragt sind. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Coburg-Kulmbach steht beratend und vermittelnd zur Seite. Allerdings haben wir leider keine Übersicht über alle Angebote in der Region, da sich Direktvermarkter meist bei Interesse oder Beratungsbedarf an uns wenden, zum Beispiel wenn es um eine Förderung geht. Wünschenswert wäre ein Verzeichnis oder eine gemeinsame Plattform. Momentan scheinen viele kleine Initiativen zu starten zum Beispiel über Social-Media-Kanäle oder WhatsApp.

Warum entscheidet sich ein Landwirt für die Direktvermarktung?

Zum einen aus Freude an einem qualitativ hochwertigen Produkt, das er als Spezialist selbst dem Kunden übergeben kann. Er kann eine Transparenz vermitteln, die bei einer Massenvermarktung kaum möglich ist. Der Direktvermarkter kennt jeden Schritt in der Produktion und kann mit dem Kunden direkt ins Gespräch kommen. Dieser Erzeuger-Verbraucher-Dialog ist wertvoll, da viele Menschen den Weg, den ihre Lebensmittel bis zu ihrem Teller genommen haben, gar nicht mehr kennen. Auch Verbraucherwünsche können so direkt ermittelt werden – da sind keine kostenintensiven Studien nötig. Ein anderer Aspekt ist, dass der Zwischenhandel ausgespart wird – hierbei bleiben Preisverhandlungen aus und der Direktvermarkter kann seine Preise selbst machen. Auf der anderen Seite ist der zeitliche Aufwand erhöht.

Mit welchen Anfangsschwierigkeiten haben potenzielle Direktvermarkter zu kämpfen? Welchen Rat geben Sie Landwirten, die in die Direktvermarktung einsteigen wollen?

Landwirten, die in die Direktvermarktung einsteigen möchten, bieten wir zum Beispiel sozioökonomische Beratung aber auch Qualifizierungsmaßnahmen an. Das sogenannte Grundlagenseminar „Innovative Unternehmerin und innovativer Unternehmer werden und sein“ bietet allen, die eine Einkommenskombination anstreben das erste Handwerkszeug, um sich über den eigenen Weg klar zu werden und den betriebsindividuellen Businessplan zu stricken. Die nächste Veranstaltung in unserer Region findet voraussichtlich im Herbst statt. Hat man sich dann für die Direktvermarktung entschieden, empfehlen wir noch ein Betriebszweigentwicklungsseminar zur weiteren Vertiefung zu besuchen. Diese Angebote werden bayernweit organisiert und finden in der Regel einmal jährlich statt. Zu finden sind alle Angebote der Ämter unter der Akademie für Diversifizierung unter www.weiterbildung-bayern.de

Wie sollten potenzielle Interessenten konkret vorgehen?

Der erste Schritt ist, sich zu überlegen: was man genau machen möchte, ob man das mit Freude macht, ob man es zeitlich schafft, ob die Familie mitzieht und ob man für sein Produkt genügend Abnehmer gewinnen kann. Bei der sozioökonomischen Beratung sitzt idealerweise die ganze Familie mit am Tisch, da der Einstieg in die Direktvermarktung auch die gesamte Familie betrifft und gegebenenfalls auch belastet. Es ist wichtig, dass alle gemeinsam hinter dem Projekt stehen. Neben Geld wird auch sehr viel Zeit investiert – hier ist häufig die Gretchenfrage, wie viel Arbeitskapazität noch übrig ist. Natürlich sollte man auch Freude daran haben, zu bestimmten Zeiten für die Kundschaft da zu sein.

Was sind so die größten Probleme mit denen Direktvermarkter zu kämpfen haben?

Obwohl die Mengen sehr viel kleiner sind als in der industriellen Produktion, oder im Supermarkt gelten für Direktvermarkter die gleichen Gesetze und Verordnungen und die strengen Auflagen, die im Lebensmittelbereich einzuhalten sind. Hierbei freuen wir uns über die gute Zusammenarbeit mit der dafür zuständigen Behörde: bei uns ist das die Lebensmittelüberwachung am Landratsamt. Viel Zeit kostet auch die Werbung, die Kundenakquise – das Gesehen-und-Gefunden-Werden, insbesondere wenn man mit der Direktvermarktung neu beginnt. Die Arbeitsbelastung kann auch zur Überlastung der Familie führen, da die Kundschaft die Produkte sehr schätzt und am liebsten das gleiche große Sortiment vorfinden möchte, wie im Supermarkt. Das kann der Direktvermarkter mit der kleinen Menge, die im eigenen Betrieb produziert und verarbeitet wird, häufig nicht leisten. Hier müsste sich die Kundschaft mit einem kleineren Sortiment zufriedengeben.

Womit kann die Direktvermarktung denn punkten?

Punkten kann der Direktvermarkter wie erwähnt mit der hohen Qualität, Regionalität, Transparenz, Nachhaltigkeit und dem persönlichen Kontakt.  Dadurch dass das Handwerk zum Teil Nachwuchsprobleme hat, zum Beispiel Metzgereien und Bäckereien geschlossen werden, ergibt sich für die Direktvermarkter ein Marktpotenzial. Wer eine Marktnische für sich findet, hat gute Voraussetzungen für Erfolg. 

Hat Corona das Einkaufsverhalten der Verbraucher verändert?

Sicherlich hat Corona auch das Einkaufsverhalten geändert. Viele haben große Supermärkte gemieden und sind lieber in kleinere Hofläden gegangen, haben Lieferdienste oder Automatenverkauf genutzt, um die Kontakte zu beschränken. Die Lust am Kochen zuhause und an der Vorratshaltung wurde wiederentdeckt und dafür wurde bewusster eingekauft. Unsere Direktvermarkter sind darauf eingestellt und bieten z.T. auch ganze Gerichte im Glas an – aber selbstgemacht, aus natürlichen Zutaten der Region und mithilfe traditioneller Konservierungsmethoden.

Ist die Nachfrage nach Produkten aus der Direktvermarktung vor dem Hintergrund der aktuellen Teuerungswelle zurückgegangen?

Die Absatzsteigerung durch Corona ist durch die Teuerungswelle zurückgegangen. Letztlich muss jeder Verbraucher selbst entscheiden, ob er sein Geld für eine gesunde und nachhaltige Ernährung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln ausgibt und die Region stärkt.

Zur Person: Hauswirtschaftsoberrätin Tina Langenscheidt wurden in Minden-Lübbecke in Nordrhein-Westfalen geboren. Dort ist sie auch auf einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen. Sie absolvierte ihr Studium im hessischen Gießen und schloss mit dem Bachelor Ökotrophologie und dem Master Ernährungswissenschaften. Anschließend war Tina Langenscheidt an der Universität als wissenschaftliche Hilfskraft tätig, ehe sie 2007 zum ersten Mal nach Kulmbach kam. Hier führte sie am Max-Rubner-Institut als Projektmanagerin eine Studie für das Bundesministerium zum Thema Kontrolle von Handelsklassen und Vermarktungsnormen durch. 2010 absolvierte sie ihr Referendariat am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Kulmbach und im oberbayerischen Töging am Inn. Nach dem Staatsexamen wurde Tina Langenscheidt am AELF Mindelheim im Unterallgäu eingesetzt. Seit 2013 ist sie wieder am AELF in Kulmbach tätig. Hier hat sie nach der Ämterfusion den Bereich Direktvermarktung übernommen.

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13.11.2022

Glaube als Vorteil, nicht als Voraussetzung / Der erste Kantor der Dresdner Frauenkirche - Matthias Grünert im Gespräch

Im Fernsehen ist er immer dann zu sehen, wenn ein Gottesdienst oder ein Konzert aus der Dresdner Frauenkirche übertragen wird. Matthias Grünert, seit 2005 Kantor der wiedererbauten Barockkirche, die von vielen als Wunder betrachtet wird. Der 48-Jährige ist für sämtliche kirchenmusikalische Veranstaltungen in der Frauenkirche verantwortlich. Was die wenigsten wissen, Matthias Grünert ist waschechter Franke, geboren in Nürnberg, aufgewachsen in Neuendettelsau war er nicht nur Mitglied des weltberühmten Windsbacher Knabenchors sondern legte auch einen großen Teil seines Kirchenmusik-Studiums in Bayreuth ab.

Sehr geehrter Herr Grünert, Sie geben ein Wochenende lang mehrere Orgelkonzerte in Kronach, Weißenbrunn, Kirchleus, Gärtenroth und Burgkunstadt. Was führt Sie nach Oberfranken?

Die Orgelfahrt, die es schon seit dem Jahr 2004 gibt. Zusammen mit einem Team suchen wir uns immer wieder neue Regionen aus. Nun haben wir uns wieder überlegt, mal die oberfränkische Ecke zu besuchen. Wir waren ja auch schon ein paar Mal hier. Die Orgellandschaft hier ist einfach vielfältig. Diesmal haben wir den Schwerpunkt auf Steinmeyer- und Strebel-Orgeln gelegt, die allesamt im späten 19. Jahrhundert gebaut worden sind. Deshalb sind auch so außergewöhnliche Spielorte wie die Kronacher Spitalkirche mit auf dem Programm. Für mich ist es der Reiz, in ganz kleinen Räumen zu musizieren, weil es das intimere Musikerlebnis bietet.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Studium an der Hochschule für Kirchenmusik in Bayreuth und gibt es da noch Verbindungen?

Die Studienzeit in Bayreuth war für mich wirklich sehr intensiv. Es war ja der große Vorteil, dass dort alles unter einem Dach ist, dass die Wege kurz sind und der Unterricht sehr straff. Das ist perfekt, das waren perfekte Bedingungen. Das war für mich ein Glücksumstand. Ich bin dort um acht Uhr zum Frühstück, war um halb neun an der Orgel und hab das bis zehn, halb elf durchgezogen, und das vier Jahre lang.

War das mit dem Kirchenmusik-Studium eigentlich von Anfang an klar?

Für mich war bis zum Beginn des Studiums nicht klar, ob ich Kunst oder Kirchenmusik studieren möchte. Den Ausschlag gegeben hat letztlich die Tatsache, dass ich, um regelmäßig Geld zu verdienen, als Kunstlehrer hätte tätig werden müssen. Lehrer im Gymnasium, das war für mich keine Option. Für andere ist das die Erfüllung, für mich war es das nicht. Gerade die Kirchenmusik ist durch den großen Fächerkanon so vielfältig. Als freischaffender Künstler wäre mir das viel zu riskant gewesen. Ich habe noch sehr guten Kontakt zu meinem Orgellehrer Professor Hartmut Leuschner-Rostoski, der bereits im Ruhestand ist. Ich bin auch regelmäßig noch in Bayreuth, einmal im Jahr bestimmt.

Sie sind für die gesamte Kirchenmusik in der weltberühmten Dresdner Frauenkirche verantwortlich, leiten mehrere Chöre, gehen auf Tour, haben einen Lehrauftrag, und, und, und. Wie schaffen Sie das alles, Ihr Tag hat doch auch nur 24 Stunden?

Ich wünschte mir, dass der Tag noch länger sein könnte. Die Nächte sind auf jeden Fall kurz. Ich bin froh, dass ich mit wenig Schlaf auskomme. Mein Tag beginnt in der Regel morgens um sieben Uhr, da ist das Frühstück dann durch. Mit einer Tochter, die zur Schule geht und einer Frau, die Lehrerin ist, da geht man diesen Rhythmus mit. In den Vormittagsstunden bin ich am Instrument, um halb neun, neun Uhr gehe ich ins Büro und bleibe bis zur Orgelandacht, die ich teilweise auch selbst spiele. Nachmittags bin ich dann in meinem Musikzimmer, um mich musikalisch vorzubereiten. Abends sind dann die Chorproben. Das ist so der gängige Alltag von Montag bis Freitag. Und das Wochenende ist sowieso dicht mit Terminen gefüllt, entweder in der Frauenkirche oder unterwegs. Aber ich genieße das alles, seit 18 Jahren in Dresden. Es ist mir bis heute nie langweilig geworden.

Wenn Sie irgendetwas Positives für sich und Ihr Musizieren aus der Corona-Zeit mitgenommen haben, was könnte das sein?

Es gibt positives zu berichten. Es ist ambivalent und paradox, dass sich die Chorgemeinschaft verstärkt hat. Und zwar deshalb, weil ich auch während Corona versucht habe, die Chorarbeit in ganz kleinstem Rahmen aufrecht zu erhalten. Mit haben teilweise mit vier, oder mit acht Leuten geprobt, das war für mich wirklich Knochenarbeit. Es war ja manchmal eine Stundentaktgeschichte, wir haben um 18 Uhr begonnen und um 22 Uhr aufgehört, damit auch alle möglichst die Gelegenheit haben. Die meisten wollten das aufrechterhalten, es gab auch einige, die Angst hatten und sich schützen wollten. Das haben wir natürlich auch akzeptiert. Aber insgesamt haben sich Freundschaften auch intensiviert und der Chorklang hat sich durchaus durch das Singen in ganz kleiner Besetzung noch einmal vertieft und verfeinert. Choraustritte gibt es natürlich schon auch, manch einer hat eben festgestellt, Chorsingen ist nicht alles, es gibt auch andere schöne Hobbys. Aber die meisten sind geblieben.

Gibt es noch einen weiteren positiven Aspekt aus der Corona-Zeit?

Ja, tatsächlich konnten wir den Raum der Frauenkirche klanglich noch einmal ganz neu erschließen. Wir wären sonst nicht auf die Idee gekommen, mit acht Sängern Bachs doppelchörige Motteten zu singen, also solistisch besetzt, verteilt auf die beiden Sängeremporen. Hintergrund war, dass wir ja Abstand halten mussten. Die beiden Chöre waren 15 Meter geteilt. Das war für uns alle ein eindrucksvolles Erlebnis, das wir auch unter den jetzigen Bedingungen noch einmal wiederholen, weil es sich bewährt hat.

Warum ist Kirchenmusik existentiell von so überragender Bedeutung?

Die meisten musikalischen Werke, vor allem die vokalen Werke, also Oratorien und Messvertonungen oder auch Kantaten sprechen sehr substantiell und komplex an. Die Musik selbst ist natürlich auch wahnsinnig komplex, man kann dort immer wieder tief eintauchen, es ist nichts leichtes, was man mit einem Mal hören so abtun kann. Bachs h-Moll-Messe ist beispielsweise immer so tiefgründig, wie ein gutes Buch vielleicht, in das man sich immer wieder tief auch hinein begibt. Sowohl als Zuhörer, aber natürlich auch als Musiker. Gerade deshalb weil Kirchenmusik so tiefgründig und emotional ist, spricht Kirchenmusik immer wieder so tief an, was vielleicht eine Operette nicht unbedingt so vermag. Natürlich hat alles seine Berechtigung, aber eine Krönungsmesse von Mozart ist von solch einer Ausdruckstiefe emotional und inhaltlich, dass das vermutlich der Grund ist, weshalb sich Menschen davon stark in den Bann ziehen lassen.

Auf den ersten Blick vielleicht eine dumme Frage: Muss man gläubig sein, um Kirchenmusik zu machen oder gibt es auch einen anderen Zugang?

Es gibt auch andere Zugänge, absolut. Genauso wie man jetzt sagen könnte, als Chorsänger muss man nicht unbedingt evangelisch sein, oder katholisch, oder Angehöriger einer anderen Konfession oder überhaupt keiner Konfession angehören. Das Musizieren ist erst einmal eine Beschäftigung mit der Musik an sich, auch mit der Kenntnis der Musikgeschichte. Als Musiker muss man natürlich Kompositionstechniken und stilistische Merkmale erkennen können, die muss man sich aneignen, das ist völlig frei von einer Kirchenzugehörigkeit. Dass man, wenn man sich mit der evangelischen Glaubenslehre näher beschäftigt, auch kirchengeschichtliche Zusammenhänge schneller erkennt und auch selbstverständlicher werden, das glaube ich schon. Also, es ist von Vorteil, aber keine Voraussetzung. Wenn man gläubig ist und die Glaubenssätze der jeweiligen Kirche auch lebt und vertritt, kann das durchaus förderlich sein. Aber die Grundvoraussetzung für ein qualitätsvolles Musizieren, die liegen woanders.

Woran arbeiten Sie gerade, welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Die Ideen gehen mit nie aus. An der Frauenkirche ist man gefordert, immer neues zu entwickeln, was Formate oder die Suche nach neuen Musikstücken angeht. Natürlich ergeben sich immer wieder Wiederholungen, wenn ich so auf meine Repertoireliste blicke, das ist auch gut so, dass wir im Jahresprogramm unsere festen Konstanten haben. Das Weihnachtsoratorium von Bach gehört dazu, seine Johannespassion, die h-Moll-Messe, das Mozart-Requien, das wird sich nicht ändern, das sind feste Konstanten, die müssen wir auch in der zentralen Kirche dort bringen. Es gibt aber auch Werke, die durchaus gehoben werden, zum Beispiel das Werk von Luigi Cherubini, das in unseren Tagen völlig in die Bedeutungslosigkeit gerutscht ist, obwohl Cherubini damals eine ganz große musikalische Instanz war. Auch die Dresdner Musik ist ja ein Riesenfundus. Immer interessant ist auch zeitgenössische Musik, ich komponiere selbst ja auch ein bisschen für Chor. Das Leben ist viel zu kurz, um das alles erfassen und umsetzen zu können. Die Pläne werden mir jedenfalls nicht so schnell ausgehen.

Zur Person: Matthias Grünert wurde 1973 in Nürnberg geboren. Erste prägende musikalische Eindrücke erhielt er unter anderem als Sänger im Windsbacher Knabenchor. Nach dem Abitur studierte er Kirchenmusik, Gesang und Orgel an der Hochschule für Kirchenmusik in Bayreuth und an der Hochschule für Musik in Lübeck. 2000 bis 2004 war er als Stadt- und Kreiskantor in thüringischen Greiz tätig. 2004 wurde er als erster Kantor der Dresdner Frauenkirche berufen und trat dieses Amt im Januar 2005 an. Als Dirigent arbeitet Matthias Grünert mit vielen namhaften Solisten und Orchestern regelmäßig zusammen. Gastspiele als Organist und Dirigent führten ihn bisher an zahlreiche Orgeln ebenso wie in viele Musikzentren bis nach Island und Japan. Eine umfassende Diskographie weist die musikalische Vielfalt Matthias Grünerts aus, darüber hinaus dokumentieren zahlreiche Fernseh- und Rundfunk-Aufnahmen sein musikalisches Wirken. Seit dem Wintersemester 2008/09 hat er einen Lehrauftrag für Orgel an der Hochschule für Kirchenmusik Dresden inne.

Bilder: Matthias Grünert an der kleinen Steinmeyer-Orgel in der Kronacher Spitalkirche.

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29.10.2022

„Unsere Leistungen sind jeden Cent wert“ / Interview mit dem Kreisvorsitzenden Alexander Schütz vom Hotel- und Gaststättenverband

Kulmbach. Der Mindestlohn wurde Anfang Oktober auf zwölf Euro angehoben. Im Kulmbacher Land profitiert nach Angaben der Agentur für Arbeit jeder sechste Beschäftigte davon. In der Hotel- und Gaststättenbranche erfolgte diese Anhebung bereits mit dem Tarifabschluss vom März dieses Jahres. Damals konnte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) nach langen und schwierigen Verhandlungen mit dem bayerischen Hotel- und Gaststättenverband einen Tarifabschluss für die rund 340.000 Beschäftigten im bayerischen Gastgewerbe erzielen. Der Mindestlohn stieg in der Branche zum 1. Oktober sogar auf 12,15 Euro. Warum das so ist, darüber sprachen wir mit Alexander Schütz vom Berghof in Wartenfels. Alexander Schütz ist der Kulmbacher Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes.

Sehr geehrter Herr Schütz, die Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Oktober spielt in der Hotel- und Gaststättenbranche keine Rolle. Warum ist das so?

Die Erhöhung des Mindestlohns wurde bereits beim neuen Entgelttarifvertrag berücksichtigt, der im März dieses Jahres abgeschlossen wurde. Wir wollten damit für Beschäftigte und Auszubildende ein deutliches Zeichen für die Zukunft unserer Branche setzen. Der Abschluss musste dabei die schwierige Balance zwischen einem erhöhten Entgelt und dem wirtschaftlich überhaupt Möglichen berücksichtigen. Denn in den allermeisten Fällen sind Tariferhöhungen nur über eine Preisanpassungen in den Betrieben möglich.

Was waren die Hintergründe der Tarifeinigung?

Anlässlich der Tarifverhandlung hatte der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband im Frühjahr bei seinen Mitgliedern eine Umfrage zum Thema Entgelttarifvertrag durchgeführt. Sie ergab, dass der abgelaufene Entgelttarifvertrag oft nicht das widergespiegelt hat, was tatsächlich von den Arbeitgebern bereits gezahlt wurde. So haben viele Arbeitgeber bereits deutlich übertariflich ihre Beschäftigten entlohnt.

Und was steht genau in diesem Entgelttarifvertrag?

Nachdem das Entgelt während der Corona-Krise fast zwei Jahre gleichgeblieben war, wurde es nunmehr vom 1. April 2022 bis zum 31. Dezember 2022 um sieben Prozent, vom 1. Januar 2023 bis 31. März 2023 um 3,5 Prozent und vom 1. April 2023 bis 31. März 2024 um weitere fünf Prozent erhöht. In der untersten Tarifgruppe wurde hinsichtlich des Mindestlohnes ebenfalls ab 1. April 2022 ein Stundenentgelt von zwölf Euro vereinbart. Das wurde ab dem 1. Oktober auf 12,15 Euro erhöht und wird weiter ab 1. Januar 2023 auf 12,30 Euro und ab 1. April 2023 auf 12,60 Euro erhöht.

Enthält der Tarifvertrag auch Elemente, die das Gastgewerbe für Auszubildende attraktiver machen? Das war und ist doch ein großes Problem der Branche, oder?

Die Auszubildenden liegen uns besonders am Herzen. Hier wurden die Ausbildungsvergütungen seit 1. August 2022 bis 31.März 2024 im ersten Ausbildungsjahr von 795 auf 1.000 Euro, im 2. Ausbildungsjahr von 900 auf 1.100 Euro und im 3. Ausbildungsjahr von 1.010 auf 1.200 Euro erhöht. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren.

Bedeutet dies alles im Umkehrschluss, dass aufgrund das der Tarifabschluss auch mit schuld daran ist, dass alles viel teurer wird?

Was viele nicht wissen: gastgewerbliche Betriebe sind besonders personalintensiv. Um auf denselben Umsatz wie der Einzelhandel zu kommen, benötigen wir sechs Mal so viele Mitarbeiter. Uns allen sollte aber dieser Beitrag in unserer so herzlichen Mensch-zu-Mensch-Branche mehr als wert sein. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass die gebotenen Leistungen auch weiterhin jeden Cent wert sind.

Können es sich die Oberfranken in Zukunft noch leisten, essen zu gehen?

Das oberfränkische Gastgewerbe hat sich seit jeher durch ein besonders gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ausgezeichnet, und das wird auch weiterhin so sein. Schließlich wollen wir, dass sich auch künftig jeder einen Besuch im Wirtshaus leisten kann.

Was stürzt gerade noch alles auf die Hotel- und Gaststättenbranche ein?

Viel mehr Sorge als der Tarifabschluss vom März bereiten uns die explodierenden Energiepreise, darüber hinaus steigen derzeit die Lebensmittelpreise enorm an, zusätzlich kommen jetzt die durch die Corona-Pandemie angefallenen Kosten wie beispielsweise die Tilgung der Überbrückungskredite, die Zahlung gestundeter Beiträge sowie die Kosten für Schutz- und Hygienemaßnahmen voll zum Tragen.

Zur Person – Alexander Schütz:

Nach jahrelanger Wanderschaft durch die Top-Gastronomie und Hotellerie ist Alexander Schütz vor rund zehn Jahren wieder in seine Heimat zurückgekehrt, in den elterlichen Betrieb, den Gasthof Berghof in Wartenfels in der Gemeinde Presseck. Hier kocht er in seinem Restaurant „Ursprung“ mal bodenständig, mal ausgefallen. Der gelernte Koch ist 41 Jahre alt und wurde in Kronach geboren. In diesem Jahr trat er die Nachfolge von Stephan Ertl als Kulmbacher Kreisvorsitzender im Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband an.

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01.10.2022

„Ich werde bis zum Schluss kämpfen“ / Chef des Lanzendorfer Backparadieses macht mobil gegen gestiegene Energie- und Rohstoffpreise

Kulmbach. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren und müssen jetzt sofort handeln, nicht nur reden!“ Michael Kauer, der Chef des Lanzendorfer Backparadieses macht mobil. Er führt den mittelständischen Bäckereibetrieb mit 14 Filialen und 130 Mitarbeitern mit Sitz in Himmelkron. Michael Kauer möchte eine Initiative ins Land rufen, um allen Menschen die Augen zu öffnen. Durch steigende Energie- und Rohstoffpreise sieht er sich derzeit gezwungen, seine Preise ins unermessliche steigen zu lassen. „Wie soll das weitergehen? Sollen mittelständige Handwerksbetriebe aussterben?“ Diese Fragen stellt er sich, seinen Berufskollegen, der Politik und seinen Kunden. „Wir sind Grundversorger und Weltkulturerbe und möchten auch weiterhin als Grundversorger betrachtet werden!“, so der Chef. Nicht nur er sei betroffen, sondern jedes Unternehmen. Die Handwerksbetriebe würden in den Ruin getrieben. Da könne man doch nun nicht mehr einfach nur dasitzen und zusehen. Michael Kauer will am 6. Oktober in Himmelkron Handwerksbetriebe, Politiker und Medien versammeln, um über die aktuelle Situation zu sprechen. „Nur vereint können wir etwas bewegen“, ist er sich sicher. Wir sprachen im Vorfeld mit Michael Kauer über Ziele seiner Aktion:

Sehr geehrter Herr Kauer, Sie starten am 6. Oktober die Initiative „Energiekrise Handwerksbetriebe“, Was ist ihr Ziel?

Wir wollen einen Weckruf an die Politik loslassen. Mittelstand und Handwerk werden im Moment vernichtet. Die Energiekosten müssen wieder in den Griff bekommen werden.

Welche Auswirkungen haben die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise auf ihr Unternehmen?

Ganz klar, massive Preiserhöhungen, die nicht an den Kunden weitergegeben werden können. 35000 Euro mehr Energiekosten monatlich sind nicht auf Dauer tragbar.

Was kommt auf ihr Unternehmen zu, wenn sich nicht schleunigst etwas ändert?

Sollte es wirklich so weit kommen, wird mir nichts anderes übrig bleiben früher oder später aufzugeben und zu schließen

Und was kommt auf die Kunden zu?

Massive Erhöhungen der Verkaufspreise, eine Verkleinerung des Sortiments und verkürzte Öffnungszeiten.

Sehen sie sich in ihrer Existenz bedroht? Wie steht es um ihre 130 Mitarbeiter?

Ja, natürlich sehe ich meine Existenz bedroht, sollten keine Lösungen durch die Regierung geschaffen werden, sind mir wie auch vielen anderen Handwerksbetrieben die Hände gebunden. Aber ich werde bis zum Schluss kämpfen.

Wie lauten ihre wichtigsten Forderungen an die Politik?

Es muss ein konstruktiver Plan geschaffen werden, wie es für den Mittelstand weiter gehen soll. Nicht nur, dass immer von Entlastungen geredet wird. Es muss jetzt Unterstützung kommen!

Was planen sie konkret, um ihren Unmut über die aktuelle Politik Luft zu machen?

Am Ende meiner Initiative am 06. Oktober soll eine Petition stehen. Ich werde weiterhin kämpfen, und mir das nicht gefallen lassen.

Haben sie schon Rückmeldungen von Berufskollegen, können sie mit deren Unterstützung rechnen?

Ja, einige. Sehr viele mittelständische Unternehmen, teilweise sogar aus dem Raum Coburg, haben zugesagt.

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26.08.2022

Regionale Landwirtschaft steht für Versorgungssicherheit / Interview mit der neuen Bezirksbäuerin Beate Opel aus Neufang bei Wirsberg

Kulmbach. Sie ist angetreten, um die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft zu rücken: Die Kulmbacher Kreisbäuerin Beate Opel ist vor wenigen Tagen zur oberfränkischen Bezirksbäuerin gewählt worden. Die Wahl erfolgte einstimmig, die Amtsperiode dauert fünf Jahre. Beate Opel löst damit Anneliese Göller aus dem Landkreis Bamberg ab. Wir sprachen mit Beate Opel über ihr Amt, ihre Ziele und Forderungen an die Politik:

Sehr geehrte Frau Opel, welche Aufgaben hat eigentlich eine Bezirksbäuerin?

Die Bezirksbäuerin ist für Koordinierung, Planung und Durchführung der Landfrauenarbeit im Bezirksverband zuständig.

Welche Schwerpunkte wollen Sie in den nächsten knapp fünf Jahren setzen?

Schwerpunkt wird immer Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit sein. Da sind wir am nahe dran am Verbraucher. So wollen wir beispielsweise mit dem Projekt Schule fürs Leben Kindern und Jugendlichen die Landwirtschaft nahe bringen. Viele Betriebe haben sich bereits entschieden, da mitzumachen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Landwirtschaft hinterlassen und was nimmt die Landwirtschaft aus der Krise mit?

Die Corona-Krise hat unter Umständen das Bewusstsein in der Gesellschaft gestärkt, und zwar dahingehend, dass die regionale Landwirtschaft für Versorgungssicherheit steht.

Wie wollen Sie speziell die junge Generation mit ihren Anliegen erreichen?

Wir haben ja auch Angebote für junge Leute. Da gibt es zum Beispiel die BBV-Werkstatt, in der sich junge Landfrauen und junge Landwirte austauschen können. Ziel ist es dabei, Landwirtschaft gemeinsam, frei und kreativ weiterzudenken. Die jungen Leute haben im gesamten Bezirk ja auch Stammtische, in manchen Kreisverbänden gibt es speziell den Ring junger Landfrauen und Landwirte, die bei uns in den Gremien der Kreisverbände mit dabei sind. Da gibt es eine enge Zusammenarbeit. Zudem haben sich bei den zurückliegenden Verbandswahlen viele junge Kreisbäuerinnen für das Ehrenamt entschieden. Da kommen auch neue Impulse rein. Ein Schritt hin zu einem Generationswechsel hat da schon stattgefunden.

Vegetarisch und vegan sind Trends der Zeit, wie schätzen Sie das als Bäuerin ein?

Jeder Erwachsene sollte die Entscheidung selbst treffen. Fleischloses Essen hat es im Übrigen auch früher schon gegeben. Es ist ja nichts Neues, aber leider bringen es halt viele mit unberechtigten Vorwürfen an die Landwirtschaft in Verbindung. Ich habe nichts dagegen, wie sich jemand ernährt, aber man sollte niemanden vorschreiben, wie er essen soll. Außerdem: Vegan oder vegetarisch geht ja auch nicht ohne die Landwirtschaft.

Ihre dringendste Forderung an die Politik in diesen Zeiten:

Wir brauchen eine verlässliche Politik, die hinter den Bauern steht, wenn auch in Zukunft noch Landwirtschaft betrieben werden soll. Dazu gehören bessere Rahmenbedingungen. Auflagen, Verordnungen und Bürokratie dürfen uns nicht überschütten. Vieles ist ja gar nicht mehr in der Praxis umzusetzen.

Wie hat sich das Image der Landwirtschaft in den zurückliegenden Jahren verändert und wo sehen Sie die Landwirtschaft in zehn Jahren?

Es ist halt schwierig, mit diesen Auflagen, Verordnungen und der Bürokratie zu leben. Das erschwert unsere Arbeit sehr. Viele Betriebe können das nicht mehr aushalten. Dazu kommen extrem steigende Preise bei Energie und Futtermittel, überhaupt bei den Produktionskosten. Wie sollen wir das alles durchhalten? Nicht vorauszusehen ist außerdem, wie der Klimawandel voranschreitet. Wenn das so weitergeht, wie soll die Landwirtschaft dann weitermachen? Leben und leben lassen, das sollte sich die Politik einfach mal zu Herzen nehmen.

Zur Person:

Beate Opel kommt aus Neufang bei Wirsberg. Die 62-Jährige ist bereits seit dem Jahr 2017 auf oberfränkischer Ebene als stellvertretende Bezirksbäuerin aktiv. Sie wurde erst vor kurzem zum dritten Mal zur Kulmbacher Kreisbäuerin gewählt, gleichzeitig ist sie seit 30 Jahren als Ortsbäuerin tätig. Beate Opel hat zwei Töchter und einen Sohn, zusammen mit ihrer Familie bewirtschaftet sie einen Milchviehbetrieb mit Bullenmast.

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25.08.2022

Katastrophaler Einbruch bei der Ernte / BBV-Kreisobmann Harald Peetz über steigende Preise, fehlendes Futter und schwankende Marktpreise

Kulmbach. Hitze und Trockenheit sorgen in den zurückliegenden Monaten bayernweit für eine unterdurchschnittliche Erntebilanz. Selten waren die regionalen und lokalen Unterschiede bei der Erntemenge und der Qualität so extrem. Es gab in diesem Jahr so gut wie keine flächendeckenden Niederschläge. Während die Wintergerste noch am besten abgeschnitten hat, gab es bei der Braugerste große Unterschiede. Wir sprachen mit Harald Peetz aus Himmelkron, dem neuen Kulmbacher Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes über die Situation im Kulmbacher Land:

Herr Peetz, kann man von eine katastrophalen Einbruch bei der Ernte 2022 sprechen?

Bei uns in Nordbayern kann man sicher von einem katastrophalen Einbruch bei der Ernte über alle Fruchtarten hinweg sprechen. Dagegen gab es im Süden Bayerns genügend Niederschlag und so ist es dort eine Normale bis sogar sehr gute Ernte.

Wie ist die Situation im Kulmbacher Land?

Die Situation im Landkreis Kulmbach ist die, dass es im gesamten Landkreis seit Anfang Mai keinen nennenswerten Niederschlag mehr gab und so flächendeckend schlechte Erträge eingefahren wurden.

Welche Feldfrüchte haben besonders gelitten?

Hat es die Wintergerste durch ihre frühe Entwicklung noch am besten verkraftet, so gab es bei den  anderen Winterkulturen schon erhebliche Ertragseinbußen und vor allem bei den Sommerkulturen, wie bei der Sommergerste, bei Erbsen aber auch bei Kartoffeln gab es sehr schlechte Erträge bis dahin das sie stellenweise nicht geerntet werden konnten. Aber nicht nur die Menge sondern auch die Qualität der Ernte war durch die Trockenheit und die Verfrühte Notreife bei vielen Partien schlecht und es konnte keine Mahl- oder Brauqualität erzielt werden sondern es kann nur als Futtergetreide oder in der Biogasanlage genutzt werden.

Wie sieht es bei den Futterpflanzen aus?

Genauso schlecht ist die Lage bei den Futterpflanzen. Auf den Wiesen konnte der erste Schnitt geerntet werden höchstens noch ein kleiner Zweiter, in einem normalen Jahr sind bei uns fünf aber auf jeden Fall vier Schnitte normal. Jetzt ist der Bestand so vertrocknet das es nicht sicher ist ob in diesem Jahr noch ein nutzbarer Schnitt wächst. Genauso ist die Lage beim Mais wir können nur neidisch nach Südbayern schauen wo Maisbestände mit drei Meter Länge und mehr und zwei gut entwickelten Kolben je Pflanze stehen. Und bei uns ist jetzt schon ein Teil der Fläche abgeerntet und der Rest wird in den nächsten Tagen folgen. Es sind meist vertrocknete schlecht entwickelte Bestände mit nicht komplett entwickelten Kolben. Viele Betriebe haben Gott sei Dank noch Futterreserven aus dem letzten Jahr aber es werden jetzt schon Tierbestände reduziert weil das Futter in vielen Betrieben sonst nicht bis ins nächste Jahr reicht.

Was hat das alles für Auswirkungen auf den Verbraucher? Steigen die Lebensmittelpreise weiter an?

Zu den gestiegenen Erzeugerpreisen kommen noch die höheren Verarbeitungs- und Transportkosten und natürlich genehmigt sich der Einzelhandel auch noch einen großzügigen Schluck aus der Pulle. Bei den Erzeugerpreisen die den Landwirten gezahlt werden ist zurzeit eine rückläufige Preisentwicklung angesagt. Ob diese Preisabschläge an den Verbraucher weitergegeben werden, das glaube ich eher nicht.

Preise bei Düngemitteln vervierfacht, Energiepreise verdoppelt: Wie kämpfen die Bauern dagegen an?

Das Problem mit den Dünger- und Kraft- und Energiepreisen ist in der Landwirtschaft mittlerweile dramatisch. Viele Landwirte haben im Frühsommer schon Dünger für das nächste Jahr zu den hohen Preisen eingekauft. Es ist aber nicht sicher ob alles geliefert werden kann, denn viele Düngermittel Werke haben wegen der Gasknappheit ihrer Produktion eingestellt aber zumindest reduziert. Die Landwirte können nur mit dem düngen was sie haben. Betriebe mit Tierhaltung werden versuchen ihre im Betrieb anfallende Gülle und den Festmist noch gezielterer und effektiverer Einzusetzen. Dem stehen aber in vielen Fällen die politischen Vorgaben im Weg. Wie die Beschränkungen beim Ausbringen zu den verschiedenen Früchten und die sehr stark eingeschränkte Ausbringzeit.

Wie soll es weitergehen?

Wir werden im nächsten Jahr auch bei normalem Wetter auf vielen Betrieben mit geringeren Erträgen rechnen müssen was sich natürlich auch auf das Angebot bei den Lebensmitteln auswirken kann. Viele Betriebe sind auch nicht mehr in der Lage das Risiko zu tragen so teure Düngermittel einzukaufen und bei den stark schwankenden Marktpreise zu wissen, wie kann ich mein Getreide im nächsten Jahr verkaufen, oder kommt noch ein trockenes Jahr und ich habe gar keinen Erlös.

Bild:
Die Ernte ist abgeschlossen. Die Bauern klagen am meisten darüber, dass es so gut wie keine flächendeckenden Niederschläge über Monate hinweg gegeben hat.

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10.07.2022

„Das Glas ist immer halbvoll / Interview mit DEHOGA-Kreisvorsitzendem Alexander Schütz zur derzeitigen Situation in der Gastronomie

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie kämpft sich das Gastgewerbe aus der Krise. Dank der anziehenden Nachfrage wächst bei vielen Betrieben die Zuversicht. Der Neustart der Branche wird allerdings erschwert durch die massiv steigenden Kosten und wachsenden Unsicherheiten in Folge des Ukraine-Krieges. Wir sprachen mit Alexander Schütz, dem Kreisvorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA), der in Wartenfels bei Presseck den Berghof betreibt.

Herr Schütz, man hört es landauf landab: Köche und Kellner fehlen, deshalb werden Öffnungszeiten eingeschränkt oder man stellt gar auf Selbstbedienung um. Wie dramatisch ist die Lage?

Da kommen mehrere Fakten zusammen: Da ist zunächst das sofortige Bedürfnis der Kunden wieder feiern, essen und trinken zu gehen, sprich Versäumtes nachzufeiern. Leider war es dem Gastgewerbe aufgrund fehlender Planungssicherheit im ersten Jahresquartal 2022 nicht möglich, wie sonst, rechtzeitig ausreichend Personal einzustellen, denn solange sich andere Mitarbeiter Corona-bedingt noch in Kurzarbeit befanden, war jede Neueinstellung bis auf wenige Ausnahmen förderschädlich. Wir konnten es uns nicht leisten, Förderungen nicht wahrzunehmen da wir sprichwörtlich am Tropf hingen und das eigentlich noch immer tun. Wer weiß was im Herbst/ Winter passiert.

Wie steht es um Mini-Jobbern und ausländischen Arbeitskräften?

Abgewanderte Minijobber würden teilweise wieder gerne zurückkommen hängen aber in laufenden Arbeitsverträgen anderer Branchen fest. Dann gibt es eine angestaute Neueinstellungssituation. Ausländisches Personal erhielt während der Pandemie keinerlei Arbeitsvisa. Wir haben eine enorme Bürokratie und lange Wartezeiten bei ausländischen Mitarbeitern. Das ist insbesondere für kleine Betriebe nicht produktiv zu meistern. Hier profitieren nur die Großen mit eigenen Personalabteilungen.

Was ist Ihrer Meinung nach das große Problem für die Gastronomie in der augenblicklichen Lage? Vor welchen Herausforderungen steht Ihre Branche aktuell?

Größtes Problem ist es, Mitarbeiter dazu zu bekommen, um der Nachfrage in unserer Branche gerecht zu werden. Die Herausforderung ist es, den Spagat zu meistern die enormen gestiegen Kosten für unser Produkt, dem Kunden verständlich zu machen, und somit die Akzeptanz für die unausweichlichen Preissteigerungen zu bekommen.

Corona bietet auch die Chance zur Erneuerung. Ist das eine Floskel oder können Sie der momentanen Situation auch etwas Positives abgewinnen?

Ja es gibt natürlich auch positive Seiten, zum Beispiel die guten Fördermöglichkeiten bei Hygienemaßnahmen, Outdoor-Bestuhlung, Digitalisierung und so weiter. Während der Pandemie, allerdings und das hatte nicht jeder Betrieb, war dafür ein gefülltes Festgeldkonto notwendig. Denn bei allen Maßnahmen mussten die Betriebe in Vorleistung gehen. Zusätzlich zu den Vorleistungen für laufende Kosten wie etwa Kurzarbeitergeld, die in unseren Betrieben während der Pandemie insbesondere der Lockdowns stark ins Gewicht fielen, bis dann endlich die Überbrückungshilfen stark zeitverzögert ausgezahlt wurden. 

Fühlen Sie sich von staatlicher Seite unterstützt oder fühlen Sie sich eher im Stich gelassen? Was könnte die Politik unternehmen, um die Situation zu entschärfen?

Die längst überfällige dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie wie es in Europa bei 17 von 28 EU-Staaten der Fall ist, vor allem in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Bei Auflagen, Verschärfungen, Dokumentationspflichten, Bürokratie und so weiter sind wir immer federführend was die Umsetzung von EU-Bestimmungen betrifft. Aber eine positive Gleichstellung unserer Branche bei der Wettbewerbsfähigkeit auf EU-Ebene ist nicht möglich. Ist das fair? Wann, wenn nicht jetzt, oder sind wir nicht mit die am stärksten getroffen Branche der Pandemie gewesen?

Was bedeutet die derzeitige Situation für den Fachkräftenachwuchs und wie kann man das Gastgewerbe generell wieder attraktiver machen?

Ein großes Stück entspannender sowie attraktiver könnte unsere Branche auch sehr schnell und unkompliziert werden, wenn wir für unsere Mitarbeiter und unseren Fachkräftenachwuchs endlich die Wochenarbeitszeit bekommen. Nur so können die Beschäftigten ihre Arbeitszeit an die individuellen Gegebenheiten ihrer Lebensrealität anpassen. Auch hier fordern wir seit Jahren eine Wochenarbeitszeit im Sinne der europäischen Vorgaben. Wohl gemerkt eine Wochenarbeitszeit, ohne die Gesamtarbeitszeit zu erhöhen. Das würde dazu führen das sich unsere Mitarbeiter leicht und unkompliziert ein verlängertes Wochenende oder den ein oder anderen Brückentag mehr für Ihren Urlaub erarbeiten könnten. Denn an den gewohnten Brückentagen arbeiten wir meist sowieso, da unsere Gäste nun mal gerne an den Feiertagen zu uns kommen.

Zum Schluss noch ein kleiner Ausblick: Wohin geht die Reise in der Gastronomie?

Das Glas ist immer halbvoll, nie halbleer! Zumindest ist das bei mir so, und diesem Motto möchte ich auch weiterhin treu bleiben, nur ist es höchste Zeit das unsere Politiker handeln, damit dieser Spruch auch weiterhin Sinn ergibt.

Interview: Stephan Herbert Fuchs

Zur Person – Alexander Schütz:
Nach jahrelanger Wanderschaft durch die Top-Gastronomie und Hotellerie ist Alexander Schütz vor rund zehn Jahren wieder in seine Heimat zurückgekehrt, in den elterlichen Betrieb, den Gasthof Berghof in Wartenfels in der Gemeinde Presseck. Hier kocht er in seinem Restaurant „Ursprung“ mal bodenständig, mal ausgefallen. Der gelernte Koch ist 41 Jahre alt und wurde in Kronach geboren. Vor wenigen Wochen trat er die Nachfolge von Stephan Ertl als Kulmbacher Kreisvorsitzender im Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband an.

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06.07.2022

„Wollen auch weiterhin Eigenbemühungen sehen“ / Befristetes Moratorium für Hartz-IV-Sanktionen: David Potzel vom Jobcenter Kulmbach: „Fordern fällt nicht weg“

Kulmbach. Der Bundestag hat im Mai eine vorübergehende Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen beschlossen. Das Gesetz sieht vor, die Sanktionen bei Pflichtverletzungen für Empfänger von Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) für die Dauer eines Jahres befristet einzustellen. Hintergrund war, dass das Bundesverfassungsgericht 2019 eine Neuregelung in Bezug auf die Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen in der Grundsicherung gefordert hatte. Für das Moratorium gilt: Pflichtverletzungen, wie zum Beispiel die Weigerung, eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen oder sich darum zu bewerben, oder der Abbruch einer Weiterbildungsmaßnahme,  werden bis auf Weiteres nicht mehr mit Kürzungen des Regelsatzes sanktioniert, im Gegensatz zu Meldeversäumnissen oder Terminverletzungen. Hier soll es auch weiterhin Sanktionen geben, jedoch erst ab dem zweiten Meldeversäumnis. Wir sprachen darüber mit Pressesprecher David Potzel vom Jobcenter in Kulmbach:

Bisher lautete das Motto „Fördern und Fordern“. Fällt jetzt das Fordern weg?

Nein, fällt nicht weg. Wir fordern von unseren Kundinnen und Kunden nach wie vor das Gleiche wie bisher. Es hat sich daran nichts geändert. Wir wollen auch weiterhin Eigenbemühungen sehen und werden den Menschen auch weiterhin Maßnahmen zuweisen. Das einzige, was durch das Sanktionsmoratorium in Kraft tritt: Sollten sie sich verweigern, gibt es keine rechtliche Handhabe mehr.

Welche Konsequenzen haben die neuen Regelungen für die Mitarbeiter der Jobcenter?

Für den Mitarbeiter ändert sich nichts. Wir müssen den Kunden tatsächlich darauf hinweisen, dass es erst einmal keine Rechtsfolgen mehr gäbe, wenn er seiner Pflicht nicht nachkommen sollte. Wir haben weder unser Vorgehen, noch unsere Arbeitsweise umgestellt.

Was soll konkret künftig noch sanktioniert werden und wieviel Prozent der monatlichen Regelleistung machen die Sanktionen aus?

Tatsächlich ist seit 1. Juli nur noch das zweite unentschuldigte Meldeversäumnis in Höhe von zehn Prozent der monatlichen Regelleistung zu sanktionieren. Das heißt, kommt ein Leistungsempfänger nicht zum Termin, tritt ein Meldeversäumnis ein. Bisher wurde jedes Meldeverfahren mit zehn Prozent sanktioniert. Mittlerweile ist es so, dass das erste Meldeversäumnis, sofern es unentschuldigt war, noch nicht sanktioniert wird. Wenn es aber nochmal vorkommt innerhalb eines Jahres, wird das zweite Meldeversäumnis mit zehn Prozent der Regelleistung sanktioniert.

Welche Instrumente haben Ihre Mitarbeiter, um Betroffene zum Mitmachen zu motivieren?

Die Instrumente haben sich ja nicht geändert. Insofern bleibt alles beim Alten. Das Thema ist natürlich auch bei uns relativ prägnant. Außerdem hatten unsere Mitarbeiter ja auch bisher schon immer Ermessensspielräume.

Glauben Sie, dass die neuen Regelungen vermehrt ausgenutzt werden?

Meine persönliche Meinung: Die überwiegende Mehrheit unserer Kundschaft macht grundsätzlich mit. Von da her wird es nicht so sein, dass wir künftig leere Häuser haben, weil niemand mehr kommt. Es ist nach wie vor so, dass sich die meisten freuen, wenn sie ein Angebot bekommen und auch daran interessiert sind, teilzunehmen. Es wird eher ein geringer Prozentsatz derer sein, denen damit geholfen ist wenn es keine Sanktionen mehr gibt. 

Kritische Stimmen sagen, dass mit der neuen Gesetzgebung ein völlig falsches Signal gesetzt wird. Können Sie das nachvollziehen?

Mit der Gesetzgebung haben wir natürlich nichts zu tun. Wir müssen den Gesetzen folgen. Wahrscheinlich ist der Zeitpunkt auch zu früh, um das wirklich bewerten zu können. Schließlich soll das Ganze ja auch nur ein Übergang bis zum Bürgergeld sein. Erst dann wird man ein echtes Resümee ziehen können.

Zur Person: David Potzel (40) ist Diplom-Kaufmann und hat in Bayreuth Betriebswirtschaftslehre studiert. 2009 begann er seine Berufstätigkeit zunächst in der Arbeitsvermittlung beim Jobcenter Kulmbach. Zwischen 2016 und 2019 war er in der Regionaldirektion in Nürnberg tätig, 2019 kehrte er Controller und Pressesprecher an das Kulmbacher Jobcenter zurück. David Potzel lebt mit seiner Familie in Bad Berneck.

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03.07.2022

Hitze, Trockenheit und Klimawandel / BBV-Kreisobmann Harald Peetz geht von massiven Trockenschäden und weit unterdurchschnittlichen Ertrag aus

Kulmbach. Anwohner werden in Berlin aufgefordert Stadtbäume zu gießen, in Teilen Brandenburgs wird Trinkwasser rationiert und der Dürremonitor zeigt tiefrote Flächen. Gefühlt gab es schon im Juni so viele heiße Tage, wie schon seit Jahren nicht mehr im ganzen Sommer. Schon seit Jahren schwindet das Grundwasser, was Auswirkungen auf viele Pflanzen, auf die Landwirtschaft und die gesamte Umwelt hat. Auch der Wald ist gestresst und die Waldbrandgefahr ist enorm. Wie ist die Situation im Landkreis Kulmbach? Wir haben beim neuen Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes, Harald Peetz aus Himmelkron, nachgefragt:

Herr Peetz, Sind wir ihrer Meinung nach 2022 wieder auf dem Weg in ein Dürrejahr?

Wir sind nicht nur auf den Weg in ein Dürrejahr sondern aus Sicht der Landwirtschaft, sind wir jetzt schon mitten drin. Nachdem der Winter etwas Feuchtigkeit gebracht hatte, war es ja schon im März wieder extrem trocken, nur im April gab es normale Niederschlagsmengen. Seit Anfang Mai bis jetzt in den zwei Monaten hat es allenfalls 30 Liter geregnet was ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Das zeigt auch, dass wir jetzt schon eigentlich 14 Tage zu früh mit der Getreideernte beginnen mussten, weil die Wintergerste Notreif geworden ist. Auch die anderen Getreidearten haben massive Trockenschäden und es ist mit einem, auf manchen Standorten, weit unter dem langjährigen Durchschnitt liegenden Ertrag zu rechnen.

Wie steht es denn dann um die Qualität des Getreides?

Die Qualität dieses durch Wassermangel abgereiften Getreide wird auch nicht besonders hoch sein und es ist zu befürchten, wenn die Qualitätsansprüche der Mühlen und Mälzereien so hoch bleiben, das viele Partien nicht als Mahl- oder Braugetreide geeignet sind sondern nur Futtergetreide Qualität haben werden. Viele Sommergersten-Schläge, die im Frühjahr wegen des Regens im April zu spät oder schlecht gesät werden konnten sind jetzt besonders von der Trockenheit betroffen und an der Grenze, ob es sich bei den hohen Energiekosten überhaupt lohnt sie zu ernten. Das gleich gilt auch für im Frühjahr gesäte Eiweißpflanzen wie Erbsen oder Lupinen. Der Zustand der schlechten Saat und des schlechten Entwickelns der Sommerkulturen wird sich in Zukunft wetterunabhängig allein durch das Verbot der Rauen Pflugfurche und einem zwingend vorgeschriebenen Zwischenfruchtanbau in den Lagen mit schwereren Böden etablieren und daran trägt einzig und allein dann aber die Politik die Schuld.

Wie ist die Lage im Kulmbacher Land bezüglich der Trockenheit, gibt es hier Gebiete, die mehr betroffen sind als andere?

Es ist eigentlich im ganzen Landkreis gleichmäßig zu trocken, denn auch wenn eine Ecke einmal Glück hatte und ein Gewitter abbekommen hat, war es zu wenig um die Trockenheit entscheidend zu beeinflussen.

Würden Sie sagen, dass das Ganze auf den Klimawandel zurückzuführen ist?

Aus meiner Sicht ist es auf den Klimawandel zurück zu führen und wir werden uns in Zukunft vermehrt auf trockene Jahre, aber auch auf gebietsweise auftretende Starkregenereignisse und zu milde Winter einstellen müssen.

Wie geht es dem Wald im Landkreis?

Dem Wald geht es genauso wie den Acker und Grünlandflächen, hier hatte man die Hoffnung das nach dem etwas feuchteren Jahr 2021 er sich erholen kann, aber die Trockenheit und vor allem der Borkenkäfer der dann bei den gestressten Bäumen ein leichtes Spiel hat, setzt dem Wald gehörig zu, was ja die immer größer werdenden Kahlflächen in unseren Wäldern zeigen.

Wie lange kann es dauern, bis sich die Böden wieder erholen?

Für den Getreide und Futteranbau reicht ein Jahr mit kontinuierlich genügend Regen um die Ertragslage wieder zu normalisieren, was ja das Jahr 2021 gezeigt hat, aber damit sich die Wasserversorgung in den Böden wieder Erholt wären einige niederschlags- und schneereiche Herbst und Winter nötig.

Fotos:
1. Mancher Landwirt es sich heuer genau überlegen, ob sich die Ernte aufgrund der hohen Energiekosten überhaupt lohnt.
2. „Werden uns vermehrt auf trockene Jahre einstellen müssen“: der neue BBV-Kreisobmann Harald Peetz aus Himmelkron.

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22.06.2022

Schwimmkurse: Mehr Anfragen als verfügbare Plätze / Interview mit Tatjana Reif vom DLRG-Ortsverband Kulmbach

Kulmbach. Zwei Jahre Corona haben, was die Schwimmfähigkeit vieler Kinder betrifft, ihre Spuren hinterlassen. Immer wieder ist zu hören, dass die Gefahr einer Nichtschwimmer-Generation droht. Hintergrund ist, dass Schwimmhallen und Freibäder lange geschlossen waren und somit auch keine Schwimmkurse abgehalten wurden. Warum die DLRG im Moment trotzdem keine Schwimmkurse anbieten kann erklärt Jugendleiterin Tatjana Reif im Gespräch:

Frau Reif, wie ist die Situation aktuell bei den Schwimmkursen?

Wir vom DLRG Ortsverband Kulmbach bieten immer nur in der Hallenbadsaison Schwimmkurse an. Grund dafür ist die Unplanbarkeit mit dem Wetter. Oftmals ist es für die Kinder zu frisch und an den warmen Tagen auch häufig zu voll, um einen sicheren Schwimmkursbetrieb abhalten zu können. Deswegen bieten wir regulär zwei Frühjahrskurse und zwei Herbstkurse mit jeweils zwölf Plätzen an. So auch in der letzten Hallenbadsaison. Insgesamt gab es aber deutlich mehr Anfragen, als verfügbare Plätze.

Gibt es noch immer Wartelisten für Anfängerschwimmkurse?

Da wir aber aufgrund der Masse an Anfragen und der Unsicherheit durch Corona nicht langfristig planen können, führen wir keine Wartelisten. Sonst wären die Kurse für mehrere Jahre ausgebucht. Uns erreichen aber beinahe täglich Anfragen für Schwimmkurse, die wir dann leider vertrösten müssen.

Gibt es überhaupt genug Schwimmlehrer?

Eine für uns große Herausforderung ist tatsächlich die ausreichende Zahl an Schwimmlehrer bereitzustellen. Da wir ein ehrenamtlicher Verein sind, können wir unsere Kurse nur anbieten, wenn genug Schwimmkurshelfer Zeit haben. Das ist dann natürlich nach der Schule und der Arbeit, somit in den Abendstunden, was aber für manche Kinder auch schon wieder zu spät ist. Leider sind viele unserer Ehrenamtlichen durch die Schule und Arbeit stark eingespannt, so dass nur wenige den Schwimmkurs einplanen können. Meist besteht das Team aus drei Schwimmlehrern, die an fast jeder Stunde dabei sind und ein paar weiteren Ehrenamtlichen, die zumindest im Notfall oder an einzelnen Terminen unterstützen können. Deswegen ist es für uns aber auch nicht möglich, noch mehr Kurse anzubieten.

Schließen Kinder eigentlich noch immer mit dem Seepferdchen ab?

Leider schaffen es bei den Schwimmkursen nicht immer alle Kinder den Kurs mit dem Seepferdchen abzuschließen. Bei den letzten vier Kursen, gab es jeweils circa drei bis vier Kinder, die das Seepferdchen nicht geschafft haben. In den letzten Jahren lag unsere Abschlussquote allerdings etwas höher, so dass es in der Regel maximal zwei Kinder pro Kurs gab, die das Seepferdchen nicht geschafft haben. Da es in dieser Hallenbadsaison einige Kinder gab, haben wir uns dazu entschlossen, für diese Kinder im April nochmal einen Intensivkurs anzubieten. Dabei haben wir in kleinen Gruppen mit den Kindern nochmal intensiv geübt und konnten dann doch noch einige Kinder mit dem Seepferdchen verabschieden.

Welche Voraussetzungen braucht man eigentlich für das Seepferdchen?

Zu den Prüfungsleistungen gehören ein Sprung vom Beckenrand mit anschließendem Schwimmen von 25 Metern in einer erkennbaren Schwimmart, das Herausholen eines Tauchrings aus schultertiefem Wasser und das Aufsagen der Baderegeln. Uns ist aber auch beim Abschluss mit dem Seepferdchen wichtig, dass die Eltern verstehen, dass dies nicht bedeutet, dass das Kind jetzt ein sicherer Schwimmer ist. Das Seepferdchen heißt nur, dass es sich 25 Meter über Wasser halten kann. Es ist also immer eine Aufsicht erforderlich und die Fähigkeiten dürfen in keinem Fall überschätzt werden. Vor allem wenn die Kinder mehrere Wochen oder sogar Monate nicht mehr geschwommen ist, muss es hier erst wieder üben und darf niemals alleine ins Wasser. Oftmals kommt es vor, dass die Kinder dann nur noch wenige Schwimmzüge schaffen und sehr unsicher sind.

Nehmen an den Kursen auch ukrainische Flüchtlingskinder teil?

Da unsere letzten regulären Kurse bereits Anfang Februar angefangen haben, hatten wir noch keine ukrainischen Flüchtlingskinder dabei, sind dafür allerdings offen. Wir haben in der Vergangenheit zum Beispiel mit einem Wohnheim für minderjährige Geflüchtete mehrfach einen Kurs für deren Jugendlichen angeboten.

Wie soll es mit den Kursen weitergehen. Gibt es Planungen über den Sommer hinaus?

Aktuell sind von uns noch keine konkreten Termine für die nächsten Kurse bekannt. Die Planungen starten normalerweise erst im Sommer. Da wir in unserem Trainerteam viele Schüler beziehungsweise auch einige Abschlussschüler haben, müssen wir in diesem Jahr etwas länger damit warten. Damit wir die neuen Termine planen können, müssen wir abwarten, bis die Schüler ihre Stundenpläne und die Auszubildenden ihre Arbeitszeiten kennen. Außerdem könnte durch Corona auch im Herbst wieder eine Beschränkung für die Schwimmkurse eingeführt werden, sodass wir vermutlich erst im späten Herbst/Winter hoffentlich mit unseren Kursen starten können.

Zur Person: Tatjana Reif ist Jugendleiterin beim DLRG-Ortsverband Kulmbach. Sie war 1999 in die DLRG eingetreten, ist Rettungsschwimmer (Silber) und Sanitäterin, hat Fachausbildungen Wasserrettungsdienst, BOS-Sprechfunker (analog und digital) und ist Fachübungsleiterin (Trainer C DOSB). Beim 24-Stunden-Schwimmen schlägt ihr Herz ganz besonders für die Kinder und die Vereinsjugend.

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01.06.2022

Schwanger? Null Promille! / Monika Cosma und Kerstin Ziegler von der KoKi-Stelle über die Gefahren von Alkohol während der Schwangerschaft

Kulmbach. Ein kleines Bier während der Schwangerschaft kann das Leben eines Kindes für immer zerstören. Darauf haben die staatlich anerkannte Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen und die Koordinierende Kinderschutzstelle des Landratsamtes Kulmbach (KoKi) vor wenigen Wochen mit einer kleinen Ausstellung im Beruflichen Schulzentrum hingewiesen. Wir sprachen im Nachgang noch einmal mit den beiden Sozialpädagoginnen Monika Cosma und Kerstin Ziegler von KoKi über ihre Präventionsarbeit und die tatsächlichen Gefahren von Alkohol in der Schwangerschaft.

Frau Cosma, Frau Ziegler, welche Aufgaben hat die Koordinierende Kinderschutzstelle, kurz KoKi, des Kulmbacher Landratsamtes?

Monika Cosma: Die Koordinierende Kinderschutzstelle KoKi ist eine präventive, niedrigschwellige und freiwillige Beratungsstelle im Landratsamt Kulmbach für Schwangere und junge Familien mit Kindern von 0 bis 3 Jahren. Die KoKi-Stellen wurden 2009 flächendeckend im Verantwortungsbereich der bayerischen Jugendämter eingerichtet und bilden eine Schnittstelle zwischen dem Gesundheitswesen und der Jugendhilfe. KoKi möchte durch Beratung und Unterstützung der Eltern und durch Vernetzung aller Stellen, die mit jungen Familien in Kontakt sind, dabei helfen, dass es Eltern und Kindern miteinander gut geht.

Kerstin Ziegler: Unsere Arbeit soll dazu beitragen, dass mögliche Belastungsfaktoren frühzeitig erkannt und damit Überforderungen vorgebeugt werden können, für Kinder und Familien ein positives Umfeld geschaffen wird und ein gesundes und liebevolles Aufwachsen möglich ist. Dazu unterstützen wir Schwangere und junge Familien bei allen Fragen zur Entwicklung, Förderung und Erziehung des Kindes unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebenssituation und versuchen passgenaue Hilfen für die jeweilige Situation bei den jeweiligen Stellen unserer Netzwerkpartner zu finden.

Wer meldet sich bei Ihnen und welche Probleme bringen die Betroffenen mit?

Monika Cosma: Bei der KoKi-Stelle melden sich Schwangere, Alleinerziehende oder Eltern mit Kindern von 0 bis 3 Jahren. Die Familien melden sich, indem sie beispielsweise den Flyer gelesen haben, durch die Homepage des Landratsamtes auf die KoKi-Stelle aufmerksam wurden, oder durch einen Netzwerkpartner vermittelt wurden. Die Betroffenen bringen die unterschiedlichsten Themen mit. Es kann sich hierbei um Fragen nach Angeboten und Leistungen für Schwangere oder junge Familien handeln oder um Fragen zur Entwicklung und Förderung des Kindes oder Unsicherheiten beim Umgang mit dem Kind, um Überforderungssituationen, die durch unterschiedliche Situationen der Eltern entstehen können, wie Krankheit oder psychische Belastung oder andere soziale Problemlagen.

Sie haben unter anderem mit einer kleinen Ausstellung zum Thema „Alkohol in der Schwangerschaft und während der Stillzeit“ informiert und aufgeklärt. Wie kam es dazu, dass sich ihre Einrichtung dieses Themas annimmt?

Kerstin Ziegler: Wir wurden von einem unserer Netzwerkpartner, der Schwangerenberatungsstelle des Gesundheitsamtes Kulmbach, die die Ausstellung im Rahmen ihrer Tätigkeiten der Gesundheitsförderung initiiert und organisiert haben, darauf angesprochen, ob wir bei der Ausstellung im Rahmen einer gemeinsamen Netzwerkarbeit mitwirken möchten. Als Präventionsstelle ist es auch eine der Kernaufgaben der KoKi-Stelle, mögliche spätere Eltern auch zu diesem Thema zu sensibilisieren und Wissen zu vermitteln. So können potentielle Eltern durch dieses Wissen über die vorgeburtlichen Grundlagen dazu beitragen, dass sich ihre Kinder von Anfang an gesund entwickeln können.

Schon ein kleines Bier kann ein ungeborenes Leben nachhaltig schädigen. Ist diese Botschaft in der Gesellschaft weitgehend angekommen oder besteht da noch sehr großer Aufklärungsbedarf?

Monika Cosma: Nachdem niemand genau weiß, wie viele Babys mit alkoholbedingten Störungen jedes Jahr in Deutschland zur Welt kommen, Schätzungen aber von 3000 bis 10000 Fällen jährlich ausgehen, besteht aus unserer Sicht weiterhin Aufklärungsbedarf.

Welche Schädigungen kann ein sogenannten „Fetale Alkoholsyndrom“ konkret bei Kindern hervorrufen oder anders ausgedrückt, welche Entwicklungsrisiken gibt es?

Kerstin Ziegler: Allgemein kann man sagen: Alkohol beeinträchtigt als Zellgift die Entwicklung und das Wachstum der Organe. Besonders die Nervenverbindungen im Gehirn sind davon betroffen. Die Schäden, die dadurch entstehen sind irreversibel und haben ganz unterschiedliche Ausprägungen von leichten bis schweren Fällen, die von Verhaltensauffälligkeiten, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, Entwicklungsverzögerungen bis hin zu schweren geistigen Beeinträchtigungen und sichtbaren körperlichen Fehlbildungen reichen können. Konkrete und tiefere Informationen zu diesem Thema können grundsätzlich die Schwangerenberatungsstellen geben.

Sind Frauen aller gesellschaftlichen Schichten betroffen oder gibt es eine Gruppe, die ihrer besonderen Aufmerksamkeit bedarf?

Monika Cosma: Es ist wichtig alle Schichten der Gesellschaft zu sensibilisieren und nicht nur die Frauen. Der Partner, Angehörige, Freunde oder Arbeitskollegen können durch Wissen über FAS die Schwangere unterstützen und motivieren, keinen Alkohol zu trinken und bei gemeinsamen Treffen ebenfalls Vorbild sein. Zudem hat auch das Trinkverhalten des Partners vorgeburtlich bereits Einfluss auf die Entwicklungschancen eines Kindes, da sich durch den Alkohol die Qualität der Samen verschlechtert.

Beim Rauchen scheint die Botschaft angekommen „Keine Zigaretten während der Schwangerschaft“, warum ist das bei Alkohol schwieriger zu vermitteln?

Kerstin Ziegler: Wir sehen es nicht so, dass die Botschaft bei Alkohol schwieriger zu vermitteln ist. Einer Raucherin, die von Nikotin abhängig ist, fällt es möglicherweise in der Schwangerschaft schwerer auf Nikotin zu verzichten als einer Frau, die vor der Schwangerschaft gelegentlich Alkohol konsumiert hat, weder psychisch noch körperlich jedoch von Alkohol abhängig ist, und dann in der Schwangerschaft gänzlich auf Alkohol verzichtet.

Frage zum Schluss: Dürfen Schwangere alkoholfreies Bier trinken?

Monika Cosma: Auch vermeintlich alkoholfreies Bier kann, je nach Hersteller, noch geringe Mengen Alkohol enthalten, da dem alkoholfreien Bier der Alkohol nachträglich entzogen wurde. Hier gilt es entsprechend sehr genau auf die Etikettangaben zu achten und im Zweifel lieber ganz darauf zu verzichten. Eben: „Schwanger? Null Promille!“

Bild: Die beiden Sozialpädagoginnen Kerstin Ziegler (links) und Monika Cosma von der Koordinierenden Kinderschutzstelle des Landratsamtes Kulmbach (KoKi) informieren zusammen mit der staatlich anerkannte Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen über Gefahren des Alkohols während der Schwangerschaft.

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04.04.2022

„Fleisch, Milch oder Käse müssten deutlich teurer sein“ / Interview mit Dr. Daniela Dirnberger von der Regionalwert AG

Kulmbach. Die Verantwortlichen haben sich große Ziele gesetzt: 2019 gegründet, will die Regionalwert AG Oberfranken auch in den Regionen Bayreuth und Kulmbach das ihrer Meinung nach bestehende agrarindustrielle Lebensmittelsystem verändern. Dies soll dadurch geschehen, dass mit Bürgerkapital in Bio-Ernährungs-Projekte mit kurzen Lieferketten aus der Region für die Region investiert wird. Wir sprachen darüber mit Dr. Daniela Dirnberger, Aufsichtsratsvorsitzende der Regionalwert AG:

Frau Dr. Dirnberger, was ist die konkrete Idee hinter dem Projekt Regionalwert AG?

Die Idee hinter dem Konzept der Regionalwert AGs ist es, Verbraucher und Produzenten in einer Region wieder näher zusammenzubringen, und dabei Ökologie, Ernährungssouveränität in der Region, und faire Arbeitsbedingungen zu fördern. Eine Regionalwert AG gibt Bürger-Aktien aus und investiert das Geld in regionale Betriebe: Bauernhöfe, Lebensmittelverarbeitung, Handel und Gastronomie. Die Betriebe verpflichten sich zur Einhaltung sozialer und ökologischer Standards und zur vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Glauben Sie wirklich, dass Erzeuger, Verarbeiter, Händler, Verbraucher oder Gastwirte umdenken?

Ja natürlich. Es hat bereits ein großes Umdenken stattgefunden - in der ganzen Kette, die Sie genannt haben. Es fehlt aber noch an leistungsfähigen Strukturen und an Vernetzung, beispielsweise durch gemeinsame Vermarktung oder faire, ökologische fokussierte Großhändler. Wir wollen an den Stellen mithelfen, wo ein Vorhaben am fehlenden Geld scheitern sollte. Aber nicht nur wir regional, auch die große Politik hat das erkannt:  Farm to fork, also vom Acker auf den Teller, ist nicht nur unser Schlagwort, sondern auch das Schlagwort des von der EU angestrebten Green New Deal.

Ist der Zeitpunkt für ein solches Vorhaben nicht gerade schlecht gewählt? Die Preise explodieren nicht nur für Energie, auch sämtliche Discounter setzen gerade Preiserhöhungen um, die Inflation ist auf einem Höchststand.

Ich möchte hier mit einem chinesischen Sprichwort antworten: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Der nächstbeste Zeitpunkt ist jetzt. Die wahren Preise für unsere Lebensmittel sind schon lange sehr viel höher. Indem wir die echten Kosten für den Raubbau an Umwelt, Arbeitskräften und am Klima nicht einpreisen, überlassen wir die Zeche kommenden Generationen, oder Menschen in anderen Ländern. Diese wahren Kosten der Lebensmittel hat übrigens ein Forscherteam vom Materials Ressource Management der Augsburger Uni ausgerechnet. Vor allem tierische Produkte, also Fleisch, Milch oder Käse, müssten deutlich teurer sein.

Setzen aber auch nicht gerade die Discounter gerade immer mehr auf artgerechte Tierhaltung und ressourcenschonende Erzeugung?

Wir befürworten jeden Schritt, der diese Richtung geht. Einige Discounter sind der Politik schon voraus. Leider ist in der Praxis nicht immer transparent, was echter Fortschritt ist, und wo es sich um Greenwashing handelt. Auch wenn man sich objektive Informationen dazu besorgen kann, zum Beispiel über Organisationen wie Foodwatch: Besonders transparent ist natürlich, wenn sich in der Region Verbraucher und Produzenten sozusagen kennen.  Das wird geleistet durch neue Marktstrukturen, wie sie bei den Marktschwärmereien und SoLaWis schon ansatzweise zu erkennen sind.

Wo liegt der Unterschied zur sogenannten Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi)?

Eine SoLaWi ist eine ganz konkrete Gemeinschaft aus Erzeugern und Verbrauchern, bei der mehrere private Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs tragen. Im Gegenzug erhalten sie dessen Ernteertrag. Es besteht hier also eine sehr konkrete und enge Verbindung. Eine Regionalwert AG ist eine Bürger-Aktiengesellschaft, die mit dem Kapital der Bürger in Betriebe investiert, die Interesse haben ein Teil des Regionalwert-Netzwerks zu sein und die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Beispielsweise bei einer außerfamiliären Hofübernahme, wo aufgrund fehlenden Eigenkapitals ein normaler Kredit bei einer Bank nicht gewährt wird. Die Aktionäre einer Regionalwert AG werden einmal jährlich zu einer Hauptversammlung eingeladen, und es wird gelegentlich Angebot zu Treffen zur offenen Diskussion geben. Man hat aber auch die Möglichkeit, ein ganz passiver Aktionär zu sein; es besteht keinerlei Verpflichtung zur Teilnahme.

Gibt es es schon Erfahrungen mit der Regionalwert AG in anderen Regionen?

Es gibt bereits ein ganzes Netzwerk an Regionalwert AGs – im ganzen 8 Stück. Insgesamt haben diese acht Regionalwert AGs über 14 Millionen Grundkapital, über 4000 Aktionäre und über 1800 Beschäftige in allen Partnerbetrieben. Obwohl die Regionalwert AGs sich durch Teilung von Wissen und bei der Verbreitung der Idee unterstützen, ist jede ein eigenständiges Unternehmen.

Und was ist mit den klassischen Anbauverbänden, wie Bioland, Demeter oder Naturland? Spielen sie in Ihrem Konzept eine Rolle?

Eine sehr wichtige. Wir sehen die Anbauverbände als unsere wichtigsten Verbündete zur Erreichung unserer Ziele. Potentielle Partnerbetriebe sind idealerweise durch einen dieser Bio-Anbauverbände zertifiziert, unser Mindestkriterium ist aber das EG Bio Zertifikat, beziehungsweise die Umstellung darauf.

Haben wir wirklich ein, wie sie sagen, agrarindustrielles Lebensmittelsystem? Immerhin ist die Landwirtschaft gerade in Bayern so kleinstrukturiert, wie sonst nirgends. Was ist mit den bäuerlichen Familienbetrieben?

Bayern steht vielleicht noch einigermaßen gut da. Aber die Richtung, die ja allgemein mit dem Schlagwort „Strukturwandel“ ausgedrückt wird, ist genauso fatal wie anderswo. Durch das Prinzip wachse oder weiche gingen unzählige Bauerhöfe verloren. Aber: Durch die noch bestehenden vielen Familienbetriebe haben wir gerade in Bayern bessere Chancen das Ruder herumzureißen um möglichst viele von ihnen zu erhalten, sie auch dabei zu unterstützen noch fairer und ökologischer zu wirtschaften, und mit Methoden wie der Regionalwert-Leistungsrechnung den Mehrwert, den Landwirte für die Gesellschaft erarbeiten, messbar zu machen. Diese Methode ist übrigens auch für konventionell wirtschaftende Betriebe anwendbar.

Wie viele Menschen bringen sich bisher mit Kapital ein und wie viel Kapital ist da schon zusammengekommen?

Wir in Oberfranken sind die jüngste und kleinste der oben erwähnten acht Regionalwert AGs in Deutschland. Wir verfügen derzeit über gut 100.000 EUR Grundkapital, das auch schon in Projekte investiert ist. Zu den 36 Aktionärinnen und Aktionären die wir bisher haben, sind im Rahmen der laufenden Kapitalerhöhung schon 16 dazugekommen – und es dürfen gerne noch mehr werden.!

Wie werben Sie für Ihre Ideen?

Wir haben selbstverständlich eine Homepage, www.regionalwert-oberfranken.de. Darüber hinaus versuchen wir, durch persönliche Kontakte die Idee zu verbreiten und zu erklären. Gerne stellen wir die Idee und unsere Arbeit auch im Rahmen eines Vortrags vor, Interessenten können sich unter info@regionalwert-oberfranken.de melden.

Zur Person:
Daniela Dirnberger, geboren 1983, ist in Niederbayern aufgewachsen. Nach dem Studium in Maschinenbau/Kraftwerkstechnik folgte eine Promotion im Bereich Energieerzeugung mit Photovoltaik-Modulen am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg im Breisgau. Als Teamleiterin bei TenneT, wo sie seit 2015 tätig ist, ist es ihre Aufgabe Strukturen zu schaffen, Probleme verschiedenster Art zu lösen und Menschen zueinander zu bringen. Diese Fähigkeiten setzt sie auch als Aufsichtsrätin bei der Regionalwert AG Oberfranken ein.

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24.03.2022

Mehr als Werfen, Springen und Laufen / Sportunterricht in Zeiten der Pandemie: Zwei Jahre sind nicht spurlos an Kindern und Jugendlichen vorübergegangen

Kulmbach. Der Sportunterricht steht während der Corona-Pandemie vor massiven Herausforderungen. Wir sprachen mit Michael Kornell vom Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach über seine Erfahrungen und warum der Schulsport gerade jetzt unverzichtbar ist. Michael Kornell ist Fachschaftsleiter Sport am MGF:

Herr Kornell, wie ist der Stand der Dinge aktuell in Sachen Sportunterricht?

Nach wochenlanger Maskenpflicht ist der Unterricht jetzt wieder ohne Maske möglich. Das bedeutet eine große Erleichterung für die Schülerinnen und Schüler, was man ihnen auch deutlich anmerkt, viele Kinder erlebe ich als besonders gelöst. Grundsätzlich ist sogar alles möglich, bevorzugt soll allerdings ins Freie gegangen werden. Die Witterung lässt dies aktuell ja auch größtenteils zu und mit unseren Außenanlagen haben wir ja auch gute Optionen. Einrichtungen wie Soccercourt, Boulderwand, Tischtennisplatten, Tischkicker und Hartplatz stehen den Kindern außerdem auch ganztägig in den Pausen oder für die Ganztagsschule uneingeschränkt zur Verfügung.

Was waren für Sie die größten Herausforderungen während der zurückliegenden Monate?

Bezüglich des Sportunterrichts waren es die Versuche, unter den gegebenen Vorgaben den Kindern normalen Sportunterricht mit viel Bewegungszeit zu bieten. Sportunterricht soll ja auch ein Ausgleich zum Klassenzimmerunterricht sein. Eine große Herausforderung war es, den organisatorischen Aufwand zu meistern, beispielsweise Zulassungsbeschränkungen im Schwimmbad.

Wo geht der Sportunterricht hin? Hat sich bereits irgendetwas grundlegend verändert oder wird sich noch etwas verändern?

Die Politik betont immer wieder die Bedeutung des Sportunterrichts, das unterstütze ich uneingeschränkt. Der Sportunterricht mit seinen vielen Facetten ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler, mehr als Werfen Springen und Laufen. Soziales Lernen, Gesundheit, Fairness, Kooperation, Ausgleich, Bewegung sind so in keinem anderen Unterrichtsfach zu finden. Der Sportunterricht sollte wieder mehr an Bedeutung gewinnen, warum nicht, wie jedes andere Fach, auch als Vorrückungsfach? Denkbar wäre auch die Implementierung täglicher Sporteinheiten über Pflichtunterricht, Wahlunterricht oder Neigungsgruppen. Es heißt ja nicht umsonst: mens sana in corpore sano (in einem gesunden Körper steckt ein gesunder Geist).

Gibt es Auswirkungen zum Beispiel auf die Gesundheit der Schüler (Übergewicht?), oder auf den organsierten Sport, bleibt der Nachwuchs in Vereinen aus?

Übergewicht und Bewegungsmangel sind durchaus allgemein zu sehen, hier sind zwei Jahre definitiv nicht spurlos an vielen Kindern vorbei gegangen. Zu den Vereinen kann ich nicht so viel sagen, bei dem Verein, bei dem ich Einblick habe ist es glücklicherweise nicht so. Von Bekannten, Schülern und Freunden hört man aber leider dass der Vereinssport bei den Kindern aufgrund der Pandemie deutlich gelitten hat und beispielweise Training nur selten/kaum stattgefunden hat, Wettkämpfe und Spiele noch weniger. Die Zahlen des Bayerischen Fußball Verbandes sprechen leider ähnliche Sprache. Gemeinsam mit den Vereinen muss der Schulsport hier ansetzen und wieder mehr Bewegung und die Freude daran in den Alltag integrieren.

Hat der Schulsport einen höheren Stellenwert bekommen oder wird er mittlerweile als überflüssig betrachtet?

Als Fachschaftsleiter Sport und persönlich kann der Sport nicht hoch genug bewertet werden, die positiven Aspekte wie Gesundheit, Sozialverhalten, Fairness, uns do weiter, werden durch kein anderes Fach erreicht. Hier ist aktuell keine besondere Entwicklung zu beobachten. Das schwierige Standing sieht man ja auch daran, dass Sport kein Vorrückungsfach ist.     Am MGF versuchen wir was möglich ist, holen beispielsweise die ausgefallene Wintersportwoche nach beziehungsweise organisieren Alternativen in der Region da mehrtägige Klassenfahrten ja lange untersagt waren, in diesem Jahr haben wir beispielsweise die Wintersportwoche als Tagesfahrten ins Fichtelgebirge durchgeführt und die Rückmeldungen von Seiten der Schülerinnen und Schüler und der Eltern waren ausnahmslos positiv.

Ihr Fazit nach zwei Jahren Sportunterricht in der Pandemie?

Definitv keine einfache Zeit mit Masken, Problemen des Distanzunterrichts, ausgefallenen sportlichen Klassenfahrten, Umorientierung der Kinder hin zu Mediennutzung. Hier am MGF wird aber alles versucht, um unter den gegebenen Umständen das bestmögliche Ziel zu erreichen, viel Bewegungszeit zu ermöglichen.

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25.02.2022

Mitbestimmung und mehr Mitspracherechte / Betriebsratswahlen:  Renate Guist und Michael Müller von Glen Dimplex über Einflussmöglichkeiten, Veränderungen in der Arbeitswelt, Tarifverträge und sichere Beschäftigung

Kulmbach. Anfang März beginnen in ganz Deutschland in rund 28000 Betrieben die Betriebsratswahlen. Sie finden im Abstand von vier Jahren statt und bilden eine wesentliche Grundlage der Mitbestimmung. Die positiven Effekte der Mitbestimmung sind wissenschaftlich vielfach belegt, heißt es von Seiten der Gewerkschaften. Mitbestimmte Betriebe seien nachhaltiger, wirtschaften besser und seien in Krisenphasen resistenter. Wer Beteiligung und Mitsprache im Betrieb erfährt, hat eine grundsätzlich positivere Einstellung zum demokratischen System, meinen auch Renate Guist und Michael Müller, beide sind Betriebsräte bei Glen Dimplex in Kulmbach. Wir sprachen mit beiden über die anstehenden Wahlen und die Idee der betrieblichen Mitbestimmung:

Frau Guist, welche Aufgabe hat ein Betriebsrat?

Renate Guist: Der Betriebsrat ist die Interessenvertretung der Belegschaft. Er nimmt die Themen der Kollegen und Kolleginnen auf, trägt Forderungen an die Geschäftsführung und setzt sich dafür ein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Unser Betriebsratsgremium hat 13 Mitglieder aus allen Bereichen im Betrieb.

Herr Müller, warum ist aktuelle Betriebsratswahl 2022 entscheidend für die Zukunft von Betrieben und Arbeitnehmern?

Michael Müller: Gerade jetzt sind wir wichtig, denn mit der Transformation kommen viele Veränderungen auf die Belegschaft zu. Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und technischer Fortschritt sollen Arbeit und Leben in Einklang bringen. Genau dieser Einklang gelingt mitbestimmt besser. Unser Betriebsrat achtet darauf, dass dieser Prozess sozial und ökologisch gestaltet wird. Damit dabei niemand abgehängt wird, kümmern wir uns um Ausbildungsplätze und die Weiterbildung der Mitarbeiter.

Welche Rolle spielt die Idee der betrieblichen Mitbestimmung?

Renate Guist: Mitbestimmung schafft Gerechtigkeit und stärkt den Zusammenhalt. Der Glen Dimplex Betriebsrat und die IG Metall Ostoberfranken sind ein gutes Team. Wir haben gute Rahmenbedingungen durch Tarifverträge die zum Beispiel die Arbeitszeit, das Entgelt und die Dauer des Urlaubs regeln. Durch Betriebsvereinbarungen sorgen wir dann für eine konkrete Umsetzung. Hierbei werden wir von der IG Metall unterstützt unter anderem mit Handlungshilfen und wichtigen Informationen. Unsere Betriebsratsmitglieder werden in Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsfragen qualifiziert und im Konfliktfall steht uns ein Rechtsschutz zur Seite. So sind wir durch so manche Wirtschaftskrise gekommen, dank eines Ergänzungstarifvertrags mit einer Beschäftigungssicherung. Gemeinsam gestalten wir die Zukunft und sichern Arbeitsplätze.

Michael Müller: Mitbestimmung trägt zu einer verantwortungsbewussten und weitsichtigen Unternehmensführung bei. Stärker mitbestimmte Unternehmen sind erfolgreicher und sie verfolgen häufiger eine innovations- und forschungsorientierte Strategie als Firmen mit schwacher oder ohne Mitbestimmung. Beschäftigte die Demokratie im Betrieb konkret erfahren, haben allgemein ein positiveres Demokratiebild. Wir fordern daher einen Ausbau der Mitbestimmung, um unsere Arbeit auch in Zukunft zu sichern. Wir brauchen mehr Mitspracherechte vor allem bei den strategischen Entscheidungen, um uns für gute und sichere Arbeitsplätze in einer Zeit großer Veränderungen engagieren zu können. Dafür müssen wir auch proaktiv eingreifen können und beteiligt werden, etwa wenn es um Investitionen in Standorte, um Qualifizierung oder um zukunftsfähige Produkte geht.

Wir befinden uns in einer Phase rasanter Veränderungen in der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Haben die Gewerkschaften darauf überhaupt noch Einfluss?

Michael Müller: Natürlich befinden wir uns in einer Phase rasanter Veränderungen in der Arbeitswelt durch die Transformation, den Klimawandel und die Digitalisierung. Es trifft alle Branchen gleichermaßen. Darum ist die Betriebsratswahl 2022 auch entscheidend für die Zukunft der Betriebe und uns Arbeitnehmer. Wir stehen für gute und sichere Beschäftigung. Die IG Metall mit zukunftsfähigen Tarifverträgen und der Betriebsrat mit den dazugehörenden Betriebsvereinbarungen.

Warum engagieren Sie sich persönlich als Betriebsrat, warum sind Sie Betriebsrat geworden?

Renate Guist: Unser Engagement und Motivation für gute und sichere Arbeitsplätze, hat sich seit unserem Amtsantritt 2014 nicht verändert. Nach wie vor wollen wir die Zukunft mitgestalten. Das Ziel bleibt, die Beschäftigung zu sichern und hier alle Möglichkeiten der Mitbestimmung zu nutzen.

Wer organisiert eine Betriebsratswahl und wer ist dabei wahlberechtigt?

Michael Müller: Der Betriebsrat bestellt den Wahlvorstand, der dann die Betriebsratswahl organisiert und durchführt. Mit Hilfe unseres Vertrauenskörpers der IG Metall im Betrieb werden dann Kandidaten für die BR Wahl gesucht. Alle Mitarbeiter über 16 Jahre im Betrieb sind wahlberechtigt.

Was ist, wenn der Arbeitgeber Einfluss auf die Wahl nimmt, sie behindert oder gar verbietet?

Renate Guist: Ein Betriebsrat sollte im normalen Fall mit seiner Geschäftsführung vertrauensvoll zusammenarbeiten. Einen Einfluss auf die Betriebsratswahl haben wir noch nicht erlebt. Unsere Geschäftsführung weiß schon was sie an uns hat, denn wir Betriebsräte erhöhen die Arbeitszufriedenheit.

Michael Müller: Natürlich wissen wir, dass es auch andere Beispiele gibt, was einfach unklug ist. Der Faktor Betriebsrat hat positive Auswirkungen im Unternehmen in Sachen Produktivität, Löhne und Gewinne. Mitbestimmung rechnet sich für alle.

Zur Person:

Michael Müller (56), Maschinenbauer aus Kulmbach ist seit 2014 Betriebsratsvorsitzender und Ortsvorstand der IG Metall Ostoberfranken.

Renate Guist (58), Werkzeugmacherin aus Mainleus ist seit 2014 stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und Mitglied der Tarifkommission im IG-Metall-Bezirk Bayern.

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24.02.2022

Aufschwung aktiv gestalten / Sibylla Naumann ist eine der neuen stellvertretenden Vorsitzenden des IHK-Gremiums Kulmbach

Kulmbach. Rund 48000 Mitgliedsunternehmen der IHK für Oberfranken Bayreuth waren im Rahmen der IHK-Wahl in den zurückliegenden Wochen aufgerufen, ihre Vertreter für die die regionalen IHK-Gremien zu wählen. Bei der konstituierenden Sitzung des Kulmbacher Gremiums Anfang Februar wählten die Mitglieder ihre neue Führungsspitze. Gremiumsvorsitzender ist Harry Weiß (wir berichteten), als seine Stellvertreterinnen und Stellvertreter wurden neben Sebastian Groppweis (Johann Bergmann GmbH & Co Kasendorf), Florian Naumann (Jöna Immobilien GmbH Kulmbach) und Barbara Hahn (Autotechnik Hahn Kulmbach) auch Sibylla Naumann von der Wilhelm Kneitz AG in Wirsberg gewählt. Wir sprachen mit Sibylla Naumann über ihr neues Amt:

Frau Naumann, Warum ist das Ehrenamt für die Wirtschaft so wichtig?

Das Ehrenamt ist die richtige Plattform, um sich im heimischen wirtschaftlichen Raum zu engagieren. Das Gremium versteht sich als Netzwerk aus allen Bereichen der heimischen Wirtschaft, also aus Industrie, Handel, Tourismus und Dienstleistung. Damit sind wir in Oberfranken aktiv, haben aber auch durchaus Einfluss und Wirken auf weiter entfernte Regionen.

Was möchten Sie mit Ihrem Engagement im IHK-Gremium vor Ort erreichen?

Sibylle Die Arbeit im Gremium ist ein gemeinsamer Interessens- und Meinungsaustausch. Man ist Sprachrohr für Ideen und Projekte auf wirtschaftlicher und politischer Ebene und man nimmt teil am Wirken in der Region.

Was sind für Sie die großen Herausforderungen der kommenden Wahlperiode?

Die Pandemie hinterlässt nicht nur große Spuren, sie hat uns auch alle geprägt. Sie hat uns in allen Belangen unseres Lebens verändert. Diese Herausforderungen zu meistern, die die gesamte Wirtschaft betreffen, wird eine Mammutaufgabe. Als weitere Herausforderungen sehe ich es, die regionale Attraktivität zu vertreten, den Generationswechsel in der Beschäftigung zu bewältigen sowie die Attraktivität für gewerbliche Ausbildungsberufe mitzugestalten.

Was schwebt Ihnen vor, um die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Kulmbach weiter zu erhöhen.

Kulmbach ist attraktiv. Sobald die Pandemie überwunden ist, muss der Aufschwung aktiv gestaltet werden. Maßnahmen dafür könnten unter anderem sein: die Wiederbelebung der Innenstadt durch neuen Einzelhandel, verstärkte Werbemaßnahmen, eine Verjüngung des Stadtbildes, das Wiederaufleben lassen kultureller Angebote, weitere städtische Veranstaltungen sowie verstärkte Bemühungen um Freizeit und Tourismus.

Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die neue Fakultät der Universität für Lebenswissenschaften: Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit am Standort Kulmbach für die hiesige Wirtschaft?

Generell ist die Ansiedlung eine große Chance für Kulmbach: Die Themen sind aktuell, zukunftsorientiert, treffen die Zeit und passen perfekt zu Kulmbachs Infrastruktur. Die neue Fakultät fördert die Attraktivität der Stadt und der Region, bietet Chancen für das vorherrschende Angebot und öffnet Türen für weitere Standortmöglichkeiten in den Bereichen Freizeit, Wohnungsbau, Arbeitsplätze und Standortsicherheit.

Zur Person:

Sibylla Naumann (44) ist in Kulmbach geboren und aufgewachsen. Ausbildung in Würzburg und Studium in Frankfurt. Vor knapp sieben Jahren kehrte sie in die Heimat zurück, um das Generationsunternehmen Wilhelm Kneitz AG, Textilwerke nach dem plötzlichen Tod des Vaters weiter zu führen.

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29.11.2020

Leben mit dem Kirchenjahr - Wie gestaltet die Communität das Kirchenjahr? / Schwester Susanne Aeckerle lebt seit 26 Jahren in der Communität Christusbruderschaft Selbitz

Das Kirchenjahr beginnt mit der Adventszeit, einer Zeit der Erwartung: In den Alltag bricht das Besondere hinein, die "Freude, die allem Volk widerfahren wird", wie es in der Bibel heißt. Doch das Kirchenjahr hat noch vieles mehr zu bieten. In der Communität Christusbruderschaft Selbitz strukturiert das Kirchenjahr den gesamten Tages- und Jahreslauf. Was dabei wichtig ist und welche Besonderheiten es in der Communität gibt, verrät Subpriorin Schwester Susanne Aeckerle im Interview:

Schwester Susanne, Wie holen sie das Kirchenjahr in ihr communitäres Leben, welche Rolle spielen dabei Lesungen, Lieder, Texte, Gesänge und Gebete?

Schwester Susanne: „Das Kirchenjahr strukturiert unseren gesamten Tages- und Jahreslauf. So beten wir seit über 30 Jahren eine von uns Schwestern zusammengestellte Liturgie in unseren Morgen- und Abendgebeten. Morgens gibt es eine fortlaufende, abends eine kirchenjahrbezogene Lesung. Das Kirchenjahr spielt sogar in unserer Kleidung eine Rolle. An hohen Feiertagen, Weihnachten und Epiphaniaszeit, zum Oster- und zum Pfingstfestkreis tragen wir sonntags weiß, ansonsten schwarz. Wir feiern Heiligentage, unter anderem die vier Aposteln und verschiedene evangelische Glaubenszeugen wie Dietrich Bonhoeffer und unsere Gründer Hanna und Walter Hümmer, derer wir an ihren Todestagen gedenken. In unserer Kapelle haben wir ein austauschbares Wandbild und eine Ikone, die beide das Kirchenjahr aufgreifen.“

Was ist beim Rhythmus der Tageszeiten-Gebete wichtig?

Schwester Susanne: „Abends singen wir das Magnifikat. Als Gebet einer Frau ist uns der Lobgesang der Maria ganz wichtig. Das Kirchenjahr bestimmt die Auswahl der Texte in der Liturgie. So singen wir im Abendgebet immer den Wochenpsalm, im Morgengebet einen entsprechenden Psalm, der zum Thema der Woche des Kirchenjahres passt.

Welche Rituale gibt es in der Communität für bestimmte Festzeiten? Gibt es Besonderheiten bei der Feier der Kar- und Ostertage? Wie gestalten Sie dieses Hauptritual der Christenheit?

Schwester Susanne: „Wir pflegen in unserem gesamten gottesdienstlichen Leben verschiedene Rituale. So gibt es zum Beispiel eine besondere Liturgie an den Ostertagen, ein Passah-Mahl und in der Regel auch eine Fußwaschung am Gründonnerstag, einen öffentlichen Kreuzweg und eine Andacht zur Sterbestunde Jesu am Karfreitag. Dazu läuten die Glocken, die Kerzen werden gelöscht und der Altarschmuck wird aus der Kapelle getragen, so dass nur noch der nackte Altar bleibt. Am Karsamstag gibt es ein Totengedenken für die Verstorbenen. Am Ostersonntag feiern wir die Osternacht mit einer reichhaltigen Liturgie, mit verschiedenen alttestamentarischen Lesungen, die Osterkerze wird am Osterfeuer entzündet und in die dunkle Kapelle getragen, wir geben uns gegenseitig das Osterlicht weiter und vieles andere mehr.“

Wie gestaltet sich bei Ihnen in der Communität die Adventszeit bis hin zum Dreikönigstag? Gibt es vielleicht auch hier Besonderheiten?

Schwester Susanne: „Die letzten sieben Tage vor dem Heiligen Abend, also ab 17. Dezember, singen wir die sogenannten O-Antiphone, die alttestamentarischen Anrufungen des erwarteten Christus. An jedem Tag zünden wir eine weitere Kerze unseres siebenarmigen Leuchters an. Außerdem halten wir zwischen erstem Advent und Heilig Abend jeweils ein Nachtgebet um 21 Uhr und 2 Uhr. Am Heiligen Abend selbst gibt es eine Christvesper und an den Feiertagen Gottesdienste. Wir feiern natürlich auch, indem wir uns zusammensetzen, Geschichten vortragen und Grüße anderen Gemeinschaften vorlesen.“

Und an Silvester?

Schwester Susanne: „Der Jahreswechsel spielt eine wichtige Rolle, denn da gedenken wir der Gründung unserer Gemeinschaft am 1. Januar 1949. Aus einem Kästchen ziehen wir unsere Jahresworte und tauschen uns darüber aus. Ein Strom lebendigen Wassers, Hesekiel 47, ist ein Jahreswort für 2020. Außerdem blicken wir in kleineren Gruppen auf das Jahr zurück. Gehen um unsere Häuser, beten und segnen unsere Häuser und Stadt und Land.

Stichwort Fastenzeit: Wie gehen Sie damit um?

Schwester Susanne: „In der Karwoche gibt es weder Nachtisch, noch Semmeln, selbst den Blumenschmuck fahren wir zurück. Beim Mittagessen während der Karwoche, aber auch im Advent, schweigen wir. Allerdings haben wir das Schweigen in den zurückliegenden Jahren etwas reduziert, um mehr Begegnungsmöglichkeiten zu haben. Wir gehen in einer Gebetszeit ganz bewusst mit dem Ascheritus in die Fastenzeit vor Ostern.“

Werden Gäste in die Rituale der Communität miteingebunden? Gibt es für Außenstehende überhaupt Möglichkeiten zur Teilhabe?

Schwester Susanne: „Fast alle unsere Gottesdienste sind öffentlich, wenn nicht gerade Corona herrscht. Zum Gottesdienst kommen neben uns Schwestern vor allem Gäste unseres Gästehauses, aber auch einzelne Bewohner unseres Alten- und Pflegeheims oder Gäste aus der Umgebung. Die Gäste gestalten die Festzeiten oft auch auf ihre Weise, zum Beispiel bei Wochenendseminaren, Seminaren für kirchliche Mitarbeiter. Im Gästehaus in Selbitz, aber auch in unseren anderen Gästehäusern auf dem Petersberg oder auf Hof Birkensee laden wir ein, die Festzeiten bewusst zu gestalten, bieten außerdem verschiedene Seminare an oder gestalten Klausurtage für Kirchenvorstände. Daneben gibt es auch die Möglichkeit als Einzelgast zu uns zu kommen, unter anderem im Rahmen von Kloster auf Zeit mit zu leben und mit zu arbeiten oder verschiedene andere Formen.“

Wie geht ihrer Meinung die Gesellschaft mit dem Kirchenjahr um, zum Beispiel mit der Vorbereitung auf die großen Feste? Was hat sich verändert? Sehen Sie Anlass zur Kritik?

Schwester Susanne: „Kritik möchte ich nicht üben, ich möchte vielmehr dafür werben, den Schatz des Kirchenjahres zu entdecken. Das Kirchenjahr greift Menschheitsthemen von Geburt bis Tod, von Schuld und Vergebung, von Fragen der Beziehungsgestaltung zu Gott und Mitmensch auf. Es lohnt sich, diese Wahrheiten spirituell zu entdecken und zu feiern. Ich möchte einladen, die Angebote der Kirchen vor Ort oder auch im Netz neu zu entdecken.“

Birgt das Kirchenjahr weitere Schätze, die nur darauf warten, gehoben zu werden? Ich denke an Feste, die nicht in erster Linie mit dem Evangelischen verbunden werden, wie etwa Engels- oder Marienfeste?

Schwester Susanne: „Das Michaelisfest, der Tag des Erzengels Michael, alljährlich am 29. September ist so ein Fest. Ich finde es wirklich schön, den Boten Gottes mit einem eigenen Fest zu feiern. Auch die Gedenktage der Evangelisten sind wichtig. Mein eigenes geistliches Leben hat sich so entwickelt, dass Maria und die Heiligen eine ganz besondere Bedeutung haben.“

Vita Schwester Susanne:

Schwester Susanne Aeckerle kommt aus der Nähe von Stuttgart. Nach dem Abitur leistete sie ein soziales Jahr bei der evangelischen Lebensgemeinschaft Wörnerberger Anker bei Freundenstadt im Schwarzwald ab. Die gelernte Erzieherin kam dort erstmals mit der Christusbruderschaft in Kontakt. Der Berufung Gottes folgend und nach einem längeren inneren Klärungsweg trat sie dort 1994 ein. Ihre Ordensausbildung erfuhr sie in Selbitz, wo sie später unter anderem die Leitung der Küche übernommen hatte. Nach 14 Jahren wechselte sie auf Hof Birkensee, wo sie neben dem Garten auch für die die Gästearbeit zuständig war und als Prädikantin Gottesdienste hielt. 2016 kehrte sie nach Selbitz zurück, zunächst für zwei Jahre in das Gästehaus. Nach dem Leitungswechsel 2018 wurde sie zur Subpriorin berufen und übernahm außerdem die Ordensausbildung.

Die Communität Christusbruderschaft Selbitz wurde am 1. Januar 1949 durch Pfarrer Walter Hümmer (1909 – 1972) und seiner Frau Hanna (1910 – 1977) in Schwarzenbach an der Saale gegründet. Sie hat ihr Zentrum auf dem Wildenberg in Selbitz und zählt aktuell um die 100 Schwestern im Alter zwischen 33 und 95 Jahren. Das Durchschnittsalter liegt bei 63 Jahren. 60 Schwestern leben in Selbitz, die anderen in den Gästehäusern der Gemeinschaft in Hof Birkensee bei Nürnberg und auf dem Petersberg, außerdem leben sie in Stadtkonventen in Wittenberg, Leipzig, Bayreuth und München.

Das bauliche Ensemble auf dem Wildenberg in Selbitz liegt erhöht über dem Ort und umfasst drei Gebäudekomplexe: das Ordenshaus, das Gästehaus sowie das Walter-Hümmer-Haus, ein Alten- und Pflegeheim der Communität.

Internet: christusbruderschaft.de

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18.09.2020

Die neuen Oberbürgermeister der bayerischen Großstädte: Thomas Ebersberger (CSU) aus Bayreuth

Thomas Ebersberger ist seit 1. Mai neuer Oberbürgermeister in Bayreuth. Er löste die bisherige Amtsinhaberin Brigitte Merk-Erbe von der Bayreuther Gemeinschaft ab, die nur eine Amtsperiode an der Spitze der Wagner-Stadt stand, und gegen die er sich bei den Kommunalwahlen im März in einer Stichwahlen durchsetzen konnte.

Herr Ebersberger, zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es gleich eine echte Hiobsbotschaft: Zum allerersten Mal seit 1951 wurden die Richard-Wagner-Festspiele aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Wie konnte das die Stadt bislang bewältigen?

Ein Sommer in Bayreuth ohne Festspiele ist nicht nur für Kulturliebhaber eine herbe Enttäuschung. Für die Hotellerie, Gastronomie und den Einzelhandel ist dies mit einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden verbunden. Um diesen ein Stück weit abzufedern, haben wir unter dem Titel „Bayreuth summertime“ ein sommerliches Kulturprogramm aufgelegt, das trotz Corona einen Besuch in unserer Stadt für Kulturfreunde und Städtereisende zum Erlebnis machte. Die Resonanz hierauf war sehr erfreulich. Dennoch hoffen wir natürlich alle auf eine wieder normale Festspielzeit in Bayreuth im kommenden Jahr.

Wie heftig prägt Corona ihren Alltag als Oberbürgermeister?

Die Auswirkungen der Pandemie sind allgegenwärtig. Der wirtschaftliche Schaden, den Corona verursacht hat, ist enorm. Er wird uns mittel- und langfristig massiv belasten. Die Stadt versucht hier zu helfen, wo es geht. Darüber hinaus hat die Pandemie aber auch viele Arbeitsabläufe innerhalb der Stadtverwaltung und im Kontakt mit den Bürgern, anderen Behörden und Ministerien verändert.

Viele bayerische Städte werden aufgrund von Corona gezwungen sein, irgendwo den Rotstift anzusetzen. Wird es da auch Bayreuth treffen?

Unser Problem ist, dass wir momentan noch als relativ gut situiert unter den Städten gelten, weil wir Hauptgewerbesteuerzahler haben, die nicht massiv von Corona betroffen sind. Deren Steuereinkommen hat dafür gesorgt, dass wir besser dastehen als andere Städte und in der Folge in den nächsten Jahren auch weniger Zuschüsse bekommen werden. Wir werden die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die städtischen Finanzen also erst in den nächsten zwei, drei Jahren spüren – dann aber umso massiver, da wir hohe Investitionen vor uns haben, die zum Teil erst starten. Wenn die finanziellen Spielräume enger werden, ist die Kommunalpolitik natürlich gefordert verstärkt Prioritäten zu setzen.

Sie haben den neuen Zweiten und Dritten Bürgermeister Andreas Zippel (SPD) und Stefan Schuh (Junges Bayreuth) sehr viel stärker in die Arbeit eingebunden, als das bei ihren Vorgängern der Fall war. Können Sie das kurz näher erläutern?

Es war mir wichtig, im Stadtrat für ein neues Klima des kommunalpolitischen Miteinanders zu sorgen und damit den konfrontativen Stil der vergangenen Jahre zu beenden. Da hat sich vieles inzwischen zum Besseren entwickelt. Dadurch, dass die beiden Bürgermeister mit konkreten Zuständigkeiten und Themenfeldern enger eingebunden sind, verbessert sich auch die Kommunikation in die Fraktionen hinein. Außerdem lege ich Wert darauf, dass wir als Team Bayreuth voranbringen. Dabei ist jede gute Idee willkommen.

In Sachen Klinikum Bayreuth haben Sie sich von Anfang an für einen Neubau anstatt einer langwierigen Sanierung bei laufendem Betrieb ausgesprochen. Wie realistisch schätzen Sie die Chancen dafür ein und wie lange würde so ein Neubau dauern, bis er denn bezugsfertig ist?

Ein Neubau des Klinikums statt der bislang geplanten abschnittsweisen Sanierung wird fraglos viel Überzeugungsarbeit erforderlich machen. Das gilt für die Gespräche mit der Staatsregierung ebenso wie für die Gespräche zwischen Stadt und Landkreis als Träger des Klinikums. Ich bin aber unverändert davon überzeugt, dass ein prozessoptimiertes neues Gebäude, angepasst an moderne Raumkonzepte und für Hightech-Anforderungen fortschrittlicher Medizin schneller fertiggestellt wäre und die Baukosten kalkulierbarer wären, wie bei einem Sanierungsprogramm, das sich über viele Jahre erstreckt.

Ein weiteres wichtiges Großprojekt ist der Umbau der bisherigen Stadthalle zum künftigen Friedrichsforum. Die Kosten dafür werden mittlerweile auf 85 Millionen Euro beziffert. Was kostet da so viel und wann wird die Eröffnung sein?

Wir sind derzeit mit Blick auf den bisherigen Zeitplan für die Fertigstellung ein halbes Jahr im Verzug. Das Friedrichsforum wird also nicht vor 2023 in Betrieb gehen können. Dass es finanziell zum Fass ohne Boden wird, glaube ich nicht. Bei einem historischen Gebäude wie die Stadthalle ist man bei der Sanierung vor unangenehmen Überraschungen aber nicht sicher. Die Bausubstanz hat sich in vielen Fällen als wesentlich schlechter dargestellt, als ursprünglich gedacht. Wir haben in manchen Gewerken auch die Situation, dass neu ausgeschrieben werden muss, weil die Handwerker aufgrund der Verzögerungen die Aufträge zurückgegeben haben. Wenn das Friedrichsforum aber fertiggestellt sein wird, verfügt die Kulturstadt Bayreuth über ein Veranstaltungszentrum, das für die Region neue Maßstäbe setzt.

Welche weiteren Projekte gibt es für die kommenden Jahre?

Wir haben vor allem im Bereich der Schulen einen erheblichen Investitionsstau abzuarbeiten. Die Stadt wird hier in den kommenden Jahren finanziell auf das Äußerste gefordert sein. Da sind wir aktuell bei über 200 Millionen Euro. Ein weiteres wichtiges Projekt für die wirtschaftliche Substanz und Zukunftsfähigkeit Bayreuths wird der Bau eines Regionalen Innovations- und Gründerzentrums sein.

Auch im Landkreis gab es einen Wechsel an der Spitze. Hier löste Florian Wiedemann (Freie Wähler) den bisherigen Amtsinhaber Hermann Hübner (CSU) ab. Ergeben sich daraus neue Ansätze für die Zusammenarbeit mit dem Landkreis?

Stadt und Landkreis Bayreuth arbeiten seit vielen Jahren eng und vertrauensvoll zusammen, sei es als Träger des Klinikums, sei es im Rahmen des Regionalmanagements, sei es im Bereich der Wirtschaftsförderung. Florian Wiedemann und ich können von daher auf ein eingespieltes Miteinander zurückgreifen. In Stadt und Landkreis ist es völlig unstrittig, dass wir uns als Region nur gemeinsam erfolgreich weiterentwickeln können. Daran wollen wir beide weiterarbeiten.

Vielleicht noch ein paar Sätze über den privaten Thomas Ebersberger. Was machen Sie, wenn mal Zeit fürs Private bleibt?

Das Amt lässt da nicht allzu viel zu. Wenn mal Zeit für private Aktivitäten bleibt, gehe ich gerne raus in die Natur, auch mit meinem Hund. Und das Motorrad will schließlich auch ab und zu bewegt werden.

Zur Person: Thomas Ebersberger (63) ist seit fast 36 Jahren in der Kommunalpolitik aktiv, zuletzt war er 18 Jahre lang war Zweiter Bürgermeister von Bayreuth. Zuvor war er bereits sechs Jahre lang Fraktionsvorsitzender der CSU im Stadtrat, dem er seit 1984 mit einer Unterbrechung angehörte. Bayreuth ist von Geburt an sein Lebensmittelpunkt. Beruflich war Thomas Ebersberger bis zum April als selbstständiger Rechtsanwalt, Wirtschaftsjurist und Fachanwalt für Familienrecht tätig. Er ist Vater von drei Söhnen.

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19.07.2020

»Kirche bleibt lebendig« / Lucia Herold aus Michelau bei Lichtenfels ist das jüngste Mitglied der neuen Landessynode

Weiblicher und jünger ist die Zusammensetzung der Landessynode geworden. Jüngstes Mitglied ist die Studentin Lucia Herold (23) aus Michelau bei Lichtenfels im Kirchenkreis Bayreuth. Die konstituierende Sitzung im März musste wegen der Corona-Pandemie ausfallen. Sie wird voraussichtlich noch dieses Jahr stattfinden. Wir sprachen trotzdem schon einmal mit Lucia Herold.

Warum engagieren Sie sich in der Landessynode?

Unsere Kirche in den kommenden Jahren zu gestalten und die Dekanate Michelau und Kronach-Ludwigsstadt zu vertreten, empfinde ich als tolle Aufgabe. Selbstverständlich möchte ich so auch zeigen, dass es Engagement über alle Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg braucht.

Sicher können Sie bereits Erfahrungen aus bisherigen ehrenamtlichen Tätigkeiten schöpfen?

In der Tat, seit sechs Jahren bin ich Mitglied der Dekanatsjugendkammer Michelau - vier Jahre davon Vorsitzende der Kammer und für die Jugend Mitglied der Dekanatssynode. Neben dieser Gremienarbeit engagiere ich mich in der Jugendarbeit, der Kirchenmusik und der Partnerschaftsarbeit. Ich sage oft mit einem Schmunzeln, dass ich wahrscheinlich die Hälfte meines Lebens in der Kirche und unserem Gemeindehaus verbracht habe.

Welche Themen liegen Ihnen in den kommenden sechs Jahren besonders am Herzen?

Dass in den vielen anstehenden Prozessen die einzelnen Bereiche unserer bunten Kirche nicht gegeneinander ausgespielt werden und Dekanate und Gemeinden nach dieser Periode zuversichtlich nach vorne sehen können, ist mir wichtig. Besonders am Herzen liegt mir außerdem, die verschiedenen Generationen in die kirchliche Arbeit einzubinden und die Menschen auf unterschiedlichste Weise von der Botschaft Gottes zu begeistern.

Sie sind die jüngste Landessynodalin der  neuen Amtsperiode. Welchen Vorteil könnte das haben, gibt es vielleicht auch einen Nachteil, oder glauben Sie, dass das Alter völlig zweitrangig ist?

Ein Vorteil ist für mich, dass ich dank meines Alters und meiner Art mit vielen Leuten etwas lockerer reden und umgehen kann als andere es tun würden. Zudem bringen meine jungen Konsynodalinnen und Konsynodalen und ich zahlreiche Blickwinkel mit, die völlig anders geprägt sind als die der restlichen Landessynode, wodurch diese noch vielfältiger wird. Natürlich erlebe ich auch mal, dass z.B. auf mein Können oder meine Entschlossenheit aufgrund meines Alters anders eingegangen wird - unabhängig ob gewollt oder ungewollt. Da hilft es am besten, geduldig zu sein, zu lächeln und ab und an einen passenden kessen Spruch parat zu haben.

Die Landessynode ist bei den zurückliegenden Wahlen ja nicht nur jünger, sondern auch weiblicher geworden. Welche Erwartungen verknüpfen Sie damit?

Nach diesem sehr zu begrüßenden Ergebnis erwarte ich, dass wir in der Kirche und außerhalb weiter zu dem Ziel beitragen, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter endlich selbsverständlich wird.

Welche Veränderungen stehen in der Landeskirche in den kommenden Jahren aus Ihrer Sicht an?

Man hört oft von den zahlenmäßigen Veränderungen: weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, sinkende Mitgliederzahlen, Landesstellenplanung usw. Alle diese Entwicklungen fordern uns heraus, zu fragen, wer wir als Kirche denn noch sind. Diese Frage zuzulassen und zu beantworten, wird meiner Ansicht nach die eigentliche Veränderung sein.

Wie stellen Sie sich die Kirche der Zukunft vor?

Die Kirche der Zukunft bleibt am Leben. Sie wird nicht müde, sondern bleibt lebendig. Gleichzeitig bleibt sie am Leben, nah am Leben der Menschen.

Ihr Rezept gegen Kirchenaustritte:

Authentisch sein. Wir sollten keine halben Sachen machen und uns auf das konzentrieren, was uns ausmacht: der Dienst am Nächsten und unseren Glauben leben. Die Kirche ist mit ihren Einrichtungen und ihren Werten immer noch wichtig für unsere Gesellschaft und das müssen wir auch vermitteln. Wovon ich vor allem überzeugt bin, ist, dass die Kirche den vielen "entwurzelten" Menschen unserer Zeit ein Zuhause bieten und werden kann.

Zur Person:

23 Jahre jung. Aufgewachsen bin ich von Geburt an in Michelau i.Ofr. Nach dem Abitur am Meranier-Gymnasium Lichtenfels im Jahr 2015 arbeitete ich als FSJlerin für ein Jahr bei Mission Eine Welt in Neuendettelsau mit. Von 2016 bis 2019 studierte ich Sozialökonomik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und erhielt im letzten Jahr meinen Bachelorabschluss. Zur Zeit absolviere ich ein Praktikum bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Eschborn, bevor es noch in diesem Jahr mit einem Masterstudium im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich weitergeht.

Bild: Die Menschen von der Botschaft Gottes begeistern möchte Lisa Herold, mit 23 Jahren jüngstes Mitglieder der neugewählten Landessynode.

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13.03.2020

„Auch weiterhin die Leute zum Lachen bringen“ /
Volker Heißmann über Corona, Besuchsverbote und Plastik-Fasten

Bayreuth. Der Fürther Komödiant, Schauspieler, Sänger und Direktor der dortigen Komödie. Volker Heißmann, war diesmal beim Bayreuther Fastenessen zu Gast. Die Veranstaltung wurde von der Corona-Krise überschattet. Wir sprachen darüber mit Volker Heißmann:

Herr Heißmann, hat die Komödie in unsicheren Zeiten wie diesen noch einen Platz?

Volker Heißmann: Lachen stärkt ja das Immunsystem und wir brauchen momentan ein sehr gutes Immunsystem, damit wir dieses Corona-Virus, wenn wir es bekommen, gleich wieder niederschlagen und ausmerzen können. Deswegen glaube ich, ist in diesen schwierigen Zeiten gerade das Lachen sehr, sehr wichtig. Wir dürfen trotz all dem Kummer und Schmerz, den wir jetzt erfahren, während der nächsten Tage und Wochen nicht vergessen, dass wir auch noch leben. Leben ist etwas Schönes und deswegen darf ich auch weiterhin die Leute zum Lachen bringen.

Sie sind bekannt als eine Hälfte des schrillen Witwenduos Waltraud und Mariechen. Wie würden die beiden mit dem Besuchsverbot in Altenheimen umgehen?

Volker Heißmann: Die wären natürlich sehr froh, weil die ganzen Gesichter wegbleiben, die da jede Woche kommen und bloß schauen, ob sie noch einigermaßen leben oder ob das Erbe schon langsam näher kommt. Das ist natürlich überspitzt gesagt. Ich glaube, für manche ist das schon eine schwierige Zeit, aber die alten Menschen mit 80, 90 oder gar 100 Jahren haben schon so viele schwere Zeiten überlebt. Da muss man vier Wochen lang halt ganz einfach mal akzeptieren, dass man alleine bleiben muss, aber dafür auch gesund bleibt.

Was rät der echte Volker Heißmann – als Privatmann und/oder evangelischer Christ?

Volker Heißmann: Nicht den Kopf in den Sand stecken, nicht Panik, Panik, Panik von allen Seiten, nicht jeden Tag wird es noch schlimmer und noch schlimmer. Wir müssen das auf uns zukommen lassen. Wir müssen halt schauen, dass wir uns gesund halten, dass wir Menschenansammlungen meiden und dass wir auf Liebkosungen verzichten, dann kriegen wir das schon rum. Und bei dem einen oder anderen, der vielleicht daran erkrankt, hoffe ich, dass das Immunsystem stark genug ist, um das Corona-Virus zu besiegen. Unser Herr Jesus Christus wird sich sicher irgendetwas dabei gedacht haben, dass dieses Virus so auf uns einschlägt. Vielleicht besinnen wir uns wieder mehr auf uns selbst, achten den Nachbarn und die Menschen wieder mehr, die um uns herum sind, und gehen vielleicht dadurch gestärkt aus der Krise hervor.

Wir sind hier beim Fastenessen: wie halten Sie es eigentlich mit dem Fasten und der Fastenzeit?

Volker Heißmann: Ich habe mir heuer auferlegt, Plastik zu fasten. Ich habe versucht, Plastik, wo es geht, zu vermeiden und kaufe nichts, wo Plastik dabei oder drin ist. Es gibt jetzt in Fürth auch einen ersten Laden, wo man unverpackt alles kaufen kann. Das ist wirklich eine tolle Sache und da sieht man erst einmal, wie klein jetzt der Müll wird. Den gelben Sack braucht man gar nicht mehr, wenn man will, geht es auch ohne Plastik. Das ist vielleicht nicht ganz so schwer wie mein Alkohol oder beim Fleischverzicht, aber es ist auch wieder mal eine Maßnahme, um sich zu besinnen, worauf man verzichten kann.

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07.04.2019

„Jedes Jahr aufs Neue ein echtes Highlight“ / Jugendsymphonieorchester startet Ostertournee durch Oberfranken – Interview mit der jungen Hornistin Sophia Reuter

Bayreuth. Mit Konzerten in Naila, Neustadt bei Coburg und Stegaurach geht das Jugendsymphonieorchester an den Ostertagen auf eine kleine Oberfranken-Tournee. Dirigent Till Fabian Weser hat sich für den Klangkörper ein überaus anspruchsvolles Programm vorgenommen. Neben der Sinfonie Nr. 12 mit dem Beinamen „Das Jahr 1917“ von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) als Hauptwerk gibt es Alexander Borodins (1833-1887) „Eine Steppenskizze aus Mittelasien“ und das Hornkonzert Nr. 8 von Franz Strauss (1822-1905). Solistin wird die 17-jährige Sophia Reuter aus Gundelsheim bei Bamberg sein. Wir sprachen mit ihr über das Konzert, das Jugendsymphonieorchester und über ihre Pläne für die Zukunft:

Frau Reuter, Sie sind schon öfter solistisch in Erscheinung getreten. Diesmal übernehmen sie den Solopart in einem Hornkonzert von Franz Strauss. Wie ist es für Sie, an so exponierter Stelle zu musizieren?

Sophia Reuter: „Natürlich ist es für mich sehr aufregend, als Solistin mit dem Orchester zu spielen. Es ist ein ganz anderes Gefühl als im Orchester zu spielen, weil alle anderen Musiker jetzt sprichwörtlich hinter einem stehen beziehungsweise sitzen.“

Das Hornkonzert op. 8 von Franz Strauss gehört nicht gerade zum Standardrepertoire. Wie sind Sie darauf gekommen und können Sie uns etwas über diese Komposition verraten?

Sophia Reuter: „Dieses Konzert ist mein liebstes Hornkonzert. Mir gefallen daran vor allem die musikalischen Bögen, bei denen das Horn seinen schönen Klang zeigen kann. Und es ist gerade die Musikalität, die bei Franz Strauss im Vordergrund steht.“

Sie waren auch schon bei Jugend musiziert überaus erfolgreich. Welche Erfahrungen konnten Sie dabei gewinnen und welche Rolle spielen Wettbewerbe für junge Musiker und Musikerinnen?

Sophia Reuter: „Bei Wettbewerben wie Jugend musiziert fand ich es immer besonders wichtig, dass man die Vorspielsituation üben kann. Aber es ist auch immer wieder schön, die Vorträge der anderen Teilnehmer anzuhören. Außerdem ist das Feedback der Jury, die ja aus Profis besteht, immer sehr konstruktiv und man bekommt viele Anregungen, wie man sich musikalisch noch verbessern kann.“

Wo liegen ihre musikalischen Vorlieben, gibt es so etwas wie einen Lieblingskomponisten oder ein Vorbild?

Sophia Reuter: „Mein Lieblingskomponist für Horn ist tatsächlich Franz Strauss. Überhaupt spiele ich besonders gerne Stücke aus der Romantik. Mein hornistisches Vorbild ist mein Lehrer Christoph Eß.“

Ihre Pläne für die Zukunft:

Sophia Reuter: „Nachdem ich diesen Sommer meine Abitur mache, würde ich gerne ein künstlerisches Musikstudium mit dem Hauptfach Horn beginnen. Für die Aufnahmeprüfungen habe ich mich auch schon an einigen Universitäten beworben. Hornistin zu werden ist schon seit langem mein großer Traum, der sich hoffentlich in einigen Jahren erfüllen wird.“

Warum sollten Musikfreunde aus der Region unbedingt die Konzerte des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken besuchen.

Sophia Reuter: „Die Konzerte des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken sind jedes Jahr aufs Neue ein echtes Highlight. Das Spannende dabei ist, dass jedes Mal einige neue Musiker dabei sind, das Orchester also nie mehrere Jahre lang in der gleichen Besetzung spielt. Außerdem sammeln einige hier ihre ersten Erfahrungen in einem Symphonieorchester. Dafür haben wir ja auch eine ganze Woche lang Zeit, um intensiv zu proben und als Orchester zusammenzuwachsen. Dass dabei der Spaß auch nie zu kurz kommt und wie viel Freude wir junge Musiker beim Zusammenspielen haben, kann man wohl am besten in den Konzerten sehen und hören.“

Zur Person: Sophia Reuter ist 17 Jahre jung, kommt aus Gundelsheim und besucht momentan noch das E.T.A. Hoffmann-Gymnasium in Bamberg, wo sie dieses Jahr ihr Abitur machen wird.

Die Konzerte des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken unter Till Fabian Weser 2019:

20. April (Karsamstag), Frankenhalle Naila, 18 Uhr,
Vorverkauf: Tourist Information Naila, Bahnhofsplatz 1, Tel. 09282/6829

21. April (Ostersonntag), Frankenhalle Neustadt bei Coburg, 17.30 Uhr,
Vorverkauf: Coburger Tageblatt, Hindenburgstraße 3a, Tel. 09561/888-0, Neue Presse, Steinweg 51, Tel. 09561/850-170 oder kultur.werk.stadt, Bahnhofstraße 22, in Neustadt bei Coburg, Tel. 09568/81127

22 April 2014, (Ostermontag), Aurachtalhalle Stegaurach, 17.30 Uhr,
Vorverkauf: Rathaus der Gemeinde Stegaurach, Schlossplatz 1, Tel. 0951/99222-31 oder -32

Die Karten kosten im Vorverkauf 7 Euro, ermäßigt 4 Euro, Tickets gibt es für alle drei Konzerte voraussichtlich auch an der Abendkasse zum Preis von 9 Euro, ermäßigt 5 Euro. Kinder bis 14 Jahren haben freien Eintritt.

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22.02.2017

Sachlichkeit statt Populismus / Interview mit Bauernverbandsdirektor Dr. Wilhelm Böhmer

Bayreuth. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft setzt sich fort. Aktuell gibt es noch rund 10000 Bauernhöfe in Oberfranken, am meisten in den Landkreisen Bayreuth und Bamberg, am wenigsten in den Landkreisen Kronach und Wunsiedel. Gleichzeitig engagieren sich die Landwirte ungewöhnlich stark in „ihrem“ Bauernverband. Fast 1000 Ortsverbände gibt es in Oberfranken, in jedem einzelnen wurde zweimal gewählt, einmal die Ortsbäuerin, einmal der Ortsobmann. Und nahezu sämtliche Positionen konnten wieder mit ehrenamtlichen Kräften besetzt werden. Wie das möglich ist, warum das Image der Bauern leidet und was sie von Politik und Handel fordern, erläutert Dr. Wilhelm Böhmer, der Direktor des Bauernverbandes in Ober- und Unterfranken, im Interview:

Herr Dr. Böhmer, der Bauernverband hat derzeit auf Landkreisebene bayernweit seine neuen Vorstandschaften gewählt. Zuvor fanden die Wahlen in den vielen tausend Ortsverbänden statt. Wie ist das hohe ehrenamtliche Engagement für den Verband zu erklären, in Zeiten, in denen es woanders immer schwieriger wird, ehrenamtlichen Nachwuchs zu finden?

Dr. Wilhelm Böhmer: „Wir haben tatsächlich die Situation, dass es bei den aktuell knapp 1000 Ortsverbänden in Oberfranken relativ wenige Zusammenlegungen gab. Ich glaube, dass unsere Mitglieder vor Ort ihre Strukturen so lange wie irgendwie möglich aufrechterhalten wollen und sich dafür auch einsetzen. Wir stellen großes Interesse fest, selbst kleinste Ortsverbände mit 20 oder weniger Mitgliedern zu erhalten. Dies ist auch in unserem Sinne. Denn für den Berufsstand ist es wichtig, dass es vor Ort Ansprechpartner gibt, die sich kümmern, beispielsweise wenn es um Flächennutzungspläne, Bebauungspläne oder um ähnliche Fragen geht.“

„Wie rasant verläuft der Strukturwandel derzeit in Oberfranken? Wieviel Betriebe gibt es aktuell, wie viele davon werden im Haupt, beziehungsweise Nebenerwerb geführt?

Dr. Wilhelm Böhmer: „Der Strukturwandel hat sich in den zurückliegenden Jahren nicht geändert, er lag stets so bei einem bis zweieinhalb Prozent. Das hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun, aber auch mit dem technischen Fortschritt. Das ist zwar nicht schön, aber ein seit langem zu beobachtender Trend. Manchmal hängt es aber auch mit neuen Vorschriften zusammen, wenn Berufskollegen aufgeben. Bestimmte gesetzliche Maßnahmen können da einen Schub auslösen. Besonders betroffen sind davon natürlich die kleinen Strukturen, immerhin haben wir rund 6000 Nebenerwerbsbetriebe in Oberfranken.“

Früher galt der Landwirt als der Ernährer der Bevölkerung. Heute nehmen Teile der Gesellschaft den Bauern nur noch als den Umweltverschmutzer, Luftverpester oder Tierquäler wahr. Wie konnte es soweit kommen?

Dr. Wilhelm Boehmer: „Ganz besonders in der Nachkriegszeit, aber auch lange in Zeiten des Kalten Krieges spielte die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln eine große Rolle. Da war es das agrarpolitische Ziel, die Selbstversorgung zu garantieren. Heute ist die gesamte Gesellschaft global geworden. Es ist selbstverständlich, auch Lebensmittel aus dem Ausland zu beziehen. Dazu kommt, dass immer weniger Menschen ein realistisches Bild von der Landwirtschaft haben.“

Auch die eigene Zunft gerät immer wieder in die Kritik der Bauern. Was werfen sie der Presse, oder besser gesagt, Teilen der Medien konkret vor.

Dr. Wilhelm Böhmer: „Die Gesellschaft hat sich verändert. Früher wollten die Menschen in der Zeitung vor allem das lesen, was um sie herum passiert, etwa in den Vereinen. Heute sind viele Menschen komplett vernetzt, da geht es oft nur noch um Schlagzeilen. Und die liefern oft Interessensverbände aus dem Natur- und Tierschutz, die meinen, sie müssten irgendetwas aufgreifen, was nicht selten auf Kosten der Bauern, also der Tierhalter und Naturnutzer, geht. Und das findet sich dann in den Medien wieder. Diese Schlagzeilen zurechtzurücken ist für uns nicht immer einfach.“

Nennen Sie uns bitte drei Forderungen an die Politik:

Dr. Wilhelm Böhmer: „Erstens die Sicherung und den Erhalt der Land- und Forstwirtschaft, zweitens Sachlichkeit statt Populismus, drittens das Eigentum zu schützen.“

Und drei Forderungen an den Lebensmitteleinzelhandel ...:

Dr. Wilhelm Böhmer: „Da geht es um Leben und leben lassen, keinen ständigen Preisdruck bei Ein- und Verkauf sowie Schluss mit unsinnigen Zusatzforderungen wie Nachhaltigkeitserklärungen und Vorschriften, was die Produktionsbedingungen angeht.“

Machen wir weiter, drei Appelle an den Verbraucher:

Dr. Wilhelm Böhmer: „Er sollte bewusst regionale Nahrungsmittel kaufen, nicht immer nur auf den Preis sehen und in seinen Ansprüchen an die Landwirtschaft auch realistisch sein.“

Welchen konkreten Tipp geben Sie dem Verbraucher, der Landwirte vor Ort unterstützen möchte:

Dr. Wilhelm Böhmer: „Er sollte regionale einkaufen. Er sollte aber auch die Landwirtschaft vor Ort leben lassen und nicht gleich dagegen angehen, wenn sonntags mal gedroschen werden muss, wenn ein Weg mal verschmutzt ist oder eine Maschine mal etwas lauter ist.“

Zur Person:
Dr. Wilhelm Böhmer ist 57 Jahre alt. Seit 1998 ist er Direktor des Bayerischen Bauernverbandes in Oberfranken, seit 2010 gleichzeitig auch für Unterfranken. Er stammt aus einem kleinen Nebenerwerbsbetrieb im Landkreis Forchheim und arbeitet seit 1986 für den Bauernverband.

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29.12.2016

Herausragendes Angebot für junge Musiktalente aus Oberfranken / Jugendsymphonieorchester Oberfranken präsentiert „Schicksalsträume“

Bamberg. Das Jugendsymphonieorchester Oberfranken geht in diesem Jahr an den Osterfeiertagen mit Konzerten in Naila, Frohnlach und Stegaurach auf eine kleine Oberfranken-Tournee. Dirigent Till Fabian Weser verspricht ein spannendes Programm, dass er unter das Motto „Schicksalsträume“ gestellt hat. Hauptwerk ist Peter Tschaikowskys fünfte Symphonie. Wir sprachen mit Till Fabian Weser, der das Jugendsymphonieorchester seit 2013 leitet, im „Hauptberuf“ die Trompete bei den Bamberger Symponikern spielt und der seit 2005 die Sommeroper Bamberg leitet:

Herr Weser, Sie leiten das Jugendsymphonieorchester Oberfranken bereits seit 2013. Worin liegt für sie der Reiz in der Arbeit mit den jungen Leuten?

Till Fabian Weser: „Unabhängig vom Stand ihres Könnens sind junge Leute offen und bereit, neue Wege zu gehen, und Neues zu entdecken. Es ist schon ein Phänomen, dass sie Musikstücke lieb gewinnen, die sie bis dato noch nicht einmal gekannt haben. Für mich ist es auch immer wieder ein großes Erlebnis, aus dieser Menge junger Musiker einen funktionierenden Klangkörper zu schmieden.“

Erfährt das Orchester eigentlich genug Zuspruch oder könnte das Interesse seitens der jungen Musiker stärker sein?

Till Fabian Weser: „Das Interesse an jedem vergleichbaren Nachwuchsförderprojekt zwischen Garmisch und Flensburg ist natürlich immer ausbaufähig, doch ich spüre deutlich, dass der Zuspruch seit 2013 zugenommen hat. Sowohl von der Qualität als auch von der Quantität her ist das Jugendsymphonieorchester Oberfranken ein herausragendes Angebot, das der Bezirk jungen Talenten aus Oberfranken unterbreitet.“

Mit welchem Kenntnisstand kommen die jungen Leute zu den Proben?

Till Fabian Weser: „Das ist völlig unterschiedlich. Manche sind schon weiter, spielen im Landesjugendorchester und bringen eine professionelle Herangehensweise mit. Andere sind neu und kennen beispielsweise die Disziplin noch nicht, die für ein großes Orchester notwendig ist. Aber das lernen sie schnell und nehmen es auch dankbar an.“

Wie stark ist die Fluktuation im Orchester und wie gehen sie damit um?

Till Fabian Weser: „Etwa ein Drittel der jungen Musiker ist jedes Jahr neu. Vor allem im Jahr ihres Abiturs setzen viele ein Jahr aus, kommen aber danach häufig wieder. Insofern ist die Fluktuation absehbar.“

Das Motto der Konzerte lautet diesmal „Schicksalsträume“. Was können Sie zu Programm mit Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy, Carl Maria von Weber und Peter Tschaikowsky  sagen?

Till Fabian Weser: „Das Motto ist bewusst für Jugendliche ausgewählt worden, schließlich wird Tschaikowsky fünfte Symphonie auch als seine Schicksalssymphonie bezeichnet und der Sommernachtstraum hat nota bene etwas mit Träumen zu tun. Aus dem Sommernachtstraum wollen wir vier Sätze spielen und einzelnen Musikern den Part des Erzählers übertragen. Zur deutschen Romantik passt auch das Klarinettenkonzert von Weber sehr gut. Die Fünfte von Tschaikowsky habe ich selbst früher im Jugendorchester gespielt. Sie wird in vielen Jugendorchestern sehr gerne ins Programm genommen. Insgesamt ist das Programm technisch nicht ganz so anspruchsvoll wie in den Jahren zuvor, jedoch sehr wirkungsvoll.“

Was können sie über Jonathan Weimer verraten, der das Solo im Klarinettenkonzert von Carl Maria von Weber spielen wird?
Till Fabian Weser: „Er gehört dem Jugendsymphonieorchester bereits seit 2013 an, ist erfolgreicher Preisträger bei Jugend musiziert und spielt im Bayerischen Landesjugendorchester. Er kommt aus Bamberg und ist Schüler von Christoph Müller, dem Soloklarinettisten der Bamberger Symphoniker.“

Frohnlach im Landkreis Coburg ist als Spielort neu, wie kam es dazu?

Till Fabian Weser: „Das war ein Wunsch des Landkreises Coburg, nachdem wir 2015 schon einmal in Bad Rodach gespielt haben. Es ist auch eine wichtige Aufgabe des Jugendsymphonieorchesters, im ländlichen Raum aufzutreten, dort, wo es sonst keine Symphoniekonzerte gibt.“

Welche Wünsche haben Sie für das JSO?

Till Fabian Weser: „Natürlich ist es wichtig für die jungen Musiker, dass neben den Konzerten, die wir in den Landkreisen geben, auch Konzerte in den großen oberfränkischen Konzerthallenstattfinden können. Das wäre selbstredend ein großer Motivationsschub. Zuletzt haben wir 2014 beim Jubiläum im Festsaal der Hofer Freiheitshalle gespielt. Mein persönlicher Wunsch wäre eine kleine Konzertreise ins Ausland, etwa im Abschluss an die Konzerte in Oberfranken.“

Warum sollten alle Musikfreunde aus der Region auf keinen Fall ein Konzert mit dem JSO verpassen?

Till Fabian Weser: „Weil man hier absolute, spontane Spielfreude erleben kann. Das Jugendsymphonieorchester ist auch ein wichtiges Bekenntnis des Bezirks zur Nachwuchskultur in Oberfranken, daran sollten alle Musikfreunde unbedingt teilhaben.“

Wer Interesse bekommen hat, im Orchester mitzuspielen, der findet ab sofort alle weiteren Informationen auf der Homepage des Jugendsymphonieorchesters unter www.jso-oberfranken.de. Über diese Seite ist noch bis 13. Januar eine Online-Bewerbung möglich. Weitere Information gibt es auch auf Facebook unter www.facebook.com/jugendsymphonieorchester.

Die Konzerte des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken 2017:

Ostersamstag, 15. April 2017, 18 Uhr, Frankenhalle Naila

Ostersonntag, 16. April 2017, 17.30 Uhr, Kultur- und Sporthalle Frohnlach

Ostermontag, 17. April 2017, 17.30 Uhr, Aurachtalhalle Stegaurach

Bild: Der Dirigent Till Fabian Weser leitet das Jugendsymphonieorchester Oberfranken seit 2013.

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14.06.2016

Vom Dinosaurier zum Problemlöser der Zukunft / Gewerkschaft IG Metall wird 125 – Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen standen zu allen Zeiten im Mittelpunkt

Münchberg/Coburg. Die IG Metall feiert in diesen Tagen ihren 125. Geburtstag. Wir sprachen im Vorfeld mit den beiden 1. Bevollmächtigten Volker Seidel von der IG Metall Ostoberfranken und Jürgen Apfel von der IG Metall in Coburg über Veränderungen in der Gewerkschaftsarbeit, über den zurückliegenden Tarifabschluss und über die Entwicklung der Mitglieder:

Herr Seidel, Herr Apfel, wie hat sich die gewerkschaftliche Arbeit in dem Zeitraum, den Sie überblicken können, verändert?

Volker Seidel: „Alles ist deutlich schnelllebiger geworden, die Probleme allerdings sind die gleichen geblieben. Die Erwartungshaltung ist freilich da, über soziale Medien zu kommunizieren.“

Jürgen Apfel: „Das stimmt, wie sich Informationen und Nachrichten verbreiten, das ist alles schneller geworden. Dadurch werden auch die Ansprüche an uns Hauptamtliche größer, es wird erwartet, dass wir ständig erreichbar sind. Auch Facebook, Whatsapp und Co. kann man sich natürlich nicht mehr entziehen. Allerdings ist die direkte Kommunikation immer noch die bessere als die über die sozialen Medien. Letztlich geht es aber immer um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen“

Was ist im Umgang mit den Arbeitgebern anders geworden?

Jürgen Apfel: „Pauschal kann man das nicht beantworten, aber unser Image hat sich hin zum positiven geändert. Man hat verstanden, dass man an der IG Metall vorbei die Herausforderungen der Zukunft, Stichwort Industrialisierung 4.0, nicht bewältigen kann.“

Volker Seidel: „Es gab schon immer Arbeitgeber, mit denen wir ein gutes Miteinander haben und welche, die eher schwieriger sind. Früher sind wir allerdings oft als Dinosaurier verspottet worden, da werden wir heute schon ein Stückweit ernster genommen. Man traut der IG Metall schon zu, dass sie die Probleme der Zukunft lesen kann.“

Welche Besonderheiten gibt es in Ostoberfranken, beziehungsweise in Coburg?

Jürgen Apfel: „Unsere Region ist geprägt von Maschinenbauern und Automobilzulieferern. Einige davon sind definitiv Weltmarktführer und dort ist die Situation auch relativ stabil. Diese Unternehmen laufen gut, was für uns heißt, dort haben wir noch Potential, Mitglieder zu gewinnen. Allerdings gibt es auch immer noch zu viele Betriebe ohne Betriebsrat, auch da müssen wir daran arbeiten.“

Wie bewerten Sie den zurückliegenden Tarifabschluss, in dessen Zentrum einer Entgelterhöhung in zwei Stufen, ab Juli 2016 um 2,8 Prozent und ab April 2017 um zwei Prozent, steht?

Volker Seidel: „Unsere Mitglieder sind zufrieden, auch wenn sich vielleicht mancher gedacht hat, das müsste deutlich höher ausfallen. Es ist ein akzeptables Ergebnis. Nicht als negativ wird auch die Laufzeit von 21 Monaten eingestuft.“

Jürgen Apfel: „Bei unseren Mitgliedern gilt das gleiche, sie sind zufrieden, das Ergebnis wird wirklich positiv bewertet. Wichtig ist, dass der Weg einer Stärkung der Binnenkonjunktur weitergegangen wird.“

Wie haben sich in Ostoberfranken und in der Region Coburg die Mitgliederzahlen entwickelt?

Jürgen Apfel: „Mit der Mitgliederentwicklung bin ich nicht zufrieden. Die Bereitschaft, mitzumachen ist nicht so ohne weiteres zu erkennen. Aktuell haben wir rund 8900 Mitglieder, davon ein Drittel, die im Berufsleben stehen und zwei Drittel sogenannte Ein-Prozent-Zahler, also Mitglieder, die nicht mehr im Berufsleben stehen. Da müssen wir auf jeden Fall besser werden, wobei es gerade im Jugendbereich schon gute Ansätze gibt. Wir müssen die Menschen überzeugen, dass sich eine Mitgliedschaft wirklich auszahlt.“

Volker Seidel: „In Ostoberfranken ist die Zahl der Mitglieder insgesamt binnen Jahresfrist von knapp 12000 auf aktuell gut 11700 zurückgegangen. Allerdings war die Zahl der beitragsstärkeren betriebsangehörigen Mitglieder im selben Zeitraum von 6500 auf fast 6580 angerstiegen. Allein im laufenden Jahr lag die Zahl der Sterbefälle bei 87.“

Was antworten Sie jemanden, der behauptet, Gewerkschaften wären von gestern?

Jürgen Apfel: „Ich würde ihm entgegnen, dass er nicht im heute lebt.“

Volker Seidel: „Ich würde ihn einladen, mich eine Woche lang zu begleiten, dann würde er seine Meinung gang bestimmt revidieren.“

Ein Blick in die Zukunft:

Jürgen Apfel: „Die Zukunft erfordert mehr denn je die Arbeit von Gewerkschaften. Die Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen ist eine derart große Aufgabe, die nicht ohne eine starke Gewerkschaft bewältigt werden kann.“

Volker Seidel: „Die Gewerkschaften standen immer vor Herausforderungen, wenn es um eine industrielle Revolution ging. Was das Stichwort Industrie 4.0 angeht, stehen wird nun wieder davor.“

Zu den Personen:

Volker Seidel (51) steht seit 2007 an der Spitze der IG Metall in Ostoberfranken, die ihren Sitz in Münchberg hat. Der gelernte Energieanlagenelektroniker war ab 1992 in der damals noch selbständigen Gewerkschaft Textil und Bekleidung hauptamtlich aktiv, wechselte 1994 als Geschäftsführer zur damals ebenfalls noch selbständigen Gewerkschaft Holz und Kunststoff, ehe er am 21. Juni 2007 zum 1. Bevollmächtigten der IG Metall Ostoberfranken, der größten Einzelgewerkschaft in der Region gewählt wurde. Zur IG Metall Ostoberfranken gehören die Städte und Landkreise Bayreuth, Hof, Kulmbach und Wunsiedel. Volker Seidel ist verheiratet, hat eine Tochter und wohnt in Münchberg.

Jürgen Apfel (56) steht seit 1998 an der Spitze der IG Metall Coburg und ist mittlerweile zum 6. Mal als 1. Bevollmächtigter wiedergewählt worden. Seine hauptamtliche Tätigkeit für die Gewerkschaft startete er 1994 als Jugendsekretär. Er ist gelernter Maschinenbauer und war schon vor seiner Tätigkeit als Jugendsekretär viele Jahre lang ehrenamtlich für die IG Metall tätig. Zur IG Metall Coburg gehören die Städte und Landkreise Coburg, Kronach und Lichtenfels. Jürgen Apfel ist verheiratet, hat eine Tochter und wohnt in Coburg.

Bild: Die beiden 1. Bevollmächtigten der IG Metall Volker Seidel (Ostoberfranken/links) und  Jürgen Apfel (Coburg).

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08.03.2016

„Tolle Musik, Spielfreude und viel Spaß“ / Margarethe Geigerhilk aus Kronach spielt Solopart beim Jugendsymphonieorchester Oberfranken - „Bilder“ von Mussorgsky, Wagner und Carl Reinecke

Bayreuth. Das Jugendsymphonieorchester Oberfranken geht in diesem Jahr an den Osterfeiertagen mit Konzerten in Naila, Coburg und Stegaurach auf eine kleine Oberfranken-Tournee. Dirigent Till Fabian Weser verspricht ein spannendes Programm, dass er unter das Motto „Bilder“ gestellt hat. Hauptwerk sind die „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky in der Bearbeitung von Maurice Ravel. Als eine Art musikalisches Bühnenbild gibt es Richard Wagners Ouvertüre zu der Oper „Der fliegende Holländer“. Drittes „Bild“ ist das Flötenkonzert D-Dur op. 283 von Carl Reinecke. Solistin wird dabei Margarethe Geigerhilk (18) aus Kronach sein. Sie gehört dem Jugendsymphonieorchester Oberfranken bereits seit mehreren Jahren an und spielt auch im Bayerischen Landesjugendorchester. Wir sprachen mit Margarethe Geigerhilk über das Flötenkonzert, ihren Lieblingskomponisten und ihre Zukunftspläne:

Sehr geehrte Frau Geigerhilk, Sie gehören dem Jugendsymphonieorchester Oberfranken schon seit einigen Jahren an und sind sogar schon einmal solistisch in Erscheinung getreten. Diesmal übernehmen Sie den Solopart im D-Dur Flötenkonzert von Carl Reinecke. Wie ist es für Sie, an so exponierter Stelle zu musizieren?

„Für mich ist es natürlich vorrangig eine einmalige Chance und Möglichkeit, Erfahrungen als Solistin zu sammeln und mein musikalisches Können unter Beweis zu stellen. Als mich der Dirigent Till Fabian Weser im letzten Jahr fragte, ob ich nicht ein Solo-Konzert spielen wolle, war ich wegen des Abiturs zunächst etwas skeptisch, ob ich das alles schaffen würde. Nun bin ich aber sehr froh, dass ich das Angebot angenommen habe, denn es ist natürlich auch eine große Ehre, schon in meinem Alter diese Position einzunehmen, vor allem weil ich ja auch schon lange selbst Mitglied des Orchesters bin. So freue ich mich also sehr mit meinen Freunden zusammen zu musizieren.“

Das Flötenkonzert D-Dur op. 283 von Carl Reinecke gehört nicht gerade zum Standardrepertoire. Können Sie uns etwas über dieses Stück verraten?

„Meine Ausgabe der Partitur des Konzertes trägt auf der Rückseite das schöne Zitat: "Ohne Carl Reineckes D-Dur-Konzert op. 283 wäre das 19. Jahrhundert ein ziemlich weißer Fleck auf der Repertoire-Landkarte der Gattung Flötenkonzert". In der Tat ist diese Zeit scheinbar spurlos an der Flötenkonzert-Welt vorbeigegangen, denn wir sind ohnehin im Gegensatz zu anderen Instrumenten eher schlecht mit Konzerten ausgestattet. Standardwerke sind hier eher Mozart, Ibert oder Nielsen. Doch ich habe mich bewusst für dieses romantische Konzert entschieden. Reinecke war einige Zeit am Leipziger Gewandhaus tätig, wo er zwei Flötisten kennenlernte, die ihn zu Kompositionen inspirierten. Einer von ihnen war Maximilian Schwedler, der aus Ablehnung gegen die neue zylindrische Flöte Theobald Böhms ein verbessertes, konisches Modell des alten Systems konstruierte: die Schwedler-Flöte. Für ihn war also das Flötenkonzert vorrangig komponiert, er wird auch im 1909 erschienenen Klavierauszug als Widmungsträger des Werks genannt. So fand die Uraufführung am 15. März 1909 in Leipzig statt.“

Sie haben auch schon im Bayerischen Landesjugendorchester mitgewirkt. Welche Erfahrungen konnten Sie dabei gewinnen?

„Die Probenphasen im Bayrischen Landesjugendorchester waren für mich jedes Mal eine großartige Erfahrung. Ich hatte hier die Möglichkeit, unter verschiedensten namhaften Dirigenten, wie zum Beispiel Jonathan Nott oder Daniel Harding, zu konzertieren und vor allem mit ihnen zu proben. Die Arbeit mit solchen Profis, die sonst große und bekannte Symphonieorchester dirigieren, stimmt einen auf das – hoffentlich - spätere Berufsleben ein und lehrt viele grundsätzliche Aspekte des Orchesterspiels. Außerdem ist ein Jugendorchester in solch einem großen Bundesland wie Bayern natürlich auch immer dazu da, um Spaß zu haben und viele neue Kontakte in der Musikwelt zu knüpfen.“

Wo liegen ihre musikalischen Vorlieben, gibt es so etwas wie einen Lieblingskomponisten oder ein Vorbild?

Margarethe „Ich höre in meiner Freizeit tatsächlich sehr viel klassische Musik, wobei sich die Auswahl eher auf die Zeit nach 1800 beschränkt. Mein absoluter Lieblingskomponist ist der sowjetische Dmitri Schostakowitsch, dessen 7. Symphonie, die Leningrader, ich 2014 am Piccolo mit dem Bayerischen Landesjugendorchester aufführen durfte. Seither bin ich ein großer Liebhaber seiner Musik, die meiner Meinung nach die Geschichte der Sowjetunion zwischen 1930 und 1970 schon beim bloßen Hören eindrucksvoll schildert. Am meisten beeindruckt mich aber, dass seine Musik, die nach außen hin dem stalinistischen System treu war, mit einer unterschwelligen Bedeutung versehen war, die den Widerstand gegen das Regime ausdrückt. Unter so viel Druck und mit einem so hohen Risiko solch ausdrucksvolle Musik zu komponieren ist in meinen Augen einmalig.“

Sie haben schon einige Preise, Förderungen und Stipendien als Anerkennung erhalten. Welche Rolle spielen Wettbewerbe für junge Musikerinnen und Musiker?

„Besonders für junge Musikerinnen und Musiker ist es wichtig, an Wettbewerben teilzunehmen. Man lernt so die Konkurrenz kennen, kann sein Können mit Anderen vergleichen und kommt in den Rhythmus des Vor-Anderen-Vorspielens. Der wichtigste Wettbewerb ist in dieser Richtung sicherlich "Jugend musiziert", wo man sich in allen Altersgruppen und Instrumenten auf Regional-, Landes- und schließlich Bundesebene beweisen kann. Allerdings habe auch ich selbst natürlich nicht immer nur positive Erfahrungen mit solchen Wettbewerben gemacht. Manchmal hat man einfach einen schlechten Tag und es klappt nicht so, wie man sich erhofft hat. Doch auch das wird später im Leben als Profi-Musiker passieren, weshalb ich finde, dass man grundsätzlich Vorteile aus einer Teilnahme an Wettbewerben ziehen kann und deshalb jedem jungen Musiker empfehle, solche Möglichkeiten wahrzunehmen.“

Ihre Pläne für die Zukunft:

„Mein Wunsch für die Zukunft ist es Musik zu studieren. Dieses Ziel strebe ich bereits seit 2009 an, als ich auf das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar wechselte. Dies ist eines der drei Spezialgymnasien für Musik in ganz Deutschland, an dem den Schülern neben der schulischen Laufbahn eine ausgezeichnete musikalische Ausbildung gewährleistet wird. Somit sollte mir also hoffentlich eine ausgezeichnete Vorbereitung auf ein Studium gewährleistet sein.“

Warum sollten Musikfreunde aus der Region unbedingt die Konzerte des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken besuchen?

„Für Musikfreunde aus der Region ist das Jugendsymphonieorchester sicherlich zunächst wegen der tollen Musik zu besuchen! Außerdem haben wir auch auf den Probenphasen jedes Jahr auf Neue sehr viel Spaß, was sich auch im Spielen wiederspiegelt. Bei dem Besuch eines Konzertes springt dann vielleicht genau diese Spielfreude auf andere Jugendliche über. Des Weiteren ist die Zeit auch immer eine gute Möglichkeit, sich selbst und seine musikalischen Fähigkeiten im Orchester innerhalb einer kurzen Zeit weiterzuentwickeln.“

Foto:
Die Flötistin Margarethe Geigerhilk spielt den Solopart Flötenkonzert D-Dur op. 283 von Carl Reinecke.

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10.12.2015

IG Metall wird jünger und weiblicher / „Wanderzirkus an Leiharbeitsbeschäftigten muss ein Ende haben“ – Interview mit Christiane Benner, der neuen Zweiten Vorsitzenden der IG Metall

Himmelkron. Gegen den Missbrauch von Werkverträgen und für mehr Transparenz hat sich die neue Zweite Vorsitzender IG Metall Christiane Benner ausgesprochen. Am Rande der Delegiertenversammlung in Himmelkron berichtete sie vom Engagement der Gewerkschaft in Sachen Flüchtlinge und erläuterte, warum die IG Metall beim Klimagipfel in Paris vor Ort war:

Vor dem Hintergrund der Tarifrunde 2016 fordern die Arbeitgeber mehr Flexibilität, um eine höhere Produktivität zu erreichen. Konkret soll beispielsweise die Zeitarbeit nicht eingeschränkt, sondern weiter ausgebaut werden. Was halten Sie dagegen?

„Die Belegschaften in den Unternehmen arbeiten bereits jetzt hochflexibel. Wir haben eine Initiative gegen den Missbrauch von Werkverträgen und für mehr Transparenz gestartet. Das heißt aber nicht, dass wir die Flexibilisierungsinstrumente als solche komplett in Frage stellen.“

Was kritisieren sie dann?

„Dass Arbeitsplätze, die eigentlich Stammarbeitsplätze sein sollten, mit Leiharbeits- oder Werkvertragsbeschäftigten besetzt werden. Wenn zum Beispiel ein Arbeitsplatz über acht Jahre mit unterschiedlichen Leiharbeitsbeschäftigten besetzt wird, dann kann von einer vorübergehenden Auftragsspitze keine Rede sein. Dieser Wanderzirkus muss ein Ende haben. Wir brauchen mehr Transparenz und Mitbestimmungsrechte für die Betriebsräte beim Einsatz von Werkverträgen. “

Das Schreckgespenst, das die Arbeitgeber an die Wand malen, heißt Internationalisierung. Investitionen im Inland würden geringer, Investitionen im Ausland nähmen dagegen zu. Aber ist es nicht wirklich so, dass sich die Verlagerung von Wertschöpfung ins Ausland kontinuierlich fortsetzt?

„Nein. Es gibt einen Aufbau von Arbeitsplätzen im Ausland, es gibt aber gleichzeitig auch einen Aufbau an Arbeitsplätzen im Inland. Die Unternehmen sind einfach globalisiert, was mit den Marktzugängen zu tun hat. Die wollen mit ihrer Produktion, in wachstumsstarken Ländern nah am Kunden sein und dagegen ist auch gar nichts zu sagen. Wir unterstützen sogar Internationalisierungsstrategien, sofern sie zu einer fairen globalen Arbeitsteilung führen.“

Die IG Metall hat heuer in der Tarifrunde für die bayerische Metall- und Elektroindustrie unter anderem ein Lohnplus von 3,4 Prozent, verbesserte Altersteilzeitregelungen und erste Schritte in Richtung einer geförderten Bildungsteilzeit durchsetzen können. Was hat speziell die Bildungsgeschichte gebracht?

„Die Bildungsteilzeit ist ein wichtiger Baustein für die Beschäftigten, um für Umbrüche etwa durch die Digitalisierung der Arbeitswelt gewappnet zu sein. Aber wir müssen diese Regelung, die wir abgeschlossen haben, nun auch umsetzen. Wir entwickeln Berufsbilder und Weiterbildungsmodule, um technische und organisatorische Veränderungen gestalten zu können. Wir brauchen eine lernförderliche Arbeitsumgebung in den Betrieben. Mit dem Tarifvertrag haben wir eine sehr gute Grundlage geschaffen.“

Der Umgang mit Flüchtlingen wird immer mehr zum Prüfstein für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für unsere Demokratie. Wie bringt sich die Gewerkschaft ein?

„Konkret haben wir ganz viele engagierte Betriebsräte vor Ort, die mit ihren Arbeitgebern zusammen leerstehende Räumlichkeiten wieder nutzbar machen, die Sprachkurse und Vorbereitungskurse für eine Ausbildung anbieten. Es gibt großes Engagement und trotz mancher Differenzen auch Übereinstimmung zwischen Arbeitgebern und IG Metall in dieser Frage.

Aber gibt es auch Probleme?

„Ein Problem ist, dass die Beschäftigung von Flüchtlingen genutzt wird, um den Mindestlohn zu hinterfragen. Die Arbeitgeber fordern, diese Menschen geringer zu entlohnen. Da sagen wir Nein. Eine derartige Spaltung ist nicht in Ordnung. Wenn jemand die gleiche Arbeit macht, sollte er auch gleich bezahlt werden. Wir bemühen uns, die Zugangsvoraussetzungen für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt zu gestalten. Soziale Integration ist nur durch eine Integration in den Arbeitsmarkt möglich. Es ist das A und O, dass diese Menschen eine ökonomische Grundlage haben.“

Die IG Metall ist auch beim Klimagipfel in Paris vor Ort. Warum ist das Klima für die Gewerkschaft ein Thema?

„Für uns gehören zu guter Arbeit und gutem Leben auch gesunde Produkte, die von den Beschäftigten hergestellt werden. Wir setzen uns für Arbeits- und Gesundheitsschutz ein. Wir wollen, dass die Menschen durch möglichst geringe Umweltbelastung ein gutes Leben haben. Wir haben uns auch bei dem Thema Energiewende engagiert.“

Geht es da auch um Arbeitsplätze?

„Natürlich, das alles sind Themen, die direkt mit Arbeitsplätzen zu tun haben. Forderungen nach Kohlendioxidabsenkungen haben auch Auswirkungen auf die Industrie. Es muss eine vernünftige Balance zwischen sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit geben. Von daher hängen Gewerkschaftsarbeit und Engagement im Umweltbereich stark zusammen.“

Sie sind beim Gewerkschaftstag 2015 als erste Frau in der 125-jährigen Geschichte der Industriegewerkschaft IG Metall in die Führungsspitze gewählt worden. Warum hat es so lange gedauert?

„Gute Frage! Ich mag diese Beschränkung auf meine Person nicht. Ich möchte den Frauen den Mut machen, den Weg zu gehen. Die IG Metall wird vielfältiger, jünger und weiblicher. Das finde ich gut und jetzt muss ich meine Frau stehen.“

 

Zur Person: Christiane Benner, 2. Vorsitzende der IG Metall

Christiane Benner ist beim Gewerkschaftstag 2015 als erste Frau in der 125-jährigen Geschichte der Industriegewerkschaft IG Metall in deren Führungsspitze gewählt worden. Dem geschäftsführenden Vorstand gehörte die 47-jährige Soziologin bereits vier Jahre lang an. Die Gewerkschaftsfunktionärin stammt aus Aachen, legte in Bensheim ihr Abitur ab und ließ sich zur Fremdsprachensekretärin ausbilden. Danach studierte sie Soziologie an der Philipps-Universität Marburg, an verschiedenen Universitäten in den USA und an der Universität Frankfurt. Nachdem Benner seit 1997 in verschiedenen Funktionen für die IG Metall tätig gewesen war, wurde sie am 20. Oktober 2015 mit 91,9 Prozent der Stimmen zu deren Vize-Chefin gewählt. Damit ist sie nach 125 Jahren des Bestehens der Gewerkschaft die erste Frau in der Führungsspitze der Gewerkschaft. Benner sitzt außerdem im Aufsichtsrat der Firmen Robert Bosch und BMW.

Bild: Der erste Bevollmächtigte der IG Metall Ostoberfranken Volker Seidel und die Zweite Vorsitzende der IG Metall Christiane Benner.

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13.02.2015

„Viel Spaß, wenig Schlaf“ – Die prominente Geigerin Sornitza Baharova erinnert sich gerne an ihre Zeit im Jugendsymphonieorchester Oberfranken

Bayreuth. Nach dem Jubiläumsjahr zum 30. Geburtstag des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken geht der renommierte Klangkörper auch in diesem Jahr wieder auf eine Ostertournee durch den Regierungsbezirk. Dirigent Till Fabian Weser und der Bezirk Oberfranken als Träger haben dazu ein Programm zusammengestellt, das diesmal nach Russland und in die Traumwelt von 1001 Nacht führen wird. Auf dem Programm stehen die Festliche Ouvertüre von Dimitri Schostakowitsch, das Violinkonzert Nr. 1, D-Dur op. 19 von Sergej Prokofieff und die sinfonische Suite „Scheherazade“ von Nikolai Rimsky-Korsakoff.

Konzertmeisterin und Solistin beim Violinkonzert von Dimitri Schostakowitsch ist diesmal Sornitza Baharova (Bild). Sie war selbst von 1997 bis 2004 Mitglied im Symphonieorchester Oberfranken und startete von hier aus eine Karriere als Profimusikerin. Zuletzt war Sornitza Baharova als erste Konzertmeisterin des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz tätig, mittlerweile ist sie festes Mitglied der Staatsphilharmonie Nürnberg. Wir sprachen mit ihr über ihre Erinnerungen an das Jugendsymphonieorchester, über das Violinkonzert von Prokofieff und ihre Beziehungen zu Oberfranken

Sehr geehrte Frau Baharova, Sie gehörten dem Jugendsymphonieorchester Oberfranken von 1997 bis 2004 an, welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

„Es sind wunderbare Erinnerungen an tolle Musik, viele Proben, Freundschaften, die teilweise bis heute gehalten haben, viel Spaß, wenig Schlaf und eine nette Atmosphäre.“

Sie waren danach unter anderem Konzertmeisterin des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz und sind mittlerweile festes Mitglied der Staatsphilharmonie Nürnberg. Welchen Einfluss hatte das Jugendsymphonieorchester Oberfranken auf ihre musikalische Karriere?

„Im JSO habe ich schon früh Erfahrungen als Konzertmeisterin und Solistin sammeln dürfen, die mir in meiner heutigen Tätigkeit zugute kommen. Es ist wichtig, dass man schon zu Beginn der musikalischen Ausbildung verschiedene Bereiche des Musizierens kennenlernt. Nicht nur das Spielen und Üben alleine lässt einen instrumental besser werden, sondern auch das im Musizieren im Ensemble, was sehr motivierend ist, Spaß macht und sich auch sehr positiv auf das solistische Spiel auswirkt. Ein Orchester ist ein komplexes soziales Gebilde, wo jeder Einzelne seine Funktion kennen muss, flexibel sein muss und ein Feingefühl dafür entwickeln sollte, wann er wichtig ist und wann er anderen den Vortritt lassen muss. Das ist in jedem Orchester gleich, egal ob Profi oder nicht und je früher man das lernt umso besser kann man sich später, auch in anderen Bereichen integrieren.“

Sie haben schon im vergangenen Jahr als Dozentin die Probenarbeit des Jugendsymphonieorchesters vor Ort begleitet, worin liegt für Sie der Reiz dieser Lehrtätigkeit?

„Es ist schön jungen Leuten die Freude am Orchesterspielen weiterzugeben. Gerade in den Streichern, wo ja alle dieselbe Stimme spielen  ist es wichtig zu vermitteln, dass nur wenn alle an einem Strang ziehen das Ergebnis gut wird. Da geht es wieder um die vorher angesprochene Dosis von Geben, Nehmen und Feingefühl.“

Sie werden in diesem Jahr nicht nur als Dozentin und als Konzertmeisterin mitwirken, sondern auch als Solistin im 1. Violinkonzert von Sergej Prokofieff. Warum haben Sie sich für dieses Werk entschieden?

„Einerseits passt es zum russischen Thema des Programms. Auf der anderen Seite ist es ein Werk voller Gegensätze, virtuos und trotzdem sehr lyrisch, zart, aber auch wild und rhythmisch- militärisch. Es ist voller Klangeffekte  in dem so viele verschiedene Farben und Stimmungen beschrieben werden, fast wie in einer Märchenwelt. Als eines der schönsten Violinkonzerte des 20. Jahrhundert ist es ein tolles Werk, um auch junge Menschen mit der Musik der klassischen Moderne vertraut zu machen.“

Welche persönlichen Beziehungen haben Sie noch zu Oberfranken?

Ich besuche gerne meine Eltern und Schulfreunde in Hof. Da ich jetzt auch geographisch wieder näher gerückt bin, versuche ich auch die musikalischen Beziehungen wieder zu stärken.

Was würden Sie begabten jungen Leuten raten, die den Wunsch haben, die Musik zu ihrem Beruf zu machen?

„Stellt euch auf einen harten Wettbewerb ein, aber vergesst nie, das es ein großes Privileg ist einen Beruf zu haben, den man liebt!“

Die Konzerte des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken unter Till Fabian Weser 2015:

04. April 2015 (Karsamstag), Naila, Frankenhalle, 18 Uhr

05. April 2015, (Ostersonntag), Bad Rodach, Gerold-Strobel-Halle, 17.30 Uhr

06. April 2015, (Ostermontag), Stegaurach Aurachtalhalle, 17.30 Uhr

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07.02.2015

Teichlandschaften sind einfach schön / Interview mit Dr. Peter Thoma, dem Vorsitzenden der Teichgenossenschaft Oberfranken

Himmelkron. Fernöstliche King Prawns mit Arzneimittelcharakter und asiatische Fischfilets mit Chemie: die oberfränkischen Teichwirte arbeiten seit Jahren daran, Fische aus der Region zu vermarkten. Mit Erfolg, wie Dr. Peter Thoma (Bild), der Vorsitzende der Teichgenossenschaft Oberfranken im Interview am Rande der Jahresversammlung in Himmelkron, verrät:

Herr Dr. Thoma, welche Bedeutung hat die Teichwirtschaft in Oberfranken? Ist sie eine reine Nische oder tatsächlich ein wichtiges Standbein für viele Landwirte?

Die Teichwirtschaft ist eine wichtige Säule der Landwirtschaft in Oberfranken, wobei die regionalen Unterschiede zu betrachten sind. Insgesamt werden in Oberfranken mit rund 1500 Tonnen Karpfen rund ein Viertel der bayrischen Produktionsmenge erzeugt. Da in Bayern wiederum ungefähr die Hälfte der gesamtdeutschen Produktion von 12000 Tonnen beheimatet ist, erzeugt Oberfranken gut 12 Prozent der deutschen Karpfen. Aber auch bei den Salmoniden, also den verschiedenen Forellen- und Saiblingsarten, braucht sich Oberfranken nicht zu verstecken. Von den in Bayern produzierten 5000 Tonnen, die ungefähr ein Drittel der gesamtdeutschen Produktion ausmachen, werden gut 500 Tonnen in Oberfranken erzeugt.

Und wo liegen dabei regionalen Unterschiede?

Im oberfränkischen Teil des Aischgrundes sind Haupterwerbsbetriebe zur Karpfenproduktion sowie Nebenerwerbsbetriebe mit einem hohen Anteil der Karpfenproduktion zu finden. Daneben gibt es etliche weitere Gebiete zum Beispiel das Wunsiedler Becken, in denen die Karpfenproduktion als reiner Nebenerwerb traditionell in der Landwirtschaft geführt wird.  In den Bereichen des Fichtelgebirges, des Frankenwaldes und der Fränkischen Schweiz bildet die Salmonidenproduktion, oft verbunden mit der Weiterverarbeitung zu Filet und Räucherware und direkt vom Betrieb regional vermarktet, ein gewichtiges Element der Landwirtschaft.

Inwiefern profitiert die Bevölkerung von der Arbeit der Teichwirte?

Als wichtigster Punkt ist hier die Frische anzuführen. Fische, die in der unmittelbaren Umgebung des Verbrauchers erzeugt wurden, praktisch ohne Lagerung und Transport frisch den Verbraucher zur Verfügung stehen, sind höchstwertige Nahrungsmittel. Des Weiteren kann der Verbraucher jederzeit sehen wo und wie die Fische erzeugt werden und braucht sich auch keine ökologischen Sorgen um Produktion und Transport machen.

Stichwort Ökologie, sind Teiche auch ökologisch von Bedeutung?

Ja, auch der ökologische Nutzen der Teiche an sich in der Natur ist bedeutsam. Selbst intensiv genutzte Teiche stellen wichtige Biotope für Flora und Fauna dar. Wer einmal sehenden Auges an einen Fischteich war, erkennt die Vielzahl an Insekten, Amphibien und Reptilien, die es ohne diesen Teich dort nicht gäbe. Daneben haben Teiche eine wichtige Funktion im Wasserhaushalt, da sie als Wasserpuffer wirken, Starkniederschläge bremsen und Trockenzeiten ausgleichen können. Und auch der Erholungswert ist nicht zu vergessen: Teichlandschaften sind einfach schön.

Wie ist es zu erklären, dass noch immer so viele Menschen lieber zu King Prawns aus Malaysia und Pangasius aus Thailand anstatt zu Forellen, Karpfen oder Saiblingen aus Oberfranken greifen?

Hier ist zu sagen, dass sich der Trend mittlerweile gedreht hat. Es hat durch vielerlei Skandale und einer unermüdlichen Aufklärungsarbeit durch die Fischerei, aber auch andere Gruppen wie dem WWF, ein Umdenken eingesetzt. Der Verbraucher möchte keine King Prawns, die durch ihren Antibiotikagehalt schon Arzneimittelcharakter annehmen, gefrostete Fischfilets, die durch Chemikalien die Wasserhaltung eines Schwammes übertreffen oder vermeintliches Krebsfleisch mit den wohlklingenden Namen Surimi, das aus gepressten Fischproduktionsresten mit Farbstoffaufdruck besteht.

Was unternehmen die oberfränkischen Teichwirte, um den Menschen Fisch aus Oberfranken so richtig schmackhaft zu machen?

Wir arbeiten seit Jahren massiv daran, den oberfränkischen Fisch auch entsprechend und ansprechend verarbeitet anzubieten. Besonders bei grätengeschnittenen Karpfenfilets ist ein gewaltiger Nachfragezuwachs zu verzeichnen. Aber auch andere weiterverarbeitete Produkte vom Forellenfilet, Forellenkaviar über Räucherware und so weiter, werden verstärkt nachgefragt. Verarbeitungskurse, die in Zusammenarbeit mit der Fischereifachberatung des Bezirkes in der Lehranstalt durchgeführt werden, Zubereitungsvorschläge durch Kochbücher und Rezeptkarten, Unterstützung von Kochwettbewerben für die Gastronomie, Zertifizierung von Fischgaststätten und Publicity-Maßnahmen wie die Eröffnung der Fischgrill- und Karpfensaison werden von der Teichgenossenschaft durchgeführt.

Aber nicht alle Fische, die in Oberfranken erzeugt werden, finden ihren Weg auf den Teller. Die Stichworte lauten: Kormoran, Graureiher, Biber, Fischotter. Mit welchen Plagegeistern hat die Teichwirtschaft in Oberfranken derzeit am meisten zu kämpfen?

Auch Reiher, Kormoran und Fischotter wissen, dass der oberfränkische Fisch schmeckt. Bei natürlichen Populationsdichten stellt dies auch kein allzu großes Problem dar. Wenn aber Unterschutzstellung zu überhöhten Populationsdichten führt, die fischereiliche Schäden von 80 Prozent bis zum Totalausfall der Fischerzeugung bringen, muss gehandelt werden. Auch der possierliche Biber beschädigt nicht nur Teichanlagen, sondern schafft auch Gefahren im Verkehrswesen und Hochwasserschutz. Ein nicht überlegter Einzelartenschutz widerspricht dem komplexen Naturschutz, richtet riesige volkswirtschaftliche Schäden an und vernichtet sozioökonomische Strukturen. Die Aufgabe der Teichwirtschaft zerstört diese landschaftlichen Kleinode unwiederbringlich. Eine Fischerzeugung im industriellen Maßstab in Kreislaufanlagen kann für niemand ein anzustrebendes Ziel sein.

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11.11.2014

Klare Harmonik, spannende Rhythmik und eigenwilligen Instrumentalklang / „Haus Marteau goes Venetia“ - Kurs für Alte Instrumental- und Vokalmusik

Lichtenberg. Dulziane , Pommer, Krummhörner: dieses Instrumentarium gehört zu einer Musikepoche, die weit zurück liegt. Im Haus Marteau, der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken, wird das Neue Jahr traditionell mit Alter Musik begrüßt. Der Meisterkurs „Interpretation alter Instrumental- und Vokalmusik“ beginnt bereits am Neujahrsabend und endet am Dreikönigstag, 6. Januar, mit einem Konzert in der Lichtenberger Johanneskirche.

Ziel des Kurses ist es, dass die herausragende Klangwelt der Alten Musik noch mehr Verbreitung findet, erläutert die Leiterin des Kurses, die Musikpädagogin Ulrike Zeidler (Bild). Sie selbst ist von Anfang an regelmäßig dabei, zunächst als Teilnehmerin, seit 2001 als Leiterin. Die Pädagogin leitete von 2001 bis 2010 die Musikschule in Ebern im unterfränkischen Landkreis Haßberge, gehört dem Melchior-Franck-Kreis Coburg an und singt im Chor der Bamberger Symphoniker. Im Interview spricht Ulrike Zeidler über die Faszination der Alten Musik, über die besondere Atmosphäre im Haus Marteau und darüber, was 2015 auf dem Programm steht:

Der Kurs soll eine Plattform sein für die Musik des 14. bis 17. Jahrhunderts. Worin liegt für Sie persönlich die Faszination dieser Musik?

„In frühen Jahren hat mich alte Musik  fasziniert durch die klare Harmonik, spannende Rhythmik und eigenwilligen Instrumentalklang, das Lebendig werden einer vergangenen Zeit. Heute fasziniert die klangliche Annäherung und gleichberechtigte Verwendung von Singstimme und Instrument. Es ist Musik, die bei aller Feinheit ihrer Struktur eine unglaubliche Kraft besitzt. Und wir können bei der Beschäftigung mir der Musik einen Blick werfen auf das Fühlen und Denken dieser Zeit.“

Wenn es um Alte Musik geht, sind meist historische Instrumente im Einsatz. Spielt ein solches Instrumentarium auch in Ihrem Kurs eine Rolle?

„Ja, unbedingt. Wir haben drei verschiedene Instrumental-Workshops: Gamben, historische Holzblasinstrumente und vor allem Doppelrohrblattinstrumente - da kommt oft eine große Vielfalt zusammen:  Dulziane , Pommer, Krummhörner aber auch Renaissance-Blockflöten, und die Gruppe der „Blechblasinstrumente“, nämlich Zinken und engmensurierte Posaunen.“

Im Jahr 2014 stand der hallensische Komponist Samuel Scheidt im Mittelpunkt des Kurses. Um welchen Komponisten soll es diesmal gehen?

„Diesmal steht nicht ein einzelner Komponist im Mittelpunkt, sondern ein Musikzentrum: Venedig. Da gibt es eine ganze Reihe wichtiger Komponisten, natürlich Wilaert und Giovanni und Andrea Gabrieli  aber auch nicht so bekannte Namen, die alle mit Venedig in Verbindung gebracht werden können.“

Eine allgemeine Frage: Sie selbst haben viele Jahre lang eine Musikschule geleitet, wie kann es gelingen, junge Menschen wieder mehr für "klassische Musik" zu interessieren?

„Ich denke, das Wichtigste ist, mit jungen Menschen überhaupt auch einmal klassische Musik zu machen. Also, im Unterricht  die Schätze der Musik vergangener Tage nicht - wie es zu oft geschieht - auszuklammern. Was man nicht kennengelernt hat, kann man schwer schätzen. Das ist wie beim Essen. Man muss es ausprobieren.“

Was ist für Sie das besondere am Haus Marteau, der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken?

„Die wohnliche Atmosphäre durch die originale Ausstattung. Ein Musizieren umgeben von dem wunderschönen historischen Ambiente, Möbel, Gemälde, Tapeten, ist für mich förderlich für ein persönliches Miteinander.“

Wie viele Teilnehmer erwarten Sie diesmal, welchen musikalischen Hintergrund bringen die Kursteilnehmer mit?

„Wir erwarten - wie in den vergangenen Jahren auch - eine Teilnehmerzahl von circa 40 Personen. Die Leute, die sich zu diesem Kurs anmelden, bringen üblicherweise langjährige Praxis mit auf ihrem Instrument oder im Chorsingen -teils mit solistischer Erfahrung. Neben den ambitionierten Amateuren gibt es auch speziell interessierte Musikstudenten und Berufsmusiker.“

„Worauf können sich die Besucher des Abschlusskonzertes am 6. Januar in der Lichtenberger Johanneskirche freuen?

„Venezianische Musik um 1600, große Klangvielfalt instrumental und vokal, ein Konzertprogramm, wie man es nicht alle Tage zu hören bekommt.“

Der Kurs „Interpretation Alter Instrumental- und Vokalmusik“ findet vom 1. bis 6. Januar 2015 im „Haus Marteau“ in Lichtenberg (Landkreis Hof) statt. Zum Abschluss gibt es am Dreikönigstag, 6. Januar 2015 um 11 Uhr in der Lichtenberger Johanneskirche eine Matinee, bei dem sämtliche Teilnehmer mitwirken. Der Eintritt dazu ist frei.

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19.09.2014

Fälschungssicher, nachhaltig und in kräftigen Farben  / Ab Dienstag bringt die Bundesbank die neue Zehn-Euro-Banknote in den Umlauf

Bayreuth. Am Dienstag, 23. September, wird die neue Zehn-Euro-Banknote im Euroraum in Umlauf gebracht. Ebenso wie die Fünf-Euro-Banknote weist auch der Zehn-Euro-Schein mehrere neue Sicherheitsmerkmale auf. Auf den Banknoten der neuen Serie ist im Hologramm und im Wasserzeichen ein Portrait der Europa – einer Gestalt aus der griechischen Mythologie und Namensgeberin unseres Kontinents - abgebildet. Wie schon bei der ersten Serie, die 2002 in den Verkehr gegeben wurde und die nach wie vor im Umlauf ist, sind auch bei der zweiten Serie Darstellungen von Baustilen verschiedener Epochen, Brücken und eine Europakarte zu sehen. All diese Abbildungen stehen für das geeinte Europa. Der Euro ist die gemeinsame Währung von 18 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Wir sprachen im Vorfeld mit Johann Rebl, dem Leiter der Bundesbankfiliale in Bayreuth über den neuen Zehn-Euro-Schein:

Herr Rebl, warum gibt es eigentlich schon wieder eine neue Euro-Banknote?

Einen aktuellen Anlass dazu gibt es nicht. Es ist üblich, alle zehn bis 15 Jahre neue Banknoten mit neuem Design und mit einem frischeren, modernen Erscheinungsbild in den Umlauf zu bringen. Natürlich möchten wir potentiellen Fälschern einen Schritt voraus sein. Durch immer neue Techniken ist es durchaus möglich, relativ gute Fälschungen herzustellen. Deshalb gibt es auch diesmal wieder neue Elemente, um den Fälschungsschutz zu erhöhen.

Was sind die markantesten Details der neuen Banknote?

Ganz markant ist die Smaragdzahl, die in den kräftigsten Farben von grün bis tiefblau schimmert. Zumindest mit vertretbarem Aufwand kann diese Zahl nicht kopiert werden. Neu sind auch das Wasserzeichen und der silberne Streifen, auf beiden Merkmalen ist das Antlitz der Europa zu sehen. Darüber hinaus gibt es noch viele Kleinigkeiten, etwa eine gestrichelte Linie am Rand, auf der Sehbehinderte die Banknote ertasten können.

Welche Details sind noch wichtig?

Die Perspektive der Abbildung geht diesmal mehr in die Tiefe und die Beschichtung ist eine andere. Der Schein fühlt sich glatter an und ist damit auch länger haltbarer. Damit wollen wir in gewisser Weise auch auf Nachhaltigkeit setzen.

Der neue 10-Euro-Schein wird ab Dienstag, den 23. September, in Umlauf gebracht. Wie muss ich mir das logistisch vorstellen, werden in der Nacht davor alle Geldautomaten mit dem neuen Schein bestückt?

Nein, die Bundesbank gibt die Scheine ab Dienstag aus. Die Bestände haben wir bereits da. Die Geldtransporteure liefern die neuen Banknoten ab 7 Uhr aus, ab 8 Uhr werden wir die neue Banknote hier im Haus auch an Privatleute ausgeben. Die neuen Scheine werden also erst so nach und nach zu den Menschen kommen.

Wann verlieren die alten Zehner ihre Gültigkeit?

Die alten Scheine behalten auch weiterhin ihren vollen Wert und werden überall akzeptiert. Die Bundesbank tauscht nach derzeitigem Stand auch unbegrenzt um. Alte Zehn-Euro-Scheine, die zu uns reinkommen, werden allerdings im Laufe der Zeit kaum mehr in Umlauf gebracht, sondern geschreddert. Erfahrungsgemäß geht das recht schnell, wir rechnen damit, dass bereits nach drei Monaten mehr neue als alte Scheine im Umlauf sind.

Nehmen Park-, Tabak- und Fahrkartenautomaten den neuen Zehner an, oder gibt es wieder Probleme, so wie beim Fünf-Euro-Schein im vergangenen Jahr?

Wir hoffen, dass es diesmal besser läuft als beim Fünf-Euro-Schein. Die Automatenhersteller hatten diesmal neun Monate lang Zeit zur Umstellung und zur Anpassung der entsprechenden Software. Wir gehen also fest davon aus, dass die meisten Automaten die neue Zehn-Euro-Banknote von Anfang an akzeptieren. Die Bahn hat übrigens alle ihre stationären Automaten bereits umgestellt. Wenn es überhaupt noch zu Problemen kommen sollte, dann allenfalls in Einzelfällen.

Wird es auch neue 20- und 50 Euro Scheine geben?

2013 war der Fünf-Euro-Schein dran, ein neuer Zwanzig-Euro-Schein wird voraussichtlich im Jahr 2015 kommen.

Wie lange ist eigentlich eine Banknote durchschnittlich im Einsatz?

Kleine Stückelungen, also die Fünf- oder die Zehn-Euro-Scheine sind im Schnitt zwölf bis 13 Monate im Umlauf. Künftig vielleicht etwas länger. Große Stückelungen, wie etwa 500-Euro-Scheine sind über Jahre hinweg unterwegs.

Was ist der Beitrag der Bundesbank-Filiale in Bayreuth bei der Umstellung auf den neuen 10-Euro-Schein?“

Unser Beitrag liegt unter anderem darin, die Menschen zu informieren und aufzuklären. Dazu veranstalten wir auch viele Schulungen, zum Beispiel für Schulen, insbesondere für Berufsschulen, für den Handel oder für Banken. Bankmitarbeiter, die am Schalter tätig sind, benötigen übrigens ab 2015 ein eigenes Zertifikat, das umfassende Kenntnisse  im Erkennen von Falschgeld bestätigt.

Kommen eigentlich noch immer Menschen mit D-Mark-Münzen oder –Scheinen?

Im Schnitt fünf bis sechs am Tag. Zurzeit beobachten wird besonders, dass viele junge Leute alte Sammlungen mit Münzen auflösen. Wir nehmen die alten D-Mark-Bestände auch weiterhin gerne an, unbegrenzt und ohne Anmeldung ist das bei uns in der Rosestraße 7 in Bayreuth montags bis freitags immer zwischen 8 und 12.15 Uhr möglich.

Bild: Johann Rebl, der Leiter der Bundesbank-Filiale in Bayreuth zeigt, worauf es beim neuen Zehn-Euro-Schein ankommt.

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03.09.2014

Vom Zusammenwirken verschiedener Kräfte in der Musik / Haus-Marteau-Konzert mit dem Geiger Markus Wolf und dem Pianisten Julian Riem

Thurnau. Der Konzertmeister des Bayerischen Staatsorchesters Markus Wolf (Bild unten ganz links) veranstaltet vom 22. bis zum 27. September in Lichtenberg (Landkreis Hof) einen Meisterkurs für Violine. In der Reihe „Haus Marteau auf Reisen“ kommen der prominente Geiger, sein nicht minder berühmter Klavierbegleiter Julian Riem und die Teilnehmer des Kurses am 26. September zu einem Konzert nach Thurnau. Wir sprachen im Vorfeld mit Markus Wolf über die Internationale Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken, über große Musikerpersönlichkeiten und über den Klassik-Echo, den Markus Wolf zusammen mit dem Münchner Horntrio erhalten hatte:

Sehr geehrter Herr Professor Wolf , Sie unterrichten an der Musikhochschule in München und haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder Meisterkurse in der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken veranstaltet. Worin liegt für Sie der Reiz, Ihr Wissen und Können sowie Ihre Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben?

„Ich glaube, ich kann den jungen Geigerinnen und Geigern helfen, und gegebenenfalls neue Wege aufzeigen. Als Student ist man ja immer auf der Suche – sei es in technischer oder in musikalischer Hinsicht. Ich habe schon in meiner Jugend das Bedürfnis gehabt, meinen Mitstudenten zu helfen und Probleme zu lösen. Dabei kommt mir meine Begabung, analytisch zu denken, sehr zu gute. Dies hat mein Lehrer in Wien erkannt und mich zu seinem Assistenten gemacht – ich war damals 21 Jahre alt.“

Was ist für Sie das Besondere an der Musikbegegnungsstätte Haus Marteau?

„Wir atmen in dieser Villa quasi den Geist dieses berühmten und großartigen Geigers Henri Marteau! Der Blick in den weiträumigen Garten animiert unseren Creator spiritus! Wir sind mit der Musik und unserer Geige beschäftigt und nichts kann uns davon ablenken. Eine einmalige Atmosphäre!“

Sie widmeten sich von frühester Jugend an intensiv der Kammermusik, sie gründeten das Beethoven-Trio-Wien und musizierten mit dem Alban-Berg-Quartett. Auf der anderen Seite waren und sind Sie Konzertmeister bei den Wiener Symphonikern und dem Bayerischen Staatsorchester, traten aber auch immer wieder als Solist in Erscheinung. Wo liegen Ihre persönlichen Vorlieben?

„Ich bin sehr dankbar, dass ich schon in meiner Kindheit professionell Kammermusik spielen konnte. So lernte ich frühzeitig das Zusammenspiel und das Zusammenwirken verschiedener Kräfte in der Musik. Das im-Orchester-spielen ist für mich die größte Form von Kammermusik. Und als Solist ist man ja auch nur ein Teil der Partitur – man muss sich einfügen und der Musik seine Dienste anbieten.“

Sie arbeiteten bereits mit vielen der ganz großen Musikerpersönlichkeiten wie Wolfgang Sawallisch, Colin Davis oder Zubin Mehta zusammen. Gibt es einen Dirigenten, an den Sie ganz besondere Erinnerungen haben?

„Jeder dieser Dirigenten hat mich auf die eine oder andere Weise geprägt. Da waren noch Persönlichkeiten wie zum Beispiel Erich Leinsdorf, Lorin Maazel, Georg Solti, der jetzige Chefdirigent des Bayerischen Staatsorchester Kirill Petrenko und Carlos Kleiber. Kleibers Zugang zum musikalischen Kunstwerk, um ihm gerecht zu werden, um es zum Klingen zu bringen, die hatte für mich etwas ganz Besonderes, Einmaliges!“

2012 haben Sie zusammen mit dem „Münchner Horntrio“ einen der begehrten Echo-Klassik-Preise für die Kammermusik-Einspielung des Jahres erhalten. Wie macht sich solch eine öffentlichkeitswirksame Auszeichnung bemerkbar?

„Naturgemäß bringt die Verleihung solch eines Preises eine größere Präsenz in der Öffentlichkeit mit sich. Die preisgekrönte CD wird öfter rezensiert, von Rundfunkanstalten gesendet und besprochen, und auch Konzertveranstalter interessieren sich für das preisgekrönte Ensemble. Was mich aber besonders freut, war die Würdigung dieser Einspielung an und für sich. Denn all meine Aufnahmen bereite ich lange und sorgfältig vor, sie sind mit Mühe und viel Arbeit verbunden.“

 Worum wird es in ihrem Meisterkurs im September gehen, welche Schwerpunkte setzen Sie diesmal?

„Die Schwerpunkte werden von den Studenten selbst gesetzt, denn wenn sie einen Kurs besuchen, haben sie meistens klare Vorstellungen, woran sie arbeiten wollen. Bei uns kann das das herkömmliche Violinrepertoire sein oder auch eine spezielle Probespiel-Vorbereitung. Es gibt auch Studenten, die ausschließlich geigentechnische Probleme mit mir erörtern und daran arbeiten, oder ein selten gespieltes Violinstück mit mir neu einstudieren wollen.“

Markus Wolf und der Pianist Julian Riem werden die Ergebnisse zusammen mit den Teilnehmern des Meisterkurses für Violine bei einem Konzert aus der Reihe „Haus Marteau auf Reisen“ am 26. September um 19 Uhr im Ahnensaal von Schloss Thurnau im Landkreis Kulmbach vorstellen.

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17.04.2014

„Kein Student ist wie der andere“/ Meisterkurs mit Andrea Lieberknecht und Milin Vukan – Abschlusskonzerte in Lichtenberg und Pegnitz

Lichtenberg. Ein ganz besonderer Meisterkurs findet vom 12. bis zum 16. Mai in der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken statt. Der Meisterkurs für Flöte unter der Leitung der prominenten Musiker Andrea Lieberknecht und Milin Vukan. Ein Abschlusskonzert mit allen Teilnehmern gibt es am Donnerstag, 15. Mai um 19 Uhr in Lichtenberg, ein weiteres in der Reihe „Haus Marteau auf Reisen“ am Freitag, 16. Mai um 19.30 Uhr im Alten Schloss von Pegnitz im Landkreis Bayreuth. Wir sprachen im Vorfeld des Kurses mit Andrea Lieberknecht, die als eine der renommiertesten deutschen Flötistinnen der Gegenwart gilt:

Frau Professor Lieberknecht, Sie haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder Meisterkurse in der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken veranstaltet. Worin liegt für Sie der Reiz Ihr Wissen und Können sowie Ihre Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben?

„Ich unterrichte seit meinem 15. Lebensjahr, und ich bin meinem damaligen Lehrer sehr dankbar, dass er den Mut hatte mir schon so früh dazu Mut zu machen. Konzentriertes und jederzeit ergebnisorientiertes Unterrichten ist anstrengend. Aber auf der anderen Seite lernt man selbst unendlich viel dabei. Kein Student ist wie der andere! Die Methoden, die man anzuwenden hat, sind so verschieden wie die Schüler selbst. Das reizt mich. Man ist ununterbrochen auf der Suche und erweitert seinen Erfahrungsschatz.“

Was ist für Sie eigentlich das Besondere an der Musikbegegnungsstätte Haus Marteau?

„Die Konzentration, die in der Abgeschiedenheit des Ortes entstehen kann. Das Haus Marteau bietet ideale Möglichkeiten zum Üben. Die entzückende Natur und der wunderschöne Park entspannen Körper und Geist.“

Worum wird es diesmal in ihrem Meisterkurs gehen, welche Schwerpunkte setzen Sie?

„Der Schwerpunkt des Kurses entsteht von selbst, und zwar durch die zeitliche Nähe zu der Aufnahmeprüfungen an der Münchner Musikhochschule. Viele Bewerber nehmen ihn als Gelegenheit sich mir vorzustellen, beziehungsweise umgekehrt auch mich zu beschnuppern im Hinblick auf ein eventuelles Studium in meiner Klasse. Das Repertoire, das gearbeitet wird, ist zumeist Aufnahmeprüfungs- oder anderes Wettbewerbsprogramm und wird von den Teilnehmern selbst bestimmt. Ich mache keinerlei Vorgaben oder Einschränkungen.“

Sie waren 13 Jahre lang Soloflötistin zunächst im Münchner Rundfunkorchester, dann im Sinfonieorchester des Westdeutschen Rundfunks. An welche Dirigentenpersönlichkeit erinnern Sie sich ganz besonders?

„Da waren zum einen mein WDR-Chefdirigenten: Gary Bertini, mit dem wir eine bemerkenswerte Gesamtaufnahme aller Mahler-Sinfonien machten. Und zwar in der legendären Suntory Hall in Tokio. Dann Hans Vonk, der mit Geschmack und sympathischer Uneitelkeit an die Sache heranging - und leider zu früh verstarb. Danach eine glitzernde Periode mit Semyon Bychkov, der uns viel Außenpräsenz  und zahlreiche erfolgreiche Konzerttourneen verschaffte. Besonders gerne arbeitete ich auch mit Kurt Sanderling, der uns als ein auf Perfektion fokussierendes Rundfunkorchester dazu anhielt eine Dimension weiter zu gehen und kollektiv Gefühle zu kreieren."

Außerdem wirkten Sie drei Jahre lang auf dem Grünen Hügel als Soloflötistin im Bayreuther Festspielorchester. Welche Erinnerungen haben Sie an Bayreuth?

„Viele. Als eine im Alltag Nicht-Opernorchester-Spielerin an das berauschende Gefühl ein winzig kleines, aber durchaus wichtiges Rädchen in der großen Maschinerie Wagner-Oper zu sein. An eine Reihe weltberühmter Dirigenten mit unterschiedlichster Ausprägung und Herangehensweise. An die fantastischen Sänger. An die respekteinflößende Aura dieses Ortes. An die Ohrwürmer, die einem nach einem Sommer mit Wagner noch wochenlang im Kopf herum schwirrten. Und nicht zu vergessen die tiefen Freundschaften, die ich dort geschlossen habe...

Worauf dürfen sich die Besucher der Abschlusskonzerte in Lichtenberg und in Pegnitz besonders freuen.

„Auf hochmotivierte junge Flötisten und Flötistinnen verschiedenster Nationen.“

Zur Person:

Dozentin Andrea Lieberknecht gilt als eine der renommiertesten deutschen Flötistinnen der Gegenwart. Sie war 13 Jahre lang Soloflötistin zunächst im Münchner Rundfunkorchester, dann im Sinfonieorchester des Westdeutschen Rundfunks. Drei Jahre lang war sie auch auf dem Grünen Hügel als Soloflötistin im Bayreuth Festspielorchester tätig. Nebenbei unterrichtete sie an den Musikhochschulen Köln und Hannover. 2002 wurde Andrea Lieberknecht als Professorin an die Hochschule für Musik und Theater in Hannover berufen, 2011 wechselte sie an die Hochschule für Musik und Theater in München. Als Mitglied des Arcis Quintetts und im Duo mit ihrem Klavierpartner Jan Philip Schulze erhielt sie Preise beim vielen bedeutsamen Kammermusikwettbewerben.

Der Meisterkurs für Flöte mit Andrea Lieberknecht und Milin Vukan findet vom 12. bis 16. Mai 2014 statt. Assistenten sind die beiden japanischen Pianistinnen Madoka Ueno und Keiko Nakayama. Termin für das offizielle Abschlusskonzert ist Donnerstag, 15. Mai, 19 Uhr in Haus Marteau, Lobensteiner Straße 4 in 95192 Lichtenberg. Ein weiteres Abschlusskonzert in der Reihe „Haus Marteau auf Reisen“ steht am Freitag, 16. Mai um 19.30 Uhr im auf dem Programm.

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10.04.2014

Konzentration auf Kammermusik / Kölner Klaviertrio: Meisterkurs im Haus Marteau – Abschlusskonzerte in Lichtenberg und Schönwald

Lichtenberg. Vom 22. bis zum 26. April kommt das Kölner Klaviertrio mit Joanna Sachryn (Cello), Günter Ludwig (Klavier) und Walter Schreiber (Violine) zu einem Meisterkurs für Kammermusik in die Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken. Öffentliche Abschlusskonzerte stehen für Samstag, 26. April um 19 Uhr im Haus Marteau in Lichtenberg und am Sonntag, 27. April um 17 Uhr in der Grundschule von Schönwald im Fichtelgebirge auf dem Programm. Wir sprachen im Vorfeld mit dem Geiger Walter Schreiber, der das berühmte Klaviertrio 1983 gegründet hatte:

Sehr geehrter Herr Schreiber, in seinen Programmen verbindet das Kölner Klaviertrio gerne Tradition mit Moderne. Warum ist es für Musiker so wichtig, sich mit zeitgenössischer Musik zu beschäftigen.

Neben dem traditionellen Kammermusik-Repertoire, das in vielen intensiven Kursstunden erarbeitet wird, ist uns die Begegnung mit zeitgenössischer Musik sehr wichtig, das heißt, die Auseinandersetzung mit Werken von noch lebenden Komponisten und mit der musikalischen Sprache der heutigen Zeit. Darüber hinaus legen wir Wert darauf, Kompositionen von Henri Marteau und seinen Zeitgenossen wie Max Reger, Adolf Busch und anderen im Kurs zu erarbeiten.

Sie haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder Meisterkurse in der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken veranstaltet:

Durch unsere internationale Konzerttätigkeit gelingt es uns immer wieder Studenten aus vielen Ländern für unseren Kurs im Haus Marteau zu gewinnen. So werden in diesem Jahr neben acht Studenten aus Polen auch fünf Studenten aus China teilnehmen.

Was ist für Sie das Besondere an der Musikbegegnungsstätte Haus Marteau?

Das Haus Marteau bietet durch seine einmalige Atmosphäre einen besonderen Ort der Begegnung, voller Konzentration und Fokussierung auf die Arbeit und das Zusammenmusizieren.

Worauf dürfen sich die Besucher des Abschlusskonzertes in Lichtenberg besonders freuen?

In diesem Jahr werden voraussichtlich zwei junge Streichquartette von der Musikakademie Krakau in Polen eine Komposition von Mark-Andreas Schlingensiepen einstudieren, deren Gedankenwelt sich um Robert Schumann bewegt. Wir haben den Komponisten zum Abschlusskonzert im Haus Marteau am 26. April eingeladen.

Eine Besonderheit gibt es beim diesjährigen Meisterkurs des Kölner Klaviertrios:

Es ist in diesem Jahr unser 25.  Meisterkurs im Haus Marteau. Von 1990 bis heute in Folge 25 sehr gut besuchte Kurse, das heißt, kein einziger Kurs ist ausgefallen. Dies ist schon ein Grund zum Feiern und besonders erwähnenswert.

Der Meisterkurs für Kammermusik mit dem Kölner Klaviertrio findet vom 22. bis 26. April 2014 statt. Termin für das offizielle Abschlusskonzert ist Samstag, 26. April 2014 um 19 Uhr in Haus Marteau, Lobensteiner Straße 4 in 95192 Lichtenberg. Eintrittskarten gibt es dafür an der Abendkasse zum Preis von fünf Euro. Ein zweites Abschlusskonzert mit dem Kölner Klaviertrio und Teilnehmern des Meisterkurses findet am Sonntag, 27. April um 17 Uhr in der Grundschule von Schönwald statt.

Zur Person:

Walter Schreiber (Bild links) wurde mit 18 Jahren Student von Professor Tibor Varga. Neben dem Deutschen Hochschulpreis wurde er als Stipendiat an das berühmte Moskauer Konservatorium zum Studium bei Semion Snitkowski und David Oistrach geschickt. Walter Schreiber war Konzertmeister des Stuttgarter Kammerorchesters und zwei Jahre später Konzertmeister im Württembergischen Kammerorchester Heilbronn. Nach seiner Mitwirkung im Orchester der Berliner Philharmoniker wurde er erster Geiger im WDR-Sinfonieorchester Köln. 1983 bis 2001 spielte er regelmäßig im Orchester der Bayreuther Festspiele. Die enge Zusammenarbeit mit Daniel Barenboim, Sir Georg Solti und James Levine prägten sein musikalisches Verständnis. Seit Beginn seines musikalischen Weges widmet er sich seiner Passion der Kammermusik. 1983 hat er das Kölner Klaviertrio gegründet und 2003 die Leitung des Radio Kammerorchesters Köln übernommen. Seit 2003 ist Walter Schreiber künstlerischer Leiter des Zeilitzheimer Sommerfestivals, eines Kammermusikfestivals. Als gefragter Gast musiziert er in verschiedenen namhaften Ensembles in Europa, Amerika und Ostasien.

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03.04.2014

Haus Marteau: „Idealer Ort für Meisterkurse“ / Meisterkurs und Abschlusskonzert mit dem österreichischer Geiger Christian Altenburger

Lichtenberg. Mit dem österreichischen Geiger Christian Altenburger gibt in diesen Tagen ein international vielgefragter Solist, Kammermusiker, Festspielintendant und Lehrer einen Meisterkurs in der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken. Zusammen mit den Teilnehmern möchte er dabei unter anderem Standardwerke der Violinliteratur genauer unter die Lupe nehmen. Beim Abschlusskonzert am 10. April um 19 Uhr im Haus Marteau werden die Teilnehmer zusammen mit Christian Altenburger die Ergebnisse des Meisterkurses vorstellen. Wir sprachen im Vorfeld mit dem berühmten Geiger aus Wien:

Sehr geehrter Herr Professor Altenburger, es gibt kaum einen großen Dirigenten der Gegenwart, mit dem Sie noch nicht musiziert haben, gibt es einen, der Sie besonders beeinflusst hat?

Besonders wichtig war für mich Zubin Mehta, dem ich 15 jährig vorgespielt habe. Er hat in der Folge mein Studium bei Dorothy Delay empfohlen und mich später auch als Solisten zu den New Yorker Philharmonikern eingeladen.

Sie sind aber nicht nur ein vielgefragter Solist, sondern auch passionierter Kammermusiker, engagierter Festivalleiter und begehrter Lehrer, welche Tätigkeit liegt Ihnen ganz besonders am Herzen?

Ich liebe alle meine Tätigkeiten, besonders wichtig finde ich die Tatsache, dass die verschiedenen Bereiche einander beeinflussen und befruchten. Als Solist profitiere ich vom genauen Zuhören, das ich in der Kammermusik gelernt habe, als Festivalleiter habe ich die Möglichkeit, begabte Studenten mit Auftritten zu fördern.

Sie haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder Meisterkurse in der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken veranstaltet. Worin liegt für Sie der Reiz Ihr Wissen und Können sowie Ihre Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben?

Ich  arbeite gerne mit jungen Menschen, es hält mich selber jung und ich habe das Gefühl, wenn es gelingt einem jungen Menschen etwas zu vermitteln, etwas Sinnvolles getan zu haben.

Was ist für Sie das Besondere an der Musikbegegnungsstätte Haus Marteau?

Christian Altenburger: „Das Haus Marteau ist ein idealer Ort für Meisterkurse: ein schönes Haus mit idealen Räumlichkeiten - Unterrichtsraum plus Übezimmer - und vor allem eine ruhige und positive Atmosphäre, die ein sehr konzentriertes Arbeiten ermöglicht.“

Worum wird es diesmal in ihrem Meisterkurs gehen, welche Schwerpunkte setzen Sie?

Ich gebe bei Meisterkursen meistens keine programmatischen Vorgaben, sondern versuche auf das einzugehen, was die Studierenden mitbringen, beziehungsweise auf welchem Stand sich ihr Können befindet. Das bedeutet manchmal mehr Konzentration auf technische Dinge, manchmal mehr musikalische Impulse.

Worauf dürfen sich die Besucher des Abschlusskonzertes in Lichtenberg besonders freuen?

Die Abschlusskonzerte der Kurse im Haus Marteau sind immer von einer intimen Atmosphäre geprägt, ähnlich wie bei Hauskonzerten, die es heutzutage leider nur mehr selten gibt, und es ist schön zu beobachten, dass die Studierenden stets versuchen, ihr Bestes zu geben.

Der Meisterkurs für Violine mit Christian Altenburger findet vom 7. bis zum 11. April statt. Assistentin am Klavier ist die Wiener Pianistin Leonore Aumeier. Termin für das offizielle Abschlusskonzert ist Donnerstag, 10. April 2014 um 19 Uhr in Haus Marteau, Lobensteiner Straße 4 in 95192 Lichtenberg. Der Eintritt beträgt fünf Euro.

Zur Person:

Christian Altenburger hatte bereits mit 16 Jahren seine Heimatstadt Wien verlassen, um an der renommierten Juilliard School New York zu studieren. Es folgten weltweite Auftritte und Solokonzerte mit den wichtigsten Dirigenten und Orchestern in Europa und den USA. So gibt es unter den großen Dirigenten der Gegenwart kaum einen, mit dem er noch nicht musiziert hat. Egal ob Claudio Abbado, Herbert Blomstedt, Lorin Maazel, Zubin Mehta oder Franz Welser-Möst, mit ihnen allen und vielen anderen ist Christian Altenburger schon solistisch aufgetreten. Besonders nachhaltige künstlerische Anregungen verdankt Christian Altenburger dem US-amerikanischen Dirigenten James Levine. Mit ihm konzertierte er wiederholt beim Chicago Symphony Orchestra und den Wiener Philharmonikern und erarbeitete gemeinsame Kammermusikprojekte beim Ravinia Festival in den USA. Auch bei der Planung profilierter Programme engagiert sich Christian Altenburger gerne. So war er von 1999 bis 2005 gemeinsam mit der Schauspielerin Julia Stemberger künstlerischer Leiter des Festivals Mondseetage. Seit 2003 obliegt ihm die künstlerische Leitung des Kammermusikfestivals Schwäbischer Frühling und seit 2006 die Leitung des Musikfestivals Loisiarte im niederösterreichischen Langenlois. Nach langjähriger Tätigkeit als Professor an der Musikhochschule Hannover wurde Christian Altenburger 2001 als Professor an die Musikuniversität Wien berufen.

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05.02.2014

„Brauchen Fachkräfte, die Wissen worauf es ankommt“ /
Sabine Köppel und Thorsten Becker vom Handelsverband über Dorfläden, Onlinehandel und generationenfreundliches Einkaufen

Bayreuth. Der Handel verändert sich ständig. Während die dicken Kataloge der großen Versandhäuser  praktisch vollständig verschwunden sind, machen Amazon und Co. dem stationären Handel zu schaffen. Gerade hat die Buchhandlung Hugendubel in Bayreuth das Aus verkündet, ein weiterer empfindlicher Leerstand mitten in der Innenstadt droht. Trotzdem wird der weitaus mittelständisch strukturierte Einzelhandel mittel- und langfristig ein wichtiger Wirtschaftsfaktor bleiben, meinen Sabine Köppel und Thorsten Becker vom Handelsverband Bayern e.V. (früher Landesverband des bayerischen Einzelhandels e.V.) in Oberfranken:

Bayernweit hat der Einzelhandel 2013 ein leichtes Plus erzielt. Wie ist das zurückliegende Jahr aus der Sicht des oberfränkischen Einzelhandels verlaufen?

Sabine Köppel: Wir haben tatsächlich ein leichtes Plus über alle Branchen hinweg, allerdings getrieben vom Internethandel. Für den stationären Handel war 2013 vor allem das Wetter ein echtes Problem. Erst gab es keinen richtigen Sommer, dann keinen richtigen Winter. Wenn nirgends Schnee liegt, nicht einmal im Fichtelgebirge, dann kaufen die Leute eben auch keine Skistiefel.

Allerdings soll das Weihnachtsgeschäft deutlich schlechter gewesen sein?

Sabine Köppel: Gerade im Textilbereich nimmt das Weihnachtsgeschäft immer mehr ab. Die Menschen kaufen das, was sie gerade möchten spontan und weil Weihnachten ist.  Was das Weihnachtsgeschäft angeht, so haben auch diesmal wieder Gutscheine und Bargeld zugenommen und liegen bereits bei rund 20 % aller Geschenke. Bei der Bedeutung des Weihnachtsgeschäfts für den Einzelhandel darf  man nicht vergessen, dass manche Branchen bis zu 25 Prozent ihres Jahresumsatzes in den letzten acht Wochen des Jahres machen, Juweliere oder Spielwarenhändler liegen dabei oftmals noch höher.

Wie entwickeln sich die Beschäftigtenzahlen in Oberfranken?

Thorsten Becker: Absolut positiv. Der Trend geht ganz klar weg von den geringfügig Beschäftigten und hin zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Allerdings schlägt auch im Handel mittlerweile der Fachkräftemangel durch. Verkauf ist schließlich mehr als kassieren und Regale einräumen. Wir brauchen auch in Zukunft Fachkräfte, die wissen dass es auf guten Beratung, Fachkenntnisse und Kundenservice ankommt. Dieser Trend wird durch Zahlen unseres Dachverbandes Handelsverband Deutschland belegt.

Wie wird sich die oberfränkische Einzelhandelslandschaft in den kommenden Jahren verändern? Müssen wir uns an die vielen Leerstände gewöhnen, weil jeder im Internet bestellt, oder sehen Sie Möglichkeiten, die Innenstädte wieder aufzuwerten?

Sabine Köppel: Das Internet ist für den Handel eine echte Herausforderung, die Verbraucherfrequenz in den Innenstädten lässt bereits merklich nach. Während der Katalogversandhandel früher einen Anteil von drei Prozent am Gesamteinzelhandelsumsatz hatte, liegt der Onlineumsatz jetzt schon bei gut zehn Prozent mit steigender Tendenz. Viele Menschen möchten die Innenstadt gerne zum Schaufensterbummel nutzen, gleichzeitig tätigen sie aber ihre Einkäufe immer öfter über Fernabsatzwege. Doch beides wird der Verbraucher  auf Dauer nicht in der Fülle haben können. Der stationäre Handel braucht die Spontankäufe, die bis zum 25% des Umsatzes ausmachen können. Bei fehlender Frequenz brechen diese empfindlich weg. Der stationäre Handel kann nicht dauerhaft den Showroom für das Internet bieten.

Thorsten Becker: Allerdings ist das Internet nur ein Baustein, der den Handel in den Innenstädten verändert. Die starke Zunahme der Fachmarktzentren an den Stadt- und Ortsrändern ist ein weiteres Problem, das den Stadt- und Ortskernen zu schaffen macht.

Sind die Leerstände ein spezielles oberfränkisches Problem?

Sabine Köppel: Zumindest in den Oberzentren sind die Leerstände derzeit kein extremes Problem, nicht in Oberfranken und auch nicht bundesweit. Natürlich schauen die Ladeninhaber auch auf das gesamte Ambiente. Niemand würde in einem völlig maroden Umfeld einen schicken Laden aufmachen wollen. Die Ursachen für jeden einzelnen Leerstand sind vielfältig, meistens sind aber auch die Hauseigentümer in der Pflicht, auch sie müssen mal investieren und da gibt es in Oberfranken durchaus auch Nachholbedarf.

In Feilitzsch ist im Zuge der Dorferneuerung wieder eine kleine Metzgerei und Bäckerei eröffnet worden, in Stammbach öffnet in wenigen Tagen ein sogenannter CAP-Markt in Nordhalben gibt es den Nordwald-Markt, den die Bürgerschaft als Sonderform einer Kommanditgesellschaft betreibt. Wie ist das Phänomen zu erklären, dass die Dorfläden eine Renaissance erleben?

Sabine Köppel: Die Dorfläden kommen tatsächlich wieder. Viele Menschen haben in den kleinen Orten vor circa 30 Jahren ein Häuschen gebaut und müssen jetzt im Alter feststellen, dass der Nahversorger fehlt. Grund dafür ist, dass sich die Lebensmittelketten von den kleineren Ortschaften völlig zurückziehen, weil die Anzahl der Bewohner für den Standardmarkt zu gering ist. Bereits deren Logistik ist auf größere Einheiten angelegt. So ist die Idee der Dorfläden wieder aufgekommen, deren Organisation viele Menschen selbst in die Hand nehmen. Auch wir begleiten solche Konzepte.

Es gibt ja auch eine Initiative Ihres Verbandes, bei der sich Händler zum „Fachhändler Generationenfreundliches Einkaufen“ zertifizieren lassen können. Was steckt dahinter.

Sabine Köppel: Dieses bereits vor dreieinhalb Jahren gestartete Projekt hat nicht eine bestimmte Zielgruppe im Focus, sondern gleich mehrere: behinderte Menschen, junge Familien, Rollstuhlfahrer, Schwangere, Senioren und Kinder. Konkret geht es um bequeme Parkplätze, breite Gänge, spezielle Einkaufswägen für ältere Menschen ebenso wie für Kinder, um Spielecken, Sitzgelegenheiten und so weiter. Einkaufen soll ganzheitlich betrachtet und all diesen Gruppen leichter gemacht werden.

Thorsten Becker: Oberfrankenweit haben bereits rund 200 Einkaufsstätten das begehrte Label erhalten, bayernweit sind es bereits über 2000. Unter anderem sind im Regierungsbezirk sämtliche Edeka- und Rewe-Märkte zertifiziert, aber beispielsweise auch das Rotmaincenter in Bayreuth. Wir wollen den Unternehmen auch Anstöße geben, bestimmte Kriterien zum Wohle des Kunden zu erfüllen.

Stichwort Mindestlohn: beim Neujahrsempfang Ihres Verbandes wurde der Mindestlohn heftig kritisiert. Welche negativen Auswirkungen sind zu befürchten?

Sabine Köppel: Wir sind der Meinung, dass Lohnhöhe und Lohnfindung bei den Tarifvertragsparteien bleiben sollte. Deshalb gibt es ja Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. So hat es zumindest seit 1950 auch funktioniert. Wir sehen auch keine Notwendigkeit, denn faktisch gibt es im Handel ja längst eine Art Mindestlohn durch die Branchentarifverträge. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist für uns allerdings, wenn der Mindestlohn auch für Auszubildende und Praktikanten gelten soll. Das kann nicht funktionieren. Welcher Betrieb stellt denn noch Praktikumsplätze zur Verfügung, wenn er Mindestlohnzahlen muss? Hier wurde von der Politik zu kurz gedacht. Die Tarifautonomie solle grundsätzlich nicht angetastet werden.

Wie viele Mitgliedsunternehmen vertritt der Handelsverband in Oberfranken und wie viele Beschäftigte stehen dahinter?

Thorsten Becker: Wir haben in Oberfranken rund 600 Mitgliedsunternehmen mit rund 5000 Betriebsstätten, die zusammen 32000 Menschen beschäftigen, davon etwa 3500 Auszubildende. Bayernweit haben wir rund 8000 Mitgliedsunternehmen mit 65000 Betriebsstätten, 365000 Beschäftigten und circa 40000 Azubis.

Bild: Sabine Köppel und Thorsten Becker stehen an der Spitze des Handelsverbandes in Oberfranken, der seinen Sitz in Bayreuth hat.

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17.02.2014

„Oberfranken wird auch künftig mit Bargeld versorgt“ / Die Bundesbank-Filiale in Bayreuth wird zum 30. September 2015 geschlossen

Bayreuth. Viele Berührungspunkte gibt es nicht von Privatleuten zur einzigen oberfränkischen Bundesbank-Filiale in Bayreuth. Deshalb werden es auch nicht viele Privatleute merken, dass die Filiale, ein markantes Gebäude in der Rosestraße, zum 30. September 2015 geschlossen wird. So jedenfalls sieht es die Filialstrategie der Bundesbank vor. Trotzdem hat die Filiale noch einmal einen neuen Leiter bekommen. Es ist der 52-jährige Schwandorfer Johann Rebl. Als Abwickler sieht er sich nicht, wie er im Interview sagt. Rebl verspricht, dass sich auch künftig niemand in Oberfranken um die Bargeldversorgung Gedanken machen muss.

Herr Rebl, die Schließung der Bundesbank-Filiale Bayreuth zum 30. September 2015 steht, oder kann sich das noch etwas ändern?

Der Schließungsbeschluss ist da und wird auch umgesetzt. Durch den Einsatz neuer Maschinen können in den Bundesbank-Filialen größere Mengen Bargeld bearbeitet werden. Dadurch sind Überkapazitäten entstanden, die nun abgebaut werden.

Warum wird ausgerechnet Bayreuth dicht gemacht?

Alle Filialstandorte wurden gründlich nach einheitlichen Kriterien überprüft. Diese Kriterien waren die Kundenstruktur, das Bargeldaufkommen, die langfristige Auslastung der Filiale, die Flächenabdeckung und die Verkehrsanbindung. Im Übrigen sind seit September schon diverse Filialen geschlossen worden, darunter aktuell zum 31. März dieses Jahres die Filialstandorte Dresden, Lübeck und Gießen und zum 30. September 2015 werden neben Bayreuth auch die Filialen in Bremen und Kiel geschlossen.

Werden Sie und ihre Mitarbeiter bis zum letzten Tag in Bayreuth voll präsent bleiben?

Der Dienstbetrieb wird bis zum letzten Tag vollständig aufrechterhalten, selbst wenn Mitarbeiter vor den Schließungsterminen innerhalb der Bundesbank zu einer anderen Filiale wechselten oder aus den Diensten der Bundesbank ausscheiden würden

Wie viele Beschäftigte hat die Filiale in Bayreuth, was wird aus ihnen?

Wir haben hier 32 Beschäftigte, die überwiegend im mittleren Dienst tätig sind. Sie sind größtenteils im Zahlungsverkehr, also in der Papier und Münzgeldbearbeitung tätig. Was die Schließung betrifft, so gibt es eine Dienstvereinbarung zur sozialverträglichen Begleitung. Das heißt, auf betriebsbedingte Kündigungen wird komplett verzichtet. Beschäftigte, die umziehen möchten, erhalten von uns natürlich Unterstützung. Daneben bieten wir verschiedene Qualifizierungsmaßnahmen an und helfen auch, Arbeitsplätze bei anderen Behörden zu finden.

Sehen Sie sich als Abwickler?

Ich bin nicht als Abwickler hierhergekommen. Vielmehr liegt mein Hauptaugenmerk darauf, dass der Dienst der Filiale in geordneten Bahnen bis zum Schluss aufrechterhalten bleibt und die Kunden bis zur Filialschließung die gewohnten Serviceleistungen weiter in Anspruch nehmen können.  Natürlich gehört aber auch die Suche nach möglichen Käufern für die Immobilie zu meiner Tätigkeit.

Was ist die Aufgabe der Bayreuther Bundesbank-Filiale?

Unsere Hauptaufgabe ist es, die Wirtschaft im östlichen Oberfranken mit Bargeld zu versorgen. Das westliche Oberfranken gehört schon länger zur Filiale Nürnberg. Bargeldversorgung heißt, die Geldtransporte holen hier das Bargeld ab und bringen es zu den Banken und Sparkassen sowie zu den Firmen.

Bisher hieß es immer, die Bundesbank-Filiale sichert die reibungslose Bargeldversorgung der Region ab, nun gibt es bald keine Filiale mehr in Oberfranken?

Natürlich wird es auch weiterhin eine reibungslose Bargeldver- und -entsorgung geben. Freilich werden die Transporteure künftig mitunter längere Fahrstrecken haben. Außerdem reagieren viele Banken jetzt schon, indem sie sich einen eigenen kleinen Bargeldkreislauf sichern, etwa durch die Installation von kombinierten Ein- und Auszahlungsgeräten.

Aber auch Privatleute haben Kontakt mit der Bundesbank?

Ja, denn die Bundesbank tauscht DM-Banknoten und –Münzen zeitlich unbefristet und kostenfrei in Euro um.  Das ist hier im Haus noch bis zum 30. September 2015 möglich. Danach muss der Kunde entweder zu einer anderen Filiale fahren oder den Umtausch auf dem Postweg über das Bargeldzentrum der Bundesbank in Mainz erledigen.

Gibt es tatsächlich noch immer Menschen, die D-Mark-Beträge horten?

Pro Tag sind es im Durchschnitt an die sieben Kunden, die zum Umtauschen von Kleinstbeträgen hierher kommen. Meist sind es Spargroschen oder Beträge aus Erbfällen. Es war aber auch schon jemand hier, der 28000 D-Mark unter seinem Teppich aufbewahrt hatte. Übrigens tauschen wir auch größere Mengen von Euro-Münzen in Euro-Scheine um, für Privatleute sogar gebührenfrei.

Wie viele Filialen hat die Bundesbank derzeit eigentlich?

Insgesamt 41 Filialen, davon sechs in Bayern, Bayreuth mitgerechnet.

Können Sie etwas über die Historie der Filiale berichten?

Ja, die Historie der Notenbank in Oberfranken reicht bis 1877 zurück. Damals wurde die erste sogenannte Reichsbanknebenstelle Oberfrankens in Bayreuth eröffnet. Nach verschiedenen Standorten wurde 1985 der heutige Bau in der Rosestraße eröffnet.

Was passiert mit dem Gebäude?

Die Bundesbank verkauft ihre betrieblich nicht mehr benötigten Immobilien.

Wo sind die eigentlich nächsten Bundesbank-Filialen?

In Nürnberg, Regensburg, Würzburg und Chemnitz.

Zur Person:

Johann Rebl, der Leiter der Bundesbank-Filiale in Bayreuth, steht seit über 30 Jahren in den Diensten der Bundesbank. Zuletzt war der gebürtige Schwandorfer in Nürnberg und Regensburg tätig.

Die Bundesbank-Filiale in der Rosestraße in Bayreuth wird zum 30- September 2015 geschlossen.

 

 

 

 

 

 

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28.11.2013

„Der Koalitionsvertrag ist eine solide Grundlage“ / IG-Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner sieht Kernforderungen der Gewerkschaft aufgegriffen

Himmelkron. „Der Teufel steckt im Detail“, sagt Christiane Benner (Bild), geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied der Gewerkschaft IG Metall. Dennoch fällt ihre erste Bewertung des Koalitionsvertrages eher positiv aus. Wie sich die Gewerkschaft in die Europawahlen einbringen möchte und warum die IG Metall als einzige Großgewerkschaft im DGB auf Bundesebene steigende Mitgliederzahlen hat, verriet Christiane Benner im Interview:

Die Koalitionsverhandlungen sind offiziell abgeschlossen. Aus Sicht der IG Metall: Was sind Erfolge, was sind Niederlagen für die Gewerkschaft?

Die Vereinbarung beinhaltet nicht das Maximum gewerkschaftlicher Forderungen, sie ist aber eine solide Grundlage und ein Anfang bei der Neuordnung des Arbeitsmarktes hin zu mehr Sicherheit und Gerechtigkeit. Bei Themen wie Mindestlohn, Leiharbeit und Werksverträgen sowie der Rente wurden zentrale gewerkschaftliche Positionen übernommen, die noch vor kurzem krachend am Widerstand von Schwarz-Gelb zerschellt wären. Bei den Gesetzen, die daraus folgen, steckt der Teufel dann sicher noch im Detail, und deshalb müssen wir das uns erst noch in Ruhe ansehen. Bei den Gesetzesverfahren werden wir uns einbringen, damit das Ganze auch richtig umgesetzt wird.

Der Koalitionsvertrag ist unterzeichnet - doch das Abkommen ist nur vorläufig. Jetzt müssen die SPD-Mitglieder überzeugt werden. Wird das gelingen?

Es liegt nicht an uns, die Stimmung an der SPD-Basis zu bewerten und den Mitgliedern Ratschläge zu erteilen. Aus unserer Sicht bringt der Koalitionsvertrag, sollte er umgesetzt werden, direkte Verbesserungen für Millionen Menschen. Die SPD-Mitglieder müssen für sich die Frage beantworten, ob mit einem Nein zur Großen Koalition mehr rauszuholen ist.

Der Export boomt, das Bruttoinlandsprodukt steigt und die Arbeitslosigkeit sinkt. Eigentlich geht es uns doch gut, oder?

Jein. Objektiv sehen wir, dass Deutschland in einer guten Situation ist, auch und gerade mit Blick auf die anderen Länder in Europa. Die wirtschaftliche Situation ist stabiler geworden, Deutschland ist ja auch gut durch die Euro-Krise gekommen, wobei wir in einigen Segmenten schon auch merken, dass in den Krisenländern die Märkte wegbrechen. Was die Arbeitslosigkeit angeht, ist die Zahl von fünf Millionen in 2005 auf knapp drei Millionen heute gesunken. Absolut haben wir aber einen Prozess struktureller Prekarisierung, das bedeutet, das sogenannte German Jobwunder beruht nicht zuletzt auf einer extremen Zunahme an Leiharbeit und Werkverträgen., Minijobs, Teilzeit- und befristeten Jobs. So kommt es, dass wir immer mehr Menschen im Land haben, die trotz Arbeit arm und auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, gerade bei den unter 25-jährigen und bei den 55- bis 64-Jährigen. Da wird das Bild schon sehr relativiert.

Fünf Jahre nach Beginn der Wirtschafts- und Schuldenkrise steht Europa auch weiterhin vor vielen Herausforderungen. Wird sich die IG Metall in die Europawahl im Mai nächsten Jahres einmischen?

Ja, das werden wir, das müssen wir auch. Wir wollen uns stark machen für ein soziales Europa, auch wenn es abgedroschen klingt. Es geht schlicht und einfach darum, dass die Sparpolitik, die in Griechenland, Spanien oder Portugal zum Tragen kommt, zu einer massenweisen Verarmung von Menschen führt. Dazu kommt eine massive Jugendarbeitslosigkeit. Wir bringen damit ja eine ganze Generation um ihre Zukunft. Mit großer Sorge sehen wir auch Kooperationen und Bündnisse rechter Parteien, die sich gegen Europa  richten. Das darf nicht sein, wir werden den Rechten keinen Fuß breit geben. Wir müssen auch unseren Mitgliedern und den Beschäftigten in den Betrieben Bilder von einem positiven Europa vermitteln. Da müssen wir uns viel massiver einklinken.

Die IG Metall hat als einzige Großgewerkschaft im DGB steigende Mitgliederzahlen. Worauf führen Sie das zurück?

Zum einen hat unser politischer Kurs der letzten Jahre die Menschen überzeigt. Zum anderen sind wir noch näher an die Menschen herangerückt, indem wir ganz massiv in die Fläche gegangen sind, also unsere Verwaltungsstellen gestärkt haben. Und wir haben uns verstärkt potentiellen Mitgliedern über unser Kernklientel hinaus zugewandt und ihnen vermittelt, dass der Nutzen einer Mitgliedschaft beispielsweise für einen IT-Angestellten ebenso groß ist, wie für einen Facharbeiter. Wir haben mittlerweile fast 150000 Ingenieure und technische Experten in der IG Metall organisiert. Wir haben eine positive Entwicklung bei den jungen Leuten. 120000 Mitglieder sind unter 35 Jahre jung. Wir sind die größte Jugendorganisation Deutschlands. Und auch bei den Frauen haben wir gewonnen. Unsere Verwaltungsstellen und Betriebsräte haben sehr, sehr gute Arbeit geleistet. Es legen aber auch andere DGB-Gewerkschaften zu.

Was ist die zentrale Botschaft des Gewerkschaftstages vom vergangenen Wochenende?

Wir brauchen eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt und wir brauchen ein soziales Europa. Sigmar Gabriel und Angela Merkel haben uns beim Gewerkschaftstag wirklich die Hände gereicht. Neben unserer betrieblichen Stärke brauchen wir einen guten Draht zur Politik, wenn wir etwas erreichen und als starke Organisation ernst genommen werden wollen. Um etwa die Verwerfungen am Arbeitsmarkt anzugehen, brauchen wir eine politische Flankierung.

Es heißt, die IG Metall sei in Bestform. Stimmt das?

Ja, aber wir können immer noch besser werden. Wir blicken gerade auf eine erfolgreiche Arbeit, wir haben eine gute Saat gesäht, die zum Teil schon aufgegangen ist. Ich glaube, dass wir echt auf einem guten Weg sind und die neue und verjüngte Führung wird diesen Kurs fortsetzen.

Zur Person:

Christiane Benner stammt aus Aachen, ist ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentin und studierte Soziologie in Marburg, Frankfurt und in den USA. 1997 wurde sie Projektsekretärin der IG Metall in Frankfurt, 2006 Tarifsekretärin für die Metall- und Elektroindustrie in Sachsen-Anhalt. Seit Oktober 2011 ist die geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied.

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15.10.2013

Ganz nah an den Klassikstars von morgen / Peter Sadlo über die faszinierende Welt der Perkussion – Konzerte in Lichtenberg und Stegaurach

Lichtenberg/Stegaurach. Die Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken hat sich als Spitzeninstitut etabliert und genießt höchstes Ansehen in Fachkreisen, sagt Professor Peter Sadlo.  Er gilt weltweit als einer der besten Schlagzeuginterpreten und ist seit 2007 auch als künstlerischer Berater der Musikbegegnungsstätte tätig. Dort wird er vom 4. bis zum 8. November seinen Meisterskurs geben. Die jungen Pauker und Schlagwerker, die heuer das Glück haben am Meisterkurs teilnehmen zu dürfen, werden ihr Können am 7. November im Haus Marteau und am 8. November in Stegaurach bei zwei großangelegten Abschlusskonzerten demonstrieren. Wir sprachen im Vorfeld mit dem „Schlagzeugprofessor“:

Herr Professor Sadlo, Sie sind seit 2007 künstlerischer Berater der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken. Welche Entwicklung hat das Haus in den zurückliegenden Jahren genommen?

In den letzten Jahren konnte man eine kontinuierliche künstlerische und pädagogische Weiterentwicklung beobachten, aber am bedeutendsten ist für mich der Generationenwechsel, der unter den Dozenten stattgefunden hat. Unsere Pädagogen stehen selbst im Berufsleben, unterrichten also an weltweit bedeutenden Universitäten und sind als Solisten oder Instrumentalisten in wichtigen Kulturinstitutionen tätig. Der Schwerpunkt liegt natürlich immer noch auf der Violine neben den anderen klassischen Instrumenten und dem Gesang.

Sie gehören weltweit zu den renommiertesten Solo-Schlagwerkern der Gegenwart und unterrichten als Professor für Pauke und Schlagzeug an der Hochschule für Musik und Theater München und am Mozarteum in Salzburg? Welchen Stellenwert hat Lichtenberg und das Haus Marteau in der internationalen Musikwelt?

In Fachkreisen ist das Haus Marteau seit der Gründung von Prof. Dr. Weiß als Spitzeninstitut etabliert und genießt höchstes Ansehen. Die internationalen Kursdozenten gehören ja allesamt zur Weltelite ihres Fachs und die Abschlusskonzerte der Meisterkurse sind ein Geheimtipp, denn ansonsten kommt man diesen Persönlichkeiten und den eventuellen Klassikstars von morgen nicht so nahe wie in der privaten und intimen Atmosphäre das Hauses Marteau. Genau deshalb wünsche ich mir eine noch etwas größere Akzeptanz der Bürger in Oberfranken, die gerne auch ein wenig Anfahrtsweg in Kauf nehmen sollten für diese einzigartigen Konzerte.

Sie haben die Reihe "Haus Marteau auf Reisen" ins Leben gerufen. Welche Resonanz erzielen Sie mit den Konzerten der Meisterschüler und Ihrer Dozenten an den unterschiedlichsten Orten in ganz Oberfranken?

Das Konzertangebot ist auf Spielstätten über den ganzen Bezirk Oberfranken verteilt. Die stetig wachsende Besucherzahl spricht für sich und auch die Veranstalter, die bei diesem Projekt mitwirken, sind höchst zufrieden, diese Güteklasse an Konzerten in ihrem Umkreis anbieten und anhören zu können. Ansonsten müsste man eben Reisen in die Kulturmetropolen nach Nürnberg, München oder Berlin auf sich nehmen.

Welchen Bezug haben Sie selbst zu Oberfranken?

Ich hatte das große Vergnügen, meine erste musikalische Ausbildung mit den dazugehörigen Erfahrungen in Mittelfranken zu beginnen. In Unterfranken habe ich dann meine Studienzeit absolviert und wie sagt man so schön: In der Blüte meines Lebens darf ich jetzt all mein gesammeltes Wissen als Solist, Orchestermusiker und Pädagoge und meine persönlichen Kontakte in das kulturelle Leben Oberfrankens einbringen, dank dieser wunderbaren Tätigkeit als künstlerischer Berater des Hauses Marteau. Und wenn ich noch etwas persönlich hinzufügen darf: Ich schätze diese manchmal etwas robusten, aber mit Handschlagsqualität ausgestatteten Menschen hier in Oberfranken sehr.

Sie werden selbst Anfang November einen Meisterkurs veranstalten und die Ergebnisse am 7. November im  Haus Marteau und am 8. November in Stegaurach der Öffentlichkeit präsentieren. Worauf darf sich das Publikum freuen?

Lassen Sie sich überraschen von wunderbaren jungen Schlagzeugtalenten und die faszinierende Welt der Perkussion! Auch ich lasse mich immer wieder gerne überraschen, welche neuen Werke die Studenten aus aller Welt mitbringen und daraus basteln wir dann ein aufregendes und spannendes Programm mit virtuosen Solobeiträgen und groovigen Ensemblestücken.

Zur Person:

Peter Sadlo stammt aus Nürnberg und gehört heute weltweit zu den renommiertesten Solo-Schlagwerkern der Gegenwart. Nach seinem Studium an den Musikhochschulen in Nürnberg und Würzburg wurde er bereits 1982 Solopauker bei den Münchner Philharmonikern unter deren damaligen Chefdirigenten Sergio Celibidache. Seit 1983 ist Peter Sadlo Professor für Pauke und Schlagzeug an der Hochschule für Musik und Theater München. 1990 wurde er als Professor an das Mozarteum in Salzburg berufen. Auch als Ensembleleiter, Dirigent, Komponist und Arrangeur ist er international bekannt.

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28.09.2013

Marteau-Violinkonzert wird für CD eingespielt / Der prominente Geiger Ingolf Turban kommt nach Oberkotzau – Meisterkurs in Haus Marteau

Lichtenberg/Oberkotzau. Der international bekannte Geiger Ingolf Turban wird am Samstag, 16. November, zusammen mit Teilnehmern eines Meisterkurses der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken, Haus Marteau, in Oberkotzau zu Gast sein und ein Abschlusskonzert veranstalten. Im Vorfeld äußerte sich Ingolf Turban im Interview dazu, warum er gerne mit jungen Künstlern arbeitet und warum er immer wieder gerne nach Lichtenberg kommt. Er hat dabei auch erstmals Einzelheiten zu seiner geplanten „Ersteinspielung“ des wiederentdeckten Violinkonzerts von Henri Marteau angekündigt.

Sehr geehrter Herr Turban, Sie haben in den zurückliegenden Jahren immer wieder Meisterkurse in der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken, dem Haus Marteau,  veranstaltet. Worin liegt für Sie der Reiz Ihr Wissen und Können sowie Ihre Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben?

Jeder Kurs, den ich geben darf, besteht aus einer wunderbaren wechselseitigen Herausforderung: Da ich die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst in der Kurswoche kennenlerne und sie mich auch, bedeutet unsere Arbeit, aus den gegebenen fünf Tagen das Beste herauszuholen. Da ist die Motivation besonders hoch – natürlich auf beiden Seiten, und was gibt es Schöneres als jungen Menschen, die mit solch positiver Energie ankommen, ein wenig weiterhelfen zu dürfen?

Was ist für Sie das Besondere an der Musikbegegnungsstätte Haus Marteau?

Dass es gerade der Feingeist des von mir so bewunderten Henri Marteau war, der das Haus mit seiner großzügigen Ausstrahlung nachhaltig prägte, ist ein besonderer Anziehungspunkt für mich, zumal dieses einladende Anwesen in herrlichster Abgeschiedenheit steht und von schönster Natur umgeben ist, auf die ich mich jetzt schon wieder ungemein freue!

Sie beschäftigen sich immer wieder gerne mit den Werken unbekannter Komponisten, worin liegt für Sie der Reiz, verschollen geglaubtes wiederzuentdecken?

„Große und größte Werke sind bleibende Fixsterne, die keinen Anwalt brauchen, sondern die eher gebraucht werden sozusagen als Höhensonne für die meisten Talente, die daran wachsen. So habe ich es auch gemacht, zunächst. Dann kommt der nächste Schritt: wie kann ich selbst mich einbringen als “Anwalt” für die oft zu Unrecht “Vergessenen”? Das war mein primärer Ansatz und ist es bis heute geblieben.

Eine der dieser Wiederentdeckungen ist das Violinkonzert von Henri Marteau, darf sich die Musikwelt auf ihre „Ersteinspielung“ des Werkes freuen?

Ja, ich konnte soeben einen Aufnahmetermin mit dem Orchester des Saarländischen Rundfunks unter Leitung des Dirigenten Raoul Grüneis fixieren. Er selbst hat ja das bisher meiste zur Wiederentdeckung dieses Werkes beigetragen. Darüber hinaus wird es auf gleicher CD eine fabelhafte und passende Ergänzung geben: das Violinkonzert von Theodore Dubois! Ich habe es gerade in Frankreich gespielt – und war hingerissen von dessen Qualität! Und wem ist es gewidmet? Henri Marteau! Unglaubliche Koinzidenz!

Worum wird es diesmal in ihrem Meisterkurs gehen, welche Schwerpunkte setzen Sie?

Heute kann ich noch nicht absehen, wer was wie spielen wird. Ich setze daher nicht aktiv Schwerpunkte, sondern beobachte zunächst, was kommt, um daraus etwas zu machen. Es bleibt spannend...

Zur Person:
Der Geiger Ingolf Turban wurde 1964 in München geboren. Unter dem prominenten Dirigenten Sergiu Celibidache schaffte er es mit nur 21 Jahren zum 1. Konzertmeister der Münchner Philharmoniker. 1988 verließ er das Orchester und startete seine bis heute anhaltende äußerst erfolgreiche Solistenkarriere. So trat er nicht nur in allen großen in allen großen Konzerthäusern der Welt auf, er arbeitete auch mit Dirigenten wie Charles Dutoit, Lorin Maazel, Zubin Mehta, Yehudi Menuhin, Jun Märkl oder Marcello Viotti zusammen. Für die TV-Dokumentation „Paganinis Geheimnis" war er selbst in die Rolle des berühmten Teufelsgeigers geschlüpft. Seit 2006 ist Ingolf Turban Professor an der Hochschule für Musik und Theater in München. Er hat eine Vielzahl von CDs veröffentlicht, darunter auch violinbegleitende Literaturlesungen seiner Schwester, der Schauspielerin Dietlinde Turban.

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25.06.2013

Gewerkschaftsarbeit schmeckt nach Himbeereis / Interview mit dem 1. Bevollmächtigten der IG Metall Ostoberfranken Volker Seidel

Münchberg. Als „brauchbar“ und „in Ordnung“ bezeichnet Volker Seidel, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Ostoberfranken in Münchberg, den jüngsten Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie. Wenn die Eurokrise auch noch lange nicht vorbei ist, so wagt der Gewerkschafter im Interview dennoch einen positiven Blick in die Zukunft:

Herr Seidel, wie beurteilen Sie den Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie?

Der Abschluss ist brauchbar, wenngleich er natürlich hätte höher ausfallen können. Wichtig sind unseren Kollegen drei Komponenten: Zum einen gibt es eine Tariflohnerhöhung von 3,4 Prozent, zum anderen konnte die von Arbeitgeberseite gewünschte Differenzierung, das heißt eine zweite Ebene der Lohnfindung im Betrieb, verhindert werden. Ob allerdings eine Laufzeit von 20 Monaten unbedingt sein musste… Insgesamt gesehen ist der Abschluss aber schon in Ordnung.

Daneben gab es von der Öffentlichkeit weniger beachtet auch einen Abschluss für Beschäftigte im Kfz-Handwerk. Was kam dabei eigentlich heraus?

Die Tarifgemeinschaft der Kfz-Industrie betrifft in Ostoberfranken nur ganz wenige Betriebe. Hier lautete das Ergebnis zwei Mal 2,8 Prozent, also 2,8 Prozent mehr Lohn und Gehalt ab Juli 2013 und noch einmal 2,8 Prozent ab August 2014 mit einer Laufzeit bis zum 30. April 2015. Wenn die Tarifgemeinschaft der Kfz-Industrie auch bei uns nicht die große Rolle spielt, so gibt es aber dennoch viele Betriebe, die sich an dem Ergebnis orientieren.

Wo gibt es Probleme in der betrieblichen Situation?

Die Situation zeigt sich derzeit deutlich entspannter als noch vor einigen Monaten. Die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind voll, man rechnet mit einem guten zweiten Halbjahr. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass die Eurokrise noch lang nicht beendet ist, dass es starke Schwankungen und auch wegbrechende Märkte gibt. Trotzdem ist die Anzahl derer, die sich Sorgen machen müssen kleiner und die Zahl derer mit positiven Erwartungen größer geworden.

Die IG Metall hat eine Beschäftigtenbefragung durchgeführt. Was kam heraus?

Wir haben zum zweiten Mal auf Bundesebene diese sehr umfangreiche Befragung gestartet. Im unserem Bereich Oberfranken-Ost kamen weit über 3500 Fragebögen zurück, fast 500 wurden an Infoständen ausgefüllt, über 1300 kamen von Nicht-Mitgliedern. Damit ist die Befragung in jedem Fall repräsentativ. Wichtigstes Ergebnis: für  88 Prozent der Menschen  setzen gute Arbeit mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag gleich. Danach kommen ein verlässliches Einkommen und planbare Arbeitszeiten, ein positives Betriebsklima und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Allerdings machen sich auch über 40 Prozent der Menschen in Ostoberfranken große oder sogar sehr große Sorgen um ihren Arbeitsplatz.

Was steht bei der IG Metall in den kommenden Wochen und Monaten an?

Am 13. Juli gibt es in Schweinfurt eine Großveranstaltung zur Bundestagswahl, an der auch viele Kollegen aus Ostoberfranken teilnehmen werden. Dieses Fest der Demokratie soll ein Familienfest werden, bei der politische Aussagen mit Kabarett und Unterhaltung verbunden werden. Gewerkschaftsarbeit mal anders, lautet unser Motto. Wir wollen zeigen, dass Gewerkschaftsarbeit auch mal nach Himbeereis schmecken kann.

Eine weitere Großveranstaltung im Vorfeld der Bundestagswahlen wird der Abend mit dem früheren Bezirksleiter Werner Neugebauer am 23. Juli in Himmelkron sein? Warum sollten die Kollegen und Beschäftigten da hingehen?

Nicht nur Beschäftigte, die Veranstaltung am 23.Juli ab 18 Uhr im Gasthof Opel in Himmelkron steht allen Interessierten offen. Gerade im Vorfeld der Bundestagswahl ist es wichtig, unsere Anliegen knapp und präzise zu formulieren, wer könnte das besser als Werner Neugebauer, der von 1988 bis 2010 bayerischer Bezirksleiter der IG Metall war.

2014 stehen die turnusmäßigen Betriebsratswahlen an, was ist das Ziel der IG Metall?

Wir wollen gerade Beschäftigten auch in Unternehmen, die noch keinen Betriebsrat haben, zeigen, wie wichtig die Mitbestimmung ist. Nur mit Betriebsrat kann ich meine Rechte umsetzen und wahrnehmen. Das wollen wir jedem klarmachen, deshalb auch das Motto: Deine Stimme zählt.

Den Juli hat die IG Metall zum Jugendwerbemonat ausgerufen. Was hat es damit auf sich?

Eigentlich läuft die Aktion nicht nur im Juli, sondern zielt besonders auf den Ausbildungsstart im September ab. Hintergrund ist, dass wir die künftigen Auszubildenden ansprechen und auf die IG Metall aufmerksam machen möchten.  Nur wenn wir als Gewerkschaft jung und dynamisch bleiben, werden wir auch wahrgenommen. Übrigens hat die IG Metall im Bereich Jugend, also bis 27 Jahre, bayernweit mehr Mitglieder als alle politischen Parteien zusammen.

Die IG Metall Ostoberfranken hat mit Stefan Winnerlein einen neuen Jugendsekretär. Welche Aufgaben hat der neue Mitarbeiter?

Stefan Winnerlein löst Stefan Körprich ab, der jetzt bei der IG Metall in Aschaffenburg tätig ist. Seine Aufgabe ist es, die jungen Leute in den Betrieben zu betreuen, wobei wir den Jugendsekretär vorerst noch mit der Verwaltungsstelle Coburg teilen müssen. Stefan Winnerlein ist 32 Jahre alt, gebürtiger Nürnberger, er hat in der Industrie gelernt und danach Soziologie in Hamburg studiert.

Zur Person: Volker Seidel (48) steht seit 2007 an der Spitze der IG Metall in Ostoberfranken, die ihren Sitz in Münchberg hat. Der gelernte Energieanlagenelektroniker war ab 1992 in der damals noch selbständigen Gewerkschaft Textil und Bekleidung hauptamtlich aktiv, wechselte 1994 als Geschäftsführer zur damals ebenfalls noch selbständigen Gewerkschaft Holz und Kunststoff, ehe er am 21. Juni 2007 zum 1. Bevollmächtigten der IG Metall Ostoberfranken, der größten Einzelgewerkschaft in der Region gewählt wurde.

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10.05.2013

Interesse für Musik wecken / Blechbläserquintett kommt nach Bamberg, Forchheim, Hof und Kulmbach – Interview mit Rainer Streit von Rekkenze Brass

Zum Abschluss des Schuljahres warten heuer auf viele oberfränkische Kinder und Jugendliche ganz besondere Unterrichtsstunden. Dabei wird kein Lehrer vorne stehen, sondern die fünf Musiker des international bekannten Blechbläserquintetts Rekkenze Brass aus Hof. Im Auftrag des Bezirks Oberfranken und dessen Internationaler Musikbegegnungsstätte Haus Marteau setzt die Formation ihre Reihe mit „Musikhörstunden“ fort. Unkonventionell, humorvoll und locker sollen die Schülerinnen und Schüler klassische Musik kennenlernen, Interessantes über die Stücke und deren Komponisten erfahren und dabei auch zum Mitmachen animiert werden, sagt Rainer Streit, der bei Rekkenze die Tuba spielt. Im Interview erläutert er, warum klassische Musik in der Schule wichtig ist, wie es Rekkenze Brass gelingt, die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler zu gewinnen, und wie man Kinder davon begeistern kann, ein Instrument zu erlernen.

Herr Streit, zusammen mit Rekkenze Brass veranstalten Sie seit vielen Jahren Musikhörstunden an oberfränkischen Schulen. Wie ist es eigentlich um den Kenntnisstand Jugendlicher in Sachen „klassischer“ Musik bestellt?

Das ist total unterschiedlich und immer sehr abhängig von den jeweiligen Jahrgangsstufen, wir spielen ja für Erstklässler genauso wie für Schüler von Fachoberschulen, und natürlich von den Lehrern der jeweiligen Schule. Andererseits geht es uns nicht nur darum, den Kindern die klassische Musik nahe zu bringen, sondern auch allgemein ihr Interesse und Verständnis für Musik zu wecken. Viele von den Schülern sind noch nie in einem Konzert gewesen und kennen das Erlebnis nicht, der Musik einmal leise zuzuhören und einfach so auf sich wirken zu lassen. Wenn wir dann bei dem einen oder anderen Jugendlichen hier etwas bewirken können, hat sich unser Engagement schon gelohnt.

Warum ist Musikunterricht für junge Leute überhaupt wichtig?

Ich denke Musik ist für die Persönlichkeitsentwicklung eine Kindes unglaublich wichtig. Es werden durch das Lernen eines Musikinstrumentes unter anderem die Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und Merkfähigkeit verbessert, was sich auf alle anderen Lebensbereiche, auch auf die Schule positiv auswirkt. Weiterhin lernen die Schüler sich (musikalisch) auszudrücken, sich zu entfalten, sie erlangen mehr Selbstsicherheit und fördern durch den Umgang mit anderen, etwa durch das Spielen in Gruppen, gleichzeitig ihre soziale Kompetenz. Es muss ja nicht bis zur professionellen Reife sein...

Wie gelingt es Ihnen eigentlich, die Aufmerksamkeit von Schülern für zirka zwei Schulstunden lang zu gewinnen?

Eine Musikhörstunde dauert circa 60 Minuten und hier versuchen wir immer wieder die Schüler aktiv mit einzubinden. Sei es nun, dass sie bei ausgewählten Stücken die Augen schließen müssen und wir hinterher fragen was sie dabei empfunden haben, oder ob wir sie selber mit musizieren lassen. Natürlich ist unser Programm auch immer auf die entsprechenden Jahrgangsstufen ausgerichtet und wir können es auch spontan ändern um noch besser auf die Schüler einzugehen.

Kann man Kinder heute noch dafür begeistern, ein Instrument zu erlernen?

Ja, und meiner Meinung nach je früher desto besser. Bei entsprechender Motivation - und am Besten in einer Gruppe - kann man die Schüler für fast alles begeistern. Sofern nicht von den Eltern jemand Musik macht, haben viele Kinder relativ wenig Kontakt zur Musik, beziehungsweise zum Musizieren. Wenn sie dann aber zum Beispiel einmal andere Kinder oder uns spielen hören, kann das mitunter ein riesiger Ansporn sein das selber einmal auszuprobieren. Kinder sind hier relativ unbefangen - allerdings: je älter sie sind, umso schwieriger wird´s, weil sie dann meist schon andere Interessen haben.

Erinnern Sie sich an ein besonders kurioses Erlebnis im Zuge Ihrer Musikhörstunden?

Es passieren schon immer wieder diverse komische Situationen und Sachen, aber etwas ganz außergewöhnliches, da muss ich momentan leider passen. Aber vielleicht darf ich noch etwas anmerken: Wir gehen nicht davon aus, dass jetzt alle Schüler anfangen ein Instrument zu lernen, aber so dann und wann bekommen wir bei anderen Gelegenheiten doch schon zu hören, dass ein Kind uns in seiner Schule gehört hat und seit dem selber ein Instrument, vielleicht sogar ein Blasinstrument, spielt. Das macht einen dann auch schon etwas stolz...

Musikhörstunden mit Rekkenze Brass – Die Termine:

Montag, 10. Juni 2013, 8 bis 9 Uhr, Neustädter Schule Hof, Aula des Jean-Paul-Gymnasium

Montag, 10. Juni 2013, 10 bis 11 Uhr, Christian-Wolfrum-Grundschule Hof, Aula / Speiseraum des Ganztagesgebäudes

Montag, 1. Juli 2013, 8 bis 9 Uhr, Graf-Stauffenberg-Realschule Bamberg, Musiksaal

Montag, 1. Juli 2013, 9.45 bis 10.45 Uhr, Kaiser-Heinrich-Gymnasium Bamberg, Turnhalle (C-Trakt)

Montag, 22. Juli 2013, 8 bis 9 Uhr, Annaschule Forchheim, Aula

Montag, 22. Juli 2013, 10 bis 11 Uhr, Martin-Volksschule Forchheim, Turnhalle

Montag, 29. Juli 2013, 8 bis 9 Uhr, Theodor-Heublein-Schule Kulmbach, Aula / evtl. Schulhof

Montag, 29. Juli 2013, 9.30 bis 10.30 Uhr, Hans-Edelmann-Mittelschule Kulmbach, Turnhalle

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09.05.2013

Musik als Ausdruck des Lebens / Meisterkurs und Konzerte mit Hariolf Schlichtig in Lichtenberg und Rehau – Der „Paganini der Viola“ im Interview

Lichtenberg/Rehau. Der Münchner Ausnahmebratschist Hariolf Schlichtig gibt vom 3. bis zum 7. Juni einen Meisterkurs in der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau des Bezirks Oberfranken. Das Abschlusskonzert führt den Musiker und seine Meisterstudenten nach Rehau. In der Reihe “Haus Marteau auf Reisen“ werden sie am 7. Juni um 19 Uhr im Festsaal des Museums am Maxplatz die Klangwelten der Viola zur Aufführung bringen. Bereits am Tag davor, am Donnerstag, 6. Juni 2013, um 19 Uhr, gibt es ein weiteres Abschlusskonzert im Haus Marteau. Zum Kursrepertoire gehören Solowerke, Sonaten und Konzerte für Viola. Klavierassistentin ist die in München beheimatete Pianistin Yumi Sekiya.

Hariolf Schlichtig hatte bei dem bekannten Carl-Flesch-Schüler Max Rostal und dem ungarischen Musiker Sandor Végh studiert. 19 Jahre lang war Schlichtig Mitglied des „Cherubini-Quartetts“. Seit dessen Auflösung ist er als Solist und Kammermusiker zu Gast bei international bekannten Festivals und Orchestern. Seine musikalischen Partner lesen sich wie das Who is Who der internationalen Kammermusikwelt: Leonidas Kavakos, Andras Schiff, Heinz Holliger, oder das Alban Berg Quartett. Wir sprachen im Vorfeld des Kurs mit dem „Paganini der Bratsche“, wie Hariolf Schlichtig bereits von der Presse bezeichnet wurde:

Herr Professor Schlichtig, führt ihr Instrument, die Viola, tatsächlich ein Schattendasein im Musikleben, oder ist das nur ein Vorurteil?

Die Viola war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hauptsächlich ein Orchesterinstrument und spielte natürlich eine wichtige Rolle in der Kammermusik. Als Soloinstrument tritt sie erst seit Paul Hindemith, William Walton, Bela Bartok, Lionel Tertis und William Primrose so richtig in Erscheinung. Mit dieser Bereicherung an Literatur entwickelte sich auch das instrumentale Niveau der Bratschisten und Bratschistinnen.

Sie geben Meisterkurse und sind als Professor für Viola und Kammermusik an der Hochschule für Musik und Theater in München tätig. Worin liegt für Sie der Reiz, Ihre Erfahrungen als international gefragter Musiker an junge Menschen weiterzugeben?

Ich hatte das Glück, bei so bedeutenden Musikern wie Max Rostal und Sandor Végh studieren zu können. Diese "Mitgift" zusammen mit der reichen Erfahrung, die ich in vielen Jahren auf dem Konzertpodium gemacht habe, bilden für mich die Basis meiner pädagogischen Arbeit und sind für mich Auftrag, diesen "Schatz" an junge Musiker weiter zu geben.

Wie beurteilen Sie die musische Ausbildung an allgemeinbildenden Schulen, was würden Sie verändern/verbessern?

Soweit ich weiß, führt der musische Unterricht an den Schulen ein Schattendasein, was erwiesenermaßen eine große Sünde in der Ausbildung unserer Jugend bedeutet.

Sie haben bei dem berühmten Geiger Sandor Vegh studiert, welche Erinnerungen haben Sie an diese große Musikerpersönlichkeit?

Von Sandor Végh könnte ich Stunden lang erzählen, um es kurz zu machen: er war für mich ein großer Inspirator, bei dem ich verstanden habe , worum es in der Musik geht, nämlich um den Ausdruck von Leben mit allen seinen Seiten, seinen Höhen und Tiefen, Musik als Sprache, die die tiefsten Bereiche der Seele erreichen kann und muss.

Sie haben in den zurückliegenden Jahren bereits mehrere Meisterkurse in der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken in Lichtenberg veranstaltet und kommen ja scheinbar immer gerne wieder. Was ist das Besondere an Haus Marteau?

Im Haus Marteau konzentriert sich alles auf die Arbeit mit der Musik, es gibt keine Ablenkung. Die Natur ist präsent und schön, man kann zur Ruhe kommen und den Alltag für einen Moment hinter sich lassen.

Worum wird es diesmal in ihrem Meisterkurs gehen, welche Schwerpunkte setzen Sie?

Die Arbeit bei diesem Kurs, aber nicht nur bei diesem, geht darum, die jungen Musiker mehr und mehr an ihre eigene Musik, an ihren eigenen Ausdruck heran zu führen, sie dazu anzuregen, mehr und mehr ihre eigene Kreativität zu entdecken.

Der Meisterkurs für Viola mit Hariolf Schlichtig findet vom 3. bis 7. Juni 2013 statt. Termin für das offizielle Abschlusskonzert ist Donnerstag, 6. Juni 2013 um 19 Uhr in Haus Marteau, Lobensteiner Straße 4 in 95192 Lichtenberg. Eintrittskarten gibt es dafür an der Abendkasse zum Preis von fünf Euro. Das Abschlusskonzert findet in der Reihe „Haus Marteau auf Reisen“ am Freitag, 7. Juni 2013, um 19 Uhr im Festsaal des Museums am Maxplatz 5 - 9 in 95111 Rehau statt. Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf im Infozentrum der Stadt Rehau am Maxplatz 7 in 95111 Rehau, Telefon 09283/4609,  Fax 09283/898675 oder E-Mail infozentrum@stadt-rehau.de zum Preis von 12 Euro, ermäßigt 8 Euro, sowie an der Abendkasse.

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05.05.2013

„Der Strukturwandel wird weitergehen“ / Interview mit dem bayerischen BBV-Präsidenten Walter Heidl

Unterhartmannsreuth. Für einen moderaten Anstieg der Nahrungsmittelpreise spricht sich Walter Heidl, seit gut einem Jahr Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), aus. Beim agrarpolitischen Abend aus Anlass des 100-jährigen Firmenjubiläums des Landtechnikunternehmens Degel in Unterhartmannsreuth bei Feilitzsch spannte Heidl in seiner Ansprache einen weiten Bogen von der bayerischen über die deutsche bis hin zur europäischen Agrarpolitik. Wir sprachen im Vorfeld mit dem BBV-Präsidenten:

Herr Heidl, die Stimmung in der Landwirtschaft ist derzeit eher positiv. Worauf gründet der Optimismus?

Es ist tatsächlich ein Wandel in der Wahrnehmung zu spüren. Bis vor wenigen Jahren sahen wir uns noch Vorwürfen ausgesetzt, dass wir beispielsweise Überschüsse produzieren. Doch gerade in den zurückliegenden Jahren stellen wir ein Umschwenken fest: Es wird beispielsweise öffentlich darüber diskutiert, was wir produzieren sollen. Teller oder Tank? Im Klartext heißt das doch, wir sollen produzieren, unsere Produkte sind gefragt.

Immer wieder bestimmen Lebensmittelskandale die Schlagzeilen. Die meisten Probleme gehen von der Verarbeitung aus, nicht von den Bauern, gleichwohl sind die Bauern ja Hauptbetroffene. Was muss passieren?

In der Öffentlichkeit haben die Bauern ja auch nicht die Vorwürfe abbekommen, den Verbrauchern war schon klar, was die Ursachen sind. Wir müssen beispielsweise darauf drängen, dass die Futtermittelindustrie korrekt untersucht wird. Hier geht es auch um die Nachvollziehbarkeit der Futterkette. Mich ärgern bei der Diskussion aber auch die vorschnellen Skandalmeldungen einiger Medien. So hatte sich bei der Diskussion um Grenzwertüberschreitungen herausgestellt, dass die Werte zwar überschritten wurden, aber wissenschaftlich bestätigt keinerlei Gesundheitsgefahr davon ausgegangen ist. Dann in öffentlich-rechtlichen Sendern von Giftmais zu sprechen, das ist schon fahrlässig.

Außer noch mehr Kontrollen und noch mehr Kennzeichnung ist der Politik bislang nichts Besseres eingefallen, fällt Ihnen etwas ein?

Wir werben dafür, verstärkt auf Regionalität zu setzen.  Der Lebensmitteleinzelhandel hat das bereits erkannt und aufgegriffen. Edeka zum Beispiel reagiert massiv auf die Forderungen des Verbrauchers nach Lebensmittel aus der Region.

Nach jedem Skandal steigt die Nachfrage nach Produkten aus biologischer und aus regionaler Erzeugung rasant an, nimmt dann aber auch schnell wieder ab. Warum ist das eigentlich so?

Es ist gar nicht so, dass die Nachfrage immer gleich so rasant ansteigt. Es wird nur häufig der Eindruck erweckt. Wenn die Nachfrage tatsächlich steigt, dann wären die Bauern die letzten, die diese Nachfrage nicht bedienen könnten. Was bio betrifft sollten wir darauf achten, ebenfalls auf regionale, heimische  Erzeugung zu setzen, auch wenn die importierte Bioware oft kostengünstiger ist.

Ein ganz anderes Thema: Am 31. März 2015 läuft die Milchquote aus. Was bedeutet das für die Landwirte in der Region?

Europaweit wurde die Quote ja schon nicht mehr ausgeschöpft, das heißt, die Quote hat ohnehin keine marktregulierende Wirkung mehr. Auch ohne Quote wird der Strukturwandel weitergehen. Außerdem ist die Fläche ein begrenzender Faktor. Schon allein deswegen werden Produktionssteigerungen eher problematisch sein.

Werden Molkereiprodukte für den Verbraucher teurer?

Unabhängig von der Quote brauchen wir ohnehin einen moderaten Anstieg der Nahrungsmittelpreise. Der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel ist ja schon seit vielen Jahren rückläufig. Der Verbraucher braucht aber keine Angst haben, dass er sich Milchprodukte vielleicht nicht mehr leisten kann, denn der Anteil der Erzeugerpreise am Endpreis ist ohnehin relativ gering. Insgesamt werden wir allerdings nicht an steigenden Nahrungsmittelpreisen vorbeikommen.

Im Landkreis Hof stehen bayernweit die meisten Windkraftanlagen. Welchen Beitrag leistet die Landwirtschaft zur Energiewende?

Wir haben die Dächer für Photovoltaikanlagen, wir haben die Fläche für Windkraftanlagen, das ist unter anderem unser Beitrag. Fläche für Photovoltaikanlagen in Anspruch zu nehmen, das sehe ich eher skeptisch. Was die Windkraft angeht, so bevorzuge ich Bürgerwindkraftanlagen mit genossenschaftlichen Modellen, dann ist nämlich auch die Akzeptanz da. Es kann allerdings nicht angehen, für die ökologischen Maßnahmen der Energiewende auch noch Ausgleichsflächen zu verlangen.

Zum Schluss: Wie ist der Bauernverband in Bayern aufgestellt, wie viele Mitglieder hat der Verband?

Wir haben insgesamt 154000 Mitgliedsbetriebe. Wenn man bedenkt, dass im Schnitt an jedem Betrieb vier Personen hängen, dann sind das über 600000 Menschen. Die meisten Mitglieder hat der Verband in Oberbayern. Der Organisationsgrad beim Bauernverband liegt bei rund 90 Prozent.

Zur Person:

Walter Heidl (53) ist Agraringenieur und bewirtschaftet in Ruhstorf (Landkreis Dingolfing-Landau) im Vollerwerb einen Hof mit Zucht- und Mastschweinen, Ferkelerzeugung und Ackerbau. Heidl war 15 Jahre lang Ortsobmann und ab 1997 Kreisobmann im Kreisverband Dingolfing-Landau. 2002 wurde er zum niederbayerischen BBV-Bezirkspräsidenten und 2012 als Nachfolger von Gerd Sonnleitner zum bayerischen BBV-Präsidenten gewählt. Heidl ist verheiratet und hat 2 Kinder.

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18.03.2013

„Wer bio will, muss regional kaufen“ / Der oberfränkische Bauernverbandspräsident Hermann Greif im Interview über Bauernmärkte, Bioprodukte und den BBV

Bayreuth / Forchheim. Höchste Qualität ist Standard und soll möglichst nichts kosten. Diese weit verbreitete Mentalität seitens vieler Verbraucher kritisiert Hermann Greif, Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbandes in Oberfranken. Im Interview mit unserer Zeitung wirft er dem Verbraucher vor, dass er es sich manchmal zu einfach mache. Greif empfiehlt den Einkauf auf Bauernmärkten oder in Hofläden:

Pferdefleisch, falsch deklarierte Bio-Eier und jetzt das Gift im Futter: immer wieder bestimmen Lebensmittelskandale die Schlagzeilen. Die meisten Probleme gehen von der Verarbeitung aus, nicht von den Bauern, gleichwohl sind die Bauern ja Hauptbetroffene. Was muss passieren?

Meistens sind es nicht die Landwirte die Schuld an solchen Skandalen haben. Die Reaktion der Verbraucher trifft uns aber immer hart. Ganze Produktionszweige kommen da ins Wanken. Preise brechen ein und Produkte werden gemieden. Die Verursacher sollten mit drakonischen Strafen belegt werden. Man müsste mal feststellen, wie groß der wirtschaftliche Nutzen daraus war und darüber hinaus Strafen verhängen, da würde mancher sicher nachdenken. Denn der Rauswurf eines Mitarbeiters oder die oft sehr kleinen Strafen schrecken offenbar nicht ab.

Landwirte werden mit Kontrollen geradezu überzogen. Warum kontrolliert niemand die internationale Nahrungsmittelindustrie? Wo genau sehen Sie Handlungsbedarf?

Genauer auf die Produktionsbedingungen auch in anderen Ländern schauen. Nicht immer gilt dort unser Standard, oder er wird nicht eingehalten. Kaum ist ein Produkt verarbeitet, gilt das Produktionsgeheimnis und Inhalte werden schlecht deklariert. Einfacher Grundsatz: was drauf steht muss drin sein bei vergleichbaren Produktions- und Sozialstandards.

Außer noch mehr Kontrollen und noch mehr Kennzeichnung ist der Politik bislang nichts Besseres eingefallen, fällt Ihnen etwas ein?

Betrug kann man zwar erschweren, aber nicht ganz verhindern. Verbraucher die ihre Zutaten selbst am besten noch regional einkaufen egal ob beim Bauern, Metzger oder Bäcker ihres Vertrauens haben die größte Kontrolle über ihr Essen. Dazu muss man sich aber Zeit nehmen und Kochkunst aneignen und nicht nur im Fernsehen Kochsendungen anschauen.

Minister Brunner hat eine Ökoinitiative gestartet und will die heimische Öko-Produktion voranbringen. Wie ist es in Oberfranken um die ökologische Landwirtschaft bestellt?

Ich glaube wir liegen im Trend  Bayerns. Produkte kommen aber auch aus der ganzen Welt. Allein mit staatlicher Förderung geht es nicht. Auch hier muss in die Köpfe, wer Bio will muss regional kaufen.

Mittlerweile geht der Trend ja auch ganz stark zu Nahrungsmitteln aus der Region. Wie ist Oberfranken hier aufgestellt.

Wir haben viele Bauernmärkte. Die Bauern haben Hofläden. Eine Vielzahl von Produkten kann man zeit- und produktionsnah bei vielen Landwirten kaufen, auch wenn sie solche Läden nicht haben. Ich erinnere hier an die vielen Schnapsbrennereien. Kleinere Läden haben oft Nahrungsmittel bei denen sie den Produzenten kennen. Auch Ladenketten haben Regionaltheken die gut kontrolliert sind. Bis hin zu McDonalds die ihr Rindfleisch in Bayern einkaufen. Man muss nur fragen, wenn es einen interessiert.

Nach jedem Skandal steigt die Nachfrage nach Produkten aus biologischer und aus regionaler Erzeugung rasant an, nimmt dann aber auch schnell wieder ab. Warum ist das eigentlich so?

Es ist immer das gleiche mit dem Kurzzeitgedächtnis. Vorsätze sind schnell vergessen. Mit dem täglichen Essen kann man halt nicht angeben wie mit einer Alufelge, dem tollen Urlaub oder anderen Dingen des Lebens. Deshalb macht es sich hier der Verbraucher einfach. Höchste Qualität ist Standard und darf nichts kosten, weil man das sauer verdiente Geld für teure Autos, Benzin und Computer braucht. Hier bezahlt man dann gerne etwas mehr für größere Leistung.

Zur Milchwirtschaft: Am 31. März 2015 läuft die Milchquote aus. Was bedeutet das für die Landwirte in der Region und was für den Verbraucher?

In Zukunft werden verstärkt die Märkte die Steuerung übernehmen. Eine Chance für unsere Molkereien, Produkte aus Bayern noch besser in aller Welt zu positionieren. Europa war in ein Korsett eingespannt, während die ganze Welt in dieser Zeit immer mehr Milch gebraucht hat. Wir Landwirte stellen uns darauf ein und der Verbraucher wird es nicht einmal merken.

Werden Milchprodukte teurer?

Ich hoffe das, als Vertreter unserer Milchbauern. Milch als Spitzenprodukt wird allzu oft verramscht und als Lockmittel missbraucht. Aber es wird immer als Grundnahrungsmittel bezahlbar bleiben. Viele glauben ohne Smartphone und co. geht es nicht. Probieren sie es mal ein paar Tage ohne Milch, Brot, Eier, Wurst oder anderen Lebensmitteln. In unserer Überflussgesellschaft haben sich Werte verschoben. Dschungelcamp braucht keiner, gesundes Essen aber schon.

Ein Thema, das die Verbraucher auch immer wieder besonders interessiert: Ist Oberfranken gentechnikfrei?

Auf unseren Feldern wird gentechnikfrei produziert, da bin ich mir sicher. Ich rate auch meinen Bauern nicht dazu, weil das Haftungsrecht ihn um Haus und Hof bringen kann.

Wie ist der Bauernverband in Oberfranken aufgestellt, wie viele Mitglieder hab der Verband?

Wir haben etwa 20000 Mitgliedsfamilien. Ein kompetentes Hauptamt von der Sekretärin bis zum Direktor, vertreten in allen Landkreisen Oberfrankens. Ganz wichtig ist auch unser gewähltes Ehrenamt, Frauen und Männer bis in die kleinsten Ortschaften hinein. Wir sind wirklich gut vernetzt und nahe am Menschen.

Gehören eigentlich alle Landwirte dem Bauernverband an? Wie hoch ist der Organisationsgrad?

Fast alle sind im Verband organisiert. Ein Beispiel aus meiner Heimat Forchheim. Wir haben circa 1500 registrierte Betriebe im Landkreis aber 3200 Mitglieder Im BBV. Nur wenige sind nicht dabei, nehmen aber die von uns erkämpften sozialen und wirtschaftlichen Vorteile gerne mit und werden deshalb auch von uns immer wieder zum Mitmachen aufgefordert. Ich glaube das ist unsere große Stärke.

Zur Person: Hermann Greif (48) bewirtschaftet in Pinzberg bei Forchheim einen 130 Hektar großen Betrieb mit Grünland, Ackerland, Qualitätsgetreide und einer Biogasanlage. Zum Hof gehört auch ein kleiner Teil an Sonderkulturen wie Kartoffel, Gemüse und Obstbau. Greif hatte in Triesdorf das technische Fachabitur in der Ausbildungsrichtung Landwirtschaft absolviert und ist ausgebildeter Landwirtschaftsmeister. Beim Bayerischen Bauernverband ist er seit 20 Jahren als Ortsobmann tätig, er gehört seit 15 Jahren der Forchheimer Kreisvorstandschaft an und ist seit zehn Jahren sowohl Kreisobmann von Forchheim sowie stellvertretender oberfränkischer BBV-Präsident. Er steht an der Spitze des oberfränkischen Erzeugerrings für pflanzliche Qualitätsprodukte und ist für die CSU Mitglied des Forchheimer Kreistages. Hermann Greif ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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06.03.2013

DGB will wieder mehr Präsenz vor Ort zeigen / Matthias Eckardt aus Bamberg könnte 2014 erster gesamtoberfränkischer Gewerkschaftschef werden

Bamberg. Vor wenigen Wochen war der DGB-Regionsvorsitzende Oberfranken-West Mathias Eckardt aus Bamberg (Bild) Hauptredner beim Neujahrsempfang der DGB-Region Oberfranken-Ost. Das kam nicht von ungefähr: in knapp einem Jahr wird die Satzungsreform der Gewerkschaft greifen und Ost und West wächst dann zu einer einheitlichen DGB Region Oberfranken zusammen. Nach dem Ausscheiden von Jürgen Jakob im Osten des Regierungsbezirks könnte der Bamberger Mathias Eckardt ihr neuer Vorsitzender werden. Wir sprachen mit ihm über die aktuelle Entwicklung der Gewerkschaften, über seine Forderungen und Ziele.

Herr Eckardt, Anfang des kommenden Jahres sollen die beiden bisherigen DGB-Regionen Oberfranken-Ost und Oberfranken-West zusammengelegt werden. Was sind die Hintergründe dafür?

Auf dem letzten DGB-Kongress im Mai 2010 wurde eine Satzungsreform beschlossen. Damit fand ein langer Diskussionsprozess innerhalb der Mitgliedsgewerkschaften zur Fortentwicklung des DGB ein vorläufiges Ende. Ziel war es, den Rückzug des DGB aus der Fläche zu beenden und damit die Präsenz vor Ort wieder deutlich zu erhöhen. Deshalb wurde beschlossen, in allen Stadt- und Landkreisen ehrenamtliche DGB-Kreisverbände neu zu gründen. Diese Kreisverbände verfügen über ein eigenes finanzielles Budget, um eine ehrenamtliche Arbeit vor Ort zu ermöglichen. Als Ergebnis dieser Umorganisation wird es in Bayern pro Regierungsbezirk zukünftig nur noch eine DGB-Region geben.

Sie sind als Vorsitzender der neuen DGB-Region Oberfranken im Gespräch. Werden Sie kandidieren und wer wird letztlich entscheiden?

Um es gleich vorweg zu nehmen: ich werde kandidieren. Letztendlich wird dies aber in einem mehrstufigen Entscheidungsprozess entschieden werden. Die wichtigsten Entscheider sitzen natürlich vor Ort, denn die DGB-Kreise werden direkt in die Kandidatenfindung eingebunden. Sie müssen einen Vorschlag unterbreiten. Ein weiteres Votum werden die Gewerkschaftsvertreter im Bezirk Bayern abgeben. Entschieden wird aber am Ende dieses Findungsprozesses auf der bayerischen DGB-Bezirkskonferenz. Dort werden die Delegierten über die vorgeschlagenen Kandidaten entscheiden, denn auch die dort zu wählende neue Position eines Regionsgeschäftsführers ist ein Wahlamt.

Wie ist der Zeitplan für die „Fusion“ der beiden bisherigen Regionen?

Ab Mitte des Jahres werden die DGB-Kreise ihren Kandidatenvorschlag unterbreiten. Diese Vorschläge werden nach Abstimmung mit den DGB-Mitgliedsgewerkschaften dann der Bezirkskonferenz, die vom 31. Januar bis zum 1. Februar 2014 stattfinden wird, zur Entscheidung vorgelegt.

Wie gestaltet sich die Mitgliederentwicklung in der DGB-Region Oberfranken-West?

Positiv. Vor allem die großen Gewerkschaften konnten durch gute Tarifabschlüsse und die relativ gute Krisenbewältigung eine positive Mitgliederentwicklung verzeichnen. Die Arbeitnehmer spüren immer mehr, dass nur starke Gewerkschaften in der Lage sind ihre Interessen zu vertreten und letztendlich auch durchzusetzen.

Die Arbeitslosigkeit sinkt, in einigen Regionen Bayerns ist laut offizieller Statistik bereits die Vollbeschäftigung erreicht. Eigentlich müssten die Gewerkschaften doch Grund zur Freude haben!

Wenn man nur diese pauschale Betrachtungsweise nimmt, hätten Sie Recht. Aber das Leben und insbesondere das Arbeitsleben lassen sich im Jahre 2013 nicht mehr einfach so pauschal betrachten. Hinter den nach außen hin positiven statistischen Zahlen der Arbeitsagentur stecken mindestens zwei große Probleme, die keinesfalls unbeachtet bleiben dürfen.  Zum einem die, ich will es mal als Zustände oder als Auswüchse bezeichnen, auf dem Arbeitsmarkt wie Leiharbeit, Werksverträge, Befristungen, dies alles mit deutlich schlechterer Bezahlung als die Stammbelegschaft und zum anderen die regionalen Unterschiede. Wenn es in München brummt ist noch lange nicht gesagt, dass es auch in Oberfranken brummt.

Was sind die Kernforderungen der Gewerkschaft in Bezug auf die Landtagswahlen im Herbst dieses Jahres?

Der DGB Bayern hat unter der Überschrift „Gemeinsam für ein gerechtes Bayern“ seine Positionen in drei Forderungen an die Politik gerichtet. Erstens: Der Arbeit ihren Wert wieder geben (Schluss mit der prekären Beschäftigung). Zweitens: Gut leben in ganz Bayern (Gleiche Chancen für Arbeit und Leben in allen bayerischen Regionen). Drittens: Gute Bildung für alle, das heißt gute und kostenlose Bildung und Betreuung für alle – von der Kinderkrippe bis zur Weiterbildung).

Und zur Bundestagswahl?

Auch hier wurden drei Forderungen an die Politik formuliert. Erstens: Eine neue Ordnung der Arbeit muss her, damit die Menschen wieder gerecht entlohnt werden und von ihrer geleisteten Arbeit auch leben können. Zweitens: Sichere Renten, die sich wieder an der Lebensstandardsicherung orientieren. Drittens: Ein sozial gestaltetes und demokratisch legitimiertes Europa.

Immer mehr Menschen haben im Alter immer weniger Rente. Welches Rezept setzen die Gewerkschaften dagegen?

Wenn im Jahr 2013 fast ein Viertel der Beschäftigten im Niedriglohnbereich arbeitet, wissen wir bereits heute, dass diese auch im Rentenalter auf Grundsicherung, sprich Hartz IV für Rentner, angewiesen sein werden. Deshalb fordert der DGB schon seit langem, dass die Rentenversicherung gestärkt werden muss. Die Fehlentscheidung sprich Teilprivatisierung in Form von Riester- oder Rürup-Rente muss gestoppt werden. Die Finanzkrise hat wieder bewiesen, dass wir mit dem Umlagesystem das beste Rentensystem dieser Welt besitzen.  Dabei dürfen wir uns von der Versicherungswirtschaft mit ihren hoch bezahlten Wirtschaftsprofessoren nichts weismachen lassen. Denn das Scheinargument der Demographie trifft die gesetzliche Rentenversicherung mit der gleichen Dynamik wie die privaten Versicherungen. Hier helfen nur ordentlich bezahlte Arbeit und eine Stärkung der Beitragssysteme. Die Senkung der Rentenbeiträge zum 1. Januar 2013 bedeutet aber leider genau das Gegenteil davon.

Heuer jährt sich zum 80. Mal die Stürmung der Gewerkschaftshäuser durch die Nazis. Der Kampf gegen Rechts ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Was können Politik, Gesellschaft und Gewerkschaften tun?

Zum einen sollten wir genau diesen 2. Mai 2013 dazu benutzen, um an dieses Ereignis vor 80 Jahren zu erinnern. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Hitler eine menschenverachtende Diktatur aufbaute und alle ihm nicht ergebenen Menschen enteignete, wegsperrte und viele von ihnen ihre Standhaftigkeit mit dem Leben bezahlen mussten. Mit der Erinnerung alleine ist es aber nicht getan. Wir müssen heute leider feststellen, dass das Thema Rechtsextremismus jahrelang verniedlicht wurde. Erst nach den NSU-Morden ist allen bewusst geworden, dass hier extremistische und verfassungsfeindliche Strukturen bestehen. Wir fordern deshalb ein Verbot der NPD und aller neonazistischen Organisationen sowie ein entschiedenes Vorgehen gegen rechtsextreme Seiten im Internet. Es kann nicht länger akzeptiert werden, dass bekanntermaßen demokratiefeindliche Kräfte wie die NPD weiterhin fast 1,5 Millionen Euro durch Wahlkampfkostenerstattung zur Finanzierung ihrer Auftritte erhalten. Hier muss die demokratische Gesellschaft ein klares Zeichen setzten.

In welchen Branchen stehen 2013 Tarifverhandlungen an?

Fast bei allen DGB-Mitgliedsgewerkschaften stehen in diesem Jahr Tarifverhandlungen an. Momentan laufen die Tarifverhandlungen bei Verdi für den Öffentlichen Dienst der Länder. Auch die Eisenbahnergewerkschaft EVG verhandelt ein ganzes Tarifpaket. Am 30. April endet die Friedenspflicht bei der IG Metall mit deutlichen Forderungen zur Einkommenssteigerung. Sie sehen, die Gewerkschaften sind dran. In der vergangen Woche forderte selbst der Wirtschaftsweise Professor Bofinger einen deutlichen Anstieg der Löhne in Deutschland, um unsere Binnenkonjunktur zu stabilisieren, unsere Sozialsysteme zu stärken und zusätzlich Europa wieder mehr ins Gleichgewicht zu bringen. Sie sehen schon daran, dass die Gewerkschaften auch im Jahr 2013 viel zu tun haben werden.

Zur Person: Mathias Eckardt (48) war zuletzt freigestellter Betriebsrat bei DB Netz in Nürnberg und steht seit Jahresbeginn 2010 an der Spitze der DGB-Region Oberfranken-West mit über 40000 Mitgliedern, Tendenz steigend.

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26.02.2013

Direktvermarkter müssen strenge Hygienevorschriften einhalten
Astrid Kestler vom Amt für Landwirtschaft über Regionalprodukte und eine mangelnde Wertschätzung von Lebensmitteln

Bayreuth. „Regionale Produkte sind in“, sagt Astrid Kestler aus Kulmbach. Sie ist beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Bayreuth für den Bereich der Direktvermarktung zuständig und hat vor kurzem auch den 18. Oberfränkischen Direktvermarktertag organisiert. Regionale landwirtschaftliche Produkte stünden nach einer Studie der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft ganz oben auf der Beliebtheitsskala der Verbraucher. Wir sprachen mit Frau Kestler über die Bedeutung der Regionalität bei Lebensmitteln:

Frau Kestler, warum steigt die Nachfrage nach Regionalprodukten mittlerweile ständig an?

Der Einkauf von Lebensmitteln ist Vertrauenssache, hier ist der persönliche Kontakt mit dem Landwirt, also mit dem Erzeuger, wichtig. Der Verbraucher kann sich einen Einblick über die Herkunft und die Herstellung der Lebensmittel vor Ort verschaffen, daneben spielen Heimatverbundenheit, Tradition aber auch Nachhaltigkeit eine große Rolle. Aufgrund kurzer Transportwege oder beim Einkauf ab Hof sind die Lebensmittel frisch.

Sind Produkte aus der Region auch automatisch die besseren?

Eine Vielzahl von rechtlichen Bestimmungen und strengen Hygienevorschriften müssen von jedem Direktvermarkter eingehalten werden. In keinem anderen Land sind die Lebensmittelkontrollen so intensiv wie in Deutschland. Das bayerische Qualitätssicherungssystem mit dem Herkunftsnachweis „Geprüfte Qualität – Bayern“ und, ganz neu, das „Bayerische Regionalsiegel“ sind wichtige Hinweise für ein hochwertiges Produkt.

Ist der Verbraucher denn auch bereit, mehr Geld für Produkte aus der Region auszugeben?

Grundsätzlich sind die Lebensmittelpreise bei uns sehr niedrig, die Wertschätzung ist gering, viel wird weggeworfen. Wenn ich Wert auf qualitativ hochwertige Lebensmittel lege, gehe ich auch sorgsam mit ihnen um, was den vielleicht etwas höheren Preis wieder wettmacht.

Wo steht die Region in Sachen Direktvermarktung, wie viele Landwirte sind in der Direktvermarktung tätig?

Im Landkreis Bayreuth liegt der Schwerpunkt in der Erzeugung bei Fleisch, daneben gibt es natürlich auch viele andere Produkte, wie Fisch, Brot, Eier, Honig oder Kartoffeln, um nur einige zu nennen. Aufgrund der klimatischen Verhältnisse wird weniger Obst und Gemüse angeboten, hier erfolgt die Versorgung aus den angrenzenden Regionen.

Was sollte der Verbraucher beachten, wenn er gezielt bei Direktvermarktern einkaufen möchte?

Gute Möglichkeiten bieten die Bauernmärkte und Hofläden mit einem gut sortierten Angebot, dabei kann sich der Verbraucher auch im persönlichen Gespräch informieren. Wichtig ist es außerdem, das jahreszeitliche Angebot zu beachten, Produkte vorzubestellen und etwa bei Kartoffeln an eine gewisse Lagerhaltung denken.

Bild: „Wenn ich Wert auf qualitativ hochwertige Lebensmittel lege, gehe ich auch sorgsam mit ihnen um“: Astrid Kestler vom Amt für Landwirtschaft in Bayreuth.

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03.02.2013

Haus Marteau: Ideale Arbeitsbedingungen und vorbildliche Organisation
Meisterkurs von Ulf Klausenitzer gastiert am 15. Februar in Thurnau

Lichtenberg/Thurnau. Vom 11. bis zum 15. Februar wird der prominente Geiger und Dirigent Professor Ulf Klausenitzer zu einem Meisterkurs in der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken Haus Marteau in Lichtenberg erwartet. Höhepunkt ist ein öffentliches Konzert zum Abschluss des Kurses am 15. Februar, 19 Uhr im Ahnensaal des Schlosses  Thurnau (Landkreis Kulmbach). Klausenitzer war unter anderem Konzertmeister in Mannheim, Nürnberg und Saarbrücken, gehörte 31 Jahre lang dem Bayreuther Festspielorchester an und gibt sein Wissen heute als Professor für Violine und Kammermusik an der Musikhochschule Nürnberg weiter. Wir sprachen mit Professor Klausenitzer über die Bayreuther Festspiele, über die Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken und seine Motivation, in Lichtenberg alljährlich Meisterkurse zu geben:

Sie waren über 31 Jahre lang Mitglied des Bayreuther Festspielorchesters und haben damit ein Stück Festspielgeschichte mitgeschrieben. Abseits der aktuellen Baustellendebatte: Auf welchem Weg sehen Sie die Bayreuther Festspiele?

Ich wünsche mir, dass der Inhalt und die lebendig provozierende Auseinandersetzung  mit der Kunst Richard Wagners in Bayreuth im Focus bleibt und als Fingerzeig auf die Zukunft verstanden werden - ganz im revolutionären Sinne des Komponisten.

Sie geben immer wieder Meisterkurse und sind als Professor für Violine und Kammermusik an der Hochschule Nürnberg tätig. Worin liegt für Sie der Reiz, Ihre Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben?

Es ist immer wieder und gerade in Zeiten eines dominant utilitaristischen Denkens eine herausfordernde wie beglückende Aufgabe, junge begabte Musiker in ihrer künstlerischen Entwicklung zu begleiten und zu fördern. Gemeinsam in unermesslich vielfältige Erlebniswelten einzutauchen  und so Künstlerpersönlichkeiten entstehen zu sehen, empfinde ich als Privileg und als eine faszinierende Tätigkeit.

Welche Schwerpunkte werden Sie in ihrem aktuellen Meisterkurs setzen?

Erstmals wird sich eine Studentin mit dem Violinkonzert Max Regers auseinandersetzen - ein Werk, das die Länge von mehr als einer Stunde hat und schon deshalb so gut wie nie auf den Podien der Welt auftaucht. Es wird wieder ein sehr internationaler Meisterkurs werden:  So wird eine junge Geigerin, die in Japan mit der Suzuki-Methode ausgebildet wurde,  für die fünf Tage aus Tokio einfliegen.

Sie haben in den zurückliegenden Jahren bereits mehrere Meisterkurse in der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken in Lichtenberg veranstaltet und kommen ja scheinbar immer gerne wieder. Was ist das Besondere an Haus Marteau?

Mehrere Aspekte machen den Reiz dieses Hauses aus: Einmal die wunderschöne Lage, die ländliche Abgeschiedenheit, die attraktive Architektur mit aristokratischer Ausstattung, die Möglichkeit der Ruhe und Konzentration, die idealen Arbeitsbedingungen, die überaus freundliche Aufnahme seitens der Bürger der Stadt Lichtenberg, die vorbildliche Organisation des Bezirks Oberfranken und nicht zuletzt die nachwirkende Künstlerpersönlichkeit des europäischen Geigers und Komponisten Henri Marteau.

Ihr Wunsch für die Zukunft:

Die ausgeprägten gesellschaftlichen und politischen Verbindungen des berühmten Geigers Henri Marteau in ganz Europa auf der einen Seite, die ökonomisch-kulturelle Krise Europas auf der anderen Seite, haben bei mir die Wunschvorstellung ausgelöst,  dieses einmalig kulturgeschichtlich bedeutende Haus beziehungsweise Denkmal neben den renommierten Meisterkursen einmal jährlich als attraktiven Ort für die Begegnung und Gespräche profilierter europäischer Persönlichkeiten zu nutzen.

Ulf Klausenitzer, der im hessischen Bad Nauheim das Licht der Welt erblickte, wurde besonders als Gründer, Intendant und langjähriger künstlerischer Leiter des Bayerischen Kammerorchesters bekannt. Seine musikalische Karriere als Dirigent und Geiger führte ihn mit zahlreichen hervorragenden Komponisten, Dirigenten und Musikern zusammen. Morton Feldman, Arvo Pärt und Karl-Heinz Stockhausen gehören genauso dazu wie Yehudi Menuhin, Mikis Theodorakis und Pierre Boulez. Für seine Tätigkeiten als Dirigent und Solist wurde Ulf Klausenitzer unter anderem mit dem Bayerischer Staatsförderpreis und dem Siemens-Kulturförderpreis ausgezeichnet. Im Haus Marteau ist Ulf Klausenitzer bereits zum 5. Mal seit 2009 als Dozent eines Meisterkurses zu Gast.

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31.01.2013

Immer schneller, immer höher, immer weiter / Peter Stenglein von der Kripo Bayreuth über die hochgefährliche Droge Crystal Speed

Kulmbach. Bei einer Veranstaltung der Kulmbacher Frauenunion hat der Drogenpräventionsbeamte Peter Stenglein von der Kriminalpolizei in Bayreuth über die hochgefährliche Droge Crystal Speed berichtet. Im Interview erläuterte er die Hintergründe dafür, warum Crystal derzeit in Oberfranken ein Riesenproblem darstellt:

Herr Stenglein, warum ist Crystal Speed so gefährlich?

Weil es dem Zeitgeist entspricht und das Lebensgefühl vieler junger Leute anspricht. Das Lebensgefühl lautet: Immer schneller, immer höher, immer weiter. Viele Jugendliche nehmen die hochgefährliche Droge zunächst so wahr, dass sie Nächte durchmachen, ständig Party machen, in höchstem Maße sexuell aktiv sein und ständig ihre Leistung steigern können.

Warum nehmen Crystal-Fälle auf einmal so exorbitant zu?

Es ist tatsächlich so, dass sich Crystal Speed immens im Anstieg befindet. Viele andere psychoaktive Substanzen sind sogar etwas auf dem absteigenden Ast. Die Fälle nehmen aber auch deshalb so zu, weil die Verfügbarkeit so hoch ist, Crystal Speed sich rasant schnell verbreitet und weil es relativ günstig zu erwerben ist. Die Begleiterscheinungen kommen erst mit der Zeit.

Bayreuth gilt als „Crystal-City“. Warum ist Oberfranken so ein Schwerpunkt in Sachen Crystal Speed?

Das hat strukturelle Gründe. Wir liegen grenznah zu Tschechien, die Wege sind kurz, man kann schnell mal rüberfahren und kleinste Mengen schmuggeln.

Wie gestaltet sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der tschechischen Polizei?

Wir haben in Bayreuth wenig Berührungspunkte mit der tschechischen Polizei. Wir geben unsere Erkenntnisse zwar weiter, haben aber letztlich wenig Einblick darüber, was daraus wird. Diese Situation ist für uns sehr unbefriedigend. Derzeit sehen wir keine Verbesserung, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Vietnamesen-Märkte in Tschechien gelten als Hauptumschlagplatz. Warum kann man dort nicht härter gegen Hersteller und Verkäufer vorgehen?

Das hat vielschichtige Gründe. Meiner Meinung nach sind diese Märkte in Tschechien auch ein sehr großer Wirtschaftsfaktor. Diese Märkte sind ja auch Arbeitgeber, in den grenznahen Bereichen gibt es auch auf tschechischer Seite wenig Industrie.

Wo setzt die Präventionsstrategie der Polizei an?

Wir können die Kontrollmauern noch so hoch bauen, wenn wir nicht das Übel nicht an der Quelle packen, werden wir letzten Endes kaum etwas erreichen. Deshalb müssen wir auf der einen Seite versuchen, mit allen Mitteln die Nachfrage zu stoppen, auf der anderen Seite in die Schulen gehen und schon die Jüngsten aufklären.

Bericht über die Veranstaltung

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22.11.2012

'Damit nicht später die Altersarmut an die Tür klopft“
Interview mit dem bayerischen IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler

Himmelkron. Die Präsenz in der Fläche ist die Stärke der IG Metall.“ Das sagt Jürgen Wechsler (Bilder), der seit 2010 an der Spitze der IG Metall in Bayern steht. Wechsler war am Donnerstagabend Gast der Delegiertenversammlung der IG Metall Ostoberfranken in Himmelkron. Im Interview nahm er unter anderem zur Rente mit 67, zur Bundestagswahl 2013 und zur Mitgliederentwicklung Stellung:

Herr Wechsler, die IG Metall hat die Kampagne „Gute Arbeit – Gut in Rente“ gestartet und will zurück zur Rente mit 65. Was steckt hinter der Kampagne?

„Wir wollen dass die Menschen nicht über einen Kamm geschert werden und alle bis 67 arbeiten müssen. Sicher wird es welche geben, die das machen können, die wollen wir auch nicht davon abhalten. Aber für die Masse der Beschäftigten muss gelten: sie brauchen flexible Ausstiegsmöglichkeiten und zwar schon vor dem 65. Lebensjahr. Dazu ist beispielsweise eine gesetzliche Altersteilzeit ein adäquates Mittel.“

Um was geht es bei der Forderung noch, Stichwort Altersarmut?

„Wir brauchen in der Zukunft wieder eine Rentenhöhe, von der die Menschen auch leben können. Wir laufen Gefahr, dass wir uns beim Rentensystem in eine Situation entwickeln, wo die Menschen  im Alter immer mehr mit Altersarmut zu tun haben. Während des Arbeitslebens muss man schließlich so viel Geld verdienen, dass auch ordentlich Geld in die Rentenkasse einbezahlt wird und nicht später die Altersarmut an die Tür klopft.“

Wie steht es eigentlich um die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in den Bereichen Metall und Elektro?

„Also wir haben im Prinzip ab dem 60 Lebensjahr eine Größenordnung, die unter drei Prozent liegt. Das heißt, drei Prozent der Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie sind überhaupt noch in einem Beschäftigungsverhältnis. Die meisten sind vorher ausgeschieden, übrigens auch deshalb, weil wir in der Metallindustrie eine gute tarifliche Altersteilzeitregelung haben. Aber diese Zahlen verdeutlichen, dass die Menschen den Leistungsdruck mit über 60 kaum mehr aushalten. Ein Beispiel: In der Automobilindustrie haben wir heute  Taktzeiten von 20 Sekunden, die ein Arbeitnehmer im Schichtbetrieb jeweils acht Stunden von früh bis Nacht machen muss und diese Belastung hält man einfach nicht auf ewig aus.“

Insgesamt fordert die IG Metall einen Politikwechsel im Hinblick auf die Bundestagswahlen 2013. Was möchten Sie konkret erreichen?

„Zu unseren konkreten Forderungen gehört unter anderem eine Arbeitswelt in der die Menschen alle gleich behandelt werden, keine Leiharbeit mit schlechterer Bezahlung oder gleiches Geld für gleiche Arbeit. Wir wollen Perspektiven für die jungen Menschen, damit sie nach der Ausbildung auch ordentlich übernommen werden und sich nicht Gedanken über die Zukunft machen müssen. Wir wollen vernünftige Ausstiegsmodelle für unsere älteren Arbeitnehmer. Das sind so die Kernpunkte unserer Forderungen, auf die wir uns konzentrieren.“

Was wird die IG Metall tun, damit diese Forderungen auch die Menschen erreichen?

„Ab Januar werden wir unsere Forderungen in den Betriebsversammlungen thematisieren. Ab März werden wir dann in den öffentlichen Raum gehen, mit Infoständen und mit Aktionen auch in und vor den Betrieben. Ich gehe davon aus, dass wir in der Lage sein werden, im Juni Juli in den Regionen größere Kundgebungen zu machen, wo wir auf unsere Forderungen als IG Metall noch einmal hinweisen. Also wir haben uns ein breites Aktionsprogramm vorgenommen, um wie gesagt auch zu einem Kurswechsel, zu einer besseren Politik zu kommen. Übrigens auch in Bayern, wo die Landtagswahl ansteht. Als IG Metall wünsch ich mir schon, dass wir vielleicht auch mal eine andere Konstellation bekommen als in den letzten 60 Jahren.“

Wie entwickeln sich bei der IG Metall in Bayern aktuell die Mitgliedszahlen?

„In der Frage der Mitgliederentwicklung ist Bayern das Erfolgsmodell in der gesamten Bundesrepublik. Wir haben den größten Mitgliederzuwachs auch im Vergleich der anderen Gewerkschaften innerhalb des DGB und im Vergleich innerhalb der IG Metall. Wir wachsen in den letzten Jahren jährlich um cirka drei Prozent, was für eine Großorganisation schon eine Riesenleistung ist, und zwar im Netto, also abzüglich der Austritte, Streichungen oder Sterbefälle. Ich persönlich als Bezirksleiter der IG Metall bis davon überzeugt, dass wir noch wesentlich stärker wachsen können. Daneben sind wir als IG Metall in Bayern die jüngste Gewerkschaft, was das Durchschnittsalter unserer Mitglieder anbelangt, weit an der Spitze der anderen Gewerkschaften und insbesondere auch der IG Metall bundesweit. Übrigens haben wir mehr Mitglieder in Bayern als alle politischen Parteien zusammen.“

Ende 2013 laufen die Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie schon wieder aus. Wagen Sie einen Ausblick auf den 1. Mai 2013:

„Also das ist schwierig, weil sich immer noch nicht so richtig darstellt, wie sich die konjunkturelle Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten darstellen wird. Die IG Metall wird aber auf jeden Fall sehr selbstbewusst mindestens eine kräftige Entgeltforderung stellen, die sich zusammensetzt aus der zu erwartenden Preissteigerungsrate und mindestens der Produktivitätsentwicklung. Also die beiden Kriterien müssen erfüllt werden, was die Forderung anbelangt und möglichst auch das Ergebnis. Wir wollen ja Reallohnzuwachs für die Arbeitnehmer und nicht Reallohnverlust.“

Welche Rolle spielt Ostoberfranken im Gefüge der IG Metall Bayern?

„Ostoberfranken gehört zur IG Metall wie Niederbayern oder Oberbayern, wie München, Regensburg oder Augsburg. Die IG Metall legt sehr viel Wert darauf, dass sie in der Fläche präsent ist, das gilt auch für Ostoberfranken und ich als Bezirksleiter werde alles daran setzen, dass wir hier eine eigenständige, selbstbewusste Verwaltungsstelle haben. Ostoberfranken ist sehr gebeutelt, mit am stärksten in ganz Bayern was die industrielle Entwicklung anbelangt. Dass es hier noch selbstbewusste Metallerinnen und Metaller gibt, die die Fahne hoch halten, das finde ich schon sehr mutig und muss auch anerkannt werden.“

Zur Person:

Jürgen Wechsler ist seit 1. Juli 2010 Bezirksleiter der IG Metall in Bayern. Wechsler trat damals die Nachfolge von Werner Neugebauer an, der das Amt damals nach 22 Jahren niedergelegt hatte. Jürgen Wechsler ist seit 1989 als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall beschäftigt. Der gebürtige Mittelfranke erlernte bei Siemens den Beruf des Mechanikers. Nach seiner Bundeswehrzeit bei der Marine arbeitete er als Facharbeiter bei der Siemens Trafo Union in Nürnberg. Der verheiratete, dreifache Familienvater hatte 1992 das Amt des Zweiten Bevollmächtigten und 2008 des Ersten Bevollmächtigten in der IG Metall-Verwaltungsstelle Nürnberg übernommen.

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31.10.2012

„Haus Marteau auf Reisen“: Schlagzeuger Peter Sadlo und sein Meisterkurs für Percussion gastieren in Naila und Stegaurach

Lichtenberg. Anfang November gibt der international bekannte Schlagzeuginterpret Peter Sadlo einen Meisterkurs für Percussion im Haus Marteau, der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirk Oberfranken. Im Mittelpunkt sollen dabei das Probespieltraining für Pauke und Schlagzeug sowie das Erarbeiten einschlägiger Orchester- und Sololiteratur stehen. Zum Abschluss werden der Musiker und seine Schüler mit zwei Konzerten an die Öffentlichkeit treten: am 8. November in Naila und am 9. November in Stegaurach. Wir sprachen zuvor mit Professor Sadlo über die Arbeit mit dem musikalischen Nachwuchs, die Musikbegegnungsstätte in Lichtenberg und die Konzertreihe „Haus Marteau auf Reisen“:

Herr Professor Sadlo, worin liegt für Sie der Reiz, ihr musikalisches Wissen zum einen in Form von Lehrstühlen an Musikhochschulen, etwa am Mozarteum in Salzburg, zum anderen in Meisterkursen wie im Haus Marteau an junge Musiker weiterzugeben?

"Das höchste menschliche Tun liegt in der Lehre, zu sehen, wie junge Musikerinnen und Musiker sich an Ihren Instrumenten technisch und musikalisch weiterentwickeln und zu einer Persönlichkeit heranwachsen, die ihre Zeit prägen und zum Teil auch positiv verändern können. Das miterleben zu dürfen, gibt mir eine große innere Zufriedenheit."

Seit 2007 sind Sie künstlerischer Leiter des Hauses Marteau. Was unterscheidet die Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken von anderen derartigen Einrichtungen? Was ist das Besondere am Haus Marteau?

"Das Haus hat durch seine hochkarätigen Künstler und Dozenten internationales Ansehen, nicht zuletzt  reisen junge Musiker aus allen Kontinenten zu den Meisterkursen nach Lichtenberg. Speziell am Haus, meine ich, ist die Ruhe, die abseits vom Konzertbetrieb die Möglichkeit bietet, sich auf Wesentliches zu konzentrieren, ohne sich durch andere Einflüsse abgelenkt zu fühlen."

Seit Ihrer Erfindung der Konzertreihe „Haus Marteau auf Reisen“ finden die Abschlusskonzerte zahlreicher Meisterkurse an teils ungewöhnlichen Orten in ganz Oberfranken statt. Was bringt Dozenten und Schülern diese zusätzliche Auftrittsmöglichkeit?

"Was meinen Sie mit ungewöhnliche Orte? Die Konzerte stoßen in vielen Gemeinden und Orten immer mehr auf Zuspruch und nicht jeder Ort verfügt über einen geeigneten Konzertsaal. Dennoch gibt es kunst- und musikliebende Menschen, die gerne das Live-Musikerlebnis auch einmal in ihrer Nähe ohne große Anreise zu den Kulturzentren erleben wollen. Nach diesem Gesichtspunkt wählen wir die Spielorte aus und all denen, die dazu beitragen, sage ich an dieser Stelle gleich einmal ein herzliches Dankeschön!"

Sie haben gerade mit dem Jugendblasorchester des Nordbayerischen Musikbundes ein Konzert in Bamberg aufgeführt, im September erhielten Sie in Kronach den Kulturpreis der Oberfrankenstiftung und jetzt im November geben Sie einen Meisterkurs in Lichtenberg. Woher kommt für Sie als gebürtigen Mittelfranken und musikalischem Weltenbummler diese enge Verbindung zu Oberfranken?

"Ich habe als junger Mann durch meine Konzerttätigkeit alle drei Regierungsbezirke und die jeweilige Prägung der Menschen, die dort leben, kennengelernt. Da entstehen sehr emotionale Bindungen wie etwa mit den Hofer Symphonikern, mit denen mich eine nunmehr lange musikalische Freundschaft verbindet. Mit den Bamberger Symphonikern habe ich den Echo Klassik Preis erhalten, der einzige, der bislang an einen Schlagzeuger vergeben wurde. Und dem Haus Marteau bin ich schon seit weit über 20 Jahren als Dozent verbunden. Ich habe immer wieder gespürt, dass ich gerne hier bin, mich hier zuhause fühle und zu den Menschen in dieser Region eine besondere Beziehung habe."

Wird die Reihe „Haus Marteau auf Reisen“ auch im kommenden Jahr fortgesetzt und worauf dürfen sich die Musikliebhaber aus Oberfranken diesmal freuen?

"Selbstverständlich kommt die Fortsetzung und ich werde zusammen mit Herrn Dr. Ulrich Wirz und Professor Dr. Günter Dippold auch im kommenden Jahr versuchen, die Konzertreihe an Spielorten zu erweitern, um noch mehr Musikliebhabern in Oberfranken zu ermöglichen, in den Genuss dieser wunderbaren Konzerte zu kommen, und sicherlich wird auch die hochkarätige Riege unserer Dozenten um den einen oder anderen Namen erweitert und ergänzt werden."

Zur Person:

Peter Sadlo wurde 1962 in Nürnberg geboren und gehört heute zu den renommiertesten Solo-Schlagzeuginterpreten der Gegenwart. Nach seinem Studium an den Musikhochschulen in Nürnberg und Würzburg wurde er bereits 1982 Solopauker bei den Münchner Philharmonikern unter deren damaligen Chefdirigenten Sergio Celibidache. Seit 1983 ist Sadlo Professor für Pauke und Schlagzeug an der Hochschule für Musik und Theater München. 1990 wurde er als Professor an das Mozarteum in Salzburg berufen. Auch als Ensembleleiter, Dirigent, Komponist und Arrangeur ist Sadlo international bekannt. Seit 2007 ist er künstlerischer Berater der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken und hat in dieser Funktion die Konzertreihe „Haus Marteau auf Reisen“ ins Leben gerufen Erst im September wurde er mit dem renommierten Kulturpreis der Oberfrankenstiftung ausgezeichnet.

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18.09.2012

„Der Spaß sollte im Vordergrund stehen“ / Schirmherr und Paralympics-Star Gerd Schönfelder über Nordic Walking und andere Sportarten - Diakonie Bayreuth veranstaltet 2. Integrativen Nordic Walking Tag

Bayreuth. Am Sonntag, 23. September findet unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe und dem fünffachen Goldmedaillengewinner der Paralympics in Vancouver Gerd Schönfelder der 2. Integrative Nordic Walking Tag statt. Gesundheit und Wohlbefinden fördern und dabei auch noch einen guten Zweck unterstützen, ist auch in diesem Jahr das Motto des Laufs. Der Erlös kommt in vollem Umfang der Betreuung von Senioren mit geistiger Behinderung im „Wohnhaus Laineck“ zugute. Die von der Behindertenhilfe der Diakonie Bayreuth sowie zahlreichen Kooperationspartnern und Sponsoren organisierte Veranstaltung wird auf dem Nordic Walking Parcours an der Lohengrin Therme Bayreuth durchgeführt. Wir sprachen im Vorfeld mit Schirmherr Gerd Schönfelder, der als Ski-Rennfahrer seit 1992 bei mehreren Winter-Paralympics 16 Siege und insgesamt 22 Medaillen errungen hat. Damit ist er bislang der erfolgreichste Athlet in der Geschichte der Paralympics.

Herr Schönfelder, warum gibt es noch immer relativ wenige Integrative Breitensportveranstaltungen, wie den Nordic-Walking-Tag der Diakonie Bayreuth, wo doch die Popularität etwa der Paralympics mittlerweile immens zugenommen hat?

„Meiner Meinung setzen sich immer noch zu wenige Menschen mit diesem Thema auseinander. Die sehr erfolgreichen Paralympics in London werden sicher postiven Einfluß auf weitere Verbesserungen in dieser Hinsicht nehmen. Da muss man einfach dran bleiben.“

Ist Nordic Walking die ideale Sportart für den integrativen Ansatz, welche Sportarten eigenen sich noch besonders gut, um das Ziel der Inklusion umzusetzen?

„Es gibt viele Sportarten die dazu geeignet sind. Ich denke auch an Radfahren oder Skifahren. Beides Sportarten, die selbst Rollstuhlfahrer ohne Probleme gemeinsam mit Nichtbehinderten betreiben können. Wichtig ist nicht, was man macht, sondern dass man überhaupt etwas macht und vor allem Spaß dabei hat.“

Ihr Terminkalender ist gut gefüllt, was sind die Höhepunkte der kommenden Wochen und Monate?

„Nachdem ich aus London zurück bin und danach gleich am 2. International Conrad Disabled Golf Open beim Golfclub Schwanhof teilgenommen habe steht jetzt die Familie im Vordergrund. Am 22. September ging es dann für eine Woche zum Champion des Jahres auf die Insel Kreta. Eine Woche Sport mit allen Medaillengewinnern der letztjährigen Weltmeisterschaften und der Spiele in London. Darauf freue ich mich sehr. Danach werde ich mich wieder verstärkt als Trainer im Paralympic Skiteam einbringen.“

Werden Sie am 23. September selbst zum integrativen Nordic-Walking-Tag nach Bayreuth kommen und vielleicht sogar mitlaufen?

„Ich wäre sehr gerne gekommen, fliege aber vom 22.bis zum 29. September auf Kreta. Aber ich hoffe es passt es ein anderes Mal besser.“

Ihr Tipp für Läufer mit und ohne Behinderung:

„Langsam beginnen, dann steigern. Wichtig ist der Spaß sollte im Vordergrund stehen. Denn nur was man regelmäßig macht bringt eine langfristige Verbesserung. Dazu reichen auch schon drei mal 20 Minuten pro Woche.“

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30.07.2012

Junge Musiker als Werbeträger für den Regierungsbezirk
Talentschmiede und Sprungbrett: Till Fabian Weser ist neuer Dirigent des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken

Bamberg. Der aus Amerika stammende Dirigent und Orchestermusiker Till Fabian Weser ist neuer Leiter des Jugendsymphonieorchesters Oberfranken. Der 1965 in Bloomington im US-Bundesstaat Indiana geborene Weser ist seit 1994 Mitglied der Bamberger Symphoniker und seit 2005 künstlerischer Leiter der Sommer Oper Bamberg. Er tritt die Nachfolge von Raoul Grüneis an. Wir sprachen mit Till Fabian Weser über seine künftige Zusammenarbeit mit der musikalischen Jugend Oberfrankens.

Herr Weser, die Förderung junger Musiker liegt Ihnen ganz besonders am Herzen, wie haben Sie ihre pädagogischen Fähigkeiten entdeckt?

„In meiner Jugend war ich selbst Mitglied in ähnlichen Formationen wie dem Landesjugendorchester Baden-Württemberg, dem Bundesjugendorchester oder später der Jungen Deutschen Philharmonie. Das waren ganz wichtige Erfahrungen für mich. Das hat mich auch insofern geprägt, als dass ich 2005 die Sommer Oper Bamberg als europäischem Opernworkshop gegründet habe und bis heute weiterentwickle. Mir macht es daher großen Spaß, mit jungen Musikern zusammenzuarbeiten, weil sie gleichsam wie ein Schwamm alles aufsaugen und mit ihrem Enthusiasmus alle, auch das Publikum, anstecken. Wenn die jungen Musiker spüren, dass sie fair behandelt und ernst genommen werden, dann fallen viele Anregungen auf fruchtbaren Boden.“

Wie ordnen sie dabei die künftige Arbeit mit dem Jugendsymphonieorchester ein?

„Ich verstehe das Orchester als eine Art Talentschmiede, in dem sich junge Musiker aus allen Teilen Oberfrankens im Bekenntnis zu ihrer Heimat zusammenfinden. Ich verstehe es aber auch als Sprungbrett. Die jungen Musiker haben die Möglichkeit sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Beim zurückliegenden Projekt der Sommer Oper Bamberg waren beispielsweise zwei junge Musiker dabei, die auch schon im Jugendsymphonieorchester Oberfranken gespielt haben.“

Haben sie ein Vorbild?

„Ich schätze viele und respektiere jeden der Dirigenten, die ich erleben darf. Aber auch hier gilt: die Musiker wollen ernst genommen und fair behandelt werden und das geht nur über Authentizität. Hier möchte ich als ein Vorbild Claudio Abbado nennen.“

Es heißt, Sie seien sogenannten Crossover Projekten nicht abgeneigt?

„Crossover ja, aber nie als publikumswirksamer Selbstzweck, sondern immer mit einem klaren musikalischen Konzept. Mit geht es darum, Verknüpfungspunkte zu suchen, zwischen Werken unterschiedlicher Epochen und sie im historischen Kontext und damit auch in ein Spannungsfeld zu versetzen. Dabei kann der Jazz durchaus eine Rolle spielen.“

Was macht ein gutes Kinder- oder Jugendkonzert aus?

„Eines, das die direkte Ansprache zum jungen Publikum sucht, das ein spannendes Thema hat und bei dem für Kinder und Jugendliche geeignete Werke auf dem Programm stehen. Zu mancher Musik finden wir schwer einen Zugang, andere Orchestermusik ist umso zugänglicher. Eine gute Mischung aus cleverem Repertoire und entsprechender Vermittlung zeichnet so ein Konzert aus. Gemeinsam mit dem Education-Team der Bamberger Symphoniker, zu dem ich gehören darf, werden wir im kommenden Jahr etwa Leonard Bernsteins Peter Pan als deutsche Erstaufführung konzertant einstudieren.

Was sind Ihre Favoriten in der Symphonischen Musik und wo möchten Sie mit dem Jugendsymphonieorchester Oberfranken Schwerpunkte setzen?

"Ich werde mir ein Programm ausdenken, das von den jungen Musikern bewältigt werden kann, dass besetzbar ist und die jungen Beteiligten emotional anspricht. Sie betreten ja für zehn Tage lang einen musikalischen Kosmos, der uns faszinieren soll. Das Programm wird noch im Herbst vorliegen. Dabei werden wir wohl ganz klassisch mit einem Bravourstück zum Auftakt starten, ein Solokonzert einstudieren, bei dem die jungen Musiker das Begleiten erlernen können, und schließlich - als Königsdisziplin - eine Symphonie aufführen.“

Welche Pläne haben Sie noch mit dem Jugendsymphonieorchester Oberfranken?

„Das ist natürlich alles noch offen, an den meisten der gewachsenen Strukturen werde ich wenig ändern, zumal mein Vorgänger Raoul Grüneis über Jahre großartige Arbeit mit dem Orchester geleistet hat. Vielleicht sollte man den Kontakt der Musiker untereinander noch mehr intensivieren und beispielsweise als zweites Projekt neben der alljährlichen Probenwoche und den Abschlusskonzerten ein Kammerorchesterprojekt veranstalten.

Werden Musikschulen, Gymnasien und Hochschulen künftig auch eine Rolle spielen?

„Mein Wunsch ist es, künftig noch mehr junge Leute für das Jugendsymphonieorchester zu begeistern. Dazu sollten sich alle beteiligten Stellen wie Musikschulen, Gymnasien, Hochschulen noch mehr vernetzen als bisher. Alle Bildungseinrichtungen in Oberfranken mit Schwerpunkt Musikförderung sollten wissen, dass es uns gibt. Schön wäre es auch, wenn es uns gelingen würde, dass das Jugendsymphonieorchester für repräsentative Zwecke herangezogen werden könnte. Damit entstehen nicht nur weitere Auftrittsmöglichkeiten, der Klangkörper würde auch insgesamt öfter zum Einsatz kommen. Ich könnte mir auch vorstellen in Zukunft nicht nur in Naila, Coburg  und Stegaurach, sondern ergänzend auch an anderen Orten zu gastieren. Dann könnte das Orchester schon bald zu einem idealen Werbeträger für ein junges und offenes Oberfranken werden.“

Sie haben selbst fünf Kinder, sind die auch musikalisch?

„Ja natürlich, alle sind musikalisch interessiert. Eine Tochter spielt Geige, eine weitere Tochter hat bei der Sommer Oper Bamberg bereits im Chor mitgesungen, mein Ältester studiert inzwischen Chemie und ist aber auch durch die Crossover-Aktivitäten seines Vaters mehr im Jazz zuhause. Meine jüngsten Zwillinge trommeln gerne. Diese Vielfalt ist mir wichtig und freut mich.“

Zur Person:

Till Fabian Weser wurde 1965 in Bloomington, Indiana, USA geboren. Studien und Dirigierkurse absolvierte er unter anderem bei Carl St. Clair, Roger Norrington und Wolfgang Schäfer. Zudem wirkte als Assistent von Zoltán Peskó und Ingo Metzmacher. Als Operndirigent setzte er sich besonders für die Förderung junger Sänger ein. Till Fabian Weser kann auf viele erfolgreiche Konzerte im nationalen und internationalen Rahmen, wie zum Beispiel bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern, beim Rheingau Musik Festival oder Beethovenfest Bonn zurückblicken. Er dirigierte bereits Orchester wie die Düsseldorfer Symphoniker, die Nürnberger Symphoniker, die Hofer Symphoniker, die Jenaer Philharmonie oder die Deutsche Kammerakademie. Till Fabian Weser leitet zudem Spezialensembles wie die Big Band der Bamberger Symphoniker oder das Bamberger Barockorchester und arbeitete bereits mit Spitzeninterpreten verschiedenster Stilrichtungen wie Sabine Meyer, Wayne Marshall, Kenny Wheeler und Markus Stockhausen zusammen. Mehrere Komponisten der Neuen Musik und des Jazz schrieben Werke für Till Fabian Weser. CD- und DVD-Produktionen erschienen unter anderem bei Berlin Classics und bei Denon. Seit 1994 ist er Mitglied der Bamberger Symphoniker, 2005 übernahm er die künstlerische Leitung der Sommer Oper Bamberg.

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29.06.2012

Ohne Manieren keine Karriere / Ob Vorstellungsgespräch oder Konzernführung: Die richtigen Umgangsformen gehören immer dazu / Kulturmanagerin und Festivalintendantin Sissy Thammer aus Bayreuth über Etikette

Bayreuth. Etikette ist ein Topthema. Eine, die sowohl junge Menschen als auch hochrangige Konzernchefs fit macht für Höflichkeitsstandards ist Dr. Sissy Thammer, Intendantin des Festivals junger Künstler in Bayreuth, Kulturmanagerin und Veranstalterin von Seminaren zu Stil- und Businessetikette. Als wichtigen Grund für die gewachsene Bedeutung von Etikette sieht Thammer die Globalisierung. An dieser Internationalität kommt niemand mehr vorbei, deshalb sei es auch wichtig, junge Leute mit interkulturellen Kompetenzen auszustatten. Jungen Leuten empfiehlt Thammer ganz einfach, andere zu beobachten, nicht zu bewerten, denn Etikette ist eine permanente Entwicklung, die nie aufhört. Wir sprachen mit Sissy Thammer darüber, was richtige Manieren ausmacht und warum sie so wichtig sind:

Frau Dr. Thammer, warum sind Umgangsformen generell so wichtig? Reicht es denn nicht, durch Fachlichkeit zu überzeugen?

„Nein, das reicht nicht. Wenn Menschen miteinander zu tun haben, müssen sie auch die Instrumente beherrschen, mit denen Wertschätzung und Respekt ausgedrückt werden können. Dazu gehören etwa Dinge, wie jemanden den Vortritt zu lassen, die Tür aufzuhalten, zu Grüßen oder bitte und danke zu sagen.“

Woher kommen eigentlich Defizite bei Umgangsformen? Ist es immer das Elternhaus nach dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ oder spielt auch der Zeitgeist eine Rolle?

„Eigentlich ist es beides, Elternhaus und Zeitgeist, denn der Zeitgeist wird ja oft durch das Elternhaus bestimmt. Das Elternhaus ist heute meist von der 68er-Generation geprägt, wo eine gewisse Laissez-faire-Haltung vorherrscht. Früher war es leichter, da galten absolute Werte, zum Beispiel der sonntägliche Kirchgang. Allerdings relativieren sich die absoluten Wertevorstellungen von früher auch wieder.“

Wirken sich Defizite bei den Umgangsformen wirklich so negativ aus, oder wird das Thema überschätzt?

„Defizite wirken sich absolut negativ aus und werden keineswegs überschätzt. Es gibt sogar Untersuchungen, denen zufolge viele Arbeitgeber schlechtes Benehmen auch mit schlechtem Arbeiten gleichsetzen. Dazu kommt, dass die gesamte Arbeitswelt heute viel stärker aus Kommunikation besteht als früher.“

Warum ist das Thema Umgangsformen so heikel? Möchten sich die Menschen heute nicht mehr in ihr persönliches Verhalten hinein reden lassen?

"Das Thema Umgangsformen ist anstrengend, aber nicht heikel. Es ist anstrengend, sich auf sein Gegenüber einzustellen und einzulassen. Dazu braucht man ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Aber jede und jeder kann es schaffen.“

„Die meisten Menschen sind überzeugt davon, dass sie gute Umgangsformen besitzen. Können Sie das bestätigen?

„Viele sind unsicher und geben ihre Defizite nicht gerne zu, das stimmt. Etwa beim Dresscode, der ja immer auch vom jeweiligen Unternehmen und vom Anlass abhängt.“

Kann man sich durch gute Umgangsformen von der Konkurrenz tatsächlich abheben?

„Eindeutig ja, ohne Manieren keine Karriere. Außerdem muss heute jedes Unternehmen seine Produkte über sein Image verkaufen und das Image wird nun mal von Menschen gemacht.“

Ist es denn richtig, wenn jemand wegen einer fehlenden Krawatte einen Job nicht bekommt?

„Kein Fähiger sollte wegen einer fehlenden Krawatte abgelehnt werden. Fest steht aber auch, dass es für den ersten Eindruck keine zweite Chance gibt, auch wenn das manchmal ungerecht ist. Man muss sich ja auch in die Lage des Arbeitgebers versetzen. Bevor ich weiß, ob Kenntnisse und Fähigkeiten vorhanden sind, muss ich dem Bewerber ja erst einmal gegenüber treten und da gibt es immer zuerst ein selektives Wahrnehmungsprofil.  Farb- und Typberatung können da übrigens Wunder bewirken.“

Was sind die häufigsten Fehler und Unsicherheiten, denen Sie begegnen?

„Grüßen und sich vorstellen wird oft zum Problem. Auch den sogenannten Small-Talk zu starten, fällt vielen jungen Leuten schwer. Aber genau das ist eine Art verbale Visitenkarte. Dazu kommt nicht angemessene Kleidung. So sollte man beispielsweise im Beruf keine erotischen Signale ausstrahlen. Zu gutem Benehmen gehört es auch, Distanz einzuhalten.“

Was sind die größten Fettnäpfchen?

„Kichern, zu spät kommen, Vereinbarungen nicht einzuhalten und vereinbarte Termine im Fall des Falles nicht abzusagen.“

„Was hat sich in den vergangenen Jahren entscheidend verändert? Stichworte: E-Mail-Kommunikation, Rückbesinnung auf alte Werte:

„Die Mail-Kommunikation hat vieles verändert. Dabei sollte jedem klar sein, eine E-Mail muss genauso förmlich sein, wie ein Brief und sollte keine schülerhaften Inhalte haben. Was die Besinnung auf alte Werte angeht, hat sich heute zwar vieles relativiert, doch Respekt, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit gehören noch immer zu den wichtigsten Dingen.“

Wo hat Business-Etikette Grenzen, wo hört es auf?

„Dort, wo Menschen verletzt werden. Etikette ist ja schließlich für den Menschen da.“

Zur Person:
Dr. Sissy Thammer wurde 1954 im oberpfälzischen Winklarn geboren. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Buchhändlerin und studierte Jura in München und Rom. Seit 1986 leitet sie das Festival junger Künstler (Internationales Jugendfestspieltreffen) in Bayreuth. Thammer hat Lehraufträge an mehreren deutschen Universitäten. Sie ist Trägerin des Preises „Frauen Europas – Deutschland 1997“ und erhielt 2002 von der Georghe-Dima Music Academy den Ehrendoktortitel. Für ihre besonderen Verdienste um das Festival junger Künstler erhielt sie 2003 das Bundesverdienstkreuz.

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29.05.2012

Moderner Manager und erster globaler Denker / Dr. Frank Holl arbeitet an einem Buch über das Wirken von Alexander von Humboldt im Fichtelgebirge

Goldkronach. Jean Paul, Johann Wolfgang von Goethe, Hans Sachs, Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide und jetzt Alexander von Humboldt. Der Schrenk-Verlag aus Gunzenhausen gibt seit Jahren eine Reihe „Auf den Spuren der Dichter und Denker in Franken“ heraus. Bereits im Sommer soll dabei erstmals eine ausführliche Publikation über das Wirken des Universalgenies Alexander von Humboldt erscheinen. Autor wird der international anerkannte Wissenschaftler Dr. Frank Holl aus München sein. Im Interview äußert er sich über die Bedeutung Alexander von Humboldts in der Gegenwart und über seine geplante Veröffentlichung.

Wie ist es für Sie zu erklären, dass die Faszination Alexander von Humboldts nach wie vor ungebrochen ist?

Er ist unglaublich modern. Nehmen wir an, eine Zeitmaschine brächte ihn in unsere Gegenwart. Dann könnte er hier sofort als Direktor einer großen wissenschaftlichen Institution arbeiten, zum Beispiel der Fraunhofer- oder der Max-Planck-Gesellschaft, oder als Leiter eines großen Unternehmens oder als Generaldirektor der UNESCO. Warum? Weil er die wesentlichen Zusammenhänge verstanden hat, die unsere Welt bewegen. Das einzige, worin er sich vermutlich kurz einarbeiten müsste, wären die Computer. Aber da er unglaublich schnell lernte, hätte er auch das sicher rasch erledigt.

Alexander von Humboldt gilt in vielen Teilen der Welt als bekanntester Deutscher, was hat er uns heute noch zu sagen?

Humboldt suchte die großen Zusammenhänge. Da können wir sehr viel von ihm lernen. Er betrachtete die Welt als einen Raum von Wechselwirkungen. „Mein eigentlicher, einziger Zweck ist, das Zusammen-und Ineinander-Weben aller Naturkräfte zu untersuchen“, schrieb er 1799. Das war lange bevor der Begriff Ökologie geprägt wurde. Er war der erste globale Denker. Forschung und politische Verantwortung waren für ihn nicht zu trennen. Auch in seinen wissenschaftlichen Texten verteidigte er die Menschenrechte, klagte Rassismus und Sklaverei an und plädierte für die rechtliche Gleichstellung aller Bürger. Nicht ohne Grund ist sein Name auf der Welt in Orten, Tieren, Pflanzen, Gegenständen und Institutionen mehr repräsentiert als der jedes anderen Menschen.

Wo würden Sie im langen Leben Alexander von Humboldts die fünf Jahre einordnen, die er im damaligen Fürstentum Ansbach-Bayreuth, vor allem in Goldkronach, Bad Steben und Arzberg, verbracht hat?

In der Zeit von Sommer 1792 bis Frühjahr 1797, in der Alexander von Humboldt für den Bergbau in Franken tätig war, spiegelt sich im Grunde bereits alles, was auch sein gesamtes späteres Leben bestimmte: sein Drang, bei der Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bis an die Grenzen der eigenen Leistungskraft zu gehen, seine Unruhe und sein Nomadenleben, wie er es bereits damals nannte. Die fünf fränkischen Jahre Humboldts waren geprägt von seinem Willen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen Bedeutendes zu leisten.

Was hat er hier für den Bergbau getan?

Er hat den fränkischen Bergbau zu einer neuen, letzten Blüte gebracht. Er steigerte die Effizienz, nicht allein durch seine geologischen und technischen Kenntnisse, sondern auch durch die Verbesserung der Ausbildung und sozialen Situation der Bergleute. Durch Humboldts Impulse stieg besonders die Goldförderung hier eine Zeit lang nochmals beachtlich an.

Hat er hier auch geforscht?

In Franken zeigt sich zum ersten Mal der wissenschaftlich und praktisch tätige Humboldt. „Ein Menschenleben, begonnen wie das meinige, ist zum Handeln bestimmt“, hat er einmal geschrieben. Neben dem Bergbau befasste sich Humboldt in Franken auch mit der Botanik, der Physik, Chemie und der Physiologie. Er arbeitete hier an vier verschiedenen Büchern zu diesen Themen. Bereits in Franken lässt sich erkennen, was Humboldt später als großes, detailliertes Forschungsprogramm entfalten sollte. Während seiner Expeditionen durch Lateinamerika, Russland und Sibirien, und auch in seinem großen Alterswerk Kosmos nimmt er oft auf Franken Bezug. An diese Gegend, so schreibt er dort 1845, seien, „die frohesten Erinnerungen meines Jugendalters geknüpft“.

Sind in ihrer geplanten Publikation bislang noch unbekannte Forschungsergebnisse über die Zeit Humboldts in der Region zu erwarten?

Ja, auf jeden Fall! Wir setzen die Perspektive anders als bislang. Uns interessiert vor allem der hochmoderne Mensch, den es zu entdecken gilt. Mein Co-Autor Eberhard Schulz-Lüpertz hat sich speziell der bergmännischen Aktivitäten Humboldts angenommen. Er zeichnet das Bild eines modernen Managers, von dem jeder heutige Kollege viel lernen kann. Humboldt behandelte die damaligen Bergarbeiter mit Verantwortungsbewusstsein und großem Respekt. Er verstand es ganz hervorragend, sie zu motivieren, er kümmerte sich um ihre Ausbildung, ihre Sicherheit und ihre Familien. Im Grunde gehört Humboldt in jedes moderne Manager-Lehrbuch.

Werden Sie auch unbekanntes Material publizieren?

Ja! Ein Berliner Antiquar hat mich kürzlich auf einen vierseitigen, noch unveröffentlichten Brief Humboldts aus Goldkronach aufmerksam gemacht. In diesem Zusammenhang möchte ich alle Leser bitten nachzusehen, ob sich in ihrem Besitz Bilder oder Hinweise auf Bilder befinden, die Personen oder Landschaftsansichten aus Franken aus der Zeit zwischen 1750 und 1850 zeigen. Von vielen Zeitgenossen, mit denen Humboldt zu tun hatte, haben wir nämlich leider noch keine Porträts gefunden. Diese würden wir sehr gerne in dem Buch veröffentlichen.

Welche Rolle hat bei Ihrer geplanten Publikation über Alexander von Humboldt in Oberfranken das "Alexander-von-Humboldt-Kulturforum Schloss Goldkronach" gespielt?

Von diesem Kulturforum gehen seit einiger Zeit höchst bemerkenswerte Impulse für die Region und für die Humboldt-Forschung aus! Auch die Initiative für unser Buch „Alexander von Humboldt in Franken“ kommt ja von dort. Das Humboldt-Kulturforum plant auch eine ganze Reihe von weiteren Aktivitäten. Im Juli wird es ein Symposium sowie eine Literarisch-Musikalische Reise zum Thema „220 Jahre Alexander von Humboldt in Franken“ geben. Das sind großartige Initiativen, die nicht nur den Tourismus beflügeln, sondern auch Alexander von Humboldt unter die Leute bringen.

Zur Person:
Dr. Frank Holl promovierte 1993 an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Arbeit über den Physiker Max Born und dessen Verleger Ferdinand Springer. In Deutschland und dem spanischsprachigen Raum wurde er vor allem durch seine Publikationen und Ausstellungen zu Alexander von Humboldt bekannt. Zwischen 1994 und 2009 konzipierte und organisierte er elf Ausstellungen zu Humboldt in acht Ländern (Mexiko, Kuba, Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Spanien und Deutschland). Seit 2008 leitet er die Münchner Wissenschaftstage. Mit seinen Arbeiten engagiert er sich in erster Linie dafür, einem breiten Publikum wissenschaftliche Erkenntnisse auf allgemeinverständliche Weise zu vermitteln.

Bilder:
- An der Büste von Alexander von Humboldt in Goldkronach trafen sich (von links): Humboldt-Experte Reinhard Stelzer aus Himmelkron, der Parlamentarische Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk sowie die Buchautoren Dr. Frank Holl und Dr. Eberhard Schulz-Lüpertz.
- Diese Büste vor dem Schloss in Goldkronach zeigt Alexander von Humboldt. Sie wurde 2009 enthüllt und stammt von dem Forchheimer Bildhauer Hans Dressel.
- Eine Gedenktafel am heutigen Gasthof Alexander von Humboldt in Goldkronach erinnert an das Wirken des Universalgenies in der Region.

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24.04.2012

„Die Entwicklung schreitet rasant voran“ / Geriatrie-Spezialist Dr. Peter Landendörfer über Alzheimer und Demenz – Vortragsreihe in Heiligenstadt

Heiligenstadt. Mit einer Kursreihe zum Thema Demenz möchte das Familienzentrum Heiligenstadt Landkreis Bamberg) vor allem Angehörige von demenzkranken Patienten aufklären. Die Angehörigen müssten meist die Hauptlast dieser Erkrankung tragen, sagt Dr. Peter Landendörfer, Facharzt für Allgemeinmedizin, Klinische Geriatrie und Lehrbeauftragter am Institut für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München. Um im Alltag besser mit den Problemen bei der Pflege und Betreuung demenzkranker Angehöriger umgehen zu können, bietet das Familienzentrum Heiligenstadt Basisinformationen zur Erkrankung sowie zum täglichen Umgang mit Demenzkranken an. Ziel ist es, Anleitungen zu geben, die alltäglichen Herausforderungen noch besser zu bewältigen, die durch die Demenz entstehen, Entlastungsmöglichkeiten zu finden, um letztlich auch weiterhin gut für den betroffenen Angehörigen da sein zu können. Wir sprachen mit Dr. Landendörfer und dem Leiter des Familienzentrums über die geplante Kursreihe:

Herr Dr. Landendörfer, was ist der Unterschied zwischen Alzheimer und Demenz?

„Die Demenz ist ein Symptom der Alzheimer-Erkrankung. Das heißt Alzheimer ist mehr als Demenz oder andersherum: Demenz ist nur ein Teil von Alzheimer.“

Stichwort Demographischer Wandel: sind Alzheimer und Demenz mittlerweile Volkskrankheiten?

„Das kann man auf jeden Fall so sagen. Derzeit schätzt man die Zahl der Demenzbetroffenen bundesweit auf über 1,2 Millionen Menschen. Bis zum Jahr 2050 rechnen Experten mit einer Verdoppelung dieser Zahl. Die Entwicklung schreitet also ziemlich rasant voran. Die meisten Betroffenen werden übrigens zu Hause versorgt.“

Das Tückische an der Krankheit ist deren schleichendes Auftreten, wann sollte etwas unternommen werden, und vor allem was?

„Im Idealfall sollte der Hausarzt Patienten ab dem 65. Lebensjahr auf das Gedächtnis ansprechen. Beantwortet der Patient die Frage ehrlich und hat er Zweifel, dann kann der Arzt in einem einfachen und einheitlich standardisierten Test hinsichtlich Orientierung und Merkfähigkeit feststellen, ob eine tiefergehende Untersuchung in einer sogenannten Gedächtnisambulanz notwendig ist. Eine derartige Spezialambulanz gibt es beispielsweise an der Universitätsklinik Erlangen oder am Klinikum Bamberg.“

Ist es möglich, bestimmte Formen der Demenz in gewissem Umfang zu behandeln oder zumindest die Symptome im Anfangsstadium zu verzögern?

„Bei den gängigen medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten ist derzeit eine gewisse Ernüchterung eingetreten, weil sie nicht den erhoffen Erfolg gebracht haben. Auch ich persönlich bevorzuge eine nicht-medikamentöse Therapie, die vor allem darauf setzt, noch vorhandene Fähigkeiten möglichst zu erhalten. Dies kann beispielsweise durch Ergotherapie, Kognitionstherapie oder Reminiszenz-Therapie geschehen. Oberstes Ziel ist es dabei, die Erinnerungsfähigkeit wach zu halten.“

Wie kann man Betroffenen und deren Angehörigen die Angst nehmen?

„Das ist verdammt schwer, weil die Konfrontation mit der Diagnose für die Angehörigen zunächst ein unwahrscheinlicher Paukenschlag ist, denn es erst einmal zu verarbeiten gilt. Ein sogenanntes multiprofessionelles Team aus Hausarzt, Pflegeschwestern, Ergo- und Physiotherapeuten kann den Angehörigen aber ein guter Beistand sein.“

Was tun, wenn die Pflege zuhause Angehörige überfordert?

„Man sollte sehr früh und vor allem offen eine Heimaufnahme ansprechen. Gerade in einem ländlichen Umfeld fühlen sich Angehörige oft unter Druck gesetzt. Man sollte aber offen darüber sprechen, denn Angehörige erkranken nicht selten selbst, werden depressiv oder erkranken anderweitig körperlich und psychisch.“

Herr Bruhn, warum widmet sich das Familienzentrum Heiligenstadt der Thematik Demenz?

„Wir haben erkannt, dass Demenz bei Angehörigen für große Betroffenheit sorgt. Deshalb wollen wir Wissen vermitteln und für Verständnis werben. Natürlich wollen wir auch unsere Optionen aufzeigen, die von der Tages- oder Nachtpflege bis hin zur Kurzzeitpflege reichen, so dass sich die Angehörigen immer wieder regelmäßige Auszeiten schaffen können.“

Wie viele Bewohner der Einrichtung sind Betroffene?

„Von den aktuell rund 110 Bewohnern ist mehr als die Hälfte dementiell irgendwie erkrankt. Die Tendenz ist steigend, was sicherlich dem bundesweiten Trend entspricht.“

Die Kursreihe „Psychoedukation Demenz“ für Angehörige findet am 07. und 14 Mai, sowie am 11. und 18. Juni jeweils um 19.30 Uhr in der Tagungsstätte des Familienzentrums in Heiligenstadt statt. Jeder Abend dauert eine bis eineinhalb Stunden. Zum Kurs gehören 7 Broschüren zum Vorbereiten und späteren Nachlesen. Die Teilnahme ist für jeden möglich. Anmeldung unter Telefon 09198/808-400.

Bild: Aufklärung in Sachen Demenz: Der Mediziner Dr. Peter Landendörfer (rechts) und Urs Bruhn vom Familienzentrum Heiligenstadt veranstalten eine Kursreihe zur Aufklärung für Angehörige demenzkranker Patienten.

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29.03.2012

„Forderung mit Augenmaß“ / Sibylle Wankel von der IG Metall wirft den Arbeitgebern vor, eine Krise herbeizureden

Am 19. April gehen die Tarifverhandlungen für die bayerische Metall- und Elektroindustrie in die dritte Runde. Verhandlungsführerin auf Seiten der Gewerkschaft ist dabei Sibylle Wankel vom Tarifteam der IG Metall Bezirksleitung Bayern.

Frau Wankel, die Arbeitgeber sagen, 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt ist überzogen. Schließlich sei die Metall- und Elektroindustrie gerade mal da, wo sie zu Beginn der Krise 2008 war. Was entgegnen Sie?

"Die Einschätzung, dass die Metall- und Elektroindustrie wieder da ist, wo sie vor der Krise war, ist richtig. Allerdings war sie vor der Krise auch auf einem Rekordniveau. Wenn man sich daran erinnert, was wir damals gefordert haben, dann waren das acht Prozent. Angesichts der Wirtschaftsdaten, die wir jetzt erreicht haben, sind die 6,5 Prozent aus unserer Sicht tatsächlich eine Forderung mit Augenmaß."

Den Arbeitgebern zufolge könnten die Zukunftsfähigkeit der Betriebe und damit auch Arbeitsplätze in Gefahr geraten?  Zumal im 4 Quartal 2011 ein etwas schlechteres Ergebnis erzielt wurde, die Weltwirtschaft schwächelt und Unsicherheit durch die europäische Schuldenkrise da sind. Ist da nicht doch was dran?

"Also es ist natürlich so, dass die Rahmendaten, insbesondere Eurokrise und Staatenverschuldungskrise, nicht ganz einfach sind. Wir sehen aber überhaupt keine Krise in unseren Betrieben der bayerischen Metall- und Elektroindustrie. Hier haben wir nach wie vor eine starke Exportquote, wir haben Rekordergebnisse bei den großen Automobilherstellern und sogar manche Zulieferer mit Rekordausschüttungen von Ergebnisbeteiligungen an die Belegschaft. Der Rückgang im vierten Quartal ist sicher eine kleine Delle ist, aber insgesamt sind die Erwartungen ja sehr positiv. Normalerweise ist  es ja so, dass die Arbeitgeber immer sagen, wir sollen die Krise nicht herbeireden, aber genau das tun sie jetzt."

Sie sagen, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Tarifforderungen?

"Tarifforderungen kommen ja nie zum richtigen Zeitpunkt, entweder gefährdet man den Aufschwung oder man gefährdet Arbeitsplätze, weil man in der Krise ist, oder man muss das Geld in irgendeiner Weise für Investitionen benutzen. Wenn man dieser Argumentation folgen würde, dann wäre ja nie der richtige Zeitpunkt für Tariferhöhung und dem können wir natürlich aus unserer Sicht nicht beipflichten."

Zur Forderung nach einer unbefristeten Übernahme aller Auszubildenden: Kein Unternehmen kann doch wissen, wie die wirtschaftliche Lage nach der Ausbildung in drei Jahren aussieht?

"Das ist richtig, das weiß kein Unternehmen, das wissen wir im Übrigen genauso wenig. Wir haben in den Tarifvertrag, den wir ja bisher schon mit zwölfmonatiger Übernahme hatten und den wir gekündigt haben, hineingeschrieben, dass es Ausnahmen gibt, wenn man über Bedarf ausgebildet hat oder wenn man in dem Moment, in dem man übernehmen müsste, akute Beschäftigungsprobleme hat. Das heißt, die Tarifvertragsparteien haben ohnehin schon in der tariflichen Regel seit Jahren zwei grundsätzliche Ausnahmen festgeschrieben. Deshalb fordern wir jetzt nichts anderes, als dass wir die unbefristete Übernahme zur Regel machen. Ausnahmen können wir ja genauso gut wieder in den Tarifvertrag hineinschreiben."

Würde die Forderung Realität werden, dann könnten doch die Arbeitgeber ihre Ausbildungsaktivitäten deutlich nach unten fahren, um dieser nicht kalkulierbaren Verpflichtung zu entgehen. Ist das nicht nachvollziehbar?

"Das sagen die Arbeitgeber natürlich immer, unsere Erfahrung ist da anders. Sie haben das 1999 auch angedroht, als wir die zwölfmonatige Übernahme durchgesetzt haben. Auch damals haben die Arbeitgeber angedroht, dass die Kapazitäten zurückgehen würden. Das ist nicht der Fall gewesen, im Gegenteil. Man kann natürlich nicht ausschließen, dass einzelne Arbeitgeber sagen, dann werde ich im Moment die Ausbildung zurückfahren. Nur wenn sie sehen, wie das Ganze in Unternehmen aussieht, die teilweise eine unbefristete Übernahme ja schon zugesagt haben, dann müsste es dort ja eigentlich auch eine geringere Aktivität geben an Ausbildungsplätzen, das ist aber gerade nicht der Fall."

Eine weitere Forderung ist die nach mehr Mitbestimmung bei Zeitarbeitern. Was ist der Grund für diese Forderung?

"Unsere Forderung bei der Zeitarbeit, oder besser Leiharbeit, ist sehr komplex, eine Forderung auf mehreren Ebenen und an mehreren Fronten. Wir fordern einerseits einen Branchenzuschlag oder einen Einsatzzulage von den Verleiharbeitgebern und andererseits faire Bedingungen beim Einsatz, sprich auch Möglichkeiten der Übernahme in ein festes Beschäftigungsverhältnis und natürlich eine gewisse Begrenzung auf einen bestimmten Prozentsatz."

Die Arbeitgeber sagen ja „Zeitarbeit ersetzt keine Stammarbeitsplätze“? Dramatisiert die IG Metall das Ausmaß der Zeitarbeit?

"Wir haben eine Umfrage gemacht im vergangenen Jahr unter unseren tarifgebundenen Betrieben in Bayern. Daran haben insgesamt 377 Betriebe teilgenommen. Heraus kam, dass wir insgesamt einen Prozentsatz an Leiharbeit von knapp acht Prozent haben. Das ist deutlich höher als in der Gesamtwirtschaft. In manchen Regionen geht die Leiharbeit bis über 15 Prozent gehen. Das zeigt einfach, dass die Leiharbeit nicht benutzt wird, um Spitzen abzubauen, sondern als Dauerarbeitsplätze. Cirka 40 Prozent dieser Leiharbeitnehmer sind länger als ein Jahr beschäftigt. Wenn das keine Stammarbeitsplätze sind, was dann."

Mit Angelique Renkhoff-Mücke  tritt erstmals eine Frau als Verhandlungsführerin des Arbeitgeberverbandes auf. Tun sich Frauen leichter in dieser früheren Männerdomäne einen Kompromiss zu finden?

"Gute Frage, ich selbst bin ja als Frau schon lange tätig in dieser Männerdomäne. Auf jeden Fall wird erwartet, dass Frauen mindestens so hart auftreten wie die Männer. Bei Frau Renkhoff-Mücke habe ich den Eindruck, dass sie durchaus in der Lage ist, kompetent und konstruktiv zu verhandeln. Aber egal ob Frau oder Mann, von ihrer Geschichte her hat sie sicherlich einen mittelständischen Unternehmerhintergrund, der die Sichtweise natürlich ein bisschen beschränkt auf eine doch sehr differenzierte Metall und Elektroindustrie. In dieser Situation ist es glaube ich sehr hilfreich, wenn ihr die Männer aus den großen VBM-Unternehmen klar machen,  wohin  das Ergebnis gehen muss. Die Entscheidung sollte ja nicht vom Mittelstand alleine getroffen werden."

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27.03.2012

Vom Lieferanten zum Unternehmer - Landwirtschaft hat sich binnen drei Jahrzehnten total verändert / Ende einer Ära: Der oberfränkische BBV-Präsident Werner Reihl tritt bei Neuwahlen nicht mehr an

Wunsiedel. Am 3. April geht für den Bayerischen Bauernverband (BBV) in Oberfranken eine Ära zu Ende. Werner Reihl, bisheriger Bezirkspräsident aus Arzberg-Bergnersreuth, wird der Satzung entsprechend bei den turnusgemäßen Neuwahlen der Verbandsspitze nicht mehr für das Amt kandidieren. Der 67-Jährige stand zwei Wahlperioden, beziehungsweise zehn Jahre an der Spitze des BBV-Oberfranken. Außerdem war er 25 Jahre lang Kreisobmann in Wunsiedel. Auch dieses Amt musste er abgeben, weil auch den Bauernverbandsstatuten zufolge auf Kreisebene kein Bewerber zum Zeitpunkt seiner Wahl älter als 65 Jahre sein darf. Im Landkreis Wunsiedel wurde bereits vor wenigen Wochen sein bisheriger Stellvertreter Harald Fischer aus Neudorf bei Marktleuthen zum neuen Kreisobmann gewählt. Am 3. April wird in Bamberg ein neuer BBV-Bezirkspräsident gewählt. Wir sprachen mit Werner Reihl über seine Amtszeit sowie über sein langjähriges Engagement für den bäuerlichen Berufsstand:

Wie hat Ihr Engagement für den Bauernverband eigentlich begonnen, was war der Antrieb?

„Bereits 1987 gehörte ich zu den Mitbegründern des Maschinen- und Betriebshilferings Wunsiedel. Diese bäuerliche Selbsthilfeeinrichtung habe ich über ein Jahr lang ehrenamtlich geführt und war danach zehn Jahre lang deren erster Vorsitzender. Meine Berufskollegen, die damals auf der Suche nach einem neuen Kreisobmann waren, sind während dieser Zeit an mich herangetreten und haben mich gebeten, auch das Amt des Kreisobmanns zu übernehmen, zu dem ich im Januar 1987 auch gewählt wurde. Erst im März 2002 wurde ich dann auch zum oberfränkischen Bezirkspräsidenten gewählt.“

Gab es irgendeinen herausragenden Erfolge während Ihrer Amtszeit als Präsident?

„Gleich zu Beginn meiner Amtszeit hatte der Freistaat Bayern die Antragsstellung für das Kultur- und Landschaftsprogramm (KULAP) ausgesetzt. Das hätte uns besonders in Oberfranken schwer getroffen. Ich habe innerhalb kürzester Zeit viele Berufskollegen mobilisieren können, um mit dem damaligen Landwirtschaftsminister Josef Miller ein Gespräch zu vereinbaren und bei der CSU-Klausurtagung in Kreuth gegen die Aussetzung zu demonstrieren. Die Antragsstellung wurde daraufhin wieder eingeführt und die Bauern in Oberfranken bekamen das Geld, das ihnen zusteht. Das war damals echte Teamarbeit und hat gezeigt, dass mit Zusammenhalt auch etwas erreicht werden kann.“

Woran erinnern Sie sich nach all den Jahren noch besonders gerne?

„Ganz klar an den Deutschen Bauerntag, der 2007 in Bamberg stattfand. Es war eine große Leistung der Bauernverbandsfamilie in Oberfranken, diese Großveranstaltung so erfolgreich über die Bühne zu bringen. Sogar der damalige Bundespräsident Horst Köhler gehörte zu den Gästen. Der Bauerntag klingt bei den Kollegen bis heute noch nach.“

Wo Licht ist, gibt es freilich immer auch Schatten. Gab es auch Niederlagen während ihrer Amtszeit?

„Es mag vielleicht überheblich klingen, aber richtige persönliche Niederlagen fallen mir nicht ein. Natürlich habe ich nicht alles erreicht, was ich mir zum Ziel gesetzt hatte. Beispielsweise wollte ich tatkräftig mithelfen, um den Bürokratieabbau in der Landwirtschaft voranzubringen. Das ist nicht gelungen, im Gegenteil: Die Bürokratie hat sich bis heute verdoppelt, wenn nicht verdreifacht. Außerdem wird es wohl eine Daueraufgabe bleiben, der Bevölkerung klar zu machen, wie Landwirtschaft wirklich läuft. Viele Menschen haben ein verklärtes Bild und sehen den Bauernhof des Jahres 1950 noch immer als Ideal an. Das hat vielfältige Ursachen, die bereits in den Schulen beginnen. Wir werden aber auch in Zukunft nicht locker lassen, mit den verschiedensten Aktionen den Menschen klar zu machen, was hinter einer modernen Landwirtschaft steht.“

Was sind die größten Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte gewesen?

„Das Bild der Landwirtschaft ist ein völlig anderes geworden, wir haben eine ganz andere Welt! Vor drei Jahrzehnten hat die Politik die Preise verhandelt, beispielsweise wurden der Getreideinterventionspreis oder der Milchpreis in Brüssel festgelegt. Der Bauer produzierte und lieferte ab. Wesentliche Einschnitte gab es dann, als plötzlich über den Bedarf produziert wurde. Nach und nach musste sich der Landwirt immer mehr um Dinge wie Vermarktung und Preisgestaltung selbst kümmern. So veränderte sich unsere Aufgabe vom Lieferanten zum Unternehmer, jeder Bauer muss sich heute tagtäglich aktiv um das Marktgeschehen kümmern. Einen weiteren Meilenstein bedeutete auch die Einführung des Euro. Die Wechselkurse hatten bis dahin großen Einfluss auf die Landwirtschaft. Ich stehe deshalb auch zum Euro.“

War die Lobbyarbeit früher einfacher?

„Natürlich, weil sich die Themensetzung so verändert hat. Vieles ist schwieriger und intensiver geworden, wenn ich nur an die Diskussionen rund um den Tierschutz denke.“

Wie muss sich der Berufsstand positionieren, um auch künftig die notwendige Anerkennung in der Bevölkerung zu bekommen?

„Wir müssen noch stärker als bisher auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingehen. Wir müssen den Menschen allerdings auch klar machen, dass es die sogenannte gute alte Zeit in der Landwirtschaft nicht gibt. Der Landwirt ist ein Unternehmer, der seine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen macht. Dazu gehört auch das hohe Interesse eines jeden Landwirts an Tierschutzthemen, denn nur mit gesunden Tieren hat der Landwirt auch wirtschaftlichen Erfolg.“

Stellen Sie bei den Verbrauchern ein Umdenken fest?

„Teilweise ja. Vor 30 Jahren war Regionalität beispielsweise noch etwas ganz selbstverständliches. Es gab noch Tante-Emma-Läden, es gab noch Dorfläden, die Eier hat man vom Bauernhof geholt. Heute dominieren die Discounter und im Dorf gibt es, wenn überhaupt, höchstens noch einen oder zwei Landwirte. Das führt dazu, dass die Nachfrage nach Regionalität wieder steigt und wir Landwirte können dieser Nachfrage entsprechen. Gleichzeitig muss der Verbraucher aber auch Verständnis dafür haben, dass wir in einem globalen Markt agieren, der für den Fortbestand der deutschen, bayerischen und oberfränkischen Landwirtschaft ganz wichtig ist.“

Was werden Sie persönlich vermissen?

„Ich werde die vielen Menschen vermissen, mit denen ich tagtäglich zu tun hatte. Das gilt sowohl für das Hauptamt im Bauernverband, als auch für das Ehrenamt.“

Was stellen Sie künftig mit der freien Zeit an?

„Da mache ich mir die wenigsten Sorgen. Mein Sohn plant mich schon fest auf dem Betrieb mit ein und ich freue mich schon darauf, wieder aktiver mitarbeiten zu können. Außerdem werde ich zumindest eine Zeitlang noch einige Ämter behalten. Dazu gehört  der Vorstandsvorsitz im Fleischprüfring Bayern, der Vorsitz im Landesausschuss der bayerischen Tierseuchenkasse und mein Sitz im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks.“

Was geben Sie ihrem potentiellen Nachfolger mit auf dem Weg?

„Eines ist ganz wichtig: Er sollte sich nicht einseitig einer landwirtschaftlichen Sparte zuwenden, sondern sich selbstlos für die gesamte Landwirtschaft einsetzen.“

Zur Person:

Werner Reihl (67) ist seit 45 Jahren mit Ehefrau Gerda verheiratet. Das Ehepaar hat zwei Kinder, eine Tochter (42) und einen Sohn (38), der den landwirtschaftlichen Betrieb in Bergnersreuth bewirtschaftet, sowie drei Enkel. Werner Reihl ist seit 1990 für die CSU Mitglied des Kreistages von Wunsiedel, von 1972 bis 1977 gehörte er dem damaligen Gemeinderat  seines geburts- und Wohnortes Bergnersreuth und danach über zwölf Jahre lang dem Arzberger Stadtrat an.

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20.10.2011

Armutslöhne schaffen Altersarmut
Interview mit Volker Seidel von der IG Metall

Münchberg. Der 22. Ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall ist am zurückliegenden Wochenende zu Ende gegangen. Die über 480 Delegierten haben dabei die Leitlinien der nächsten vier Jahre beschlossen: Perspektiven für junge Menschen, eine faire Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, flexible Altersübergänge und ein solidarisches, soziales Europa. Eine der beim Gewerkschaftstag über eine Woche lang hautnah dabei war, ist Volker Seidel, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Ostoberfranken. Wie er die Stimmung in der Region einschätzt, verriet er unter anderem im folgenden Interview.

Herr Seidel, beim Gewerkschaftstag in Karlsruhe wurde scharfe Kritik an der Bundesregierung wegen ihres Umgangs mit der Euro-Schuldenkrise geäußert. Wie beurteilen Sie das Management der Bundesregierung?

"Grundsätzlich verurteilen wir als IG Metall das Vorgehen der Bundesregierung scharf. Hier wird nicht agiert, sondern nur hinterhergehechelt. Auch Deutschland hat in Krisenzeiten den EU-Stabilitätspakt nicht eingehalten und stattdessen investiert, beispielsweise in Abwrackprämie, neue Kurzarbeiterregelungen oder energetische Gebäudesanierung. Das war richtig! Nun können wir aber nicht genau das Gegenteil von Griechenland verlangen, zumal das Land eine Exportquote von nur 20 Prozent hat. Der Rest ist Binnenkonjunktur, wie soll Griechenland denn da wieder auf die Füße kommen?"

Die IG Metall sieht sich laut Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban als eigentliches Bollwerk in der Krise. Welche Erfolge kann die Gewerkschaft für sich verbuchen?

"Die Gewerkschaften, allen voran die IG Metall haben gezeigt, dass es in der Krise richtig ist, die Beschäftigten in den Betrieben zu halten, zum Beispiel durch Kurzarbeit und Zukunftstarifverträge. Auch im Zusammenwirken mit den Arbeitgeberverbänden haben wir gezeigt, dass es richtig war, nicht zu entlassen."

Vor wenigen Tagen gab es auch in Deutschland erste Demonstrationen gegen die Macht der Finanzmärkte. Waren die Deutschen bislang ruhig und trauten sich nicht auf die Straße zu gehen?

"Die Leute sagen, uns reicht es jetzt, ihr habt uns lange genug an der Nase herumgeführt. Es muss langsam etwas geschehen, die Probleme sind doch schon viel zu lang ausgesessen worden. Alle sagen, jetzt wird es aber langsam Zeit, dass „die Mutti“ was tut, um den Kabarettisten Urban Priol zu zitieren. Auch die augenblickliche Stärke der Piratenpartei lässt sich so erklären. Eine unserer elementarsten Forderungen, um derartige Krisenszenarien zu vermeiden, ist die nach der Finanztransaktionssteuer."

Bundesvorsitzender Berthold Huber hat „mehr Demokratie in der Wirtschaft“ gefordert. Was ist darunter konkret zu verstehen?

"Wir fordern, die Mitbestimmung in der Wirtschaft auszubauen und nicht einzuschränken. Mehr Mitbestimmung heißt auch, dass auch in den Betrieben nicht gezockt werden darf. Das würde manches verhindern. Mehr Mitbestimmung gehört einfach dazu, und zwar nicht nur in großen Unternehmen. Allen Kritikern sei dabei gesagt, dass das ganze natürlich nichts mit Enteignung zu tun hat. Es muss vielmehr darum gehen, die Menschen aktiv am Prozess zu beteiligen. Wir wollen, dass die Arbeitnehmer ihren gerechten Anteil am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen haben und keine Almosenempfänger sind, schließlich sind sie an den Krisenzeiten ja auch beteiligt."

Die Gewerkschaften verzeichnen einen Mitgliederzuwachs, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Wo liegen die Gründe oder anders gefragt, sind die Gewerkschaften Gewinner der Krise?

"Die Menschen wollen eingebunden sein, mitbestimmen, gefragt werden. Für all das steht die IG Metall. In Bayern haben wir übrigens schon seit drei Jahren eine positive Mitgliederentwicklung. Nun ist auch bundesweit ein Plus zu verzeichnen. Die Gewerkschaft ist eben die Bewegung, die die Menschen ernst nimmt."

Die IG Metall bezeichnet sich selbst als „größter Jugendverband Deutschlands“. Jedes zweite Neumitglied ist jünger als 27 Jahre. Woher kommt der plötzliche Umschwung?

"Ganz einfach, weil wir die Jugendlichen ernst nehmen. Deshalb haben wir schon seit drei Jahren einen Zuwachs bei Jugendlichen Mitgliedern, die bei uns übrigens bis zum 27. Lebensjahr gehen. Wir haben auch ganz viele aktive Jugendliche, die mit witzigen Aktionen unterwegs sind. Unter dem Motto „Operation Übernahme“ waren beispielsweise acht Busse aus Oberfranken Ost und West Anfang Oktober zum Jugendaktionstag nach Köln unterwegs. Natürlich investieren wir auch finanziell in solche Aktionen. Wir nehmen die jungen Leute ernst und wollen, dass sie ihre Chance haben."

Wie viele Mitglieder hat die IG Metall in Ostoberfranken?

"Stand tagesaktuell: 12935. Aufgrund der Demographie haben wir hier die Sondersituation, dass wir allein im zurückliegenden Jahr fast 200 Sterbefälle bei Mitgliedern hatten. Dennoch sind wir auch in Ostoberfranken auf einem guten Weg. Die Neuaufnahmezahlen bleiben konstant, die Austritte werden weniger."

Nach einigen Tarifrunden tritt die IG Metall erstmals wieder mit konkreten Lohnforderungen an. Wie sehen die Forderungen aus und wie der Zeitplan?

"Die konkrete Lohnforderung wird erst im Frühjahr 2012 von der zuständigen Kommission erstellt. In Oberfranken starten wir den Auftakt der Tarifrunde Ende November bei einer Veranstaltung in Himmelkron. Ab Dezember werden dann die Forderungen in den Verwaltungsstellen gesammelt, ehe am 7. Februar in Frankfurt eine Vorstandssitzung auf Bundesebene stattfindet. Die Friedenspflicht läuft übrigens erst am 28. April um null Uhr aus. Ab diesem Zeitpunkt könnte es Warnstreiks geben."

Was ist Stand der Dinge in Sachen Leiharbeit?

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, so lautet unsere Kampagne. Nachdem die Leiharbeit 2003 auf ein unerträgliches Maß ausgeweitet wurde. Auch in Ostoberfranken gab es viele Fälle, bei denen ein Leiharbeiter vier bis fünf Jahre beschäftigt wurde, ohne dass er danach eine Festanstellung erhielt. Ursprünglich war die Leiharbeit ja nur als Überbrückung für Engpässe gedacht. Wir halten ganz klar an unserer Forderung nach einer Ausweitung der Mitbestimmung beim Einsatz von Leiharbeit in den Betrieben fest. Zum Glück ist die Leiharbeit in den großen Metallbetrieben Ostoberfrankens nicht der Schwerpunkt. Gleichwohl ist sie natürlich auch ein Thema. Und auch einige der in der IG Metall organisierten Textilbetriebe gehen das Problem allmählich an, um gerechte Regelungen für die Menschen zu finden."

Und wie der Stand bei den Mindestlöhnen?

"Die Vorschläge der Bundesregierung sind Augenwischerei und gehen an den wirklichen Problemen vorbei. Armutslöhne schaffen Altersarmut. Wenn der Bundestag eine Absenkung des Rentenniveaus beschließt, den Niedriglohnsektor und sozialversicherungsfreie Geringbeschäftigung als Reformprojekt betrachtet und Langzeitarbeitslosen auch noch die minimalen Rentenbeiträge streicht, führt dies zwangsläufig dazu, dass künftig immer mehr Menschen von ihrer Rente nicht mehr leben können. Es ist einfach nicht hinnehmbar, wenn Arbeitnehmer nach 45 Arbeitsjahren zu Hilfsempfängern gemacht werden. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde nicht nur den Geringverdienern helfen, auch Staatshaushalt und Sozialkassen könnten von einer allgemeinen Lohnuntergrenze merklich profitieren."

Gibt es noch spezifische Probleme in Ostoberfranken?

"Es gibt hier immer noch Betriebe, die bei der Einstellung fragen, ob man der Gewerkschaft angehört. Wenn ja, dann fordern sie klar auf, die Mitgliedschaft zu kündigen, andernfalls wird man nicht eingestellt. Das darf einfach nicht wahr sein. Welches Demokratieverständis haben solche Betriebe. Manchmal habe ich den Eindruck, das am Tor steht: „Achtung hier endet die Demokratie!“

Zur Person:

Volker Seidel (45) steht seit 2007 an der Spitze der IG Metall in Ostoberfranken, die ihren Sitz in Münchberg hat. Der gelernte Energieanlagenelektroniker war ab 1992 in der damals noch selbständigen Gewerkschaft Textil und Bekleidung hauptamtlich aktiv, wechselte 1994 als Geschäftsführer zur damals ebenfalls noch selbständigen Gewerkschaft Holz und Kunststoff, ehe er am 21. Juni 2007 zum 1. Bevollmächtigten der IG Metall Ostoberfranken, der größten Einzelgewerkschaft in der Region gewählt wurde. Die IG Metall betreibt in Oberfranken drei Verwaltungsstellen: Bamberg, Coburg und Ostoberfranken. Die IG Metall Ostoberfranken umfasst die Landkreise und Städte Bayreuth, Hof, Kulmbach und Wunsiedel. Im Gegensatz zu den anderen Gewerkschaften vereint das Amt des 1. Bevollmächtigten bei der IG Metall Geschäftsführung und Vorsitz in einer Person. Obwohl der 1. Bevollmächtigte im Hauptamt für die Gewerkschaft tätig ist, muss er im Vier-Jahres-Turnus gewählt werden.

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04.09.2011

„Ohne Bauern würde die Landschaft traurig aussehen“ / Der Stellenwert der Landwirtschaft wird oft unterschätzt, meint der oberfränkische BBV-Präsident Werner Reihl

Himmelkron – Fleischproduktion , Getreideanbau, Energieerzeugung und Landschaftspflege: Das Spektrum der Landwirtschaft ist vielfältig. Dennoch müssen gerade die Bauern an vielen Fronten um die notwendige Anerkennung ihrer Arbeit kämpfen. Bürokratische Auflagen, steigende Preise für Futter und Düngemittel, zunehmende Wetterkapriolen und ein erhöhter Rechtfertigungsdruck für Ausgleichszahlungen gegenüber Politik und Öffentlichkeit sind nur einige der Punkte, die den Landwirten das Wirtschaften schwer machen. Der oberfränkische Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) Werner Reihl (Bild), selbst Landwirt aus Bergnersreuth bei Arzberg im Landkreis Wunsiedel, äußert sich in dem folgenden Interview zu den vielfältigen Problemen, mit denen der Bauernstand zu kämpfen hat:

Wie ist die Ernte in Oberfranken ausgefallen? Sind die Ertragsrückgänge gegenüber den Vorjahren wirklich so dramatisch, wie noch Ende Juli prognostiziert?

„Am Ende ist es besser ausgegangen, als zunächst befürchtet. Allerdings müssen wir stark differenzieren: Beim Raps reicht die Bandbreite aufgrund schwieriger Aussaatbedingungen vom Totalausfall bis hin zu mittleren Erträgen. Ganz anders sieht es dagegen bei der Braugerste aus, die ja in Oberfranken traditionell eine große Rolle spielt. Je nach Standort sind hier einmal Mindererträge, das andere Mal Spitzenerträge festzustellen, so dass wir insgesamt von einer durchschnittlichen Ernte sprechen können.“

Fährt man durch Oberfranken könnte sich tatsächlich der Eindruck aufdrängen, dass nur noch Mais angebaut wird. Hat die Maisproduktion zur Verwertung in Biogasanlagen zugenommen?

„Dieser Eindruck täuscht, vor allem deshalb, weil Mais eben eine sehr große und auffällige Pflanze ist. Im Vergleich etwa zum Jahr 2007 ist die Maisproduktion in Oberfranken gerade einmal um zehn Prozent angestiegen. Und das hängt nicht etwa ausschließlich mit der energetischen Verwertung zusammen. Vielmehr haben sich ja auch die Viehbestände vergrößert. Von einer Vermaisung der Landschaft kann also keine Rede sein. Kritiker sollten außerdem bedenken, dass Mais ökologisch sehr positiv zu bewerten ist. Mais ist nicht nur ein hervorragender Sauerstoffproduzent, er braucht auch nur eine einzige Herbizidspritzung im Gegensatz zum Raps, der insgesamt vier Spritzungen benötigt.“

Die erneuerbaren Energien sind auf dem Vormarsch. Eigentlich müsste die Energiewende der Bundesregierung den Landwirten doch wie gerufen kommen?

„Die Landwirtschaft wird bei der Energiewende ein unverzichtbarer Partner sein. Schließlich kann Biomasse ja nur in Wäldern, auf Äckern und Wiesen produziert werden. Genauso werden die Bauern mit ihrem Grundeigentum bei der Errichtung von Windrädern ein zuverlässiger Partner sein. Sorgen bereiten mir allerdings manche Großanlagen, bei denen die notwendigen Substrate oft über hunderte Kilometer transportiert werden müssen.“

In Bayern gehen 16 Hektar Land Tag für Tag unwiederbringlich verloren. Der Bauernverband hat eine neue Kampagne unter dem Titel „Stoppt Landfraß“ gestartet. Was steckt dahinter?

„Seit den achtziger Jahren ist in Bayern die Fläche eines ganzen Regierungsbezirks in der Größe von Niederbayern für den Straßenbau, für öffentliche Einrichtungen und sonstige Bebauungen sowie für die dafür notwendigen Ausgleichsflächen verloren gegangen. Das kann nicht sein, denn auf diese Art und Weise werden Flächen entzogen, auf denen Nahrungsmittel und Energie produziert werden könnte. Unserer Auffassung nach ist eine Fläche, die nach guter fachlicher Praxis bewirtschaftet wird, auch eine ökologische Fläche. Deshalb fordern wir unter anderem, dass Ausgleichsflächen auf eine vernünftiges Maß reduziert werden.“

Zur tierischen Produktion: Schweinehaltern und Ferkelerzeugern brechen seit einigen Monaten aufgrund der gestiegenen Kosten die Einnehmen weg. Wer ist schuld an der Preismisere?

„Angebot und Nachfrage regeln den Preis, das gilt auch in der Schweinehaltung. Allerdings sind die Schweinepreise in ganz Europa nicht unbedingt zufriedenstellend. Importe vor allem aus Dänemark und den Niederlanden drücken derzeit die Preise, ebenso die sogenannten Haustarife der großen Abnehmer. Das alles erzeugt großen Druck auf unsere Betriebe, auch in Oberfranken. Besonders schlimm ist die Situation bei den Ferkelerzeugern, denn die Mäster fahren ihre Bestände zurück und geben somit den Druck weiter. Letztlich müssen die Ferkelerzeuger die Zeche zahlen.“

Erst wenn Nahrungsmittel knapp werden, dann werden sie auch die Wertschätzung erfahren, die ihnen zusteht. Beim Bezirkslandjugendtag in Naila vor wenigen Tagen kam zur Sprache, dass Nahrungsmittel vor dem Hintergrund knapper werdender Flächen, einer steigenden Weltbevölkerung und einer zunehmenden energetischen Verwertung tatsächlich knapp werden könnten. Realität oder Schwarzmalerei?

„Das ist keine Schwarzmalerei, zumindest wenn man das Problem global betrachtet. In Bayern, Deutschland und Europa wird es sicherlich keine Nahrungsmittelknappheit gebe. Dennoch sollte jeder in der Gesellschaft wissen, was Nahrungsmittel wert sind und wie wichtig es ist, dass sie auch in ausreichender Menge produziert werden. Derzeit wird in Deutschland übrigens ein Drittel der Nahrungsmittel einfach weggeworfen. Diesen Luxus werden wir uns in Zukunft wohl nicht mehr leisten können. Diese Wertschätzung schuldet die Gesellschaft nicht nur der Landwirtschaft, sondern letztlich auch sich selbst.“

Ausgleichszahlungen an die Landwirte werden immer gerne zum Gegenstand der politischen Diskussion, Bauern müssen sich immer öfter für die Gelder rechtfertigen. Was entgegnen Sie Kritikern?

„Diese Zahlungen sehe ich als öffentliche Leistung, die von der Landwirtschaft der Gesellschaft entgegen gebracht wird. Wer hat den durch seine Arbeit unsere hervorragende Kulturlandschaft geprägt? Natürlich wir Bauern, und das geht eben nicht zum Nulltarif. Deswegen brauchen wir auch kein schlechtes Gewissen haben, die Ausgleichszahlungen entgegenzunehmen. Zu bedenken gebe ich auch folgendes: Wenn die Kommunen bei der derzeitigen Kassenlage auch noch die Pflege der Flur übernehmen müssten, würde unsere Landschaft traurig aussehen.“

Die Landwirtschaft erfährt als Teil der Gesamtwirtschaft nicht immer den ihr gebührenden Stellenwert in der Öffentlichkeit. Wie viele Menschen sind in Oberfranken in der Landwirtschaft beschäftigt, wie viele in den vor- und nachgelagerten Bereichen vom Landmaschinenhandel bis Mälzereien?

„Der Stellenwert der Landwirtschaft wird leider oft verkannt. Bayernweit, und da macht Oberfranken keine Ausnahme, hängt jeder 7. Arbeitsplatz einschließlich des vor- und nachgelagerten Gewerbes mit der Landwirtschaft zusammen.“

In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Ökotest werden viele Discounter heftig kritisiert, die mit Lebensmittel aus der Region werben, obwohl die Produkte und deren Rohstoffe teilweise von weither aus dem Ausland angekarrt werden. Wie kann der Verbraucher wirklich sicher gehen, wenn er zu Lebensmittel aus der Region greifen möchte?

„Der Verbraucher kann ganz sicher gehen in den Direktvermarkterläden oder gleich bei den bäuerlichen Betrieben. Dort hat er Gewissheit, dass die erzeugten Produkte wirklich aus seinem engsten Umfeld kommen. Unter dem Dach des Siegels - Geprüfte Qualität aus Bayern – arbeiten wir derzeit beispielsweise beim Rindfleisch derzeit auch daran, dass Fleisch gesondert gekennzeichnet wird, wenn die Tiere in Bayern geborgen, aufgewachsen und geschlachtet worden sind.“

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17.12.2010

Handwerk ist Garant für Stabilität / Thomas Koller wird Mitte 2011 neuer Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken

Bayreuth – „Allein bin ich nichts, Erfolg braucht immer eine Mannschaft“ sagt Thomas Koller (Bild), der zum 1. Juli 2011 das Amt des Hauptgeschäftführers der Handwerkskammer für Oberfranken übernehmen wird. Der bisherige stellvertretende Hauptgeschäftsführer wurde Anfang Dezember in der Vollversammlung der Kammer zum Nachfolger von Horst Eggers gewählt. Als Hauptgeschäftsführer wird Koller nicht nur der höchste hauptamtliche Repräsentant der HWK sein, er ist auch verantwortlich für die rund 200 Mitarbeiter der Kammer und vertritt 16000 Handwerksunternehmen mit rund 78000 Beschäftigten in Oberfranken. „Wir zählen bundesweit zu den besten Handwerkskammern“, sagt Koller. Sein oberstes Ziel ist es deshalb auch, diese Erfolgsgeschichte fortzuführen.

„Sie treten ab 1. Juli die Nachfolge von Horst Eggers als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken an. Wird sich an der Ausrichtung der Kammer irgendetwas ändern?“

„Ja und nein. Ich bin ja schon seit einigen Jahren für die Handwerkskammer tätig und hatte dabei die Möglichkeit, einiges mitzuentscheiden. Letztlich geht es wohl in der gleichen Richtung weiter. Allerdings bedeutet das Ausscheiden von Horst Eggers schon eine Zäsur. Da es mit Hans-Karl Bauer aus Coburg künftig nur noch einen statt bisher zwei stellvertretende Hauptgeschäftsführer geben wird, wollen wir künftig noch stärker auf Teamarbeit setzen. Ziel muss es sein, dass die Handwerkskammer für Oberfranken auch weiterhin eine Vorreiterfunktion zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben einnimmt und dass der hohe technologische Standard kontinuierlich weiterentwickelt wird. Dazu werden auch weiterhin enorme Investitionen erforderlich sein.“

„Wo werden Sie besondere Schwerpunkte setzen, im Gespräch ist der gewerblich-technische Bereich?“

„Im Bereich der gewerblich-technischen Qualifizierung sind wir der Marktführer. 2011 soll auch zusammen mit der Fraunhofer-Projektgruppe und der Universität das Projekt Kfz-Service-Engineering gestartet werden. Das wird sicher eine Herausforderung für das Handwerk. Eine zentrale Aufgabe wird es auch sein, weiterhin unsere Bildungszentren in Oberfranken zu stärken und dabei auf Querschnittstechnologien zu setzen. Die Umwelttechnik gehört dazu genauso wie der Bereich Multimedia oder alles, was mit Energieeinsparung zu tun hat.“

„Sie sind erst der 6. Hauptgeschäftsführer in über 100 Jahren. Wie erklären Sie sich diese Kontinuität bei der oberfränkischen Handwerkskammer?“

„Das ist sicher ungewöhnlich und hat etwas mit der Philosophie zu tun, die auch ich seit 1988 bei der Kammer erleben durfte. Hauptgeschäftsführer Horst Eggers und sein Vorgänger Dr. Veit Holzschuher haben stets langfristig und geradlinig geplant. Sicher gehört auch eine glückliche Hand dazu.“

„Im Gegensatz zu manch anderen Wirtschaftszweigen ist das Handwerk erstaunlich gut über die Krise gekommen. Woran liegt das?“

„Durch die Krise ist erst richtig deutlich geworden, welche Bedeutung der Binnenmarkt für die Stabilität der Gesamtwirtschaft hat. Der Export ist ohne Frage ein wichtiger Baustein, aber eben nur ein Baustein, der bislang von den Wirtschaftsforschungsinstituten eher überbewertet war. Erst mit der Krise hat man dort wahrgenommen, dass die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen bislang etwas unterschätzt wurde. Dazu kommt, dass die Konjunkturpakete der Bundesregierung hoch intelligent waren. Dinge wie die kommunalen Investitionsprogramme oder das CO-2-Gebäudesanierungsprogramm waren geradezu explizit auf das Handwerk zugeschnitten.“

„Wir wird sich die Zahl der Betriebe und der Beschäftigten im oberfränkischen Handwerk in den kommenden Jahren Ihrer Einschätzung nach entwickeln?“

„Ich bin ja nicht gerade ein Freund langfristiger Prognosen, da es immer wieder so viele Unwägbarkeiten gibt. Für 2011 bin ich aber schon zuversichtlich. Die Zahl der Betriebe wird sicher weiter leicht steigen und auch bei der Zahl der Beschäftigten gab es ja schon 2010 wieder ein leichtes Wachstum. Das zeigt, dass das Handwerk ein Garant für Stabilität ist. Gerade was Ausbildung und Beschäftigung angeht werden wir auch in Zukunft ein verlässlicher Partner sein. Allerdings laufen 2011 auch schon wieder einige Konjunkturpakete aus, das könnte sich durchaus in der Auftragslage widerspiegeln.“

„Dank der Imagekampagne ist das Handwerk optisch und inhaltlich seit einem Jahr stärker präsent als vorher. Welche Bilanz über die Kampagne ziehen Sie nach diesem Jahr speziell für Oberfranken?“

„Wir haben in Oberfranken einen guten Start hingelegt und nicht zuletzt mit dem Deutschen Handwerkstag ein Zeichen gesetzt. Auch bundesweit ist die Kampagne ein voller Erfolg. Allein auf MySpace wurde der Imagefilm fast 600000-mal angeklickt. Und auch die Sprüche sind wirklich super, wenn auch manchmal etwas provokant. Allerdings braucht eine derartige Kampagne einen langen Atem. Steter Tropfen höhlt den Stein. Insofern bin ich froh, dass die Kampagne insgesamt auf fünf Jahre ausgelegt ist. Gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels kam die Kampagne aber speziell für Oberfranken genau zur richtigen Zeit.“

„Inwiefern ist ihr Handeln von der katholischen Soziallehre geprägt? Sie haben ja Ihre Schulzeit im Internat bei den Salesianern im Kloster Ensdorf verbracht.“

„Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen, dieser Leitspruch des Ordensgründers Don Bosco ist auch mein Leitspruch. Durch die drei Jahre Klosterschule in Ensdorf und die Zeit danach im Internat der Salesianer in Burghausen habe ich immer Gemeinschaft erlebt. Daher kommt auch, dass ich gerne Verantwortung übernehme.“

„Sie haben in Bayreuth Wirtschaftsgeographie studiert. Welche Erinnerungen haben Sie an die Universität Bayreuth?“

„Aktives Handeln und unternehmerisch tätig zu sein, das hat mir Professor Jörg Maier in seinen Projektseminaren sehr gut vermittelt. Auch die Querschnittsorientierung des Geographie-Studiums gab mit sehr viel für den Beruf mit. Nicht zuletzt habe ich auch deshalb sehr gute Erinnerungen an das Studium in Bayreuth, da ich hier meine Frau Pia kennen gelernt habe.“

„Über ein Seminar „Die Bedeutung des Handwerks für die Regionalentwicklung im Landkreis Forchheim“ sind Sie mit dem Handwerk in Berührung gekommen. Worum ging es in dem Projekt?“

„Wir haben schon damals festgestellt, dass im Handwerk ein unglaubliches Innovationspotential steckt. Es war aber eher ein Zufall, dass die Wahl damals auf Forchheim fiel. Es war aber auch mein erster Anknüpfungspunkt zur Handwerkskammer. Gleich danach habe ich hier ein Praktikum absolviert und nach meiner Diplomarbeit habe ich mich dann bei der Kammer beworben.

„In ihrer Freizeit sind Sie in einer Chorgemeinschaft aktiv? Was hat es damit auf sich?“

„Ich bin Vorsitzender des Gesang- und Musikvereins Erbendorf. Daneben singe ich auch selbst im ersten Bass mit. Aber eigentlich liegt meine Stärke eher in der Organisation von den Konzerten. Neben großen Messen hatten wir dabei auch schon einen Wagner-Verdi-Abend im Programm und zuletzt eine große Silvestergala mit Operettenmelodien veranstaltet.“

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24.11.2010

Haushaltskonsolidierung fortsetzen und in Bildung investieren
Zum Deutschen Handwerkstag kommen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer nach Bayreuth

Bayreuth – Vom 2. bis zum 4. Dezember findet in Bayreuth der Deutsche Handwerkstag statt. Prominentester Gast wird dabei Bundeskanzlerin Angela Merkel sein. Über den Stand der Vorbereitungen sprachen wir mit dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Horst Eggers (Bild):

„Was war ausschlaggebend dafür, dass der Deutsche Handwerkstag diesmal in Bayreuth stattfindet?“

„Grundsätzlich findet der Deutsche Handwerkstag alle drei Jahre statt, zuletzt 2007 in Rostock. Auch die Wahlperiode des Ehrenamtsgremiums beträgt drei Jahre. Innerhalb des Zentralverbands des Deutschen Handwerks genießt Bayreuth einen sehr guten Ruf. Mit ausschlaggebend für die Wahl Bayreuths als Tagungsort war aber wohl auch die Tatsache, dass ich nach rund vier Jahrzehnten im Dienste des Handwerks zum 30. Juni 2011 meine Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer beenden werde.“

„Wie lange hat die Vorbereitung für dieses Großereignis in Anspruch genommen und mit wie vielen Besuchern rechnen Sie?“

„Wir rechnen mit etwa 340 Delegierten, eine absolute Rekordzahl. Auch das hängt sicherlich mit der Attraktivität Bayreuths als Tagungsort zusammen. Zum Rahmenprogramm gehört übrigens auch eine Besichtigung des Festspielhauses. Was die Vorbereitungszeit angeht, so stand ja bereits vor eineinhalb Jahren fest, dass Bayreuth 2010 den Deutschen Handwerkstag bekommt. Wir haben deshalb schon vor etwa einem Jahr mit den Hotelreservierungen begonnen. Seit Sommer kümmern wir uns intensiv um Organisation und Logistik.“

“Wie viele Menschen sind seitens der Kammer für den Handwerkstag im Einsatz?“

„Die Hauptarbeit leisten unsere Mitarbeiter aus der Berufsbildung, hier sind allein zehn Personen seit einigen Monaten intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt. Im Übrigen haben wir auch dafür gesorgt, dass die Imagekampagne des Deutschen Handwerks entsprechende Berücksichtigung findet. Bereits an den Einfallsstraßen grüßen in diesen Tagen große Hinweisschilder alle Teilnehmer des Handwerkstages. Auch die Innenstadt wird mit Handwerksfahnen geschmückt, so dass das Handwerk einige Tage lang das Stadtbild bestimmen wird.“

„Was steht inhaltlich im Mittelpunkt des Deutschen Handwerkstages?“

„Zum einen die Abschlussfeier für den Leistungswettbewerb des Deutschen Handwerks am Samstag, den 4. Dezember. Hier werden 120 Bundessieger und 30 weitere Preisträger für herausragende Gestaltung ausgezeichnet. Ein weiterer Schwerpunkt ist gleich zum Auftakt am 2. Dezember die turnusgemäße Neuwahl von Präsidium und Vorstand. Otto Kentzler, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks wird sich dabei erneut zur Wiederwahl stellen.“

„Konnten sich beim Leistungswettbewerb des Deutschen Handwerks auch Teilnehmer aus Oberfranken behaupten?“

„Natürlich, diesmal stammen gleich zwei Bundessieger aus dem Regierungsbezirk. Zum einen der Seiler Andreas Popp aus Schwarzenbach an der Saale, zum anderen der Parkettleger Benedikt Ramming aus Eckersdorf.“

„Prominentester Gast ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was werden Sie ihr mit auf den Weg geben und was wünschen Sie sich von ihr?“

„Wir werden ihr vor allem Mut machen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Dabei geht es vor allem um das Thema Haushaltskonsolidierung. Die Konjunkturprogramme und der Einstieg in eine Steuerreform sind der richtige Weg, wie sich am derzeitigen Wachstum zeigt. Das Problem der Zukunft wird es sein, ausreichend Fachkräfte zu bekommen. Dazu müssen wir in Bildung investieren. Gute Erfahrungen hat das Handwerk auch mit der Integration von Migranten gemacht. All diese Themen werden bei der Kanzlerin sicher keinen Widerspruch auslösen.“

„Angesichts der Terrorbedrohungen steht der Auftritt der Kanzlerin sicher unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen?“

„Die Sicherheitsvorkehrungen bewegen sich im üblichen Rahmen. Natürlich werden die Räumlichkeiten von Sicherheitskräften im Vorfeld streng überprüft. Wichtig ist dabei auch zu sagen, dass der Auftritt der Kanzlerin am 3. Dezember leider keine öffentliche Veranstaltung ist. Sämtliche Teilnehmer müssen akkreditiert sein.“

„Wer sind die weiteren prominenten Teilnehmer des Deutschen Handwerkstages in Bayreuth?“

„Da ist neben Bundeskanzlerin Angela Merkel zum einen der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der am Samstag in der Stadthalle bei der Bundessiegerehrung im Leistungswettbewerb der Handwerksjugend die Festansprache halten wird. Zum anderen wird bereits zum Auftakt am Donnerstag, 2. Dezember, Wirtschaftsstaatssekretärin Katja Hessel die Teilnehmer begrüßen. Der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil befindet sich an diesem Tag auf Auslandsreise.“

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12.10.2010

Steuern auf grandiose Altersarmut zu
ver.di-Geschäftsführer Peter Igl über Rente mit 67, Röslers Gesundheitspolitik und den Rotstift bei den Haushaltsdebatten

Bayreuth – Sparpaket, Mindestlohn oder Hartz-IV-Debatte: Die Gewerkschaften kämpfen derzeit an allen Ecken und Enden gegen eine „Politik der sozialen Schieflage“. Im Herbst soll nun der Protest in die Betriebe und Verwaltungen getragen werden. Am 13. November findet in Himmelkron die Bezirkskonferenz der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di statt. Wir sprachen im Vorfeld mit dem ver.di-Bezirksgeschäftsführer Peter Igl und wollten dabei auch wissen, wie ver.di in der Region aufgestellt ist.

Wie ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Ostoberfranken aufgestellt, wie viele gehören zu ver.di?

„Insgesamt gibt es 13 Fachbereiche, die wir in Ostoberfranken auch alle mit ehrenamtlichen Vorstandsgremien besetzen konnten. Hauptamtlich sind in der Region sechs politische Sekretäre und fünf Verwaltungsangestellte tätig. Eine Ausnahme bildet übrigens der Fachbereich 8 (Medien, Druck und Papier), der gesamtoberfränkisch organisiert ist.“

Viele Teilgewerkschaften klagen allgemein über einen Mitgliederschwund, wie sieht die Mitgliederentwicklung bei ver.di im östlichen Oberfranken aus?

„Ganz klar, die Mitgliederzahlen gehen zurück. Derzeit haben wir rund 10300 Mitglieder in Ostoberfranken mit leicht sinkender Tendenz. Für das laufende Jahr rechnen wir mit einem Rückgang von eineinhalb bis zwei Prozent. Stärkster Fachbereich ist übrigens das Gesundheitswesen.“

Ver.di hat genauso wie alle anderen Gewerkschaften vor kurzem die Organisationswahlen abgeschlossen. Welches Fazit ziehen Sie, konnten alle Ämter besetzt werden?

„Wir konnten wieder alle Ämter besetzen. Befürchtungen, dass es schwerer wird, Kollegen für ehrenamliche Vorstandsarbeit zu gewinnen, haben sich nicht bewahrheitet. Wir stellen sogar fest, dass sich wieder viele junge Leute engagieren. Offiziell abgeschlossen werden die Organisationswahlen am 13. November bei unserer Bezirkskonferenz.“

Welche Themen werden diese Konferenz beherrschen?

„Wir erwarten insgesamt rund 100 Delegierte und Teilnehmer, die unter anderem den neuen Bezirksvorstand wählen werden. Landesbezirksleiterin Luise Klemens wird dabei auch zum Thema „Gerecht geht anders“ sprechen.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus? Betreibt ver.di eine aktive Jugendarbeit?

„Ich selbst kümmere mich seit mittlerweile 25 Jahren als Jugendsekretär um die Jugendarbeit. Wir haben einen sehr aktiven und engagierten Jugendvorstand, der schon viele Schwerpunkte gesetzt hat. Aktuell gibt es unter dem Motto „Wir schießen euer Sparpaket auf den Mond“ eine ganze Reihe von Infoständen mit Unterschriftenaktionen, bei denen sich alle Interessierten direkt an die örtlichen Bundestagsabgeordneten wenden können.“

Die Gewerkschaften klagen über eine „unsoziale Sparpolitik“ der schwarz-gelben Bundesregierung. Was werfen Sie der Regierung konkret vor?

„Wir müssen den Leuten deutlich sagen, dass die Krise von den Bankenmanagern verursacht wurde. Milliardenschwere Rettungsschirme sind gespannt worden, doch die Manager feiern schon wieder fröhliche Urstände, während die sozial Schwachen alles ausbaden sollen. Das kann nicht sein, dass es so ungerecht zugeht.“

Stichwort Rotstift bei den Haushaltsdebatten: Treibt die Bundesregierung die Kommunen in den Ruin und was werden die Folgen sein?

„Die Bürger werden es zu spüren bekommen: entweder über Gebührenerhöhungen oder über die Einschränkung sozialer Leistungen. Folgen werden es beispielsweise auch in unserer Region sein, dass die Gebühren für Kindertagesstätten teuerer werden, dass sich die Eintritte in Bäder gewaltig verteuern oder dass auf absehbare Zeit kein Geld da ist für die dringend notwendige Sanierung der Straßen.“

Dauerthema Rente mit 67, obwohl gerade ältere Arbeitnehmer schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben: Wo setzt Ihre Kritik an?

„Der weitaus größte Teil der Arbeitnehmer wird doch das Rentenalter 67 gar nicht erreichen. Finanzmathematisch gibt es nicht einen einzigen Grund dafür, das Rentenalter anzuheben. Die Anhebung auf die demographische Entwicklung zu schieben sehe ich außerdem als glatte Lüge, es geht um eine reine Rentenkürzung. Als Folge werden wir auf eine grandiose Altersarmut zusteuern.“

In Sachen Gesundheitspolitik spricht die Gewerkschaft von einer „scheibchenweisen Einführung der Kopfpauschale“. Ihr Vorwurf an Bundesgesundheitsminister Rösler:

„Rösler verlässt die solidarische Finanzierung der Krankenversicherung. Schon jetzt hat das ganze nichts mehr mit einer solidarischen Versicherung zu tun. Das Ganze ist der Einstieg in den Ausstieg. Vermutlich sind Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung als nächstes dran. So hält eine neoliberale Ideologie Einzug.“

Ein weiterer Dauerbrenner ist das Thema Mindestlohn. Wie ist der aktuelle Stand?

„Die Gewerkschaften fordern nach wie vor einen Stundenlohn von 8,50 Euro. Die Forderung nach einem Mindestlohn ist nicht nur eine Gerechtigkeitsgeschichte, sie würde auch zur Entlastung der Sozialkassen beitragen. Nicht vergessen werden darf dabei, dass es in 20 Ländern der Europäischen Union längst einen Mindestlohn gibt und die Erfahrungen durch die Bank positiv sind. In diesen Ländern sind eher neue Arbeitsplätze entstanden als welche weggebrochen.“

Die Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes um „nur“ fünf Euro wird heftig kritisiert. Welche Anhebung wäre denn angemessen?

„Die Anhebung um fünf Euro ist blanker Zynismus. Da sind die politisch Verantwortlichen fernab jeder Lebensrealität. Es werden statistische Lebenshaltungskosten einfach schön gerechnet. Wenn den Menschen noch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden soll, muss der Regelsatz für eine einzelne Person deutlich über 400 Euro liegen.

Haben die Auswirkungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise in Oberfranken ihre Spuren hinterlassen?

„In unseren Bereichen haben wir die Krise nicht ganz so dramatisch gespürt. Allerdings brechen als Folge die Kommunalfinanzen derzeit gewaltig ein, viele öffentliche Haushalte sind nicht mehr genehmigungsfähig. Das wird 2011 auch Auswirkungen auf die anstehenden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des Freistaates haben. Egal welche Forderung wir stellen werden, werden die öffentlichen Arbeitgeber mit kein Geld beantworten, obwohl Kanzlerin Merkel selbst einen Schluck aus der Pulle propagiert.“

Inwiefern ist der demographische Wandel ein Thema für die Gewerkschaften?

„Der Osten Oberfrankens stirbt aus, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Junge Leute kommen nicht in dem Maße nach, so dass sich die Zentralisierung fortsetzen wird. Unser Problem als Gewerkschaft wird es sein, dass wir auch viele ältere Mitglieder haben. Hoffnungsvoll stimmt es uns, dass sich die Jugend wieder engagiert und politisch aktiv ist. Speziell als ver.di fehlt uns derzeit die mittlere Generation so zwischen 30 und 50 Jahren.“

Peter Igl (54) ist seit 2008 hauptamtlicher Bezirksgeschäftsführer von ver.di Oberfranken-Ost. Bereits 1980 war der gelernte Kfz-Mechaniker in die damals eigenständige Gewerkschaft ÖTV eingetreten, an der Universität Bayreuth war er freigestellter stellvertretender Personalratsvorsitzender, ehe er 1988 hauptamtlich zur ÖTV wechselte. Zu ver.di Oberfranken-Ost gehören die Städte und Landkreise Bayreuth, Hof, Kulmbach und Wunsiedel. Bezirksgeschäftsführer ist Peter Igl.

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01.09.2010

„Gute Mitarbeiterinnen sind Gold wert“ / Management-Expertin Cordula Nussbaum über Familienfreundlichkeit, Selbstwertgefühl und Vertrauen

Bayreuth - Viele Frauen sind in der Regel gut ausgebildet und hoch motiviert und die Wirtschaft in der Region wird langfristig nicht auf sie verzichten können. Dennoch ist der Wiedereinstieg nach einer Erziehungszeit sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber oft schwierig zu organisieren. Familienbewusstsein und effizientes Arbeiten in einem Unternehmen müssen allerdings kein Widerspruch sein, meint Cordula Nussbaum (Bild), die als "Deutschlands erste Expertin für kreatives Zeit- und Selbst-Management" gilt. Cordula Nussbaum (München) beschäftigt sich seit ihrem 18. Lebensjahr mit erfolgreichem Selbst-Management und -Marketing. Sie war mehrere Jahre als Wirtschaftsjournalistin tätig und ist mehrfache Buch-Autorin. Seit 2001 trainiert und coacht sie Freiberufler, Selbständige, Unternehmer und Angestellte in Marketing- und Karrierefragen, sowie in Zeit-, Selbst- und Team-Management. Beim Infotag Wiedereinstieg am 21. September in Bayreuth wird Cordula Nussbaum zum Thema „Ecken.Kanten.Leidenschaft - Unternehmen brauchen selbstbewusste QuerdenkerInnen“ sprechen. Wir unterhielten uns im Vorfeld mit der Expertin:

Frau Nussbaum, warum ist es so wichtig, Frauen Mut zu machen, wieder ins Arbeitsleben zurückzukehren?

„Besonders als Mütter erwerben wir neben unserer Fach-Qualifikation, die wir vor der Geburt der Kinder ausgeübt haben, eine Menge neuer Skills: wir sind stress-resistenter, können uns besser organisieren, sind oft sehr motiviert und effizient beim Arbeiten. Das alles schätzen Arbeitgeber sehr. Ich muss also keine Bedenken haben, dass mich keiner braucht – im Gegenteil. Gute Mitarbeiterinnen sind Gold wert. Und zudem erleben sich arbeitende Mütter vielfach als ausgeglichener und glücklicher. Sie können in beiden Welten – Beruf und Familie - leben und werden in beiden gebraucht. Das tut gut!“

Wie steht es um die viel zitierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich? Was hat sich in den zurückliegenden Jahren getan?

„Immer mehr Unternehmen bemühen sich, familientaugliche Konzepte zu entwickeln, weil sie wissen, wie wichtig Mütter - und auch Väter - in der Arbeitswelt sind. Entsprechende Arbeitszeiten, Kinderbetreuungen im Unternehmen und so weiter, erleichtern dies sehr. Natürlich gibt es aber auch Unternehmen, die auf das Privat-Leben ihrer Mitarbeiter pfeifen oder zwar tolle Programm anbieten, aber wenn dann wirklich zum Beispiel ein Mann Elternzeit nimmt, dann steht er auf der Abschussliste. Deshalb lohnt es sich beim Wiedereinstieg genau hinzusehen, und andere Leute zu fragen, wie familienfreundlich der Betrieb in Wirklichkeit ist. Und lieber würde ich ein Unternehmen als Arbeitgeber auswählen, das weniger bezahlt, dafür wirklich und aus Überzeugung Rücksicht auf das Privatleben nimmt, natürlich solange ich auch die vereinbarte Leistung bringe.“

Sie haben für viele namhafte Konzerne und Organisationen gearbeitet. Sehen Arbeitgeber Familienbewusstsein und effizientes Arbeiten im Unternehmen aus Ihrer Sicht noch immer als Widerspruch?

„Nein, im Gegenteil. Viele Arbeitgeber sehen sehr wohl, dass beispielsweise Frauen, die 30 Stunden arbeiten, in dieser Zeit das Pensum einer 40-Stunden-Kraft schaffen. Sie sind einfach schneller, vertrödeln keine Zeit und liefern dabei super Leistung. Im Scherz sagen manchmal einige Personaler zu mir: wir sollten nur noch Mütter und Väter mit reduzierter Stundenzahl einstellen – die sind top. Das kann ich nur unterstützen.“

Eines Ihrer Projekte nennt sich Auszeit-Coaching. Welche Faktoren erschweren Frauen beispielsweise nach einer erziehungsbedingten Auszeit die Rückkehr ins Berufsleben?

„Bei vielen Frauen beobachte ich einen erheblichen Mangel an Selbstwertgefühl. Sie denken, sie seien jetzt so lange aus dem Rennen, dass sie den Anschluss verloren haben. Da ist es wichtig, das Können, die Fähigkeiten und alles, was sie mitbringen zu sammeln und zu zeigen. Oft ist es auch so, dass sich mit den Kindern die Prioritäten verschieben und Frauen gar nicht mehr auf die alten Positionen zurück wollen. Dann kann das Auszeit-Coaching helfen, den eigenen Weg und die eigenen Ziele zu entdecken und Schritte dorthin konkret zu planen. Wissen, was ich will und wissen, was ich kann – das ist der Schlüssel zu einem entspannten Wiedereinstieg.“

Wie sollten familienfreundliche Maßnahmen in einem Betrieb aussehen?

„Am wichtigsten finde ich das Vertrauen und die Wertschätzung, dass Mütter und Väter nicht nach Stechuhr arbeiten müssen, sondern Eltern die Zeiten flexibel handhaben können – solange natürlich die Ziele des Unternehmens und der Abteilung erreicht werden. Wichtig ist das echte Verständnis, wie wichtig es ist, auch mal beim Trompeten–Vorspiel des Sohnes um 15 Uhr dabei sein zu müssen. Und in der Regel klappt dies ganz gut, wenn die Arbeitnehmer eben zielorientiert und nicht zeitorientiert arbeiten. Miteinander nach Lösungen suchen ist dabei das Beste. Feste Maßnahmen wie Betriebskita und ähnliches sind dann super Zusatzangebote obenauf, aber wie gesagt, die beste Maßnahme ist ein offener und vertrauensvoller Umgang zwischen Eltern und Arbeitgebern und das Vertrauen, dass die Arbeit so erledigt wird, wie sie soll.“

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19.05.2010

„Sind in Oberfranken am schlechtesten dran“
IG-Bau-Bezirksvorsitzender Gerald Nicklas klagt über niedrige Bautätigkeit, so genannte Ich-AGs und die schwarzen Schafe der Branche

Bayreuth - Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist nach Ansicht der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) nicht auf die demographische Entwicklung vorbereitet. Doch auch darüber hinaus wird kaum mehr gebaut. Den öffentlichen Händen fehlt das Geld zudem für Ausbau- und Sanierungsmaßnahmen. Mit welchen Problemen die Branche noch zu kämpfen hat, erläutert der oberfränkische IG-BAU-Bezirksvorsitzende Gerald Nicklas im folgenden Interview.

"Wie stellt sich die Situation der Baubranche in Oberfranken aus Sicht der Gewerkschaft dar?"

„Im Moment sind wir in Oberfranken am schlechtesten dran, weil die Bautätigkeit ganz einfach am niedrigsten ist. Die Programme zur energetischen Gebäudesanierung haben zwar einiges gebracht, doch das genügt nicht. Deshalb haben wir auch die Resolution initiiert, die von der Vollversammlung der Handwerkskammer für Oberfranken in der letzten Sitzung verabschiedet wurde. Wir appellieren damit an die Bundesregierung, unter anderem diese energetischen Gebäudesanierungsprogramme fortzuführen.“

"Hat die Krise innerhalb der oberfränkischen Baubranche ihre Spuren hinterlassen? Wo drückt den Beschäftigten derzeit der Schuh am meisten?"

„Das Problem am Bau ist nach wie vor, dass Löhne nicht nach Tarif bezahlt werden. So genannte Ich-AGs fahren oft hunderte von Kilometern, um irgendwelche Bauarbeiten weit unter üblichen Preis durchzuführen. Dieses Phänomen hat in den zurückliegenden Jahren eher zu- als abgenommen. Eine korrekte und vergleichbare Preiskalkulation wird dadurch schwierig. Außerdem machen sich die Gewerbesteuereinbrüche bemerkbar. Die meisten Kommunen sind dadurch so klamm, dass sie ihre Bau- und Sanierungstätigkeit stark zurückgefahren, wenn nicht vollends eingestellt haben und sich nur noch auf das Notwendigste konzentrieren.“

"Welche Forderungen stellt die Baubranche zur Bewältigung der Krise auf?"

„Unser Hauptthema im laufenden Jahr ist es, für eine Ankurbelung des sozialen Wohnungsbaus zu werben. Der Bedarf wäre aufgrund der demographischen Entwicklung zweifellos da. Persönlich bin ich allerdings eher skeptisch, auch dafür wird kein Geld vorhanden sein. Ansonsten haben wir uns in den Tarifrunden des zurückliegenden Jahres schon weit zurückgehalten, so dass die Steigerungen in der Regel nur noch die Preissteigerungen ausgleichen. Sorge bereitet uns dabei übrigens auch, dass viele Betriebe, hauptsächlich im Osten Deutschlands aus den Innungen austreten, um damit der Tarifbindung zu entgehen. Was Oberfranken betrifft gibt es hier allerdings deutlich weniger Probleme, hier halten sich die meisten Betriebe an die Tarifvereinbarungen. Schwarze Schafe wird es freilich immer geben.“

"Haben die Konjunkturpakete der Bundesregierung und das CO-2-Gebäudesanierungsprogramm der Baubranche in Oberfranken wirklich geholfen?"

„Ich denke schon. Es gibt auch in Oberfranken einige Ecken, etwa im Raum Bamberg, in denen viel gemacht wurde. Allerdings hat das Bauhauptgewerbe davon nicht unbedingt maßgeblich profitiert, weil eben nicht in Neubaumaßnahmen investiert wird.“

"Dauerbrenner Mindestlohn. Warum ist es so schwer, die Forderung nach einem flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn zu verwirklichen?"

„Im Baubereich haben wir Mindestlöhne in den Tarifen schon lange drin. Dabei sind wir in gewisser Weise sogar Vorreiter. Aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes sagen uns aber nicht unbedingt alle Mitglieder, ob diese Mindestlöhne auch wirklich gezahlt werden.“

"Spielen die Themen illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit noch eine Rolle?"

„Ab und zu kriegen wir in Sachen illegale Beschäftigung schon was gesteckt, dann schalten wir natürlich den Zoll ein. Die organisierte Schwarzarbeit hat insgesamt aber eher abgenommen. Hier hat der Steuerbonus auf Handwerksleistungen schon etwas bewirkt. Der befürchtete Ansturm tschechischer Bauarbeiter ist übrigens ausgeblieben. Die meisten sind gar nicht so scharf drauf, hier zu arbeiten, denn sie haben im eigenen Land genug zu tun, außerdem hat sich das Lohnniveau ja auch einigermaßen angeglichen.“

"Droht auch in der Baubranche der viel zitierte Fachkräftemangel?"

„Bedingt durch die Altersstruktur auf jeden Fall. Wir brauchen in der Branche insgesamt dringend junge Leute. Viele empfinden den Baubereich als wenig attraktiv. Dabei stehen wir in Sachen Ausbildungsvergütung gar nicht schlecht da und ein Bauberuf bietet die vielfältigsten Möglichkeiten.“

"Die IG BAU ist auch das Sprachrohr der Gebäudereiniger. Hier gibt es schwarze Schafe in der Branche oder?"

„Mit Sicherheit gibt es schwarze Schafe. Das Thema ist uns sehr wichtig. Auch nach der Tarifgeschichte im zurückliegenden Herbst wurde wieder einigen Mitarbeitern gedroht. Wir konnten das aber alles regeln. Mir ist derzeit keine Kündigung aufgrund der durchgeführten Streikmaßnahmen bekannt. Das wäre ohnehin unzulässig.“

"Die IG BAU hat sich umstrukturiert. Wie ist die Gewerkschaft im Regierungsbezirk organisiert und aufgestellt?"

„Um zukunftsfähig aufgestellt zu sein, hat sich unsere Gewerkschaft schon vor einigen Jahren eine neue Struktur gegeben. Bayern ist demnach in die zwei Regionen Franken und Bayern aufgeteilt. Zu Franken gehören die Bezirksverbände Ober- Mittel- und Mainfranken (Unterfranken). Bundesweit gibt es zwölf derartige Regionen. Sitz der Region Franken ist Nürnberg. Die einzelnen Bezirksverbände werden aber auch weiterhin von ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden geführt, die ein hauptamtlicher Regionalleiter und sein Stellvertreter unterstützen. Unterhalb der Bezirksverbände sind wir in Kreis- und Ortsverbände untergliedert. Grund für die Umstrukturierung war ganz einfach die Mitgliederentwicklung.“

"Wie viele Mitglieder betreut denn die IG BAU in Oberfranken und wie haben sich die Mitgliederzahlen in den zurückliegenden Jahren entwickelt?"

„Die IG BAU hat, Stand März 2010, 7012 Mitglieder. Ein Jahr zuvor waren es noch um die 7300. Verluste können wir angesichts dieser Zahlen nicht leugnen, doch sie entsprechen dem bundesweiten Trend. Wir sehen derzeit aber auch, dass sich die Zahlen stabilisieren. Dazu beigetragen hat sicher auch der Streik der Gebäudereiniger im Spätherbst des zurückliegenden Jahres, der uns einige Neumitglieder gebracht hat. Austritte gibt es in Oberfranken kaum. Maßgeblich für den Rückgang verantwortlich ist die Tatsache, dass viele arbeitslos gewordene Bauarbeiter nach einiger Zeit auch ihre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft kündigen. Das kann ich verstehen, denn die brauchen uns ja als Interessensvertretung nicht mehr.“

"Was unternimmt die IG BAU in Oberfranken, um neue Mitglieder zu gewinnen? Gibt es eine aktive Jugendarbeit?"

„Wir sind vor allem drauf und dran, die Berufsanfänger an den Berufsschulen für uns zu gewinnen. Ich muss dabei auch zugeben, dass unsere Altersstruktur nicht unbedingt die Beste ist. Allerdings gibt es in Oberfranken schon auch eine aktive Jugendgruppe, die von Ramona Reblitz aus Ebersdorf bei Coburg geleitet wird. Insgesamt haben wir die derzeitigen Betriebsratswahlen ebenfalls zum Anlass genommen, um neue Mitglieder zu gewinnen.“

Zur Person:
Gerald Nicklas (57) steht seit 1998 an der Spitze der IG BAU in Oberfranken. Der gelernte Bauzeichner kommt aus Bindlach und ist hauptberuflich als Bauleiter bei der Firma Trautner-Bau in Bayreuth beschäftigt. In der Gewerkschaft ist er seit seinem 15. Lebensjahr in den verschiedensten Funktionen aktiv. Nicklas gehört außerdem dem Bundesvorstand der Bauberufsgenossenschaft (BG BAU) an, er ist alternierender Vorstandsvorsitzender der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau, ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht in Bayreuth und im Vorstand der Handwerkskammer für Oberfranken.

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18.05.2010

Jugendliche gezielt über Facebook und You Tube für das Handwerk interessieren / Horst Eggers, der Hauptgeschäftführer der Handwerkskammer für Oberfranken im Interview

Bayreuth – Der Krise zum Trotz: Das oberfränkische Handwerk ist Umfragen zufolge bestens aufgestellt. Der jüngsten Konjunkturumfrage zufolge gehen gut drei von vier Betrieben derzeit von einer positiven Geschäftslage aus. Warum das so ist, verrät der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken Horst Eggers im Interview.

"Die Handwerkskonjunktur in Oberfranken präsentiert sich trotz der weltweiten Wirtschafts- und Finanz erstaunlich gut. Was sind die wichtigsten Gründe dafür?"

Horst Eggers: „Es ist richtig, in unserer Repräsentativumfragen haben sich die Betriebe für das erste Quartal 2010 zuversichtlich gezeigt. 77 Prozent bezeichnen die Geschäftslage als gut oder befriedigend. Vor einem Jahr waren es zehn Prozent weniger und das ist natürlich schon erstaunlich, gerade bei der allgemeinen globalen wirtschaftlichen Situation. Aber andererseits wiederum ist das Handwerk eine Wirtschaftsgruppe, die mit all ihren Mitarbeitern von Kundennähe und Kundenorientierung lebt. Insoweit hat das Handwerk auch nicht von diesem riesigen Exportaufschwung der letzten Jahre vor der Krise profitiert und dann kann es natürlich auch nicht soweit abstürzen. Handwerksbetriebe arbeiten nachhaltig. Das heißt, da geht es nicht um kurzfristige Börsengewinne, sondern um eine Verantwortung auch gegenüber der nächsten Generation. Die meisten der Handwerksunternehmer wollen ihren Betrieb innerhalb der eigenen Familie übergeben. Das Handwerk besteht ja vornehmlich aus Inhaber geführten Familienbetrieben, die auch eine soziale Verantwortung haben. Wirtschaftliches Handeln ist im Handwerk immer schon mit gesellschaftlicher Verantwortung verbunden. Das zeigen auch die stabilen Beschäftigungsverhältnisse und das große Thema Ausbildung. Im Handwerk wird drei Mal so viel wie in anderen Wirtschaftszweigen ausgebildet und, auch das ist im Handwerk anders, hier ist es immer schon selbstverständlich, dass in einer sozialen Marktwirtschaft Gewinn und Verlust auch mit Verantwortung und Haftung zu tun haben. Wenn das für alle Wirtschaftsbereiche gelten würde, wären wir vielleicht überhaupt nicht in diese Krise geraten.“

"Wie sieht es speziell in Oberfranken mit der Kreditversorgung kleinerer und mittlerer Handwerksbetriebe aus. Gibt es die viel zitierte Kreditklemme?"

Horst Eggers: „Die Repräsentanten des Handwerks sind ja auch in den Gremien unserer Regionalbanken tätig. Wenn ich bei den Sparkassen oder den VR-Banken offiziell nachfrage, wird mir gesagt: wer vor der Finanzkrise einen Kredit bekommen hat, der kriegt ihn auch jetzt. Und wer vorher keinen bekommen hat, der kriegt auch jetzt keinen. So einfach könnte man es formulieren, Es ist natürlich nicht ganz so einfach, denn die Problematik ist die, dass die Banken nach Rating-Ergebnissen, die ja inzwischen überall nach Basel II eingeführt sind, handeln. Dazu gehört natürlich auch die Überprüfung der Kreditwürdigkeit eines Unternehmens. Die Banken sind ja auch wirtschaftliche Einrichtungen. Aber, es ist, gerade bei uns in Oberfranken, nach wie vor so, dass von einer ernsthaften Kreditklemme bei den Handwerksbetrieben nicht die Rede ist. Wir haben auch sehr viel erreicht in unserer Interessenpolitik, da gelten wir als Oberfranken bayernweit als die meinungsführende Kammer im Bereich der Mittelstandsfinanzierung mit der Landesanstalt für Aufbaufinanzierung (LfA-Förderbank). Sie hat in den letzten Jahren auf unsere Forderungen hin entsprechende Programme aufgelegt. Unser jüngster Erfolg ist, dass die LfA seit 1. Februar dieses Jahres erstmals für Betriebsmittelkredite auch Haftungsfreistellungen bereitstellt. Dabei bürgt die LfA für bis zu 60 Prozent gegenüber der Hausbank. Wenn allerdings die Hausbank nicht mitzieht, nützen die ganzen Förderprogramme nichts. Wenn aber die Hausbank bereit ist, das zu unterstützen, dann stehen diese öffentlichen Finanzierungsprogramme zur Verfügung. Wir empfehlen unseren Betrieben: kommt zur Handwerkskammer. Wir haben Unternehmensberater dezentral in Oberfranken verteilt, wo wir kostenlos unsere Betrieben gerade in Fragen der Finanzierung beraten, wie Kreditgespräche mit Banken zu führen sind, und wir gehen sogar auch mit dem Betrieb zu seiner Hausbank, um die Förderprogramme dann auch auf den Weg zu bringen.“

"Immer wieder wird über die mangelnde Ausbildungsfähigkeit vieler Jugendlicher geklagt. Ist die Qualität des Nachwuchses wirklich so schlecht?"

Horst Eggers: „Ja, das ist ein Riesenproblem, das auch jetzt zusätzlich mit der demographischen Entwicklung eine noch größere Rolle spielen wird. Das heißt, wir sind natürlich auf Nachwuchs angewiesen, vornehmlich, zu 50 Prozent noch aus den Hauptschulen. Bereits Ende des Schuljahres 2009 gab es schon acht Prozent, heuer werden es zehn Prozent weniger Schulabgänger. Und jetzt kommt noch das riesige Problem dazu, dass wiederum sechs bis acht Prozent bundesweit keinen Schulabschluss erreichen und dann Probleme in den wichtigsten Fächern wie Rechnen, Schreiben und Lesen haben.“

"Was kann man dagegen unternehmen?"

Horst Eggers: "Das Handwerk ist hier politisch tätig, dass sich etwas ändert. Dabei sollte man bereits im Vorschulbereich ansetzen. Außerdem sollte für Migrantenkinder der Deutschunterricht eine wichtige Rolle spielen. Wir können im Handwerk natürlich nicht die Versäumnisse in den Familien gänzlich wettmachen. Wir haben durchaus feststellen können, dass viele junge Menschen mit Defiziten doch bereit sind, Nachhilfeunterricht, den wir als Kammern über so genannte ausbildungsbegleitende Hilfen anbieten, auch annehmen. Es ist eine positive Feststellung, die oft sehr missverständlich rüberkommt. Wir beklagen uns ja nicht über die Jugendlichen als solche, sondern über die mangelnde Ausbildungsfähigkeit und da können die meisten Jugendlichen oft gar nichts dafür, weil sie eben beispielsweise soziale Probleme in den Familien haben. Da gibt es viele junge Leute, die diesen Zusatzunterricht am Abend oder an Samstagen in Anspruch nehmen. Auch für diejenigen, die keine Lehrstelle finden, bieten wir entsprechende Maßnahmen an. Wenn jemand keine Lehrstelle gefunden hat, kann er über eine so genannte Einstiegsqualifizierung bei einem Betrieb eine Chance bekommen. Rund 70 Prozent dieser Absolventen werden innerhalb eines Jahres in eine normale Lehrstelle vermittelt.“

"Kann man fünf Monate nach dem Start der großen Imagekampagne für das Handwerk schon ein erstes Resümee ziehen?"

Horst Eggers: „Ja, der Start war besonders in Oberfranken sehr gelungen, wir haben Ende Januar in neun Städten Auftaktveranstaltungen gemacht. Wir hätten uns niemals vorstellen können, dass so viele Betriebe diesem Aufruf folgen, auf die Marktplätze zu kommen. Überall gab es zusammen mit den Oberbürgermeistern und Landräten Termine, zu denen hunderte von Handwerkern mit ihren Betriebsfahrzeugen erschienen, um sich symbolisch die Autoaufkleber dieser Kampagne auf ihre Fahrzeuge kleben zu lassen. Das war ein toller Auftakt, jetzt geht es darum, dass diese Welle der Begeisterung fortgesetzt wird. In diesen Tagen läuft übrigens die nächste Welle der Fernsehspots und Zeitungsanzeigen an und da hoffe ich, dass sich unsere Betriebe noch stärker als bisher engagieren. Insbesondere wollen wir ja auch die Jugendlichen ansprechen. Unsere Marketingstrategen, die mit Genussregion oder Bierland Oberfranken zu tun hatten, sagen mir, dass es auch dort zwei Jahre gedauert hat, bis diese Begriffe in der Öffentlichkeit übernommen wurden. Insoweit bin ich optimistisch, dass dies auch gelingt.“

"Wurde bisher zu wenig für ein positives Image des Handwerks getan?"

Horst Eggers: „Nein. Das Image des Handwerks ist eigentlich in der Bevölkerung nicht schlecht, das Handwerk hat einen guten Ruf. Aber bei den Jugendlichen ist der Begriff Handwerk nahezu nicht mehr vorgekommen, viele hielten es für eine veraltete Einrichtung. Vor dem Hintergrund der Problematik des Nachwuchses ist es ganz wichtig, dass Jugendliche wissen, wie modern das Handwerk ist und was es für Berufsaussichten bietet. Dafür ist die Imagekampagne ganz wichtig. Dabei setzen wir auch besonders auf die neuen Medien und wollen die Jugendlichen über Facebook oder You Tube ansprechen. Es gibt auch bereits Hinweise, dass Jugendliche aufgrund der Kampagne gezielt bei uns nachfragen.“

"Die Kammer hat vor kurzem das Projekt Quali-Adapt gestartet. Ziel dieses Projekts ist es, das Potenzial von Migranten besser zu erschließen. Was versprechen Sie sich davon."

Horst Eggers: „Auch Quali-Adapt ist eine Möglichkeit, gegen den Nachwuchs- und Fachkräftemangel anzugehen. Migranten haben durchaus das Potenzial, im Handwerk tätig zu sein. Wir sind als Kammer ja zum Beispiel für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zuständig. Wenn jemand aus dem europäischen Ausland mit Zeugnissen aus seiner Heimat zu uns kommt, dann ist es oft schwierig zu bestätigen, dass diese Ausbildung etwa einem deutschen Gesellenbrief entspricht. Damit diese Menschen auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhalten, bieten wir über Quali-Adapt eine Nachqualifizierung an, die natürlich auch die deutsche Sprache beinhaltet, aber insbesondere in gewissen Berufszweigen auch zu einer Gesellenprüfung mit Abschluss führen soll, damit vergleichbare Voraussetzungen mit deutschen Arbeitnehmern bestehen.“

"Seit 2009 können Handwerksmeister in Bayern an einer Hochschule studieren. Was verspricht sich das Handwerk davon und gibt es bereits erste Erfahrungswerte?"

Horst Eggers: „Es gibt einige Meisterschüler, die sich bei uns erkundigt haben und jetzt bereits studieren. In ganz Bayern sind es aktuell 495, die nach der Meisterprüfung ein Studium angetreten haben. Ich weiß auch aus Niedersachsen, wo das Ganze schon früher eingeführt wurde, dass es dort bereits eine entsprechende Studie gibt, dass Handwerksmeister nicht schlechter abschließen, als Abiturienten. Das ist schon einmal ein großer Erfolg. Auch diejenigen, die sich bei uns zurückgemeldet haben, äußerten sich sehr optimistisch über das Studium.“

"Wie wird sich die Zahl der oberfränkischen Handwerksbetriebe, der Arbeits- und Ausbildungsplätze im oberfränkischen Handwerk Ihrer Einschätzung nach in den kommenden Jahren entwickeln? Welche Rolle spielt dabei der demographische Faktor?"
 

Horst Eggers: „Die Zahl der Betriebe ist mit 16000 seit vielen Jahren stabil und wird es auch bleiben. Allerdings wird es innerhalb der Branchen Unterschiede geben. Zum Beispiel bei den Friseurbetrieben konnten wir einen riesigen Anstieg innerhalb der letzten zehn bis 15 Jahre verzeichnen, im Gegensatz etwa zu Nahrungsmittelberufe, wie Bäcker oder Metzger. Allerdings gibt es da wieder viele Filiatelisten. Das heißt, die Betriebe sind als Gesamtzahl weniger, aber was ihre Beschäftigten betrifft sind sie größer. Derzeit haben wir im oberfränkischen Handwerk insgesamt 78000 Beschäftigte, wir hatten allerdings auch schon mal 100000 vor 15 Jahren, aber das war der Boom nach der Wiedervereinigung. Prognosen zufolge wird es auch 2010 keinen großen Einbruch geben. Es wird nicht mehr Beschäftigte geben, aber wir werden die Zahl halten. Ich bin optimistisch.“

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04.05.2010

„Wir können uns eigentlich nichts mehr leisten“ / Professor Dr. Thomas Foken von der Universität Bayreuth über Klimawandel, Waldumbau und Auswirkungen des Vulkanausbruchs

Bayreuth - Diskussionen um das Elektroauto findet Professor Dr. Thomas Foken (60) von der Abteilung Mikrometeorologie an der Universität Bayreuth „völlig absurd“. Es werde bis zum Jahr 2050 keine mit fossilen Energien betriebenen Autos mehr geben, ist sich der Wissenschaftler, der seit 1997 in Bayreuth forscht, in Berlin, Potsdam und Bayreuth lehrt und der vorher an den Meteorologischen Observatorien in Potsdam und Lindenberg tätig war, sicher. Auf was sich die Menschen in unseren Breitengraden in den kommenden Jahrzehnten einstellen müssen, erklärt Professor Foken unter anderem im folgenden Interview.

„Zunächst einmal eine Begriffsdefinition: was ist eigentlich der Unterschied zwischen Wetter und Klima?“

Eigentlich muss man zwischen drei Definitionen entscheiden: Wetter, Witterung und Klima. Wetter ist das, was sich augenblicklich abspielt. Witterung ist ein Begriff für eine etwas längere Zeit, also etwa einem Monat, einem Jahr oder einer Jahreszeit. Klima ist dagegen eine sehr langfristige Sache, ein Durchschnittswert über viele, viele Jahre. In der Regel rechnen die Klimatologen über einen Zeitraum von 30 Jahren. Das heißt: Klima ist ein mathematischer Ausdruck langfristig dessen, wie sich die Witterung in einer längeren Periode verhalten hat. Was der Mensch fühlt, sieht und merkt sind Wetter und Witterung. Das Klima merkt man nur, wenn man sich an seine Kindheit zurückerinnert, wie das Wetter damals in der Regel war, dann kann man ein Gefühl für das Klima und für Klimaveränderungen bekommen.

Die Landwirtschaft klagt über einen langen und harten Winter und der Wintertourismus, zum Beispiel im Fichtelgebirge hat in den zurückliegenden zwei bis drei Jahren wieder richtig an Fahrt aufgenommen. Wo bleibt die Klimaerwärmung?

Wenn man an den Winter des letzten Jahres und der letzten Jahre denkt, dann hat das nichts mit Klima zu tun, sondern mit der Witterung. Wenn sie 30 bis 40 Jahre zurückdenken, dann war das normal, dass wir solche Winter hatten. Das heißt, was für Menschen die heute 50 oder 60 Jahre alt sind, früher normal war, war in diesem Jahr für uns ein Extrem. Daran sieht man den Klimawandel. Die Normalität von vor 50 Jahren ist heute eine Seltenheit geworden. Vergessen darf man auch nicht, dass wir von der Änderung des globalen Klimas sprechen. Dabei wurde dieses Jahr gar nicht berücksichtigt, dass es in einem schmalen Streifen von der Ostsee bis in den Mittelmeerraum hinein kälter war, als normal. Ebenso, dass es über dem gesamten Atlantik und über Russland deutlich wärmer war. Wenn wir von globalem Klima reden, muss man das Mittel über alles nehmen und dann werden sie feststellen, es war wieder zu warm.

Der Deutsche Wetterdienst hat vor einigen Tagen Landwirten wegen der Klimaerwärmung empfohlen, künftig mehr Wärme liebende Pflanzen anzubauen und beim Maisanbau auf spät reifende Sorten umzustellen. Würden Sie diese Empfehlungen den bayerischen Bauern auch geben?

Wir müssen uns generell, sowohl beim Waldumbau als auch bei Agrarfrüchten auf eine andere Sortenauswahl und eine gentechnische Auswahl einstellen. Das liegt einfach daran, dass bestimmte Erscheinungen und Witterungsperioden bei uns schon sehr typisch geworden sind, beispielsweise in diesem Jahr die Frühjahrstrockenheit als ganz typisches Phänomen. Wir können aber nicht beliebig Wärme liebende Pflanzen anbauen, sondern nur Pflanzen, die auch noch einen Frost, die Eisheiligen oder die Schafskälte vertragen, denn trotz wärmerer Temperaturen im Frühjahr und Sommer werden wir es auch weiterhin immer wieder mit Spätfrösten zu tun haben.

Wie wird sich der Klimawandel global verteilen? Trifft es die Südhalbkugel stärker als die Nordhalbkugel?

So würde ich das nicht sagen. Wir müssen einfach sehen, dass in manchen Gebieten eine kleine Erwärmung schon sehr viel ausmachen kann, in anderen Gebieten eine größere Erwärmung noch gar nichts weiter bewirkt. Das größte Problem ist eigentlich, dass die polaren Gebiete deutlich wärmer werden. Allerdings ist es in der Antarktis so kalt, dass zwei oder drei Grad Erwärmung noch nichts Gravierendes ausmachen. Aber in der Nordhalbkugel bedeutet das, ein Zurückdrängen des Permafrostes und ein Zurückdrängen der Vereisung der Meere.

Kann man überhaupt noch etwas gegen den Klimawandel unternehmen?

Da muss man etwas weiter ausholen. Es gibt mehrere Phänomene, die zur Klimaänderungen beitragen. Das sind die Veränderungen in unserem Sonnensystem, die im Wesentlichen für die Eiszeiten verantwortlich waren. Diese Veränderungen sind im Moment relativ geringfügig und wir werden dadurch in den nächsten 10000 Jahren keine gravierenden Veränderungen haben. Dann gibt es Veränderungen in der Ausstrahlung der Sonne selbst, das sind vor allem die Sonnenflecken, das sind immer Perioden von einigen Jahrzehnten. Wir hatten Ende des vergangenen Jahrhunderts eine kurze Periode, die eine zusätzliche Erwärmung brachte, das ist aber im Moment nicht mehr der Fall. Dann haben wir Vulkane, wobei nicht die auf Island, sondern die in den Tropen gemeint sind, die bei kräftigen Eruptionen dazu führen können, dass es ein bis drei Jahre etwas kühler wird auf der Erde. So brachte der Pinatubo-Ausbruch 1991 in den beiden Folgejahren weltweit bis zu einem Grad niedrigere Temperaturen. Und dann sind es die Treibhausgase, die sich eigentlich in den letzten 20 Millionen Jahren nicht verändert haben, nur seit Beginn der Industrialisierung vor 150 Jahren einen rasanten Anstieg genommen haben. Mit diesen Treibhausgasen müssen wir uns intensiv befassen, weil sie durch den Menschen in die Atmosphäre gelangt sind, entweder indem er selbst fossile Brennstoffe verbrennt oder dass durch die Erderwärmung Gase wie Methan aus Mooren in größeren Umfang entweichen können. Nicht alles was wir in die Atmosphäre bringen, bleibt allerdings auch dort. Etwa ein Viertel davon wird durch die Ozeane aufgenommen, aber diese Aufnahmefähigkeit der Ozeane ist in den letzten Jahren erschöpft. Ein weiteres Viertel wird durch die Biosphäre aufgenommen, das heißt also Pflanzen können, wenn sie nicht zerstört werden, Kohlendioxid aufnehmen und speichern, der Rest geht in die Atmosphäre und trägt zur Erderwärmung bei.

Was können wir uns noch leisten?

Eigentlich nichts. Die Wissenschaft geht davon aus, dass wir eine Erderwärmung von bis zu zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit verkraften. Über ein Grad davon haben wir schon geschafft. Darüber hinaus sind wir eigentlich nicht in der Lage, exakte Vorhersagen zu machen, was dann passiert, wenn die Polkappen abschmelzen. Unser ganzes Wetter- und Klimasystem auf der Erde basiert zumindest seit den letzten zwei bis drei Millionen Jahren auf vereisten Polkappen. Eine Erde ohne vereiste Polkappen können wir im Moment nicht modellieren, wir wissen aber aus der Historie: es war deutlich wärmer, unter solchen Bedingungen. Hier liegt die große Gefahr. Um dieser Gefahr zu begegnen gibt es gewisse Ausstiegsszenarien. Das heißt, wir müssen bis 2015 das Maximum der Kohlendioxidemissionen überschritten haben und bis 2050 die Emission insgesamt um 50 bis 80 Prozent reduzieren. Deutschland ist dabei einer der Hauptemittenten, für Deutschland bedeutet das einen Rückgang der Kohlendioxidemissionen gegenüber dem Stand des Jahres 2000 auf dann nur noch zehn bis 15 Prozent. Diskussionen um das Elektroauto sind deshalb auch völlig absurd, es wird also dann im Jahr 2050 keine mit fossilen Energien betriebenen Autos mehr geben. Da bleiben wenige Alternativen. Elektroautos sind unmittelbar damit verbunden, dass der Strom regenerativ erzeugt wird und nicht aus unsicheren Energiequellen wie Atomkraft oder Energien, die auf fossilen Brennstoffen beruhen.

Ganz konkret: Worauf müssen sich die Menschen in Bayern in den kommenden Jahrzehnten einstellen?

Wir werden zum Teil auch Gewinner des Klimawandels sein, zumindest in Nordbayern, das immer als das Kälteloch Bayerns galt. Hier wird es etwas angenehmer. Die Oberbayern werden es dagegen mit einer stärkeren Erwärmung zu tun haben. Problematisch könnten Veränderungen in der Niederschlagsverteilung werden, die generell zu einer größeren Sommerhalbjahrstrockenheit, mehr noch zu einer großen Frühjahrstrockenheit führen wird. Wir werden Niederschläge im Sommer sehr stark gebunden haben an Schauer und Gewitter, auch mit einer gewissen Überflutungsgefahr. Trotzdem wird der langsame Temperaturanstieg für viele unserer Pflanzen noch  zu schnell sein. Insbesondere die Fichte ist durch den Klimawandel sehr stark gefährdet, hier muss umstrukturiert werden. Heute schon muss man sich außerdem darauf einrichten, dass wir in Höhenlagen unter 1500 Metern weniger Wintersport haben können. Das wissen wir sicher, trotz einiger Ausnahmewinter, die immer mal passieren.

Welche Pflanzen, vor allem Baumsorten werden in unseren Breiten verschwinden, welche werden neu hinzukommen?

Die Fichte ist in unseren Breiten ganz offensichtlich vom genetischen Material her nicht in der Lage eine größere Sommerwärme bei weiterhin vorhandener Winterkälte zu ertragen. Wir müssen auch darüber nachdenken, Baumarten in unsere Gebiete zu bringen, die künftig optimale Lebensbedingungen haben, das heißt Wärme und Trockenheit, aber gleichzeitig auch Fröste und Schnee aushalten, zumal der Schnee zunehmend nasser und damit schwerer wird.

Hat oder hatte der Ausbruch des isländischen Vulkans Auswirkungen auf das Klima?

Beim isländischen Vulkan ist die Asche nicht höher als fünf bis acht Kilometer gekommen und damit in der Troposphäre geblieben. Die Asche ist dann von Tag zu Tag immer tiefer gesunken bis sie mit dem letzten Regen wieder aus der Atmosphäre herausgekommen ist. Vulkane sind nur dann klimawirksam, wenn die Asche in die Stratosphäre kommt, also in Höhen über zwölf bis 18 Kilometern. Dort dauert der Prozess, dass die Asche wieder aus der Stratosphäre in die Troposphäre gelangt, etwa ein bis drei Jahre.“

Womit beschäftigt sich Ihre Abteilung, können Sie ein Beispiel für ein herausragendes Forschungsprojekt nennen?

Bayreuth insgesamt ist sehr stark in der ökologischen Forschung angesiedelt. Das bedeutet im weitesten Sinne, dass wir uns damit befassen, wie viel der antropogen emittierten Treibhausgase unsere Ökosysteme aufnehmen oder wie sich diese Ökosysteme verändern können, aber auch, welchen Einfluss Klimawandel und Erderwärmung auf die Biodiversität haben. Letztlich ist für uns der Aspekt interessant, wie sich Ökosysteme unter dem Klimawandel verändern und wie wir dazu beitragen können, dass Ökosysteme mehr Treibhausgase aufnehmen und damit den Klimawandel mindern. Die wesentlichen Forschungen meiner Abteilung liegen im Moment bei der Überwachung der Kohlendioxidaufnahme im Fichtelgebirge. Die Wälder dort sind leider an der Grenze zwischen einer Kohlendioxidsenke und einer –quelle, also keine Wälder, die wesentlich zu einer Abminderung des Klimawandels beitragen. Zum anderen arbeiten wir seit zwei bis drei Jahren momentan sehr stark in Tibet, wo eine große Gefahr besteht, dass sich das gesamte indische Monsunsystem durch Klimawandel und Landnutzungsänderung verändert.

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19.04.2010

„Was einmal weg gebrochen ist, wird so schnell nicht wiederkommen“ / IG Metall sieht die Krise noch nicht überwunden - Interview mit Volker Seidel von der IG Metall Ostoberfranken

Münchberg – Arbeitsplatzerhalt und Beschäftigungssicherung stehen bei den Gewerkschaften derzeit ganz oben auf der Agenda. Volker Seidel, erster Bevollmächtigter der IG Metall, erwartet, dass die Auswirkungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise im laufenden Jahr teilweise erst noch in Ostoberfranken ankommen, dann nämlich werden einige Maschinenbauer die Krise so richtig zu spüren bekommen.

„Welche Folgen hat die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise in den Betrieben in Ostoberfranken hinterlassen? Wo drückt den Beschäftigten in der Metallindustrie derzeit der Schuh am meisten?“

Volker Seidel: "Wir dürfen uns nicht täuschen lassen, wir sind über die Krise noch längst nicht hinweg. Während im Verlauf des Jahres 2009 in erster Linie die Automobilzuliefererindustrie betroffen war, sind im Bereich des klassischen Maschinenbaus die stärksten Auswirkungen erst noch zu erwarten. Im Bereich Textil und Bekleidung gab es bereits vor der Krise einen gewaltigen Beschäftigungsabbau, die Krise hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Uns geht es jetzt in allererster Linie um Arbeitsplatzerhalt und Beschäftigungssicherung, wo immer dies möglich ist.“

„Was ist notwendig, um die oberfränkischen Arbeitsplätze in der Metallbranche dauerhaft zu sichern und die Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen?“

Volker Seidel: „Sicherung der Arbeitsplätze ist das A und O. Wir dürfen uns nichts vormachen, was einmal weg gebrochen ist, wird so schnell nicht wiederkommen. Darüber hinaus ist es der erklärte Weg der IG Metall, das Instrument der Kurzarbeit weiter zu nutzen. Auch die Region steht in der Wirtschaftskrise mit einem robusten Arbeitsmarkt gut da. Dies ist der Kurzarbeit zu verdanken, für die die IG Metall nachhaltig gekämpft hat. Diese kann nicht auf Dauer helfen, aber zur Überbrückung gibt es nichts Besseres. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Beschäftigten die Krise ja nicht verursacht haben.“

„Nicht erst seit „Schlecker“ ist Leiharbeit ein Thema. Gab es in Ostoberfranken Fälle des Missbrauchs von Leiharbeit? Der Bundesrat hat ja bereits Handlungsbedarf signalisiert.“

Volker Seidel: „Mein Verhältnis dazu ist gespalten. Wenn Leiharbeit echte Zeitarbeit wäre, hätte ich nichts dagegen. Wenn Leiharbeiter aber in Firmen unbefristet beschäftigt werden können und damit die Einstellung neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer verhindern, ist es ein Problem. Am allerwichtigsten ist natürlich die Frage der Bezahlung und da lautet unsere Position: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Im Verhältnis zu den Beschäftigten in fester Anstellung müssen Arbeitsbedingungen und Lohn bei Leiharbeitern identisch sein.“

„Warum ist die schwarz-gelbe Koalition für die Arbeitnehmer die schlechteste aller Varianten, wie es IG-Metall-Vorsitzender Berthold Huber ausgedrückt hat?“

Volker Seidel: „Alle Regierungen sind für den Arbeitnehmer schlecht, die weiter an der neoliberalen Schraube drehen. Was wir brauchen, ist eine Regierung, die den Privatisierungswahn bekämpft und gegen Neoliberalismus vorgeht. Nehmen Sie als Beispiel die Klientelpolitik, die von der FDP zu Gunsten einiger großer Hotelketten betrieben wird; diese ist völlig falsch. Den Kommunen fehlt das Geld zur Straßensanierung, für die Schulen, und so weiter. Investitionen der öffentlichen Hand würden der Industrie und dem Handwerk und damit auch den Beschäftigten vor Ort zu Gute kommen. Das Geld hierzu wäre vorhanden, es dürfte nur nicht `verschenkt´ werden.“

„Wie viele Mitglieder betreut die IG Metall in Ostoberfranken und wie entwickeln sich derzeit die Mitgliederzahlen?“

Volker Seidel: „Unsere Mitgliederzahlen liegt bei rund 13.500 in Ostoberfranken. Uns ist es in den zurückliegenden drei Jahren stets gelungen, die Zahl der Austritte durch Neuaufnahmen zu kompensieren. Natürlich sind nicht alle Mitglieder Vollbeitragszahler, da selbstverständlich auch Rentner und Arbeitslose in der IG Metall organisiert sind. Insolvenzen schlagen sich sofort in den Mitgliederzahlen nieder.“

„Was tut die IG Metall, um neue Mitglieder zu gewinnen? Spielt dabei das Thema Jugendarbeit eine Rolle?“

Volker Seidel: „Die Jugendarbeit ist zentrales Thema. Wir sind dabei sehr zuversichtlich, den demographischen Wandel, der sich auch bei unseren Mitgliedern bemerkbar macht, durch unsere aktive Jugendarbeit ausgleichen zu können. Auch vor Ort haben wir einen sehr aktiven Ortsjugendausschuss, der sich neben den Problemen der Jugendlichen und Auszubildenden vor allem dem Kampf gegen den Rechtsradikalismus widmet. So bieten wir unter anderem politische Schulungen an, gehen auf die Jugendlichen in Betrieben und Schulen zu und unterstützen Aktionen wie Wunsiedel ist bunt aktiv vor Ort. Überhaupt gilt die IG Metall bayernweit als größte aktive Jugendorganisation. Wir sprechen zum Beispiel deutlich mehr junge Leute an, als die Parteien.“

„Die IG Metall will ihre Strukturen erneuern, wie soll das geschehen?“

Volker Seidel: „Dafür steht das Projekt 2009. Ziel ist es, sich den Veränderungen in der Arbeitswelt und in der Betreuungsstruktur anzupassen. Unser Grundsatz lautet dabei: Die IG Metall bekennt sich zur Fläche. Einen Personalabbau wird es bei der IG Metall nicht geben. Im Gegenteil, das Personal soll mehr in die Fläche. Als eine der kleineren Verwaltungsstellen in Bayern werden wir in Ostoberfranken dabei auch künftig sicher nicht schlechter gestellt sein. Richtungsgebend ist natürlich immer die wirtschaftliche Situation vor Ort.“

„Die IG Metall Ostoberfranken plant für den 10. Juni eine Großveranstaltung mit dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied der IG Metall Frankfurt Hans Jürgen Urban. Worum geht es dabei?“

Volker Seidel: „Diese Veranstaltung gehört zur Informationsreihe `Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit´. Hans Jürgen Urban wird dabei aufzeigen, was auf dem sozialen Sektor derzeit schief läuft und wer dafür verantwortlich ist. Eingeladen haben wir dazu auch Kollegen aus anderen Gewerkschaften und anderen Verwaltungsstellen. Nicht zuletzt wollen wir mit der Veranstaltung auch dem derzeit herrschenden neoliberalen Mainstream etwas entgegenhalten.

Zur Person:
Volker Seidel (44) steht seit 2007 an der Spitze der IG Metall in Ostoberfranken, die ihren Sitz in Münchberg hat. Der gelernte Energieanlagenelektroniker war ab 1992 in der damals noch selbständigen Gewerkschaft Textil und Bekleidung hauptamtlich aktiv, wechselte 1994 als Geschäftsführer zur damals ebenfalls noch selbständigen Gewerkschaft Holz und Kunststoff, ehe er am 21. Juni 2007 zum 1. Bevollmächtigten der IG Metall Ostoberfranken, der größten Einzelgewerkschaft in der Region gewählt wurde. Die IG Metall betreibt in Oberfranken drei Verwaltungsstellen: Bamberg, Coburg und Ostoberfranken. Die IG Metall Ostoberfranken umfasst die Landkreise und Städte Bayreuth, Hof, Kulmbach und Wunsiedel. Im Gegensatz zu den anderen Gewerkschaften vereint das Amt des 1. Bevollmächtigten bei der IG Metall Geschäftsführung und Vorsitz in einer Person. Obwohl der 1. Bevollmächtigte im Hauptamt für die Gewerkschaft tätig ist, muss er im Vier-Jahres-Turnus gewählt werden.

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19.01.2010

„Oberfranken ist bislang mit einem blauen Auge davon gekommen“ / DGB-Regionsvorsitzender Jürgen Jakob über Krise, Kurzarbeit und Hartz IV

Bayreuth – Krise, Krise und kein Ende. Wirtschaftskammern und Arbeitsgeberverbände überbieten sich derzeit mit Prognosen. Doch auch die Gewerkschaften als Arbeitnehmervertretung schalten sich in die Diskussion ein. Jürgen Jakob, Vorsitzender der DGB-Region Oberfranken-Ost, erwartet für das laufende Jahr einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen und fordert von der Politik Maßnahmen, um die Finanzmärkte in die Verantwortung zu nehmen. Trotz Krise wird es aber auch 2010 Tarifrunden geben. Die bereits vorliegende Forderung der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hält Jakob dabei nicht nur für gerechtfertigt, sondern bezeichnet sie sogar als zu niedrig.

„Silberstreif am Horizont oder noch mitten im Tal der Tränen: Wo steht Oberfranken in der Krise?“

Jürgen Jakob: „Man muss unterscheiden zwischen der wirtschafts- und finanzpolitischen Krise und der Krise auf dem Arbeitsmarkt. Was den Arbeitsmarkt angeht, so werden etliche Betriebe das laufende Jahr mit Kurzarbeit wohl nicht mehr durchhalten können, so dass ich schon einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen erwarte. Nicht vergessen darf man, dass die oberfränkische Wirtschaft auch vom Export abhängig ist. Finanzpolitisch ist die Krise allerdings bereits überwunden, schließlich hat der Steuerzahler ja die Haftung übernommen. Die Banken spekulieren schon wieder, ohne dass, anders als in Amerika, die Regierung etwas dagegen unternimmt.“

„Hat die Krise in der Region Oberfranken-Ost Spuren hinterlassen?“

Jürgen Jakob: „Oberfranken ist wohl mit einem blauen Auge davongekommen, die Insolvenzen sind nicht überproportional angestiegen, so dass sich die Auswirkungen einigermaßen im Rahmen halten. Ein großes Problem ist es allerdings, dass die Kommunen pleite sind und die Investitionen der öffentlichen Hand weg brechen. Die Bereiche Handwerk und Dienstleistung werden das leider noch zu spüren bekommen.“

„Wie steht es um das Instrument der Kurzarbeit?“

Jürgen Jakob: „Schlecht. In den Städten und Landkreisen Bayreuth und Kulmbach waren Ende 2009 fast 300 Betriebe mit rund 5300 Beschäftigten in Kurzarbeit. Etwa die Hälfte davon ist krisenbedingt. Im Verhältnis mit anderen Regionen sind diese Zahlen zwar eher günstig, doch darf man nicht vergessen, die Menschen haben ein Drittel weniger Einkommen und müssen das auch noch versteuern. Ich bedauere auch, dass die meisten Betriebe die Möglichkeit, ihre Arbeitnehmer in Weiterbildungsmaßnahmen zu schicken, nicht genutzt haben.“

„Wie geht es weiter mit der Kurzarbeit? Der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer hat die Einführung einer „Beschäftigungsbrücke“ in Form eines kleinen Kurarbeitergeldes gefordert, wäre so etwas sinnvoll?“

Jürgen Jakob: „Bei diesem Vorschlag handelt es sich eigentlich gar nicht um Kurzarbeit, sondern um die tarifpolitische weitere Absenkung, das heißt, die Arbeitszeit würde gegen eine zusätzliche Zahlung von der Agentur für Arbeit gesenkt. Insofern ist der IG-Metall-Vorschlag schon ein Mittel, um Arbeitsplätze zu erhalten, es kann aber nur eine Brücke sein.“

„Welche weiteren Forderungen haben die Gewerkschaften an die Politik, um die Krise bewältigen zu können?“

Jürgen Jakob: „Die Politik muss endlich die Finanzmärkte in die Verantwortung nehmen. Es kann doch nicht sein, dass weiterhin Riesenrenditen gefeiert werden, während der Steuerzahler dafür aufkommt. Wie schon erwähnt müssen auch die Kommunen vor Ort entlastet werden, um krisenbedingten Ausfällen zuvorzukommen. Die Konjunkturprogramme haben dafür nicht ausgereicht. Zum Beispiel zahlt niemand den Kommunen die Mehrkosten für Hartz IV.“

„In welchen Branchen stehen Tarifrunden an? Geht es diesmal nur um Beschäftigungssicherung oder stehen ganz normale Gehaltstarifrunden an?“

Jürgen Jakob: „Die Menschen brauchen mehr netto im Geldbeutel, deshalb halte ich auch die bereits vorliegende Forderung der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Höhe von fünf Prozent für zu niedrig. Wenn die Wirtschaft sagt, wir haben nichts zu verteilen, wie haben dann die DAX-Konzerne 2009 noch Dividenden verteilen können? Ansonsten liegt das Augenmerk 2010 auf den Tarifrunden der IG Metall und des öffentlichen Dienstes. Konkrete Forderungen für die Metallbranche liegen noch nicht vor.“

„Politiker überbieten sich mit Änderungsplänen für das Arbeitslosegeld II (Hartz IV), was fordert der DGB?“

Jürgen Jakob: „Die Hartz-IV-Gesetze sind mit der Preisentwicklung nicht mitgegangen. Wir fordern deshalb vor allem ein Ende der Pauschalierung von Wohnungskosten und stattdessen eine Übernahme der tatsächlichen Kosten. Wir wenden uns auch gegen eine Erhöhung der Zuverdienstgrenzen, denn das wäre ja nichts anderes als ein Kombilohn auf Steuerzahlers Kosten“

„Sollen die Argen, also die Arbeitsgemeinschaften zwischen Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen, beibehalten werden?

Jürgen Jakob: „Die Argen haben keine schlechte Arbeit geleistet. Die Betreuung hat sich im Vergleich zur früheren Sozialhilfe deutlich verbessert. Ich habe kein Vertrauen in die Politik, dass sie das in  einem neuen Gesetz tatsächlich besser macht.“

„Wie gestaltet sich die Mitgliederentwicklung beim DGB?“

Jürgen Jakob: „Wir verlieren jährlich rund ein Prozent unserer Mitglieder. Eine Ursache liegt darin, dass sich viele ältere Menschen, Hartz-IV-Bezieher oder Menschen in Kurzarbeit den Beitrag nicht mehr leisten können oder wollen. Dabei hätten gerade sie den größten Beratungsbedarf. Allerdings treten gerade junge Leute wieder vermehrt den Gewerkschaften bei. Das stimmt uns zuversichtlich“

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29.09.2008

„Handel leidet unter verminderter Kaufkraft“ / Interview mit Sabine Köppel, Bezirksgeschäftsführerin des Bayerischen Einzelhandelsverbandes

Bayreuth - Grundsätzlich ist der Handel in Oberfranken gut aufgestellt, meint Sabine Köppel, Bezirksgeschäftsführerin des Bayerischen Einzelhandelsverbandes. Dennoch sind die Erwartungen für die Wintersaison durchaus gedämpft. Woran dies liegt, erläutert Köppel im folgenden Gespräch.

Mit welchen Erwartungen startet der oberfränkische Einzelhandel in den Herbst?

"Die Erwartungen des oberfränkischen Einzelhandels für die Saison Herbst / Winter 2008 / 2009 sind durchaus sehr gedämpft. Das Konsumklima flaut bereits wieder ab und die Verbraucher leiden unter hohen Lebenshaltungs- und Energiekosten, die natürlich zu Lasten des sonstigen Konsums gehen.
Andererseits haben wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit 10 Jahren. Die hohe Anzahl an Beschäftigungsverhältnissen und die damit verbundenen Kaufkraft wird dem Einzelhandel hoffentlich doch noch einen versöhnlichen Jahresausklang bescheren und das Weihnachtsgeschäft entsprechend ankurbeln. Bislang ist vom Aufschwung beim Einzelhandel nichts angekommen."

Der bayerische Einzelhandel hatte in der Vergangenheit wenig Anlass zum Jubeln. Durch welche politischen Maßnahmen würden Sie sich positive Effekte für den Konsum und damit auch für die Binnenkonjunktur versprechen?

"Auf einen Nenner gebracht kann man hier nur die Aussage „mehr netto vom brutto“ anführen. Wenn in Deutschland die Lohnnebenkosten den Arbeitnehmern und auch den Betrieben, die selbst ja auch wieder konsumieren, über den Kopf wachsen, dann geht dies zu Lasten des Konsums. In die falsche Richtung geht deshalb auch der beschlossene Gesundheitsfonds, der zusätzliche Bürokratie und zusätzliches Geld für die Krankenversicherung verschlingen wird. Wie bereits mehrere Krankenversicherungen angedeutet haben, könnten die Beiträge zum Jahresanfang 2009 nochmals steigen. Dies muss verhindert werden. Die Politik ist aber auch aufgefordert die Steuer auf Kraftstoffe zu reduzieren, um hier einen Ausgleich für die extreme Preissteigerung zu gewähren. Zudem wäre eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung hilfreich."

Welche Branchen sind in Oberfranken echte Problembrachen, woran liegt das und wo gibt es Unterschiede zur bayernweiten Situation?

"Man kann nicht grundsätzlich von Problembrachen sprechen. Es gibt in jeder Branche in Oberfranken gut und schlecht laufende Unternehmen. Dies unterscheidet Oberfranken in nichts vom restlichen Bayern oder dem Bundesgebiet. Man sollte wohl besser zwischen den Standorten der jeweiligen Unternehmen unterscheiden. Zudem leidet der Handel in Oberfranken im Gegensatz zu anderen bayerischen Regionen unter einer verminderten Kaufkraft der Bevölkerung, die aufgrund geringer Industrialisierung und vergleichsweise niedrigen Gehältern entsteht. Wir haben aber in Oberfranken dennoch die ganze Bandbreite an Sortimenten, auch sehr hochwertiger Waren, die hier nachgefragt und auch bezogen werden. Kein Kunde ist gezwungen seine Einkäufe außerhalb Oberfrankens zu machen."

Mobilfunkläden, Ein-EuroShops und Dönerbuden beherrschen mittlerweile das Bild in vielen Innenstädten. Was müssen Kommunalpolitiker tun, um die Innenstädte wieder attraktiver zu machen?

"Wichtig ist zum einen die grundsätzliche Unterstützung für den Handel in den Innenstädten durch die Kommunalpolitik. Der Handel sorgt zusammen mit der Gastronomie dafür, dass Menschen die (zum teil historischen) Innenstädte überhaupt besuchen. Der Handel mit seinen Betriebsstätten, Auslagen und Angeboten macht also die Innenstädte erst attraktiv. Er braucht aber die Stadt nicht, sondern kann auch auf der „grünen Wiese“ agieren, aber die Stadt braucht den Handel, um die Innenstädte, die zum Teil mit viel finanziellem Aufwand saniert wurden, zu beleben. Dieser Grundsatz sollte den Kommunalpolitikern deutlich gemacht werden. Um die Innenstädte attraktiver zu machen muss also eine restriktive Ansiedelungspolitik auf der grünen Wiese erfolgen, denn ansonsten wird auf Dauer die Innenstadt veröden, weil der Handel insgesamt auf die „grüne Wiese“ abwandert, wenn nur dort die Umsätze gemacht werden können. Die Zusammenarbeit zwischen Handel und Kommune muss auch wieder von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung getragen sein. Zudem ist es wünschenswert, dass Anliegen des Handels, der zu einem hohen Maße das Stadtbild und die Attraktivität einer Stadt ausmacht, in der Kommunalpolitik zeitnah besprochen und umgesetzt bzw. erforderliche Genehmigungen unbürokratische erteilt werden. Eine ausreichende, auch finanzielle, Unterstützung für Stadt- und Citymarketing ist ebenso erforderlich."

Gleichzeitig schießen Verbrauchermärkte „auf der gründen Wiese“ und an den Ortsrändern noch immer wie Pilze aus dem Boden, während in den Zentren klassische Nahversorger am aussterben sind. Wie schätzt Ihr Verband die Situation ein?

"Hinsichtlich des Lebensmitteleinzelhandels ist tatsächlich ein Wandel erfolgt, der jedoch allein aufgrund des Kundenverhaltens eingetreten ist. Der Handel passt sich grundsätzlich den Kundenwünschen an. Die Waren des täglichen Bedarfs werden inzwischen mit dem Auto besorgt und der Kunde wünscht, alles an einem Platz zu bekommen. Er braucht demnach ausreichend Parkplätze und der Handel eine ausreichend große Verkaufsfläche, um das vom Kunden gewünschte Sortiment überhaupt vorrätig halten zu können. Beides ist in den klassischen Innenstadtlagen nicht vorhanden. Nur vom Verkauf weniger Produkte, die woanders vergessen wurden oder die vom Kunden noch zu Fuß nach Hause transportiert werden können, kann ein Lebensmittelgeschäft nicht in der Innenstadt existieren, da dort zudem die Mieten und Randbedingungen ungünstiger sind. Insofern gibt es derzeit auch keinen ausgeprägten Ansiedelungswillen bei den in Frage kommenden Unternehmen."

Inwiefern kann ein gelungenes Stadtmarketing dazu beitragen, die Innenstädte wieder attraktiver zu machen?

"Ein gutes Stadtmarketing trägt dazu bei, die jeweilige Stadt insgesamt als attraktiven Standort zu präsentieren. Ein Teil des Stadtmarketings ist das Citymarketing, das sich in erster Linie auf die Innenstadt der jeweiligen Kommune bezieht. Hier werden Events und Werbestrategien geplant und umgesetzt. Dafür braucht eine Stadt kompetente engagierte Manager, die dies umsetzen und Ideen entwickeln. Der Handel allein kann dies zusätzlich zum Tagesgeschäft nicht leisten. Ein „Kümmerer“ und Organisator ist unerlässlich. Mit einem guten Stadtmarketing kommen mehr Besucher in die Stadt, die den Handel und die Gastronomie frequentieren, die wiederum den Mehrumsatz dazu nutzen kann, zu modernisieren und die Geschäfte und Gastronomiebetriebe noch attraktiver zu gestalten, um die Stadt zu verschönern. Hier wird im Rahmen eines Kreislaufes Hand in Hand gearbeitet. Dazu braucht es aber Finanzmittel und dafür ausgebildetes Personal, da ein gut funktionierendes Stadtmarketing nicht im Rahmen eins „Nebenjobs“ umsetzbar ist."

Stichwort Ausbildungsplätze: Kann man junge Leute noch für die Branche begeistern?

"Wir freuen uns sehr, dass dies der Fall ist. Im Jahr 2006 hatten wir 873 neue Ausbildungsverhältnisse im Einzelhandel, im Jahr 2007 970 neue Ausbildungsverhältnisse. Dies ist eine Steigerung von 11,5 Prozent. Im klassischen Verkäuferberuf lag die Steigerung sogar bei 17,9 Prozent. Auch im Jahr 2008 konnten wieder mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt und auch besetzt werden. Die genauen Zahlen liegen aber noch nicht vor, weil die Ausbildungsverhältnisse noch nicht alle eingetragen sind."

Ist denn die Frage der Ladenöffnungszeiten überhaupt noch ein Thema?

"Die Frage der Ladenöffnungszeiten wird es geben solange Einzelhandel besteht. Allerdings ist das Thema gerade dadurch wieder ins Interesse geraten, dass der Ladenschluss nun Ländersache geworden ist. Wir haben nunmehr in Bayern andere Ladenschlussvorschriften als im angrenzenden Sachsen und Thüringen. Dort ist eine größere Liberalisierung zu verzeichnen, die sich auf den oberfränkischen Handel negativ auswirkt. Die Ladenschlussvorschriften sollten also angeglichen werden, um alle den gleichen Spielregeln zu unterwerfen. Der Handel braucht auch in Bayern die Möglichkeit zumindest besondere Events unbürokratisch durchführen zu können."

Wo muss sich der Einzelhandel im Regierungsbezirk künftig positionieren?

"Grundsätzlich ist der Handel in Oberfranken sehr gut aufgestellt. Um den Herausforderungen hinsichtlich der neuen Vertriebsformen wie z.B. Internet zu begegnen, wird der Handel auch weiterhin an seinem Marktauftritt, d.h. an seiner Ladengestaltung und an den Serviceangeboten arbeiten. Handel ist Wandel. Der Einzelhandel war und ist stets innovativ und auf der Suche nach neuen Sortimenten und Angeboten für die Verbraucher. Dieser Aufgabe gerecht zu werden und die Versorgung der Bevölkerung in ausreichendem Maße sicherzustellen stellt sich der Handel bereits täglich und wird dies auch weiterhin in verstärkter Form tun. Wichtig ist, dass hier gleiche Spielregeln für alle gelten und die Kommunen überdimensionierten Projekten, die den Zielen der Raumordnung und Landesplanung widersprechen, einen Riegel vorschieben anstatt sie zu unterstützen."

Der Landesverband des bayerischen Einzelhandels (LBE) vertritt in Oberfranken rund 800 Mitgliedsbetriebe mit rund 5000 Betriebsstätten, in denen etwa 30000 Mitarbeiter beschäftigt sind und ein Umsatz von rund 3,4 Milliarden Euro generiert wird. Der LBE ist damit der größte Arbeitgeberverband Bayerns mit Mitgliedsbetrieben aus allen Branchen und in allen Größen.

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